Nachdem das burmesische Militär die massenhaften Proteste im Anschluss an den Putsch vom 1. Februar 2021 niedergeschlagen hatte, verschwand das südostasiatische Land wieder aus den deutschen Nachrichten. In der Berichterstattung hat die Gewalt über den gewaltfreien Widerstand triumphiert. Ein Trugschluss. In Wirklichkeit kontrolliert die Militärregierung unter General Min Aung Hlaing weniger als ein Viertel des Landes, die Bevölkerung leistet bewaffneten und gewaltfreien Widerstand und es hat sich eine Gegenregierung aus Abgeordneten des aufgelösten Parlaments gebildet. Der Militärputsch hat eine Revolution ausgelöst, die das Land endlich von der Herrschaft des Tatmadaw befreien will. Daniel Korth schreibt für die Graswurzelrevolution über die Lage in Myanmar. (GWR-Red.)
Der gewaltfreie Widerstand
Gewaltfreier Widerstand beschränkt sich nicht auf öffentliche Kundgebungen und massenhafte Demonstrationen. Letztere erregen zwar mediale Aufmerksamkeit, bieten autoritären Regimen aber auch eine Angriffsfläche und können von ihnen mit Gewalt niedergeschlagen werden, wenn sie nur brutal genug sind. (1)
Die Bewegung des Zivilen Ungehorsams
In Myanmar wehrt sich die Bevölkerung seit zwei Jahren durch Formen der Nicht-Zusammenarbeit gegen die Militärherrschaft. In den ersten Wochen nach dem Putsch legten über 400.000 öffentliche Bedienstete ihre Arbeit nieder. Der Schulbesuch ist um 50 % zurückgegangen. Im Gesundheitswesen haben sich etwa 70 % der Beschäftigten im der Bewegung des Zivilen Ungehorsams (Civil Disobedient Movement, CDM) angeschlossen. Diese macht auch vor den Exekutivorganen des Staates nicht halt. Eine unbekannte Zahl Polizisten ist nach dem Putsch desertiert. Etwa 6000 waren im Jahr 2021 Teil der Bewegung. Polizisten, die weiter arbeiten, sind das Ziel von sozialen Druck und Anschlägen des bewaffneten Widerstandes. (2)
Auf diese Weise stellt die Bewegung des Zivilen Ungehorsams den Anspruch der Putschisten, das Land zu regieren, in Frage, weil diese nicht in der Lage sind die öffentlichen Aufgaben einer Regierung zu erfüllen. Um sich ein Bild von der Stärke des zivilen Ungehorsams zu machen, muss man sich vorstellen, was in Deutschland passieren würde, wenn in der Verwaltung sagen wir ein Drittel der Beschäftigen fehlen würde, bzw. durch ungelernte Soldaten ersetzt werden müsste. Parallel zur Verweigerung der Zusammenarbeit mit dem Militär baut die Bewegung eigene Strukturen zur Daseinsvorsorge auf. Schwerpunkte sind die Gesundheitsversorgung, die Schulbildung und die Versorgung der Binnenflüchtlinge, von denen es nun über eine Million in Myanmar gibt. Das Ausmaß dieser Strukturen unterscheidet sich von Region zu Region. Sie sind am stärksten in den Gebieten, die schon lange von Organisationen der ethnischen Minderheiten kontrolliert werden.
