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Alles grün?

Energie-Kolonialismus durch Wasserstoff-Kooperation

| Horst Blume

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Wasserstoff in einer Entladungsröhre - Foto: Alchemist-hp (talk) (www.pse-mendelejew.de), FAL, via Wikimedia Commons

Die offensichtlichen Folgen der Klimakatastrophe und die ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland als Folge des Ukrainekrieges haben mittlerweile auf zahlreichen Ebenen zu hektischen Aktivitäten geführt, um Energie in Zukunft verstärkt auch klimaneutral, nachhaltig und umweltfreundlich zu produzieren. Besondere Bedeutung kommt hier dem Energieträger Wasserstoff zu, mit dem Energie angeblich besser transportiert und gespeichert werden kann. Besonders dem aus Alternativenergie gewonnenen Grünen Wasserstoff werden viele positive Eigenschaften zugesprochen.

Es gibt aber auch gravierende negative: „Die Mengen an Ökostrom, die für die Herstellung benötigt werden, sind enorm. Bei der Elektrolyse gehen laut der Internationalen Energieagentur (IEA) nach aktuellem Stand der Technik je nach Verfahren 20 bis 40 Prozent der Energie verloren. Dazu kommen in der weiteren Verarbeitung Verluste bei der Verdichtung (bis zu 15 Prozent) oder Verflüssigung (bis zu 25 Prozent) für den Transport. Schon bevor Wasserstoff als Energieträger tatsächlich eingesetzt wird, geht also ein erheblicher Teil der grünen Primärenergie verloren“ (1).

Da in der BRD nicht so viel Wasserstoff für den von der Regierung veranschlagten zukünftigen Eigenbedarf selbst produziert werden kann, wurden in den letzten Jahren Wasserstoff-Kooperationen mit Ländern des globalen Südens in die Wege geleitet. Insbesondere Afrika und Südamerika sollen hier eine besondere Rolle spielen. Es wird von verschiedenen Seiten davon ausgegangen, dass in Zukunft 15 bis 30 Prozent des deutschen Energiebedarfs in diesen Ländern gewonnen werden müssten.

Hoher Energieverbrauch bleibt

Diese bereits in Angriff genommene strategische Ausrichtung geht davon aus, dass in der BRD (und der EU) der Energie- und Rohstoffverbrauch, sowie der Konsum von Waren und die Fixierung auf den Autoverkehr weiterhin sehr hoch bleiben werden. Im Grunde soll nach diesem Modell mit mehr eingesetzter Alternativenergie so weiter gewirtschaftet werden wie vorher. Lediglich die Art der Energiegewinnung würde dann bei dieser „imperialen Lebensweise“ (2) ausgetauscht werden.

Die nun ins Auge gefassten Wirtschaftskooperationen wären keine, die zwischen gleichberechtigten Partnern bestehen würden. Jahrhundertealte ungerechte Macht- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen den Kolonialmächten und Kolonien haben bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Jetzt sollen ausgerechnet die Leidtragenden dieser Entwicklung den Hauptverursachern der Klimakatastrophe aus dem globalen Norden durch Produktion und Lieferung von Grünem Wasserstoff aus der Patsche helfen, um ihnen bei den sich anbahnenden zukünftigen Katastrophen trotzdem noch mit sehr viel Energieeinsatz einen komfortablen Lebensstandard zu sichern.

Das Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) hat für eine Kooperation zur Produktion von Grünem Wasserstoff aus Alternativenergie seit einigen Jahren ihre Fühler ausgestreckt. Unter dem Label „H2Atlas-Africa Projekt“ hat die Zusammenarbeit mit dem südlichen Afrika (16 Mitgliedsstaaten, SADC) und Westafrika (15 Mitgliedsstaaten, ECOWAS) bereits begonnen. Die zukünftige Entwicklung wird vom Ministerium als Win-win-Situation für beide Seiten dargestellt: „Es wird Arbeitsplätze schaffen, das sozioökonomische Wohlergehen der Menschen verbessern und die Auswirkungen des Klimawandels infolge der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und der Verbrennung von Biomasse verringern“ (3).
Doch wie soll diese Zusammenarbeit mit den Menschen in Afrika in Zukunft konkret aussehen? Wer hat das Sagen, wer gibt das Geld, wer bestimmt die Ziele, welche betroffenen Gruppen vor Ort werden einbezogen? – Und warum wird nicht auf Initiativen von unten eingegangen, wo die Geldgeber im Gegensatz zur Vergangenheit gerade so verdächtig „spendabel“ sind?

