spurensicherung

Der Holodomor und die Kommunisten

Ein Kommentar zur Debatte um die Anerkennung als Genozid

| Martin Schlüter

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Foto: Fußgänger und verhungernde Bauern auf einer Straße in Charkiw 1933 - Foto: Alexander Wienerberger, Public domain, via Wikimedia Commons

Jammernde Kommunisten gibt es hierzulande allenthalben. Nun haben einige von ihnen ein neues Objekt der Skandalisierung entdeckt: Der Bundestag hat sich dazu entschlossen, den Holodomor als Genozid anzuerkennen. Unter Holodomor versteht man den Hungertod von etwa drei Millionen Menschen in den frühen 1930er-Jahren in der damaligen Sowjetunion, genauer: in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.

Bei der Deutung dieses Ereignisses spalten sich die Geister. Eine Seite beschuldigt Stalin, den Tod von Millionen Ukrainer*innen bewusst herbeigeführt oder zumindest billigend in Kauf genommen zu haben. Die Kollektivierung der Landwirtschaft war Teil des ersten Fünfjahresplans, mit dem die Sowjetunion in einen Industriestaat verwandelt werden sollte. Diese Kollektivierung wurde vom Zentralstaat derart brutal und rücksichtslos durchgeführt, dass die Menschen ihr Saatgut verzehren mussten und in der Folge verhungerten. Die andere Seite möchte in diesem Vorwurf „Antikommunismus“ erkennen und verweist darauf, dass es keinen Befehl Stalins gegeben habe, der sich explizit gegen die ukrainische Bevölkerung richtete. Stattdessen seien ukrainische Großgrundbesitzer und Nazi-Kollaborateure an dem Hunger schuld.

Wenn heutige Kommunisten in Deutschland von DKP bis MLPD darüber jammern, dass hier „Antikommunismus“ betrieben werde, entlarvt dies ihr zentrales Unverständnis der Natur des Staates: Wenn Stalin – der übrigens Georgier und nicht Russe war – eine derart brutale Maßnahme ergreift, welche die Bevölkerung zu Tode rafft, dann muss die Kritik an dieser Maßnahme nicht gegen „den“ Kommunismus gerichtet sein, sondern das grundsätzliche Konzept von Staatlichkeit kritisieren, welches die Umsetzung dieser Maßnahme überhaupt ermöglicht. Schade, dass man von vielen Medien hierzulande keine elaborierte Staatskritik erhoffen kann – so bleiben die zugegebenermaßen recht schwachen Ausführungen bürgerlicher Zeitungen, dass Kommunismus nicht funktionieren könne.

Dass man von Kommunisten keine Staatskritik erwarten kann, sollte uns klar sein, schließlich machen sie überall dort, wo sich die Gelegenheit auftut, umfangreich von der Staatsgewalt Gebrauch. In der Sowjetunion nach der sogenannten Oktoberrevolution nicht zufällig zuerst gegen die Gruppen der Sozialrevolutionär*innen und Anarchist*innen.

Die Anerkennung des Holodomor als Genozid kommt natürlich nicht von ungefähr. Die außenpolitische Großwetterlage lässt wenig Spielraum für eine gegensätzliche Entscheidung. Besonders eklig wird es da, wo Holodomor und Holocaust gegeneinander aufgerechnet werden. Das ist das Fass, welches Faschisten in der Ukraine besonders gerne aufmachen: Würde man die Anzahl der „eigenen“ Todesopfer nur möglichst hoch und möglichst international anerkannt bekommen, so würde die Beteiligung am Holocaust weniger schwer ins Gewicht fallen.

Natürlich spielt die Anerkennung durch den Bundestag den Rechten in der Ukraine in die Hände. Aber das macht den Speck auch nicht mehr fett, schließlich unterstützt die Bundesregierung den ukrainischen Staat mit Waffen, der sie auch an rechtsradikale Gruppen weitergibt.

Einmal mehr zeigt sich die Blindheit der deutschen Kommunisten: Anstatt den Imperialismus von Russland und China zu kritisieren, ist dieser Begriff ausschließlich für „den Westen“ und die NATO reserviert. Ein zentraler Fehler, der immer wieder wiederholt wird.

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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