Boykott
Eine andere Form von Nicht-Zusammenarbeit ist der Boykott von Unternehmen, welche dem Militär oder seinen Günstlingen gehören. Stromrechnungen werden z. B. nicht oder nur verzögert beglichen. So wurden im Juni 2022 im Vergleich zur Zeit vor dem Militärputsch nur noch 30 bis 40 % der Stromrechnungen bezahlt. 69 % der Unternehmen zahlten in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 keine Steuern an die Junta. Ziel ist es, die finanziellen Ressourcen der Junta zu schwächen. Diese speisen sich aus dem Verkauf von Rohstoffen wie Öl, Gas, Jade, Edelsteine, Holz oder Land, dem Einkommen aus Steuern und Abgaben und der internationalen Hilfe, wie Entwicklungskrediten. Die Aktivitäten des CDM haben im Verein mit internationalen Sanktionen, der Pandemie und dem Ausbleiben bzw. dem Rückzug von Investoren dazu geführt, dass die Wirtschaft Myanmars 2021 um 18 % geschrumpft ist. Nach Angaben der Weltbank hat der Putsch „eine Dekade von Fortschritt in der Armutsbekämpfung zunichte gemacht“. (3)
Die burmesische Revolution wird nur erfolgreich sein, wenn es der Bewegung des Zivilen Ungehorsams gelingt, die Macht des Militärs weiter zu untergraben. Auch diese beruht letztendlich auf dem freiwilligen oder erzwungenen Gehorsam von Menschen und schwindet, sobald dieser Gehorsam endet.
Desertion
„People’s Soldiers“ (Soldaten des Volkes) ist eine Organisation von Deserteuren, die sich bemüht andere Soldaten bei der Desertion zu unterstützen. (4) Dies geschieht z. B. durch den Transport in sichere Gebiete, eine medizinische und psychologische Betreuung und die finanzielle Hilfe für die Soldaten und ihre Angehörigen.
Die burmesischen Soldaten stammen zumeist aus traditionellen Soldatenfamilien. Sie gehorchen auf Grund des Gehorsams gegenüber ihren Vätern und Großvätern, die selber Soldaten waren, und des brutalen Drills ihrer Ausbildung. Die Soldaten werden streng kontrolliert und haben keine Möglichkeit, die Armee auf legalem Weg zu verlassen. In der internen Propaganda sind die Streitkräfte die Verteidiger der buddhistische Nation Myanmars gegen Aung San Suu Kyi und die NLD sowie eine Verschwörung von Muslimen, die das Land zerstören wollen. (5)
Der militärische Widerstand
Der bewaffnete Widerstand gegen das burmesische Militär besteht aus den Volksverteidigungskräften (People Defence Forces, PDF) und den bewaffneten, ethnischen Gruppen (Ethnic armed Groups, EAO).
Die Volksverteidigungskräfte
Die PDFs entstanden nachdem das Militär die friedlichen Proteste im Frühjahr 2021 niedergeschlagen hatte. Neu ist, dass diese Gruppierungen sich aus Burmesen zusammensetzen und in den Gebieten des Landes operieren, die von der Bamar Mehrheit bewohnt werden und aus denen das Militär traditionell seine Soldaten rekrutiert und politische Unterstürzung erhält. Im Oktober 2022 gab es etwa 300 PDF Bataillone mit Truppenstärken zwischen 200 und 500 Mann unter dem Kommando der Regierung der Nationalen Einheit (NUG). Die PDFs verfügen nur über leichte Waffen, die sie auf dem Schwarzmarkt erwerben oder selbst herstellen. Etwa 40 % der Soldaten sind unbewaffnet. Auf lokaler Ebene operieren außerdem unabhängige Milizen und Guerillas mit Landminen, Hinterhalten, Sabotage und Anschlägen. (6)
Mit der Gründung der People Defence Forces im Mai 2021 weitete sich der Bürgerkrieg in Myanmar aus. Seit Beginn des Putsches kam es in 304 der 330 Verwaltungseinheiten Myanmars sowohl auf dem Land als auch in den Städten zu Gewalttaten. Die Zahl der bewaffneten Auseinandersetzungen verdoppelte sich im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr. Das burmesische Militär geht in dieser Auseinandersetzung gezielt gegen die zivile Bevölkerung vor, die es der Unterstützung bewaffneter Gruppen verdächtigt, und verübt täglich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einschließlich Mord, Folter, sexuelle Gewalt, willkürliche Verhaftungen, Plünderung, und Niederbrennen von Dörfern. Amnesty International hat 2022 in einem Bericht 16 unrechtmäßige Luftangriffe dokumentiert, die zwischen März 2021 und August 2022 in Kayah, Kayin, der Chin und der Sagaing Region stattfanden. Durch die Angriffe wurden mindestens 15 Zivilist*innen getötet und 36 verletzt und zivile Einrichtungen wie Häuser, religiöse Gebäude, Schulen, medizinische Einrichtungen zerstört. (7) Bei einem Luftangriff auf ein Konzert im Kachin-Staat im Norden des Landes sollen im Oktober 2022 mindestens 60 Menschen getötet worden sein. (8) Thomas Andrews, der Sonderberichterstatter für die Lage der Menschenrechte in Myanmar, sprach im September 2022 von 1,3 Millionen Binnenflüchtlingen, 28.000 zerstörten Häusern, über 13.000 toten Kindern und einer drohenden Hungersnot. (9)