Forschungszentrum Jülich

Das gesamte Projekt wird geleitet und koordiniert von dem Forschungszentrum (FZ) Jülich, das in den letzten Jahrzehnten schon oft bewiesen hat, dass es in engster Zusammenarbeit mit Energiekonzernen und diktatorischen Staaten für die Förderung und Entwicklung großtechnologischer und menschenfeindlicher Projekte (z. B. Atomkraftwerke) steht, die von Oben geplant und durchgesetzt werden (4). Dem FZ Jülich wird also die Vorentscheidung für die „Eignung von Landflächen für erneuerbare Energien und Wasserstoffinfrastruktur“ sowie die Beurteilung des „soziopolitischen Kontextes und der Entwicklungsmöglichkeiten“ (5) überlassen!

Die jeweils fünfköpfige nationale Projektgruppe wird hierbei „aus verschiedenen relevanten Organisationen ausgewählt“. Von wem und wer entscheidet, bleibt nebulös. Desweiteren gibt diese Projektgruppe einem „regionalen technischen Komitee Bericht. Das Komitee trägt die Beiträge aus den verschiedenen Ländern zusammen und vertritt die Interessen der Region sowohl in technischer als auch in anderer (!) Hinsicht. Dies spiegelt sich auch in der Besetzung des Komitees wider, das für die Projektdurchführung mit der deutschen Arbeitsgruppe der Forschungszentrum Jülich GmbH zusammenarbeitet“ (6). Eingesetzte Projektgruppen und Komitees, die direkt vom FZ Jülich und damit von den Interessen der deutschen Bundesregierung abhängig sind, zeigen deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine basisdemokratische Veranstaltung handelt!

Green Grabbing in Afrika

Doch wie sehen die bisher gemachten Erfahrungen bei der Gewinnung von Grünem Wasserstoff in Afrika aus? Die geographische Nähe von Marokko zu Europa macht das nordafrikanische Land besonders interessant. Wegen der oft kollektiven Form der gemeinschaftlichen, gewohnheitsrechtlichen Landnutzung der BäuerInnen können Energiekonzerne besonders einfach angeblich nicht genutztes Weide- und Ackerland für sich reklamieren, um dort riesige Solaranlagen zu bauen (7). Der Kampf der Souliate-Frauen gegen diesen Landraub ist über Marokko hinaus bekannt geworden. Etwa 3000 Hektar Land wurde 2016 den Amazigh-Gemeinden geraubt, um ein Solarkraftwerk in Ouarzazate zu bauen. Für die Kühlung und Spülung der Solarpanele kommt in dieser trockenen Gegend noch ein immenser Wasserverbrauch hinzu. Hierdurch werden die Folgen des Klimawandels in Marokko verschlimmert.

Ouarzazate Solar Power Station im März –  2019Foto: Contains modified Copernicus Sentinel data 2019, CC BY-SA 3.0 IGO <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/igo/deed.en>, via Wikimedia Commons

Ebenfalls wird bei Midelt in Marokko eines der größten Solarkraftwerke der Welt errichtet. Auftraggeber ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ); der deutsche Finanzierungsanteil beträgt 604,21 Millionen Euro (8). Der algerische Journalist Hamza Hamouchene schreibt hierzu: „Und natürlich werden die Anlagen auf Tausenden von Hektar kommunalen Landes gebaut, das den eigentlichen Eigentümer*innen entzogen worden ist. Der Hirtenstamm von Sidi Ayad, der das Land seit Jahrhunderten zum Weiden seiner Tiere nutzt, protestiert gegen dieses Projekt und bezeichnet es zu Recht als ‚Besetzung‘“ (9).

Das Forschungszentrum Jülich hat 2021 mitgeteilt, dass sich nach ihren Erkenntnissen in der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) 33 Prozent der Landfläche für Photovoltaikanlagen und 76 Prozent für Onshore-Windkraftanlagen eignen würden (10). Die horrenden Dimensionen der möglichen Enteignungen werden hier deutlich.

