Auch nach einem Jahr des verbrecherischen Angriffskrieges durch Russland auf die Ukraine gibt es für Menschen, die das Kämpfen und Töten in dem Krieg verweigern, keine legalen Zugangswege zu Asyl in Europa und Deutschland. PRO ASYL und Connection e.V. fordern deutsche Politiker*innen auf, ihren vollmundigen Versprechungen Taten folgen zu lassen.
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine versuchen sich Hunderttausende Menschen einer Beteiligung an diesem Krieg zu entziehen. Nach aktuellen Schätzungen von Connection e.V. haben mittlerweile 150.000 militärdienstpflichtige Männer Russland verlassen und 22.000 Belarus, wegen der restriktiven Visapolitik der Länder im Schengen-Raum vor allem in die Nachbarstaaten. Bei der Ukraine geht die Organisation von 175.000 Männern aus, die das Land verlassen haben.
Prekäre Situation für Kriegsdienstverweigerer und Militärdienstentzieher
PRO ASYL und Connection e.V. kritisieren, dass für Menschen, die sich in Russland oder Belarus dem Krieg entziehen, bis heute keine legalen Zugangswege zum Recht auf Asyl geschaffen wurde. Weder wurden mehr humanitäre Visa für solche Menschen erteilt, noch wurden die Grenzen geöffnet, wie dies für fliehende Ukrainer*innen der Fall war, noch ist eine Änderung der BAMF-Entscheidungspraxis bei Asylanträgen von Russen erkennbar.
Connection e.V. und PRO ASYL sind bis dato keine BAMF-Bescheide bekannt, in denen Russen, die vor einem Kriegsdienst geflohen sind, Schutz zuerkannt wurde. Stattdessen liegt ihnen ein negativer BAMF-Bescheid eines russischen Militärdienstentziehers von Ende Januar 2023 (also bereits nach der Ankündigung einer Teilmobilmachung in Russland) vor. In diesem Bescheid wird einem Mann, der sich der Rekrutierung in Russland entzogen hatte, sein Schutzbegehren mit dem unverständlichen Argument abgelehnt, dass nicht davon auszugehen sei, dass er im Rahmen einer Mobilmachung zu den Streitkräften eingezogen würde. Diese Einschätzung verkennt völlig die derzeitige reale Gefahr für alle wehrfähigen Männer in Russland, als Akteur in den Krieg einberufen zu werden.
Die Zahl russischer Militärdienstpflichtiger, die in Deutschland Asyl beantragt haben, ist zwar gestiegen, ist aber mit schätzungsweise 600 Asylerstanträgen immer noch auf einem niedrigen Niveau. Grund dafür ist, dass die meisten keinen sicheren Fluchtweg nach Europa und Deutschland sehen. Die Situation für geflohene Russen und Belarussen in den Nachbarstaaten wie Kasachstan, Georgien, Armenien, Türkei oder Serbien aber ist zum Teil prekär. Die Türkei – und seit Ende Januar auch Kasachstan – gewährt russischen Staatsbürger*innen nur einen begrenzten Aufenthaltsstatus von drei Monaten, der nicht beliebig verlängerbar ist. Ihnen droht eine Abschiebung zurück nach Russland. PRO ASYL und Connection e.V. schließen sich daher der Forderung des Forum für Menschenrechte an: „Für Kriegsdienstverweigerer dürfen die EU-Grenzen nicht verschlossen sein.“
Eine zusätzliche Hürde stellten Entscheidungen dar, die aufgrund des Dublin-Abkommens erfolgen, wonach das EU-Land für einen Asylantrag zuständig ist, über das der Flüchtling eingereist ist bzw. das ein Visum ausgestellt hat. Auch diesbezüglich liegt den Organisationen ein Bescheid vor, mit dem ein russischer Militärdienstentzieher zur Ausreise nach Polen aufgefordert wird. Polen hingegen steht russischen Verweigerern sehr negativ gegenüber. Betroffenen droht eine Kettenabschiebung nach Russland.
