Max Michaelis (Hrsg.): Anti-Krieg zwischen Weltkriegen. Ein Lesebuch, Die Buchmacherei, Berlin 2023, 650 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-9825440-2-1
„Soll Krieg sein? Du bist nicht angegriffen Es gibt keinen Landesfeind, der dir ans Leben will. Du bist in jedem Land ein Reisender, der schauend lernt“ (113), schrieb Eduard Saenger einst in einem Beitrag für die von Carl von Ossietzky herausgegebene antimilitaristische Zeitschrift Die Weltbühne (vormals: Die Schaubühne). Fast hundert Jahre später wirkt dieser Ausspruch immer noch aktuell. In dem Lesebuch, was ein_e anonyme Herausgeber_in unter dem Namen seines /ihres Großvaters herausgegeben hat, sind viele Beiträge aus der Weltbühne versammelt, die zwischen 1927 und 1933 erschienen sind und sich auf das Thema Krieg und Militarismus beziehen. Ergänzend gibt es drei frühere Texte bzw. Textauszüge von Egon-Erwin Kisch und Stefan Zweig sowie einen Beitrag von 1935.
Sie sind chronologisch angeordnet – und nicht thematisch oder nach Autor_innen, so dass sich auch immer wieder Redundanzen bei den Themen ergeben. Das Inhaltsverzeichnis benennt nur jeweils die Titel der Beiträge, aber nicht deren Autor_innen. Leider fehlen auch jegliche editorische Anmerkungen oder Erklärungen bei jenen Beiträgen, die sich aus heutiger Sicht mit normalen Kenntnissen der politischen und historischen Lage der Weimarer Republik nicht immer von selbst ergeben. Das erschwert teilweise die Lektüre des Lesebuchs. Auch die Bezeichnung „Lesebuch“ scheint mir hier irreführend zu sein. Von einem Lesebuch würde ich persönlich eine explizite (thematische) Auswahl erwarten – inklusive dem sprichwörtlichen Mut zur Lücke, welches mir als unbedarften Leser einen Zugang zu einer Thematik ermöglicht bzw. für mich schon eine Vorauswahl trifft, das heißt, dass die Texte bereits unter gewissen Kriterien (z.B. thematisch, Bedeutung im Diskurs etc.) gefiltert wurden. Das scheint mir hier nicht passiert zu sein.
Der hier gewählte Zeitraum der meisten Veröffentlichungen, zwischen 1927 und 1933, gilt in der Forschung zur Weltbühne vor allem als Zeit des Kampfes gegen den aufkommenden Nationalsozialismus und ist daher sicherlich eine der interessanten Epochen der antifaschistischen Zeitschrift.
Die hier versammelten Beiträge stammen u.a. von Kurt Hille, Erich Kästner, Golo Mann, Walter Mehring, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky, Ernst Toller und Kurt Tucholsky, d.h. einem Who is who der damaligen liberalen und linksliberalen Intelligenz. Dazwischen finden sich aber auch ein paar Übersetzungen von Autoren wie dem französischen Naturalisten Emile Zola („Die Zukunft der Kriege“) und dem indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi („Ein kompliziertes Problem“), die auch einen zeitgenössischen Blick über den deutschen Tellerrand ermöglichen. Journalistinnen hingegen tauchen nur sehr vereinzelt auf – z.B. in Person von Ingeborg Seidler oder der Frauenrechtlerin Helene Stöcker. Sie machen weniger als 1 % der hier veröffentlichten Texte aus. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind von den ca. 250 bis 300 hier versammelten Texten lediglich zwei oder drei, die man vom Namen her einer Autorin zuordnen kann.
Persönlich fand ich unter anderem den Beitrag von Franz Leschnitzer über das von Ernst Friedrich gegründete Anti-Kriegsmuseum [sic!] aus dem Jahr 1927 oder die Rezension einer militaristischen Schrift durch den Anarchisten Erich Mühsam aus dem Jahr 1929 sehr lesenswert. Das sind wahre Perlen, die ich in der Masse von Texten aber erst einmal finden musste. Vieles scheint mir von einem historischen Standpunkt aus interessant und wichtig zu sein, aber ich sehe nicht unbedingt die Relevanz für einen aktuellen Antimilitarismus.
Im Vorwort zu jenem Lesebuch schreibt die herausgebende Person selber: „Diese Anthologie ist eine Einladung zum Lesen. Das Thema Krieg und Frieden bringt es mit sich, Quellen zum Sprechen zu bringen, die sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt und besonders engagiert, glaubwürdig und authentisch mit der Aufgabe der Erhaltung des Friedens identifiziert haben. […] Unser Thema hier ist das historische Zitat zeitgenössischer Text aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. […] In dieser Konstellation sind aus den zeitgenössischen Texten Zusammenhänge und Triebkräfte spezifischer und allgemeiner Natur zu benennen sowie Maßstäbe für gegenwärtige Bemühungen um Frieden, Entspannung und Abrüstung zu finden möglich.“ (13).
Dem Anspruch wird das Lesebuch leider nur bedingt gerecht, wie ich schon weiter oben ausführte. Als Quellensammlung von Texten zu Krieg und Frieden in der Weltbühne macht es sicherlich viel mehr her denn als (reines) „Lesebuch“. Hierfür wäre aber auch ein Namens- und Sachwortregister hilfreich gewesen sowie editorische Anmerkungen. Dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man sich dieses Buch kauft.