Ausbeutung und Raub

In der europäischen Öffentlichkeit wird nur zu gerne der falsche Eindruck erweckt, dass im nördlichen und westlichen Afrika hauptsächlich große dünn besiedelte und ungenutzte Wüsten vorhanden wären, die problemlos großflächig mit Solaranlagen bestückt werden könnten. Ohne etwas grundlegendes an Herrschaftsverhältnissen und Produktionsweisen zu ändern beschwören europäische Regierungen und Konzerne den gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel, um daraus angeblich gemeinsame Interessen zwischen ungleichen Vertragspartnern zu betonen. Diesen Aussagen widerspricht Hamouchene: „Die oberflächlich guten Absichten, die diesen Großprojekten zur Förderung erneuerbarer Energien vorangestellt werden, beschönigen letztlich nur die brutalen Formen von Ausbeutung und Raub, mit denen sie vorangetrieben werden. Wir haben es hier mit einem altbekannten kolonialen Schema zu tun: Billige Ressourcen (einschließlich grüne Energie) fließen ungehindert aus dem globalen Süden in den reichen Norden, während die Festung Europa Mauern und Zäune hochzieht, die Menschen davon abhalten sollen, ihre Küsten zu erreichen“ (11).
Hier zeigt sich deutlich, dass Alternativenergie eben nicht grundsätzlich eine Alternative zu den herrschenden Verhältnissen darstellt, sondern von gegensätzlichen Interessengruppen benutzbar ist. Hierauf hat der Ökoanarchist Murray Bookchin schon 1975 hingewiesen: „Der Löwenanteil der Bundeszuschüsse für Sonnenenergie-Forschung geht an Projekte, die, würden sie verwirklicht, riesige Wüstengebiete in Anspruch nehmen würden. Solche Projekte sind nichts anderes als eine Verhohnepiepelung von ,alternativer Technologie`. Aufgrund ihrer Dimensionen sind sie in geradezu klassischer Weise herkömmlich. Das gilt sowohl im Hinblick auf ihre Riesenhaftigkeit als auch auf das Ausmaß, in dem sie eine bereits begonnene, bürokratisch zentralisierte nationale Arbeitsteilung verschlimmern“ (12).

Südamerika: Alternativenergie für „Motorsport“!

Als Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Januar 2023 Südamerika bereiste, stand zwar der Ukrainekrieg im medialen Fokus, allerdings ging es ebenfalls um die zukünftige Zusammenarbeit in dem Bereich Grüner Wasserstoffproduktion. Im chilenischen Teil von Patagonien (Punta Arenas) haben, gefördert vom deutschen Bundeswirtschaftsministerium, Siemens Energy und Porsche die weltweit erste kommerzielle Anlage von E-Fuels (synthetische Kraftstoffe) errichtet. Zu diesem Zweck sollen in dem Gebiet der Mapuche-Indianer tausende von Windkraftanlagen gebaut werden. Bemerkenswert ist der Verwendungszweck: „Geplant ist die Herstellung von 130.000 Litern E-Fuels im Jahr 2023. Porsche will diese im Motorsport (!) und in Testfahrzeugen einsetzen. Bis Mitte des Jahrzehnts soll die Kapazität der Anlage auf 55 Mio. Liter pro Jahr wachsen, 2027 bereits auf 550 Mio. Liter“ (13).

Jetzt sollen ausgerechnet die Leidtragenden dieser Entwicklung den Hauptverursachern der Klimakatastrophe aus dem globalen Norden durch Produktion und Lieferung von Grünem Wasserstoff aus der Patsche helfen

