Die Linke Literaturmesse findet seit 1996 jährlich im November in Nürnberg statt. Sie gilt in ihrer Ausrichtung als eine der größten in Deutschland. Die dreitägige Messe kombiniert ein vielfältiges Vortrags- und Diskussionsprogramm mit einer Buchausstellung. (GWR-Red.)
Mein dritter Artikel für die Graswurzelrevolution ist auch gleichzeitig mein dritter Erfahrungsbericht, den ich für die GWR schreibe. Nachdem ich bereits in der Sommer-GWR 480 über die Leipziger Buchmesse und im September 2023 in der GWR 481 über mein Praktikum bei der Zeitung berichtet habe, werde ich nun erzählen, wie ich die Linke Literaturmesse in Nürnberg wahrgenommen habe.
Gestartet ist die Literaturmesse am 3. November mit einer Podiumsdiskussion zum Thema: „Was sind heute eigentlich Linke?“ Diese Frage war über die gesamte Dauer der Messe ein zentrales Thema. Die Diskussion war sehr spannend, da die unterschiedlichsten linken Spektren auf der Bühne vertreten waren. Neben Fridays for Future und Feministinnen aus der Schweiz waren auch die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) und die orthodox-marxistische Deutsche Kommunistische Partei (DKP) vertreten. Von allen Beteiligten hat die DKP wahrscheinlich den leisesten Applaus bekommen.
Generell ist es Ziel der Linken Literaturmesse, so viele linke Gruppierungen unter einen Hut zu bekommen wie möglich. Das hat auch tatsächlich sehr gut funktioniert, aber man hat trotzdem gemerkt, dass es immer wieder kleine Sticheleien gegenüber VertreterInnen anderer Meinungen gab.
Inhaltlich wurden bei der abendlichen Eröffnungsdiskussion zwar wenige besonders innovative Ideen vorangebracht, aber dem Hinweis, dass die realistischste Lösung für eine Revolution ein gewaltloser Generalstreik wäre, wurde viel Zustimmung geschenkt. Das fand ich schön.
Negativ
Was mich gestört hat – und was generell ein größeres Problem innerhalb der Linken (nicht die Partei – na ja, obwohl bei denen eigentlich auch…) ist – ist, dass keine gute Basis für eine Diskussion geschaffen wurde. Die zentralsten Aspekte wurden zu Beginn nicht definiert und so kam es dann doch dazu, dass die verschiedenen Gruppierungen sich wieder in die Haare bekommen haben, weil der eine ein anderes Verständnis von (z.B.) Kommunismus hat als eine andere. Es ist wichtig für uns, dass wir ein klareres Verständnis von Begriffen schaffen, damit wir gemeinsam effizienter an einer dringend notwendigen Reparatur der Zukunft arbeiten können, anstatt uns über Definitionen zu streiten und somit wieder in zigtausend kleinen Untergruppen enden, die nichts voneinander hören wollen.
Jetzt könnten sich kritische LeserInnen denken, dass es „selbstverständlich“ ist, was unter Kommunismus (um bei diesem Beispiel zu bleiben) gemeint ist. Doch das ist es nicht. Manche der Menschen, mit denen ich während der Messe reden konnte, meinten mit Kommunismus wirklich den Stalinismus (und haben diesen als Utopie beschrieben, wozu mir nebenbei bemerkt jegliche Worte fehlen, wie man solch ein System als Utopie beschreiben kann), andere Menschen meinten mit Kommunismus den Sozialismus, andere sagten Kommunismus, aber beschrieben das Projekt A von Stowasser, und so weiter.
Wenn jede und jeder von uns ein anderes Verständnis von zentralen Begriffen hat, wird eine Diskussion nun mal leider unmöglich. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass vor der Podiumsdiskussion der Linken Literaturmesse ein Grundkonsens für bestimmte Begriffe formuliert worden wäre. Wobei wahrscheinlich mindestens die Hälfte der Teilnehmenden der Wahl der Definition nicht zugestimmt hätte.