Die bewaffneten ethnischen Organisationen
Anders als die burmesischen Volksverteidigungskräfte kämpfen die bewaffneten, ethnischen Gruppen schon seit Jahren gegen das burmesische Militär. Als Myanmar nach dem Zweiten Weltkrieg von Großbritannien unabhängig wurde, versprach der Staatsgründer General Aung San, der Vater von Aung San Su Shi, den ethnischen Minderheiten, sie nach zehn Jahren über ihre Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. Nach seiner Ermordung wurde dieses Versprechen jedoch gebrochen und seitdem setzt das burmesische Militär die Einheit des Landes mit Gewalt durch. Zur Zeit gibt es in Myanmar etwa dreiunddreißig bewaffnete, ethnische Organisationen. Ungefähr zwanzig von ihnen kontrollieren eigene Gebiete. (10)
Nach dem Putsch haben sich vier dieser Organisationen mit der Gegenregierung verbündet. Andere arbeiten stillschweigend mit ihr zusammen. Wieder andere misstrauen der NUG als Vertreterin der Mehrheitsethnie. Sie kämpfen zum Teil aus eigenem Antrieb weiter gegen das Militär, zum Teil haben sie Waffenstillstände geschlossen. Nominell kämpfen alle EAOs für die Unabhängigkeit oder Autonomie ihrer Volksgruppe. Zum Teil sind sie jedoch im Drogenhandel tätig, erpressen Schutzgelder oder greifen auf Zwangsrekrutierung und Zwangsarbeit zurück.
Die Regierung der nationalen Einheit (NUG)
Die Regierung der nationalen Einheit (National Union Government, NUG) wurde im April 2021 von Abgeordneten des im November 2020 gewählten und im Februar 2021 vom Militär aufgelösten Parlaments gegründet. Anders als die gestürzte Regierung der Nationalen Liga für Demokratie (National League for Democracy, NLD) sind in ihr auch Mitglieder kleinerer Parteien vertreten. Premierminister, amtierender Präsident und mehrere Minister*innen sind Angehörige ethnischer Minderheiten. Frauen sind jedoch unterrepräsentiert.
Die NUG hat ihren Sitz auf dem Territorium der mit ihr verbündeten ethnischen Widerstandsorganisationen. Gemeinsam haben diese Gruppen den Plan für ein föderatives, demokratisches Myanmar veröffentlicht (Federal Democratic Charter, FDC). Diese Charta enthält auch ein umfangreiches Bekenntnis zu den Menschenrechten und nennt folgende Werte, an denen sich der Aufbau des demokratischen Staatswesens orientieren soll:
- Fundamentale Menschenrechte;
- Demokratische Rechte;
- Minderheitenrechte;
- Gleichheit und Selbstbestimmung;
- Gemeinsame Führung (collective Leadership);
- Pluralismus, gegenseitiger Respekt und gegenseitige Anerkennung;
- Einheit in der Vielfalt;
- Gendergerechtigkeit (Gender Equality) (11);
- Nicht-Diskriminierung (Rasse, Religion, Sprache, Literatur, Kultur, Gender; anders Begabte (differently abled), sexuelle Orientierung). (12)
Die Arbeit der NUG besteht zum einen darin, in den von ihr kontrollierten Gebieten eigene staatliche Strukturen aufzubauen. Außerdem bemüht sie sich, den Widerstand gegen den Putsch zu organisieren. Es ist jedoch zu befürchten, dass sie sich vor allem auf den militärischen Widerstand konzentriert und nicht daran glaubt, das Militärregime durch zivilen Ungehorsam und gewaltfreien Widerstand stürzen zu können. So findet sich auf der Homepage der NUG zwar ein Verteidigungsministerium, aber kein Ministerium zur Unterstützung des zivilen Widerstandes, obwohl dieser in der Charta ausführlich gewürdigt wird. (13)
Schließlich bemüht sich die NUG international als legitime Regierung Myanmars anerkannt zu werden. Hier hat sie einige kleinere diplomatische Erfolge erzielt. So haben der französische Senat am 5. Oktober 2021 und das europäische Parlament Resolutionen verabschiedet, in denen sie die NUG als „die einzige legitime Vertretung der demokratischen Wünsche der Menschen in Myanmar“ anerkannten. Jedoch hat sich bis jetzt keine westliche Regierung zu diesem Schritt entschließen können.
