„Schreib mal was zum Thema Arbeit.“

| Rudolf Mühland

Anfang März rief mich Bernd von der GWR an und sagte: „Schreib doch mal was zum Thema Arbeit!“. Meine Frage, ob er das Thema ein wenig eingrenzen könnte, hat er einfach mal so verneint. Ich hätte da freie Hand. Eigentlich könnte ich ja eine Menge dazu schreiben. Immerhin stamme ich aus der Arbeiterklasse. Und weil meine Eltern lange Zeit Sozialhilfe bezogen haben, kenne ich sogar die Perspektive aus der Sicht des sogenannten „Lumpenproletariats“. Einer der Gründe, warum ich nach der Realschule versucht habe an die Universität zu kommen. Ich wollte mindestens die Schicht meiner Klasse verlassen. Hat nicht geklappt. Am Ende bekam ich Hartz 4 (ja, ja, Raider heißt jetzt Twix – aber sonst ändert sich nix!) Und selbst die zwei Jobs, die ich habe, bringen nicht genug ein, um ohne Hartz zu leben. Also, was schreib ich denn so zum Thema, wenn ich sonst keine Anhaltspunkte habe?

Vielleicht schreibe ich also über meine ersten Erfahrungen mit Lohnarbeit. Damals hatte ich die Schule gerade beendet und den Zivildienst noch nicht angefangen. Ich hatte also einerseits Zeit, und andererseits kein Geld. Ideale Bedingungen um seine Haut zu Markte zu tragen. Am Ende arbeitete ich einige Monate für einen Subunternehmer, der im Auftrag eines Unternehmens für andere Unternehmen die Regale in Supermärkten mit Süßigkeiten auffüllte. Der Lohn war schlecht, die Arbeit langweilig und ging auf den Rücken. Dort habe ich aber dann zum ersten Mal gesehen, wie viele Produkte einfach so in den Müll wandern, ohne dass es irgendjemanden gestört hätte. Das kam so: die Süßigkeiten (so wie viele andere Waren) kamen auf Paletten an und waren mit Folien umwickelt. Beim Auspacken der Paletten kam es vor, dass man in die Verpackungen der Waren schnitt. Jede dieser angeschnittenen Verpackungen musste in den Müll geworfen werden (mitnehmen oder essen war nicht erlaubt). Ich war froh als ich den Job wieder los war. Seitdem blicke ich ganz anders auf die vollen Supermarktregale.
Nach meinem militärischen Zwangsdienst (ohne Waffe) zog ich weg und fing an zu studieren. Da die Berufsausbildung nicht bezahlt wurde, musste ich mir also einen Zweitjob zum Lohnerwerb anschaffen. So wurde ich dann also Kellner. Allerdings habe ich mich jahrelang gar nicht als Kellner begriffen, sondern als Student. Damit war ich in der Kneipe nicht allein. Alle Kolleg*innen, die an der Theke oder im Service gearbeitet haben, waren hauptberuflich in der Berufsausbildung (Studium). Die Kolleg*innen in der Küche waren die einzigen mit Arbeitsvertrag, konnten oft nur sehr schlecht deutsch und alle zusammen ertrugen wir die Situation lange Zeit einfach so wie sie war. Das bedeutete

  • einen Lohn, der weit unterhalb des Tariflohns lag – denn niemand von uns wusste, dass die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) einen Tarifvertrag hatte, geschweige denn, dass er allgemeinverbindlich war
  • keinen Lohn bei Arbeitsunfähigkeit oder Urlaub (und darum waren wir wahre Meister*innen im Schichten tauschen)
  • dass wir ebenso schnell gefeuert werden konnten, wie wir angestellt wurden.

Irgendwann, da war ich dann schon Mitglied in der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter*innen Union Düsseldorf (FAUD), begann ich mich dann auch für meine eigene Arbeitssituation zu interessieren. Ich machte mich also schlau, redete mit den Kolleg*innen und fing an, mich im Betrieb zu organisieren. Bei all dem war die NGG übrigens keine Hilfe. Selbst bei direkten Nachfragen, zum Beispiel in Bezug auf den allgemeinverbindlichen Tarifvertrag, wollten sie nicht antworten. Das Ergebnis war einerseits eine Broschüre zum Thema Arbeitsrecht für Jobber*innen und andererseits ein viele Monate lange andauernder Konflikt mit dem Boss. Am Ende konnten wir die gesetzlichen Standards durchsetzen, zumindest für diejenigen Kolleg*innen, die den Mut hatten, sich an die FAUD-Mitglieder im Betrieb zu wenden. Wir haben ihnen dann nämlich bei Krankheit/Urlaub einfach den zustehenden Lohn bar ausgezahlt und eine von uns unterzeichnete Quittung in die Kasse gelegt.
Ungefähr ein Jahr später habe ich nach knapp acht Jahren den Job hingeschmissen und mir etwas anderes gesucht. Noch einige Zeit später wendeten sich die Kolleg*innen bei Entlassungen und bei der €uro-Umstellung noch an die FAU Düsseldorf bzw. an mich und die letzte Kollegin der ehemaligen Betriebsgruppe im Betrieb. Wir konnten dann zusammen mit den Kolleg*innen zumindest die gesetzlichen Standards durchsetzen. Bei der €uro-Umstellung haben die Kolleg*innen endlich eine Lohnerhöhung durchsetzen können – die erste in zehn Jahren!
Aber man soll nicht glauben, dass nur in der Gastronomie der kapitalistische wilde Westen herrscht. Einer meiner nächsten Jobs war in einem Büro, für eine global agierende Bank. Besser gesagt für ein hundertprozentiges Tochterunternehmen einer Bank. Diese Firma handelte mit Schulden, sie kaufte und verkaufte Schulden. Kapitalismus 2.0. Irgendwann wurde das lokale Management ausgetauscht, weil die Profite noch nicht hoch genug waren. Das neue Management wurde eigens aus der Zentrale in Großbritannien geschickt, um in einem ersten Schritt kräftig aufzuräumen. Als eine der ersten Maßnahmen wurden Lohnkosten eingespart – ich wurde fristlos entlassen.
Am nächsten Tag tauchte der Manager zusammen mit dem Typen aus der Rechtsabteilung bei mir zu Hause auf, um mir noch eine schriftliche Entlassung inklusive sofortiger Freistellung in den Briefkasten zu werfen. Da hatte ich aber schon längst Klage beim Arbeitsgericht eingereicht. Was ich nicht bedacht hatte: der Gerichtsstand der Firma war Frankfurt am Main, und ich hatte vergessen, beim Arbeitsgericht eine Verlegung nach Düsseldorf zu beantragen. So fand also mein erster Termin vor einem Arbeitsgericht in Frankfurt statt.