Was ich erschreckend fand, ist, dass die Aussage „leider befinden wir uns noch nicht selbst in einem bewaffneten Kampf“ nicht lauthals zurückgewiesen wurde. Wie man sagen kann, dass wir uns „leider“ „noch nicht“ in einem bewaffneten Kampf befinden, während man in Anwesenheit des Publikums an einer Podiumsdiskussion teilnimmt und währenddessen schelmisch lächelt, ist für mich unter aller Sau. Generell fand ich es erschreckend, wie positiv und selbstverständlich Gewalt als Mittel zum Zweck dargestellt wurde. Das hat mir nochmal gezeigt, dass wir als gewaltfreie GWR unsere Position intensiver vertreten müssen, da das Thema Gewaltfreiheit vor allem heute von großer Bedeutung ist. Positiv überrascht hat mich, dass viele jüngere Menschen sehr interessiert am Thema des gewaltfreien Widerstandes waren. Das hat mir dann wiederum ein zufriedeneres Gefühl gegeben. So, das waren jetzt die negativen Aspekte, die ich loswerden wollte.
Positiv
Die Messe war im Großen und Ganzen sehr angenehm. Die Stadt Nürnberg hat es den organisierenden Personen der Messe zwar schwer gemacht, eine gut funktionierende Messe zu organisieren, weil die Stadt drei Wochen vor Beginn der Messe gemerkt hat: „Oh, die Räume, die wir für euch bereitgestellt haben, sind ja noch gar nicht renoviert.“ Trotzdem schaffte es die Organisation der Messe, in kurzer Zeit einen Ausweichplan aufzustellen. Anstatt an einem Ort, gab es dieses Jahr Messestände in drei verschiedenen Gebäuden. Alle Orte waren zu Fuß zu erreichen, und angesichts der erst kurz vor dem Messetermin aufgetauchten Schwierigkeiten war der Ablauf der Messe trotzdem gut organisiert.
Auch dieses Jahr gab es Buchvorstellungen der GWR. Walther L. Bernecker hat am 4. November zusammen mit Lou Marin, mit dem ich die Messe besucht und den großen GWR-Zeitungs- und Büchertisch betreut habe, ein neues Buch des Verlags Graswurzelrevolution vorgestellt. Das Buch heißt „Geschichte und Erinnerungskultur – Spaniens anhaltender Deutungskampf um Vergangenheit und Gegenwart“. Bernecker hat extrem gut dargestellt, wie die Erinnerung an den Bürgerkrieg 1936 bis 1939 in Spanien bis heute ein großes Thema innerhalb des Landes ist und wie die verschiedenen politischen Strömungen und Ideologien mit der Geschichte umgehen. Die Buchvorstellung war sehr lehrreich, und es war eine Freude, Bernecker zu sehen und zuzuhören. Die Inhalte des Buches sind meiner Ansicht nach auch relevant für uns in Deutschland, da bei rechten Parteien gewisse Parallelen mit dem Umgang der Geschichte zu erkennen sind. Ein sehr empfehlenswertes Buch meiner Meinung nach.
Den restlichen Samstag und Sonntag habe ich an unserem Stand verbracht, wobei die Zeit dank der zahllosen und interessanten Gespräche – sowohl mit VerlegerInnen als auch BesucherInnen – sehr schnell vorüberzugehen schien.
Fazit
Insgesamt habe ich mich auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg wohl gefühlt, auch wenn die inhaltlichen Sticheleien ein wenig genervt haben. Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir ein schönes Wochenende beschert haben!
Was ich jetzt in meinem Fluss kreativer Gedanken noch zum Schluss als Anekdote mitgeben möchte, ist Folgendes: Es ist auch mal okay, keine festgenagelte Meinung zu haben. Wenn jemandem ein Thema zu komplex ist, und man eigentlich nicht allzu viel darüber weiß, sollte man auch nicht herumlaufen und seine Meinung als Nonplusultra postulieren. Bevor man irgendeinen halbrichtigen Satz von sich gibt, der auf unseriösen Quellen von vor vier Wochen basiert, könnte man auch einfach zugeben, dass man vielleicht nicht inhaltlich auf der Höhe ist und sich deswegen lieber nochmal informieren möchte, oder einfach nichts dazu sagen. Wenn das mehr Menschen tun würden, hätte sich die Messe einige unangenehme Situationen sparen können – aber das hat ja nichts mit der Messe an sich zu tun, sondern mit den einzelnen Menschen.