In Brasilien sprach sich Scholz dafür aus, das umstrittene Mercosur-Freihandelsabkommen möglichst bald zu unterzeichnen, damit Bergbauunternehmen am Amazonas das von der deutschen Industrie dringend benötigte Eisenerz für Windräder, Photovoltaikanlagen und die Automobilindustrie noch günstiger liefern als bisher – und damit die Abholzung des Regenwaldes beschleunigen (14)! Obwohl Brasilien 78,1 Prozent seiner Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (hauptsächlich Wasserkraft) deckt (15), werden hier bereits Vorbereitungen getroffen, um in Zukunft Grünen Wasserstoff zu produzieren und nach Europa zu exportieren. Mit weitreichenden Konsequenzen: „Da sich im Bundesstaat Bahia die demarkierten „Windkorridore“ vorwiegend auf verfügungsrechtlich nicht zugewiesenem öffentlichem Land (terras devolutas) befinden, fokussieren neue Politiken explizit die Sicherung und Regulierung des Landzugangs für den Ausbau der Windkraft. Die inmitten der Covid‑19 Pandemie erlassene normative Anweisung Nr. 01/2020 unterstützt diesen Prozess, indem Konzessionsverträge für reale Nutzungsrechte an Windparkbetreiber vergeben werden können, selbst wenn diese historisch von traditionellen Gemeinschaften – wie Fundos e Fechos de Pasto oder Quilombolas – besetzte und kollektiv genutzte Gemeingüter darstellen. (…)
Eine wichtige Rolle werden in Zukunft hinsichtlich dieser neuen Territorialisierungsprozesse und politisch‑ökonomischen Auswirkungen vor allem die Produktion und der Export von grünem Wasserstoff einnehmen. Die Leitlinien im nationalen Wasserstoffprogramm (PNH2) verdeutlichen die energie‑ und wirtschaftsstrategische Priorität zur Dekarbonisierung und Entwicklung eines globalen Wasserstoffmarktes, was aktuell durch die Konstruktion der Hafenkomplexe Pecém in Ceará, Suape in Pernambuco oder Açu in Rio de Janeiro weiter unterstrichen wird“ (16).
Es ist festzustellen, dass sich die aktuelle Handelspolitik der BRD unter Beteiligung von SPD, FDP und Grünen mit ihrer Fokussierung auf einseitigen Import von Rohstoffen und Energie kaum anders verhält als diejenige von China. Um eine Vorstellung von den Dimensionen der vorgesehenen Grünen Wasserstoffproduktion zu erhalten, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass beispielsweise für die extrem umweltschädliche Stahlgewinnung in den Hochöfen von ThyssenKrupp in Duisburg in Zukunft 3.800 neue Windanlagen benötigt werden (17). Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese energieintensive Produktionsweise und der hiermit einhergehende Verbrauch von Wirtschaftsgütern die Klimakatastrophe weiter anheizen wird. Von Fairness und Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen dem Norden und dem Globalen Süden kann hierbei keine Rede sein!

(1) Siehe: https://www.quarks.de/technik/energie/was-die-allzweckwaffe-fuer-die-energiewende-leisten-kann/
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Imperiale_
Lebensweise
https://www.graswurzel.net/gwr/2017/10/konsens-zum-konsum/
(3) https://www.h2atlas.de/de/ueber-uns/vision
(4) https://www.machtvonunten.de/
atomkraft-und-oekologie/90-der-meiler-aus-der-mottenkiste.html
(5) https://www.h2atlas.de/de/ueber-uns/methode
(6) https://www.h2atlas.de/de/ueber-uns/projektstruktur
(7) https://waronwant.org/news-analysis/soulaliyate-movement-moroccan-women-fighting-land-dispossession
(8) Siehe:
https://www.kfw-entwicklungsbank.de/ipfz/Projektdatenbank/Solarkomplex-Noor-Midelt-31818.htm
(9) https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/gruenen-kolonialismus-ueberwinden/
(10) https://www.fz-juelich.de/de/aktuelles/
news/pressemitteilungen/2021/2021-05-20-wasserstoffatlas
(11) Siehe Anmerkung 9
(12) Murray Bookchin „Die Formen der Freiheit“ (Übersetzung: Michael Schroeren), Verlag Büchse der Pandora, 1977, Seite 53
(13) https://www.energate-messenger.de/news/229077/grossanlage-fuer-synthesesprit-nimmt-in-chile-betrieb-auf
(14) Sophia Boddenberg in „Scholz in Lateinamerika. Der Mythos vom nachhaltigen Rohstoffabbau“ in „Blätter für deutsche und internationale Politik“. 3/2023, Seite 23
(15) Michael Klingler „Saubere Energie, schmutzige Methoden“ in „Brasilikum“ Nr. 268 (2023), Seite 6
(16) Siehe 15, Seite 8
(17) Siehe: https://www.deutschlandfunk.de/woher-kommt-der-gruene-wasserstoff-kueste-oder-wueste-100.html

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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