Auch die Sanktionen westlicher Staaten bleiben Stückwerk. Z. B. wird die Myanmar Oil and Gas Enterprise (MOGE) seit Februar 2022 von der Europäischen Union sanktioniert, nicht aber von den Vereinigten Staaten. Die MOGE ist ein Staatsbetrieb und erwirtschaftet die Hälfte der Auslandseinkünfte Myanmars. Aufgrund der Struktur des internationalen Finanzsystem könnten die Vereinigten Staaten Zahlungen von Banken an die MOGE und damit an das burmesische Militärregime blockieren. Ebenso wurde der „Burma Act“ vom US-Senat seit April 2022 nicht ratifiziert. Dieser würde der US-Regierung mehr Freiheit beim Erlass von Sanktionen und der Unterstützung der burmesischen Zivilgesellschaft gestatten. (14)
Internationale Reaktionen
Wesentlich entschlossener ist die Unterstützung der Putschisten durch ihre internationalen Verbündeten. Diese Hilfe besteht neben Waffenlieferungen aus der Anerkennung der Junta als burmesische Regierung und der Einladung ihrer Vertreter zu politischen Treffen. Die wichtigsten internationalen Unterstützer des Putsches sind Russland, Indien und China. (15)
Von diesen drei Ländern ist das Verhalten Chinas aufgrund der geographischen Nähe sowie wirtschaftlicher und historischer Verbindungen von besonderer Bedeutung. Myanmar ist für China zugleich Rohstofflieferant und Absatzmarkt für billige Waren. Etwa so wie Lateinamerika es für die Kolonialmächte Europas und die USA war. Auf der anderen Seite sichert der regionale Handel mit China die burmesischen Generäle gegen internationale Sanktionen ab, schafft Einkommen und ermöglicht Waffenlieferungen.
Nach dem Putsch am 1. Februar 2021 stellte China sich zunächst nicht offen auf die Seite der Junta. Man verurteilte den Putsch zwar, kommunizierte aber inoffiziell weiter mit Gegner*innen des Militärs und betonte die guten Handelsbeziehungen mit der Vorgängerregierung. Letztere war z. B. 2017 der chinesischen Neuen Seidenstraße Initiative (Belt and Road Initiative, BRI) beigetreten. Seitdem Russland jedoch durch den Krieg gegen die Ukraine gebunden ist, hat man sich in Peking offenbar entschlossen bei der Wahrung der eigenen Wirtschaftsinteressen auf die Putschisten zu setzen und die Unterstützung für das burmesische Militär verstärkt. Auf einem Treffen im April 2021 vereinbarte man verstärkte diplomatische Kooperation, das gemeinsame Vorgehen gegen unilaterale Sanktionen und eine Erhöhung der finanziellen Unterstützung um über 100 Millionen Dollar. Außerdem bemüht China sich den Verband Südostasiatischer Nationen, ASEAN, zu einer offiziellen Zusammenarbeit mit der Militärregierung Myanmars zu bewegen. (16)
Ausblick
Überraschenderweise enthielten sich China, Indien und Russland im Dezember 2022, als der UN-Sicherheitsrat eine Resolution zu Myanmar verabschiedete, in der ein unverzügliches Ende der Gewalt gefordert und das Militärregime zur Freilassung „willkürlicher verhafteter Gefangener“ inklusive der abgesetzten De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi aufgerufen wurde. Auch wenn die Resolution keine substanziellen Maßnahmen enthält, mag sie vielleicht ein Zeichen für die zunehmende Isolation der Junta sein. Dieser ist es auch nach zwei Jahren nicht gelungen das Land und seine Menschen zu kontrollieren. Sie ist nicht in der Lage zu regieren und staatliche Aufgaben, z. B. der Daseinsvorsorge, zu erfüllen, sondern hält sich durch Gräueltaten an der Zivilbevölkerung an der Macht. Eine Politik der Einschüchterung, die das humanitäre Leiden verschärft.
