Titel

Raus aus der zweiten Reihe!

Freiräume und Wertschätzung für FLINTA* statt Mackertum und Dominanzgehabe

| Aktivisti aus Heidelberg

Beitragraus
Foto: Sabrina Gröschke, https://flic.kr/p/2iCnj5C, (CC BY-NC-ND 2.0), das Foto wurde bearbeitet

Auch wenn der Anspruch in sozialen Bewegungen ein anderer ist: Sexistische Verhaltensmuster und patriarchale Strukturen sind allgegenwärtig. Einige Aktivisti aus Heidelberg berichten aus ihrer Erfahrung als FLINTA* (1) in Antifa- und Klimagerechtigkeitsgruppen und fordern einen Bruch mit der männlichen Dominanz ein. (GWR-Red.)

Triggerwarnung: Dieser Text befasst sich unter anderem mit Sexismus und sexistischen Übergriffen. Passt bitte auf euch auf. Wir berichten außerdem aus unserer eigenen Erfahrung als weiße, able-bodied FLINTA* und den Erfahrungen unserer Genoss*innen und haben deshalb nicht den Anspruch, für alle Menschen und Menschengruppen sprechen zu können.

Der monatliche Plenumsabend steht an. Ich schwinge mich aufs Rad und fahre zu unserem Treffpunkt. Der Raum ist bereits halb voll, ich blicke mich um. Aus meiner Bezugsgruppe ist noch niemand da. Super. Ich hoffe, die kommen bald, sonst wirdʼs irgendwie ungemütlich. Es haben sich bereits die üblichen Grüppchen gebildet, ein paar neue oder zumindest mir unbekannte Gesichter sitzen alleine für sich, die meisten am Handy, da.
Vor den Stuhlreihen bereitet sich die Moderation auf den Abend vor. Zwei FLINTA*-Personen. Ich bin positiv überrascht: Dann kann das Plenum ja gar nicht mal so schlecht werden. Normalerweise sitzen die gleichen cis-Dudes wie sonst auch vor uns anderen und fühlen sich in dieser Position mit der Entscheidungsmacht, welche Themen wie viel Gewichtung erhalten, offensichtlich sehr wohl. Situationen wie z. B., dass eine FLINTA*-Person etwas sagt und im Anschluss mehrere cis-Männer das Gleiche wiederholen und die Credits dafür bekommen, bleiben so meist ohne Konsequenzen. Es wird einfach zugelassen, dass sie die Deutungshoheit an sich reißen und sich zum Kompetenzträger der Diskussion machen.
Als ich den Raum betreten habe, wurde ich von einer der beiden Moderatorinnen begrüßt. Die, die nach dem Plenum immer offen und gut gelaunt das Gespräch zu anderen, auch Neuen sucht, und für die Erfüllung dieser Care- und Sozialarbeit augenscheinlich keine Wertschätzung der übrigen fest in der Struktur eingebundenen Menschen bekommt. Bei dem Gedanken an sie fällt mir auf, dass ich außer ihr eigentlich keine weitere FLINTA*-Vorbildfigur für meine Antifa-Arbeit kenne.
Von einem cis-Mann, mit dem ich mal ein paar Worte gewechselt habe, werde ich kurz angeschaut, ansonsten beachtet mich niemand. Die Grüppchen stehen weiterhin für sich, der Versuch, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen und sie einzubinden, entfällt für die meisten. Lediglich einige weitere cis-Männer werden in die Runden mit aufgenommen, aber wenn der Raum sowieso schon von ihnen und ihrer Präsenz dominiert wird, fällt der Anschluss natürlich auch leichter. Ich suche mir einen Platz in der vorletzten Reihe, trinke erst mal einen Schluck und warte mit regelmäßigen Blicken zur Tür ab, wann meine Bezugi (2) kommt, um uns gemeinsam diesem Mackersumpf zu entziehen.