Worte, denen keine Taten folgen
Dabei wurde den sich dem Kriegsdienst entziehenden Menschen von deutschen Politiker*innen wiederholt Schutz und Asyl in Deutschland angeboten. In dem Bundestagsbeschluss zur Unterstützung der Ukraine vom 28. April 2022 stand der Appell an russische Soldaten, die Waffen niederzulegen und der Hinweis, dass ihnen „der Weg ins deutsche und europäische Asylverfahren offensteht“. In einer Stellungnahme erklärt das Innenministerium im Mai 2022, dass „bei glaubhaft gemachter Desertion eines russischen Asylantragstellenden derzeit in der Regel von drohender Verfolgungshandlung für den Fall der Rückkehr in die Russische Föderation ausgegangen“ werde. Dieses Schutzversprechen gelte jedoch nicht für Militärdienstentzieher, die sich bereits einer Rekrutierung entzogen haben.
Bundeskanzler Olaf Scholz: „Ich bin dafür, diesen Menschen [Russen, die die Einberufung zum Militär verweigern] Schutz anzubieten.“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen.“
FDP-MdB Konstantin Kuhle: „Es wird vorkommen, dass jetzige oder ehemalige Angehörige des russischen Sicherheitsapparats oder staatlicher Behörden entscheiden, das Land zu verlassen. Diesen Menschen sollte die EU in Aussicht stellen, dass eine bevorzugte Bearbeitung ihrer Asylverfahren in Betracht kommt. Wer den Mut hat, sich in Russland gegen Putins Regime zu stellen, der muss Asyl in der Europäischen Union bekommen.“
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit Blick auf das deutsche Asylrecht: „Das zählt für jeden Bürger auf dieser Welt und das zählt natürlich auch für Russen, die um Leib und Leben Sorge haben.“ Es ginge jetzt darum, „das Asylrecht hochzuhalten.“
Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen Irene Mihalic: „Wer sich als Soldat an dem völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nicht beteiligen möchte und deshalb aus Russland flieht, dem muss in Deutschland Asyl gewährt werden.“
Wer sich einem Krieg entzieht, verdient Schutz
PRO ASYL und Connection e.V. fordern von der deutschen Bundesregierung, Möglichkeiten zu schaffen, Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweigerer, Militärdienstentzieher und Deserteure zu garantieren. Dazu gehört:
- Russische Staatsbürger*innen müssen auch von Ländern außerhalb Russlands, wo ihnen eine Abschiebung nach Russland droht, Anträge zur Aufnahme in die Europäische Union stellen können. Ihnen sollte der Weg zu humanitären Visa ermöglicht werden.
- Öffnung der Grenzen! Eine Aufnahme Schutzsuchender kann nur gelingen, wenn die illegalen Pushbacks gestoppt werden und die Menschen Zugang zu einem fairen Asylverfahren erhalten. Aber die derzeitigen Regelungen für eine Visavergabe hindern viele daran, sichere Länder zu erreichen.
- Mit Blick auf Asyl oder einen anderen Aufenthaltsstatus müssen die EU-Länder nicht nur Kriterien für Deserteure entwickeln, sondern vor allem Lösungen für die größere Zahl der Militärdienstentzieher finden. Sie wären bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Russland einer Rekrutierung für einen völkerrechtswidrigen Krieg unterworfen.
- Die EU sollte ein Aufnahmeprogramm beschließen, damit diejenigen russischen Staatsbürger*innen, die sich unter großem Risiko von der Regierung ihres Landes abgewandt haben, Möglichkeiten der Ausbildung und Beschäftigung erhalten.
- Ukrainische Kriegsdienstverweigerer, die in der Ukraine mehrjährige Haftstrafen befürchten müssen, verdienen ebenfalls die Unterstützung der EU und müssen Schutz erhalten. Die Ukraine ist aufzufordern, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung umzusetzen.
Weitere Informationen:
Hintergrundbeitrag „Bundesamt für Migration lehnt Asyl für russischen Verweigerer ab – Russland, Belarus, Ukraine: Wie steht es um den Schutz der Verweigerer?“ vom 17.2.2023: https://de.Connection-eV.org/article-3735 bzw. www.proasyl.de/news/bundesamt-fuer-migration-lehnt-asyl-fuer-russischen-verweigerer-ab/.
Kontakt:
Rudi Friedrich, Connection e.V., 069–82375534, www.connection-ev.org
Pressestelle PRO ASYL, www.proasyl.de