wir sind nicht allein

Solidarität mit Pınar Selek!

Am 21. Juni in der Türkei zu Lebenslänglich verurteilt

| Redaktion „Silence“

Pinar Selek
Foto: Von Streetpepper - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12681757

Am 21. Juni 2022 verurteilte der Oberste Gerichtshof der Türkei die queerfeministische gewaltfreie Anarchistin Pınar Selek (geb. 1971) in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft. 
Die französische gewaltfrei-radikalökologische Zeitschrift „Silence“, deren Mitherausgeberin sie ist, solidarisiert sich mit ihr und kritisiert öffentlich eine inakzeptable Rechtsbeugung. Wir blicken hier kurz auf ihren Lebenslauf zurück und schlagen Möglichkeiten vor, sie zu unterstützen. (GWR-Red.)

Pınar Selek durchlebt seit nunmehr 24 Jahren die Hölle. Die Soziologin, Schriftstellerin und in der Türkei in den feministischen, antimilitaristischen und ökologischen Kämpfen engagierte Aktivistin, die sich für die Armenier*innen und Kurd*innen einsetzte, wurde bereits 1998 wegen ihrer wissenschaftlichen Recherchen zu diesen Themen gefoltert und zwei Jahre inhaftiert. Sie wurde dann zusätzlich der Beteiligung an einem Bombenattentat auf einen Istanbuler Markt beschuldigt.
Doch nichts in der Anklageschrift konnte jemals bewiesen werden. Alle Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass es sich um die zufällige Explosion einer Gasflasche gehandelt hat. Nach den Gerichtsverfahren gegen sie wurde sie insgesamt viermal freigelassen, doch jedes Mal hat der türkische Staat Berufung eingelegt. Der einzige Zeuge, der gegen sie wegen des Attentats aussagte, war ein junger Kurde, der sich nach seiner Freilassung zurückgezogen hat, denn seine Beschuldigung wurde unter Folter erzwungen. Es handelt sich bei dem Verfahren gegen Pınar um eine Politik des Terrors, um jeden Protest, jede abweichende Stimme zum Schweigen zu bringen.

Urteil ohne Verteidigung

Das endgültige Urteil des Obersten Gerichtshofs der Türkei war bereits seit 2017 erwartet worden und wurde nun am 21. Juni 2022 gefällt, nach Beratungen hinter verschlossenen Türen, ohne Plädoyers der Verteidigung. Pınar Selek war nach ihrer Haft ab 2009 zunächst in die BRD, dann nach Frankreich ins Exil gegangen; 2017 hat sie die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Aufgrund dieser jüngsten Verurteilung ist sie nun vielfältigen Risiken ausgesetzt. Sie wird gegen dieses Urteil Berufung vor dem Verfassungsgericht der Türkei und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen.
Pınar Selek weigert sich, angesichts dieser politischen Verfolgung klein beizugeben, sondern sie widersteht von Frankreich aus weiter, erhebt ihre Stimme, veröffentlicht Bücher, lehrt an der Universität Nizza und handelt in Kollektiven für die Rechte aller, gegen Ungerechtigkeiten und als „Aktivistin der Poesie“. Sie hilft uns, die feministischen, ökologischen und sozialen Kämpfe zusammen zu denken und lebt dabei eine Politik der Freude. Es wäre so wichtig, dass sie weitermachen und frei reden kann, ohne dass über ihr das Damoklesschwert der Gewalt eines Unrechtsurteils schwebt.

Wie kann Pınar Selek unterstützt werden?

Ihr könnt euch mit Pınar solidarisieren, indem ihr ihr Berufungsverfahren unterstützt: Schickt einfach einen europaweit gültigen Scheck mit Verwendungszweck auf der Rückseite „Solidarité avec Pınar Selek“ an die Adresse der Zeitschrift

„Silence“,
9 Rue Dumenge,
BP 4215,
F-69241 Lyon cedex 04.

Ihr könnt auch die vielen Solidaritätskomitees für Pınar kontaktieren, die im französischsprachigen Raum existieren, in Nice, Lyon, Marseille, Paris, Strasbourg, Brest, Bordeaux, Genf, Forcalquier sowie im Baskenland. Fragt zur Kontaktaufnahme bitte auf Französisch oder Englisch an bei:

Collectif lyonnais de solidarité avec Pınar Selek,
c/o Terre des livres,
86 Rue de Marseille,
F-69907 Lyon,
Mail: comitepinarseleklyon@free.fr

Die Solidaritätskomitees werden in nächster Zeit verschiedene Soliaktionen initiieren, an denen ihr euch auch von der BRD aus beteiligen könnt.
Pınar Selek ist seit 2014 Mitglied im Herausgeber*innenkreis der Zeitschrift „Silence: écologie – alternatives – non-violence“, die 2022 ihren 40. Geburtstag feiert (siehe dazu Interview in dieser GWR) und für die sie zahlreiche Artikel geschrieben hat. „Silence“ hat im Jahr 2019 zusammen mit den Éditions Cambourakis eine Autobiografie Pınars veröffentlicht mit dem Titel „L’insolente. Dialogues avec Pınar Selek“ (Die Unverschämte. Gespräche mit Pınar Selek), das derzeit für den Buchverlag Graswurzelrevolution übersetzt wird und voraussichtlich 2023 auf Deutsch erscheinen wird.

Übersetzung mit kleinen Ergänzungen: loma

Website: https://www.revuesilence.net/actualites/focus/solidarite-avec-pinar-selek-condamnee-a-la-prison-a-vie

Link zu einem älteren Interview mit Pınar Selek in der GWR 430 (Sommer 2018):
https://www.graswurzel.net/gwr/2018/06/selbstverwaltung-in-nordsyrien/

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