Besserwisserei und Bevormundung

Solche Situationen sind, im Großen wie im Kleinen, in linken Bewegungen Alltag:

  • Ich war in einer Besetzung am Bauen einer Struktur. Plötzlich steht ein cis-Mann neben mir und erklärt mir, was ich gerade alles falsch gemacht habe, ohne eine Ahnung zu haben, was ich baue und was mein Plan ist. Als ich 20 Minuten später dabei bin, zwei zusammengenagelte Balken voneinander zu trennen, taucht ein anderer cis-Mann neben mir auf, nimmt mir ohne Kommentar den Hammer aus der Hand und macht meine Aufgabe weiter, um mir zu zeigen, wie das geht. Denn, versteht doch, ich als FLINTA*-gelesener Mensch kann das ja gar nicht wissen.
  • Ich hatte in unserer lokalen Gruppe die Aufgabe, Fragen zu rechtlichen Themen zu beantworten. In der Signal-Messengergruppe, in der Fragen gestellt wurden, versuchte ich diese zu beantworten, aber jedes Mal ging meine Antwort in den Nachrichten der cis-Männer unter, die nach mir noch drei Mal genau das Gleiche schreiben mussten, obwohl es weder ihre Aufgabe noch ihr Wissensgebiet war. Irgendwann wurde dann extra noch ein männlich gelesener Mensch der Gruppe hinzugefügt, damit dieser Rechtshilfe-Beratung macht, obwohl ich nach wie vor aktiv in der Gruppe war. – Eins von vielen Beispielen dafür, dass mir Kompetenz einfach automatisch aberkannt wird und ich kaum Chancen habe, diese zu beweisen, weil ich von lauteren und dominanteren Männern verdrängt werde.

Wir könnten mit solchen Beispielen wahrscheinlich eine ganze Ausgabe füllen. Es sollte klar sein, dass es sich bei diesen Vorfällen um internalisierte sexistische Verhaltensweisen bis hin zu sexistischen Übergriffigkeiten handelt. Abstrakt formuliert bedeutet das: Das Patriarchat herrscht auch in linken Kreisen weiterhin, und FLINTA*-Menschen werden auch hier mit Diskriminierung konfrontiert. Das geht so weit, dass einige von uns nicht mehr ohne befreundete Genoss*innen in Antifa-Plena gehen, weil sie sich dort nicht wohl fühlen.

Keine Freiräume, kein Safe Space

Auch an „unseren Orten“, also auf Demos, auf Aktionen zivilen Ungehorsams, in Haus- oder Waldbesetzungen, in linken Zentren etc. sind FLINTA* nicht sicher vor Diskriminierung, auch wenn ihre cis-männlichen Genossen sich als Feministen bezeichnen und sich mit antisexistischen Patches auf ihren Jacken schmücken.
FLINTA* übernehmen nach wie vor mehr Strukturaufgaben und Carearbeit. Sie sorgen dafür, dass neue Menschen in Gespräche eingebunden werden, zeigen und erklären ihnen Strukturen. Sie kochen und putzen mehr, schreiben häufiger Pläne und organisieren. Parallel dazu gilt trotzdem männliche Dominanz als Ideal: „Gute“ Aktivisti sind körperlich stark und leistungsfähig, sie kleiden sich klischeemäßig männlich, sie sind mutig und mackern gegenüber Polizist*innen.
Gerade TINA*-Personen (3) werden in ihrer Identität tendenziell weniger ernst genommen. FLINTA* werden für nicht so kompetent gehalten, und ihre Bedürfnisse werden dementsprechend weniger berücksichtigt. Die Tatsache, dass sie faktisch gefährdeter sind durch Mikroaggressionen, Gewalt oder sexuelle Übergriffe, wird zu wenig anerkannt. Wenn FLINTA*-Menschen sich dann beschweren und Raum für Reflexion und Rücksicht einfordern, kommt nicht selten Abwehr mit der Begründung, wir hätten genug Feminismus, und die angesprochenen Situationen seien alles Einzelfälle. Oder wie es eins von uns mal gesagt wurde: „Für Feminismus haben wir keine Zeit, und darüber zu reden, macht unsere Bewegung kaputt.“
Es scheint, dass es in linken Kreisen noch mal anders schwierig ist, auf patriarchale Muster aufmerksam zu machen. Viele cis-Männer definieren sich derart über ihr Linkssein, welches ja bekanntermaßen auch beinhaltet, feministisch zu sein, dass eine Kritik an ihrem Verhalten eine Kritik an ihrer Identität bedeutet – und damit können die meisten linken cis-Männer unserer Erfahrung nach gar nicht umgehen. Das führt dazu, dass sexuelle oder diskriminierende Übergriffe viel zu häufig unzulänglich aufgearbeitet werden, dass nicht genug Verantwortung dafür durch die Täter oder ihre Gruppe übernommen wird und dass überhaupt nicht gesehen wird, dass schon dieses Verhalten für FLINTA* nicht nur traumatisierend, sondern auch retraumatisierend sein kann.