Heute ist es so, dass ich trotz zweier Jobs noch immer von Hartz 4 leben muss. Ich bin noch immer Mitglied in der FAU Düsseldorf. Als militanter Anarchosyndikalist lege ich Wert darauf, zu vermitteln, dass Arbeit nur Lohnerwerb ist. Das bedeutet für mich, dass die Arbeit selbst nicht im Zentrum steht. Wichtiger sind der Lohn, die Arbeitsbedingungen und das Risiko für die Gesundheit. Für uns, die wir unsere Arbeitskraft – und unsere Lebenszeit – verkaufen müssen, um das nötige Geld anzuschaffen, nur um im Rest der Zeit leben zu können (und dieser Rest ist sehr klein, denn wir müssen uns ja auch für die Lohnarbeit wiederherstellen), ist klar, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten, nach Jobs suchen, wo wir uns möglichst wenig selbst verbrauchen müssen und möglichst viel haben, um den kleinen Rest unserer Zeit leben zu können.
Lohnerwerb wiederum ist nicht alles. Das bedeutet, dass man nicht auf Teufel komm raus arbeiten gehen muss. „Hauptsache Arbeit“, das ist der Slogan des Faschismus. Zeit und Möglichkeiten, zu tun, was wir wollen, ist unser Hauptanliegen. Aktuell bedeutet das entweder seine Ansprüche gegen Null herunterzufahren oder eben nach möglichst gut bezahlten Jobs zu suchen. Aber es gibt Jobs, die wir auf keinen Fall annehmen sollten – egal wie gut sie bezahlt sind. Neben Jobs bei der Polizei und dem Militär oder den Geheimdiensten, sind dies zum Beispiel auch Jobs bei Parteien. Wichtig ist auch, „nicht stehen zu bleiben“. Das heißt, eine 40- oder 35-Stunden Woche sind ebenso wenig genug wie 25, 30 oder gar 35 Tage bezahlter Urlaub. Der Mindestlohn reicht hinten und vorne nicht.
Wir müssen es auf uns nehmen, uns selbst am Arbeitsplatz mit den Kolleg*innen zusammen zu organisieren. Wenn wir dies anfangen, dann werden wir oft genug erst einmal die gesetzlichen Standards herstellen müssen. Darüber hinaus wird es sicher eine Menge ganz aktueller Probleme geben, die wir in einer Auseinandersetzung mit dem Boss lösen müssen. Zu guter Letzt müssen wir uns dafür einsetzen, dass wir:

  • eine Vier-Tagewoche durchsetzen (die IG Metall will das wohl auch in der nächsten Tarifrunde fordern), aber nicht ohne gleichzeitig
  • den Vier-Stunden-Tag durchsetzen
  • dass alle 40 Tage bezahlten Urlaub im Jahr bekommen.

Des Weiteren sollten alle:

  • 4000 Euro netto (nicht brutto!) für alle, unabhängig von der Qualifikation und Berufsausbildung verdienen.
  • die vierfache Vergütung bei Mehrarbeit, Überstunden oder bei Wechselschicht erhalten.
  • ein dreizehntes und vierzehntes Monatsgehalt bekommen, damit wir uns bestimmte Feiertage ebenso leisten können wie einen schönen Urlaub.
  • und nicht zu vergessen: die vier Wochen Sonderurlaub für Hochzeiten, Todesfälle, Pflege für Angehörige, bei Menstruationsbeschwerden usw.

Und weil wir hoffentlich nicht bis zum Tode arbeiten, sollten wir auch noch etwas für die Rente fordern. Zum Beispiel, dass:

  • einfach alle in die Rentenkassen einzahlen sollen.
  • alle eine Mindestrente von 2.500 Euro im Monat bekommen sollen und höchsten 4.000 Euro.
  • es eine dreizehnte und vierzehnte Rentenzahlung geben muss, für Feiertage und Urlaube.
  • Rente ohne Abzüge für alle ab 60 Jahren, ohne eine Mindestzahl an Arbeitsjahren ausgezahlt wird.
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