Fritz Bauer Forum

In Bochum entsteht ein Ort für Menschenrechte

| Jennifer Haas, Magdalena Köhler und Tobias Fetzer

Fritz Bauer (1903–1968) wurde als Sohn einer Familie mit jüdischen Wurzeln in Baden-Württemberg geboren, sich selbst bezeichnete er als „glaubenslos“. Im Zusammenhang mit Planungen zu einem gegen die Machtergreifung der Nationalsozialisten gerichteten Generalstreik wurde er am 23. März 1933 festgenommen, acht Monate im KZ Heuberg und im KZ Oberer Kuhberg inhaftiert und Ende 1933 wieder aus der Haft entlassen. „Mit seinem Namen und Wirken als Generalstaatsanwalt in Hessen von 1956 bis 1968 verbinden sich die Entführung Adolf Eichmanns nach Israel, die positive Neubewertung der Widerstandskämpfer des 20. Juli von 1944 und die Frankfurter Ausschwitzprozesse“, heißt es auf Wikipedia. In Bochum entsteht nun das Fritz Bauer Forum als Forschungs- und Bildungszentrum „Im Kampf um des Menschen Rechte“ (Fritz Bauer). (GWR-Red.)

Über das Fritz Bauer Forum

Das Fritz Bauer Forum in Bochum soll ein interaktiver Ort für Forschung, Bildung, Kunst und Dialog werden. Ins Leben gerufen 2020, macht es sich dieses Forum zur Aufgabe, das mutige, oft risikoreiche und aufopferungsvolle „Nein!“ zu Unrecht in unserer Geschichte und zu den Menschenrechtsverletzungen in unserer Zeit weltweit zu erzählen, zu erforschen, zu bestärken und weiterzutragen. Die Geschäftsführerin ist die Historikerin und Ausstellungskuratorin Irmtrud Wojak. Sie hat ihren Forschungsschwerpunkt in den Themen juristischer Zeitgeschichte, Holocaust und Exil sowie Erinnerungskulturen. 2008 habilitierte sie mit der ersten und bis heute maßgebenden Fritz Bauer Biografie, die 2009 veröffentlicht wurde. Das Team, welches sie unterstützt, besteht aus drei jungen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, denen Wojak jeweils Teilprojekte anvertraut hat.

Eine ehemalige Trauerhalle wird zum Zentrum für Menschenrechte

Der Ort selbst, das Gelände der ehemaligen Trauerhalle Havkenscheid an der Feldmark 107 in Bochum, wird auch das Fritz Bauer Archiv beheimaten. Hier wird unter anderem das Quellenmaterial, welches Irmtrud Wojak für ihre Biografie zu Fritz Bauer im Laufe der Jahre zusammengetragen hat, zugänglich sein. Darunter auch die Privatsammlung des Autors Kurt Nelhiebel. Es wartet also spannendes Material darauf entdeckt zu werden.
Herzstück des Geländes wird die Fritz Bauer Bibliothek sein, die in die ehemalige Trauerhalle einzieht. Das denkmalgeschützte Gebäude des Architekten Ferdinand Keilmann wurde dafür aufwendig restauriert. Zwei Besonderheiten der Bibliothek sind die bunten Fenster des Glaskünstlers Egon Becker, sowie die Stahlkonstruktion, welche die Fritz Bauer Bibliothek zu einem begehbaren Bücherregal macht. Über den Archiv- und Bibliotheksbetrieb hinaus sind Veranstaltungen mit lokalen und internationalen Forscher*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen sowie ein Bildungsangebot geplant. Um das Fritz Bauer Forum herum wird ein lebendiger Ort für Austausch und Begegnungen entstehen. Neben den Büroräumen wird es Seminar-, Atelier-, Workshop- und Ausstellungsräume sowie Coworking Space und ein Café geben. Das Fritz Bauer Forum soll Ende 2024 eröffnet werden, während die Bibliothek schon ab Mitte 2023 für Veranstaltungen nutzbar sein wird.

„Die mutigste Bibliothek der Welt“ – Widerständigem Handeln eine Stimme geben

Neben dem momentan entstehenden physischen Ort ist das Fritz Bauer Forum bereits ein digitaler Ort. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung machte das Forum mit seiner digitalen Ausstellung „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland“, zum Leben und Wirken des Namensgebers Fritz Bauer und zuvor mit der 2019 veröffentlichen interaktiven Fritz Bauer Bibliothek. Diese sammelt auf einer Web-Plattform die Geschichten von mutigen Menschen, die sich weltweit unter großen Risiken für Menschenrechte – die eigenen und die von anderen – einsetzen. Die Geschichte von Überlebenden und Menschenrechtskämpfer*innen aus Vergangenheit und Gegenwart aus aller Welt kann hier aus ihrer Sicht heraus erforscht und weitererzählt werden – auf Deutsch, Englisch und Spanisch. Die Stimmen der Überlebenden werden so bestärkt und ihre Geschichten bekannter. Die interaktive Bibliothek ist ein lebendiges Archiv und ermöglicht es, genauer der Frage nachzugehen, welche unterschiedlichen Kräfte Menschen darin bestärken, selbst unter extremen Bedingungen im Geiste der Menschenrechte zu leben und zu handeln.