Idealbild: laut, dominant, sportlich

Unserer Erfahrung nach gibt es aber durchaus Unterschiede zwischen verschiedenen Szenen. Da wir den Großteil unserer Erfahrungen in den Bereichen Klimagerechtigkeit und Antifa gesammelt haben, werden wir hauptsächlich auf diese eingehen.
Allgemein haben wir den Eindruck, dass Aktionen und das Miteinander der Klimagerechtigkeitsbewegung mehr auf Gefühle und Achtsamkeit ausgelegt sind. So gibt es beispielsweise in Aktionen fast immer Awareness-Teams, Deeskalationspersonen und Polizeikontakte, die geübt darin sind, stressige Situationen abzufangen und im Namen der Gruppe zu vermitteln.
Von primär antifaschistischen Gruppen gibt es selten eine Kommunikation à la „wir sehen euch und achten auf euch“. Aktionsformbedingt lassen sich diese Rollen zwar häufig nicht wirklich gut umsetzen, da eins im einheitlichen Black Block nicht unbedingt mit einer lila Awareness-Weste herausstechen oder sich unvermummt minutenlang mit den Cops unterhalten möchte, aber selbst grundlegende Achtsamkeitsstrukturen wie Buddys (4) oder Bezugsgruppen sollte eins am besten schon selbst mitbringen und sich nicht darauf verlassen, dass auf eine*n zugegangen und eins in die Gruppe aufgenommen wird. Konzepte wie Onboardings, in denen alles Wichtige für den Einstieg erklärt und erste soziale Bindungen geknüpft werden, gibt es nicht.
Grundsätzlich finden wir, dass es auch schwieriger ist, als neuer FLINTA*-Mensch ernst genommen zu werden, sich zu etablieren und geschätzt zu werden. Diese Probleme beginnen bereits damit, dass es im Antifa-Kontext ein stark „typisch männlich“ geprägtes Idealbild gibt: laut, dominant, hoher Redeanteil, ein bestimmter Dresscode – lässig, möglichst schwarz, sportlich. Diese optische Zugehörigkeit bestimmt, wem zugehört wird. Weiblich assoziierte Kleidung wird deshalb von vielen FLINTA* eher vermieden, um nicht das Gefühl zu bekommen, nicht reinzupassen. Dieses Idealbild zeigt sich auch stark im Black Block. Klar passt das gut zur Aktionsform, aber Menschen, die dies nicht gut umsetzen können, werden in der Aktion nicht für ihre Anwesenheit und Teilnahme wertgeschätzt und im Nachhinein sozial sanktioniert, indem sie noch weniger ernst genommen werden und ihnen nonverbal signalisiert wird, dass sie kein wertvoller oder benötigter Teil der Gruppe sind.

Mikroaggression und schöner Schein

Auch das Thema der Lernwilligkeit stellt für uns einen Unterschied zwischen den beiden Szenen heraus. Die Klimagerechtigkeitsbewegung stellt sich selbst zumindest einen Anspruch an eine gesamtheitliche Betrachtung und Verbindung verschiedener Kämpfe, und so finden hier Themen wie Feminismus, Antirassismus und Antiableismus eher einen Platz. Intersektionalität wird sich hier groß auf die Fahne geschrieben. Wenn diese Themen in antifaschistischen Kreisen angesprochen werden, haben wir verstärkt Erfahrungen mit Ablehnungen gemacht. Zugutehalten muss eins ihnen jedoch an dieser Stelle, dass sie ein stärkeres Klassenbewusstsein an den Tag legen als die Menschen im Klimakampf.
Klingt jetzt, als wäre in der Klimabewegung alles gut – aber so einfach ist es leider nicht. Persönlich haben wir in der Antifa-Szene zwar mit Mikroaggressionen, ungleicher Aufgabenverteilung und mangelnder Wertschätzung zu kämpfen, direkte Übergriffe und sexistische Diskriminierungen haben wir aber in der Klimagerechtigkeitsbewegung häufiger erlebt. Hier sind die vielen Strukturen, das Awarenessteam und die angebliche Intersektionalität manchmal auch nur ein schöner Schein, hinter dem cis-Männer sich den Konsequenzen ihres Handelns ebenso effektiv entziehen wie überall sonst auch. Denn auch die Klimaszene ist weit davon entfernt, Awareness tatsächlich als Gruppenaufgabe zu sehen. In der Realität sind es vor allem BIPoCs (5) und FLINTA*, die dafür tatsächlich Verantwortung übernehmen.