Auf der anderen Seite scheint ein militärischer Sieg über das Tatmadaw kaum möglich. Die burmesischen Streitkräfte verfügten 2019 über 406.000 Soldaten und schwere Waffen. Die Luftwaffe hatte 81 Kampfflugzeuge, 27 Transportflugzeuge, 88 Trainingsflugzeuge, 5 sonstige Flugzeuge, 86 Hubschrauber und 9 Kampfhubschrauber. Die Armee besaß 595 Panzer, 1700 gepanzerte Fahrzeuge, 40 Panzerhaubitzen, 1869 Artilleriegeschütze und 496 Raketenwerfer. (17)
Dazu kommt, dass Diktaturen gewaltsamem Widerstand gegenüber im Vorteil sind. Gewalt ist ihr Geschäft. Sie sind brutaler und rücksichtsloser als ihre Gegner*innen. Wenn eine bewaffnete Befreiungsbewegung diesen Vorteil ausgleichen will, muss sie sich anpassen und ebenfalls skrupelloser werden, was aber den Zielen, die sie erreichen will, widerspricht.
Die burmesische Revolution wird nur erfolgreich sein, wenn es der Bewegung des Zivilen Ungehorsams gelingt, die Macht des Militärs weiter zu untergraben. Auch diese beruht letztendlich auf dem freiwilligen oder erzwungenen Gehorsam von Menschen und schwindet, sobald dieser Gehorsam endet. „Der Fürst, der die Masse zum Feinde hat, sichert sich nie, und je mehr Grausamkeiten er begeht, desto schwächer wird seine Herrschaft.“ (18)
Von großer Bedeutung ist auch, ob es der Regierung der nationalen Einheit und ihren Verbündeten gelingt, weitere ethnische Widerstandsorganisationen in ihr Bündnis einzubinden, um den Anspruch zu untermauern, tatsächlich das ganze Land zu repräsentieren. Zur Zeit ist diese Einheit nur ein Wunsch. Das Militärregime kontrolliert zwar nur ein Viertel des Landes, aber das Misstrauen der Minderheiten gegenüber der Mehrheitsethnie und die Eigeninteressen der jeweiligen Organisationen verhindern, dass sich alle seine Gegner zusammenschließen.
Was getan werden könnte
Um Myanmar zu helfen, muss die humanitäre Hilfe verstärkt werden. Dies darf jedoch nicht in Kooperation mit dem Militärregime geschehen. Einerseits weil das Regime die Hilfe für Binnenflüchtlinge und Gemeinden unterbindet, die seiner Meinung nach demokratische Kräfte unterstützen, andererseits weil dies die Anerkennung der unrechtmäßigen Regierung bedeuten würde. Dort, wo es möglich ist, sollte stattdessen mit lokalen Gruppen der burmesischen Zivilgesellschaft und der NUG zusammengearbeitet werden sowie Druck auf die Nachbarstaaten (Thailand, Indien, Bangladesch) ausgeübt werden, damit diese humanitäre Hilfe über ihre Grenzen erlauben.
