Die rasende Welt am Ende

Leute, es stehen uns noch schwere Stürme bevor!

| Marc Peschke

Rainer Zerback u.a. (Hrsg.): The World Without Us. Text von Lotte Dinse. Deutsch und englisch. Kerber, Bielefeld 2023, 96 Seiten, 38 Euro, ISBN 978-3-7356-0949-6

Rainer Zerbacks Thema ist, seit langer Zeit, die „Zivilisation“. Das Thema ist groß, denn es geht hier immerhin um Komplexes: um die menschliche Gesellschaft, um die Lebensbedingungen der Menschen. Was diese bedingen und wie sie sich verändern. In den vergangenen Jahren wird nun wieder vermehrt von einem „Ende der Zivilisation“ gesprochen, vom Kollaps, vom Rückfall in barbarische Zeiten.
Schon Claude Lévi-Strauss hatte moderne Zivilisationen als „heiß“ beschrieben – im Unterschied zu den „kalten“ Gesellschaften etwa indigener Völker, deren Bestreben es ist, ihre Kulturmerkmale unverändert zu bewahren. Seitdem sind weitere Dekaden ins Land gegangen. Und immer „heißer“ läuft die Zivilisation – um die thermische Metapher des Ethnologen noch einmal zu bemühen. Entwicklungen verlaufen schneller und tiefgreifender. Schön ist das nicht, die dunkle Kehrseite wird immer sichtbarer – und so beschreibt der 2009 verstorbene Begründer des ethnologischen Strukturalismus die westliche Zivilisation schon 1955 in seinen „Traurigen Tropen“ als „Eine Gärung von zweifelhaftem Geruch“.
Betrachtet man die neuen Bilder von Rainer Zerback, die jetzt als Buch verdichtet vor uns liegen, so nehmen wir diese Gärung mit etwas Phantasie durchaus bildlich wahr. Der Fotograf aus Ludwigshafen dokumentiert unsere Zivilisation. Gerne auch die Reste davon oder den Wandel, dem diese unterliegt: Er hat Orte des Tourismus fotografiert, Industrielandschaften, Stätten der Energiegewinnung oder auch den ländlichen Raum und wie sich dieser verändert.
In seinem 96seitigen neuen Buch „The World Without Us“, das nun im Kerber-Verlag erschienen ist, kommt Zerback wiederum ohne die Darstellung von Menschen aus. Eigentlich unnötig zu schreiben, dass sie doch in jedem Bild präsent sind. Auf den ersten Blick sehen wir diffuse Bilder. Überbelichtete Analog- und Digitalbilder, die uns ein Bild davon zeichnen, wie unser Planet ohne uns aussehen würde.
Zerbacks Apokalypse. Sie kommt ganz still daher: Wir sehen – ist es Nebel? Dunst? Ist es Staub? Oder ist es die Sonne? – die unwirtlichen Reste der Zivilisation. Einsame Autos, ein Strommast in der Weite der Landschaft, auch Gebäude, Zäune oder Straßenschilder. Wo diese fotografiert sind, wird nicht verraten. 50 kontemplative Fotografien der Serie „Contemplationes“, über welche Lotte Dinse, Kuratorin und künstlerische Leiterin de Kunsthauses Göttingen, in ihrem Katalogbeitrag „Welt ohne uns“ schreibt, in ihnen sei die Grenze zwischen Realität und Fiktion verwischt. Sie seien Bilder eines Dazwischen, zwischen „Wunschtraum und Schreckensbild“.
Und so ist es auch und genau deshalb sind diese seit dem Ende der 1990er Jahre entstehenden, pastelligen, leuchtend-hellen Landschaftsbilder nicht nur Beweis dafür, dass Landschaft heute immer eine „konstruierte“ ist, mehr noch aber, dass Kontemplation im romantischen Sinn kaum mehr möglich sein kann: Die rasende Welt, sie ist zu einem Ende gekommen. Das Ende grenzenloser Bewegung ist erreicht. Wir jagen im Zeitalter des Anthropozäns geradewegs ins Nichts, darf man sich denken, wenn man diese wunderschönen, kleinformatigen (alle Größen werden im Katalog mit „44 x 56 cm“ angegeben) Bilder betrachtet.
Ist das noch Wetter oder schon Klima? Es scheint, als will uns Zerback mit seinen idyllisch-albtraumhaften Fotografien sagen: Leute, es stehen uns noch schwere Stürme bevor! Das Buch erscheint anlässlich von vier Ausstellungen im Kunstmuseum Heidenheim, im Kunstverein für Mecklenburg und Vorpommern in Schwerin, in der vhs-photogalerie stuttgart und in der Städtischen Galerie Iserlohn.