Es finden sich bekanntere und weniger bekannte Geschichten, darunter die von Rosa Parks, Desmond Tutu, Bertha von Suttner und natürlich auch die von Fritz Bauer. Darüber hinaus gibt es Geschichten wie die des Widerstandskämpfers Raoul Gustaf Wallenberg, der im Zweiten Weltkrieg Jüdinnen und Juden vor dem Tod rettete, indem er als Diplomat sogenannte Schutzpässe ausstellte. Oder die Geschichte von Thomas Buergenthal, der als Kind Auschwitz überlebte und später in den USA Jura studierte. Er widmete seine ganze berufliche Tätigkeit dem Völker- und Menschenrecht und wurde Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Lebensgeschichten wie die von Fritz Bauer und Thomas Buergenthal machen deutlich, dass der „Kampf um des Menschen Rechte“ immer schon Widerstand war. Das Leben von Holocaust-Überlebenden einseitig auf eine Opfergeschichte zu reduzieren, wird ihnen nicht gerecht. Bauer und Buergenthal setzten ihr widerständiges Handeln auch in die Nachkriegszeit fort. „Nein!” zu sagen, wenn Unrecht geschieht und die Menschrechte verletzt werden, das war für sie die Lehre aus Auschwitz und aus den NS-Prozessen. Das ist und bleibt unser Pensum. Daher finden sich auch aktuelle Geschichten vom Einsatz für die Menschenrechte in der interaktiven Fritz Bauer Bibliothek. Zum Beispiel die von Joshua Wong, einem Aktivisten aus Hongkong, der sich für Demokratie und Unabhängigkeit einsetzt. Derzeit befindet er sich in Haft, im Februar 2023 hat der Prozess gegen ihn und 46 andere Angeklagte begonnen. Oder Yirgalem Fisseha Mebrahtu, eine Schriftstellerin und Journalistin aus Eritrea, die wegen ihrer Arbeit in ein eritreisches Militärgefängnis kam und dort lange Zeit gefoltert wurde. Heute lebt sie in Deutschland und führt von hier aus ihre Arbeit fort. Die Vielfalt der Geschichten zeigt sich nicht nur in ihrer Spanne über die Zeit, sondern auch darin, wie breit gefächert die Themen sind: Von Gabriela Brimmer, einer mexikanischen Aktivistin, die sich für die Rechte von Behinderten einsetzte, über den Kriegsreporter James Foley, der in Syrien vom IS getötet wurde, bis hin zu dem brasilianischen Fußballspieler und Aktivisten Socratés oder der südafrikanischen Frauenrechtsaktivistin Lucinda Evans. Zu einigen Geschichten konnten wir mit den Personen auch Film-Interviews führen, die sich ebenfalls in der interaktiven Bibliothek finden und die noch einmal einen tiefergehenden Blick in das Leben der jeweiligen Person bieten.

Ein besonderes Merkmal ist die Interaktivität: Jeder und jede kann selbst die Geschichten von Menschenrechtskämpfer*innen in der interaktiven Fritz Bauer Bibliothek aufschreiben. So wächst sie stets weiter und bildet die Vielfalt von Kämpfen gegen Menschenrechtsverletzungen weltweit ab. Erst kürzlich veröffentliche so Dr. Bernd Drücke die Lebensgeschichte von Paul Wulf, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, und ein Mitglied der Freien Arbeiter*innen Union Düsseldorf die Geschichte des Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten Hans Schmitz in der interaktiven Bibliothek. Auch die Geschichte von Augusta Farvo, einer italienischen Anarchistin und Partisanin, kann hier nachgelesen werden.
Die interaktive Bibliothek eignet sich für Recherchen und zur Anwendung in Schulen und Universitäten, in der außerschulischen Bildungsarbeit und für individuelle Forschungen und Dokumentationen. So kommt sie zum Beispiel auch in unserer „AG Menschenrechte“ zum Einsatz, eine AG in Schulen, bei der Schüler*innen eigenständig Geschichten recherchieren und verfassen. So ist zum Beispiel auch die Geschichte des Palästinensers Naji al Ali entstanden, sowie die Geschichte des Widerstandskämpfers Johann Georg Elser, der einen gescheiterten Anschlag auf Hitler verübte.

Selbst zum Kampf für Demokratie und Menschenrechte beitragen

Mit der interaktiven Fritz Bauer Bibliothek möchten wir dazu beitragen, die Stimmen des Widerstands zu bestärken, den Dialog über sie und die Menschenrechte in Gang zu bringen und ein internationales Netzwerk zu schaffen. Wir möchten den Geschichten dieser mutigen Menschen eine Plattform geben, über die sie Unterstützung und mehr Anerkennung erfahren.

Auf diese Weise verbreiten wir die Praxis der Menschenrechte und das Wissen um sie, welches in Zeiten immer stärker werdender Anfeindungen gegen Demokratie und Menschenrechte zusehends wichtiger ist. „Was können wir selbst tun?“, lautet die Frage, die wir uns immer neu stellen müssen und der wir nachgehen. Denn Demokratie und Menschenrechte müssen beständig neu erkämpft werden – so, wie Fritz Bauer es getan hat, und so, wie es in seinem Sinne heute viele mutige Menschen weltweit tun.
Auch Sie können etwas zur interaktiven Fritz Bauer Bibliothek beitragen. Indem Sie die Geschichte des Widerstands und Überlebens einer für Sie bedeutenden Person schreiben. Wenden Sie sich gerne an uns, wir helfen bei der Recherche und Anlage der Geschichte im Netz. Über Neuigkeiten vom Fritz Bauer Forum, sowie aus dem Archiv und der Bibliothek, bleiben Sie über unsere Social-Media-Kanäle (@fritzbauerforum), unseren Newsletter und unsere Website www.fritz-bauer-forum.de informiert.

Jennifer Haas, Magdalena Köhler und Tobias Fetzer sind wissenschaftliche Mitarbeiter*innen des Fritz Bauer Forums. Kontakt: info@fritz-bauer-forum.de