Was können wir tun?

Wir kennen vor allem aus dem Klimakontext den Ansatz und weitgehende Versuche, die cis-Männer dazu zu motivieren, sich selber und die patriarchale Hierarchie zu reflektieren und ihre Macht abzugeben. Das bedeutet allerdings, dass wir ihnen wieder eine Machtposition zugestehen und uns abhängig davon machen, wie sie sich verhalten und wie viel sie sich reflektieren wollen. Inwiefern wir uns gesehen und sicher fühlen, liegt so mal wieder in cis-männlicher Hand.

Viele cis-Männer definieren sich derart über ihr Linkssein, welches ja bekanntermaßen auch beinhaltet, feministisch zu sein, dass eine Kritik an ihrem Verhalten eine Kritik an ihrer Identität bedeutet – und damit können die meisten linken cis-Männer unserer Erfahrung nach gar nicht umgehen.

Was wir unserer Meinung nach brauchen, sind Spaces, in denen wir nicht mehr abhängig sind von cis-männlicher Dominanz. Das Patriarchat versucht, FLINTA* (cis- und TINA*-Menschen) gegeneinander auszuspielen und uns voneinander zu trennen. Wir brauchen genau deshalb Räume, in denen wir uns in einem sicheren Umfeld empowern und Solidarität voneinander lernen können, um zusammen ein Gegengewicht zu bilden. Immer, wenn wir FLINTA*-only Bezugsgruppenabende hatten, haben wir gefühlt, wie schön es ist, nicht allein mit Erfahrungen zu sein, sich unterstützt zu fühlen und einen Raum zu haben, in dem wir einmal nicht dauerhaft damit rechnen müssen, Diskriminierung ausgesetzt zu sein.
Es bräuchte demnach FLINTA*-only-Aktionen, in denen nicht um sichtbare Positionen gekämpft werden muss. Strukturen brauchen Plena, in denen cis-Männer ausgeschlossen sind, damit problematische Strukturen oder Situationen diskutiert werden können, ohne sich verteidigen zu müssen. Auch FLINTA*-only-Blöcke auf Demos wären eine willkommene Abwechslung, denn wir haben keinen Bock mehr, dass feministische Sprüche niedergebrüllt werden und wir permanent nervigem Mackertum ausgesetzt sind.
Ist das eine Dauerlösung? Wahrscheinlich nicht, wenn wir vorhaben, langfristig unabhängig von Geschlecht zusammenzuarbeiten. Aber allein um Kraft gegen das Patriarchat und patriarchale Strukturen zu sammeln, würden mehr FLINTA*-only-Spaces aus unserer Sicht helfen.

Nur ein erster Schritt

Zum Schluss ist uns noch wichtig zu sagen, dass dieser Artikel keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und nicht mal im Ansatz alles runterbricht, was scheiße läuft. Wir wollen mit unseren Erfahrungen nicht für alle Menschen sprechen und unsere Lösungen nicht als absolut darstellen. Vielleicht habt ihr euch trotzdem in manchen Situationen wiedererkannt und fühlt euch entweder ertappt oder mit euren negativen Erfahrungen und Gefühlen ein bisschen weniger allein.

(1) FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter*, nichtbinäre, trans* und agender Personen.
(2) kurz für Bezugsgruppe
(3) TINA* steht für trans*, inter*, nonbinär, agender.
(4) Nach dem Buddy-Konzept bilden Aktivist*innen Zweierteams, die während der Aktion aufeinander achten.
(5) BIPoC steht für Black, Indigenous, and People of Colour, d. h. von Rassismus betroffene Menschen.