Zum anderen sollte auf westliche Staaten Druck ausgeübt werden, damit sie die Regierung der Nationalen Einheit und der mit ihr verbündeten ethnischen Widerstandsorganisationen als rechtmäßige Regierung Myanmars anerkennen und der Militärjunta diesen Status verweigern. Ebenso sollten sie den Dialog zwischen NUG und EAOs fördern und den Plan unterstützen ein demokratisches, föderatives Myanmar aufzubauen. Hierfür könnten z. B. Tagungsorte außerhalb Myanmars bereitgestellt werden.
Schließlich müssen Sanktionen und das Waffenembargo gegen das Militärregime besser koordiniert und ausgeweitet werden. Amnesty International fordert z. B. die Lieferung von Flugstofftreibstoff zu unterbinden. Dies würde die Fähigkeit des burmesischen Militärs schwächen, Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen. Zu diesem Zweck könnten westliche Staaten ihre Häfen für Transportunternehmen sperren, die Flugzeugtreibstoff nach Myanmar liefern, und Druck auf globale Energieunternehmen ausüben. Ein solches Unternehmen ist Puma Energy mit Sitz in Singapur und der Schweiz.
(1) Vgl. Gene Sharp: „Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung“, Verlag C. H. Beck, München 2008. Download: www.aeinstein.org
(2) Special Advisory Council for Myanmar (SAC-M), Briefing Paper: Effective Control in Myanmar, 5 September, 2022
(3) ebd.
(4) www.peoplesoldiers.org bzw.
www.peoplesgoal.org
(5) www.dw.com/en/in-myanmar-the-army-controls-its-soldiers-lives-minds-and-finances/a-57557479
Über die Zahl von Deserteuren bzw. die Bereitschaft von burmesischen Soldaten zu desertieren, gibt es keine verlässlichen Angaben.
(6) www.usip.org/publications/2022/11/understanding-peoples-defense-forces-myanmar
(7) www.amnesty.org/en/latest/news/2022/
11/myanmar-amnesty-aviation-fuel/
(8) www.tagesschau.de/ausland/asien/
myanmar-konzert-luftangriff-kachin-101.html
(9) https://news.un.org/en/story/2022/
09/1127361
(10) https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_ethnic_armed_organisations
(11) In Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau wird eine Quote von mindestens 30 % Frauen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung angestrebt.
(12) https://nucc-federal.org/wp-content/uploads/2022/06/FDC-Part-1-En-01042022.pdf
(13) www.nugmyanmar.org/en/
(14) IPI-APHR final report, November 2022, ASEAN Parliamentarians for Human Rights. APHR ist ein regionales Netzwerk von aktuellen und früheren Parlamentarier*innen, die ihren Einfluss nutzen, um Menschenrechte und Demokratie in Südostasien zu fördern.
(15) Indien arbeitet traditionell mit der burmesischen Armee zusammen, um zu verhindern, dass Rebellengruppen im Nordosten des Landes (Manipur) in Myanmar einen Rückzugsraum bekommen.
(16) Majid Lenz, Zwischen Brüderlichkeit und Abhängigkeit: Chinas Einfluß in Myanmar, In: Myanmar im Widerstand. Analysen und Perspektiven, Hrsg. Stiftung Asienhaus, Juni 2022
(17) https://de.wikipedia.org/wiki/Streitkr%C3%A4fte_von_Myanmar
(18) Niccolò Machiavelli, Discorsi (Frankfurt/M.: Insel, 2000), S. 68 (Buch I, Kap. 16).
GWR-Mitherausgeber Daniel Korth ist Philosoph, Pazifist und totaler Kriegsdienstverweigerer. Er war von 2014 bis 2018 als internationale Friedensfachkraft in Myanmar tätig.
Siehe auch: Die Massenvertreibung der Rohingya aus Myanmar - Ein Gespräch mit Daniel Korth, in: GWR 433, Nov. 2018 ; Myanmar – Ein flüchtiger Moment der Hoffnung. Der gewaltfreie Aufstand, in: GWR 458, April 2021
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.