Seit einigen Jahren hören wir immer mal wieder aus den kurdischen Gebieten aus Syrien, Irak oder der Türkei, wie im Krieg gegen die Bevölkerung Drohnen eingesetzt werden. Doch ein kurzer Bericht über eine abgeschossene Drohne des türkischen Militärs oder eine mit Sprengstoff bestückte Drohne beim Angriff auf türkische Stellungen, das blieb abstrakt und die Vorgänge dahinter geheim.
Im Ukrainekrieg dagegen wird diese neue Form der Kriegsführung offengelegt. Wir finden nicht nur Abbildungen der verschiedensten Drohnentypen von der Größe eines Düsenjets bis hin zur Kameradrohne, wie sie im Fotogeschäft um die Ecke zu finden ist.
Sowohl die russische, als auch die ukrainische Seite veröffentlichen täglich ausgewählte Aufzeichnungen dieser Drohnen. Über eine Frontlänge von 1200 Kilometer muss es viele tausende dieser Drohnen geben, die alles überwachen. Die Aufzeichnungen werden über die offiziellen Kanäle und inoffizielle Militärblogger:innen im Netz über Twitter und Telegramkanäle verbreitet und sie zeigen den Krieg hautnah. Wir sehen in den Veröffentlichungen nicht nur Kriegsgerät, welches in die Luft gejagt wird, wir sehen den Krieg in allen Details bis in die Schützengräben hinein. Wir sehen Menschen, die auf Minen treten und Arme oder Beine verlieren, wir sehen Menschen, die brennend aus Panzerfahrzeugen klettern, wir sehen Menschen, die nach Explosionen durch die Luft fliegen und auf Gartenzäunen aufgespießt werden. Es gibt Drohnen, die explosive Geschosse ähnlich Handgranaten transportieren und diese auf verzweifelt umherirrende, Schutz suchende Soldaten abwerfen.
Hinzu kommt, dass einige Soldaten Dashcams auf ihren Helmen tragen. Die Aufnahmen zeigen den Nahkampf in den Schützengräben. Optisch erweckt das den Eindruck von Videospielen, doch es ist Realität. Menschen, deren Gesichter wir erkennen können, bevor sie in Bruchteilen von Sekunden später tot sind.
Beide Kriegsparteien veröffentlichen diese Bilder, um zu zeigen, dass ihre jeweilige Seite gerade den Krieg gewinnt. Sie wollen vermitteln, dass sie effektiv Kriegsmaterial zerstören und Soldaten töten. Sie wollen Soldaten der jeweils anderen Seite abschrecken. Sie wollen die eigenen Kräfte anfeuern. Mili-tärblogger:innen verbreiten das Material. Sie kommentieren aus ihrer jeweiligen russisch-nationalistischen oder ukrainisch-nationalistischen Sicht den Kriegsverlauf. Dabei versuchen sie den Anschein neutraler Auswertung zu erwecken, um ein breites Publikum zu erreichen. Sie vermitteln Strategie und Taktiken und bringen uns Zuschauer:innen den Wahnsinn scheinbar nachvollziehbar rüber. Die erfolgreichsten Militärblogger:innen werden instruiert. Wladimir Putin traf sich mit einem guten dutzend Militärblogger:innen im Kreml zum Fototermin. Dafür, dass sie im Sinne des Kreml berichten, werden sie mit Material versorgt. Kanäle auf deutsch und englisch bringen eine Zweitverwertung. Hier treffen sich Interessierte aus allen politischen Spektren. Kriegsbegeisterte finden hier Motivation. Manch einer äußert seine Vernichtungsfantasien. Es mischen sich aber auch kritische Stimmen unter die Kommentator:innen, wenn es etwa um die Lieferung der von über 100 Staaten geächteten und sowohl von Russland als auch von der Ukraine eingesetzten Streumunition geht.
All das hat es so zuvor nicht gegeben. Was macht es mit uns, dass wir diesen Krieg nahezu live verfolgen können? Wer sind die Zuschauer:innen und wer die Wegschauenden? Was unterscheidet die jeweilige Kriegspartei und was eint sie? Welche Konsequenzen hat es für unser Anliegen, eine friedliche Welt ohne Waffen zu schaffen? Können wir uns auf neuen Ebenen einmischen in die Diskussion?