Bram Büscher, Robert Fletcher: Die Naturschutzrevolution. Radikale Ideen zur Überwindung des Anthropozäns. Passagen Verlag, Wien 2023, 264 S., 38 Euro, ISBN 978-3-7092-0521-1
Der Naturschutz wird gemeinhin als Teil der Öko-Bewegung wahrgenommen. Die wiederum wird in einem Atemzug mit anderen „altertümlichen‘ Bewegungen, wie der Friedens- oder Frauenbewegung, im Feld emanzipatorischer und eher linker Strömungen verortet. Wer sich näher mit den Ideen und Praktiken des Naturschutzes auseinandersetzt, wird schnell an der Richtigkeit dieser Zuordnung zweifeln. Und wer gar nach den historischen Vorläufern des Naturschutzes (Landesverschönerung, Naturdenkmalpflege, Heimatschutz) sucht, muss die Gleichsetzung von Natur- und Umweltschutz zumindest für voreilig bzw. leichtfertig halten. Denn die ideengeschichtlichen Wurzeln des klassischen Naturschutzes sind im bürgerlichen, konservativen, reaktionären oder gar völkisch-nationalistischen Milieu zu finden (1).
Es wäre falsch, deshalb dem heutigen Naturschutz per se eine rechte Gesinnung zu unterstellen,zumal es dort auch explizit linke Strömungen gab und gibt (2). Allerdings war und ist doch eine bewahrende und damit eher wertkonservative Grundhaltung vorherrschend. Insgesamt aber gibt sich der Naturschutz selbst spätestens seit der „Erfindung“ der Ökologie in den 1970er Jahren als unpolitisch und beharrt auf einer ökologisch begründeten, also naturwissenschaftlichen Rechtfertigung. Auch das ist eine Haltung, die sich bei näherer Betrachtung als haltlos erweist. Tatsächlich ist der Naturschutz weit von „neutralen“ Naturwissenschaften entfernt und stattdessen eine notwendigerweise normative Veranstaltung. Es geht immer um die Fragen, welche „Natur“ geschützt werden soll und auf welche Weise das passiert. Solche Fragen sind nicht wissenschaftlich, sondern nur politisch zu verhandeln. Dennoch verschanzt sich der Naturschutz gern hinter „harten“, angeblich rein naturwissenschaftlichen Argumenten. Leicht wird dann die Diskussion allein auf die Rettung einzelner Arten konzentriert, statt die Projekte, die diese Art bedrohen (Autobahnen, Gewerbegebiete, Gewässerausbauten usw.) bzw. die dahintersteckenden Interessen und Absichten politisch zu attackieren.
Explizit politische Beiträge zur Naturschutzdebatte im engeren Sinne sind daher selten. Und Bücher zum Thema Naturschutz, die aus einer linken Perspektive verfasst sind, gehören zu den besonders raren Phänomenen der Bücherwelt. Insofern ist der Beitrag von Büscher und Fletcher an sich schon fast „revolutionär‘, denn sie analysieren und argumentieren auf der Basis einer kapitalismuskritischen, vorwiegend marxistisch geprägten Haltung. Ungewöhnlich ist auch die fachliche Perspektive der beiden Entwicklungssoziologen, die dazu führt, dass Büscher und Fletcher vor allem den international agierenden Naturschutz im Visier haben. Dessen (neo)koloniale Ausrichtung ist nicht neu, wurde bereits mehrfach kritisiert (3) und bietet eine plakative Projektionsfläche für eine notwendige Kritik. Doch in Europa tritt der Naturschutz abgesehen vom global agierenden World Wide Fund For Nature (WWF) vor allem auf lokaler bzw. regionaler Ebene auf. Eine Übertragung der Widersprüche des globalen Naturschutzes auf die Tätigkeiten nationaler Naturschutzorganisationen ist zwar an vielen Stellen möglich und sinnvoll, setzt aber neben der Bereitschaft zur Reflexion auch eine gute Kenntnis des nationalen Naturschutzdiskurses voraus. Da beides im lokalen Verbandsnaturschutz wie auch im administrativen Verwaltungs-Naturschutz wenig verbreitet ist, dürften sich Organisationen wie der Naturschutzbund Deutschland (NABU) oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie die diversen lokalen Verbände oder auch die Naturschutzbehörden kaum angesprochen fühlen. Denn anders als diese agieren die Autoren nicht auf lokaler Ebene, sondern bewegen sich ausschließlich im Umfeld internationaler, häufig US-amerikanischer, Publikationen und damit weit weg von den Niederungen lokaler Naturschutzarbeit. Der akademische Jargon sowie die etwas spröde Übersetzung vergrößern die Distanz zusätzlich. Lokale NaturschützerInnen werden die von Büscher und Fletcher formulierte Kritik am üblichen Naturschutz deshalb vermutlich kaum auf ihre eigene Arbeit beziehen. Das ist bedauerlich, denn die Analyse der Autoren wäre auch auf dieser Ebene aufschlussreich und die im Buch angedeuteten Debatten und Konsequenzen sind auch und gerade im deutschen Normal-Naturschutz überfällig.
Lokal wie international ist „der“ Naturschutz kein einheitliches Gebilde. Darauf weisen Büscher und Fletcher hin und knüpfen ihre Überlegungen zur Notwendigkeit eines „revolutionären“ Naturschutzes an die etwa seit 2008 geführte kontroverse „große Naturschutzdebatte“. Diese nehmen sie zum Anlass, verschiedene Strömungen des Naturschutzes zu unterscheiden und zu charakterisieren. Die Basis bildet dabei der „Mainstream-Naturschutz“. Der „ist grundlegend kapitalistisch eingestellt und durchdrungen von Natur-Mensch-Dichotomien, insbesondere durch seine nachdrückliche Betonung von Schutzgebieten und seine anhaltende Vernarrtheit in die Vorstellung der Wildnis als einer ‚unberührten‘ Natur“ (ebd.: 18). Charakteristisch für diesen immer noch vorherrschenden Naturschutztyp ist die Fokussierung auf die Ausweisung von Schutzgebieten mit z. T. verheerenden Auswirkungen für die dort lebenden bzw. vertriebenen Menschen, deren Vermarktung z.B. durch Ökotourismus sowie die enge Verbindung zu potenten Sponsoren aus der Industrie. Kritik an einzelnen Aspekten dieser Ausrichtung führte in den letzten Jahrzehnten zur Herausbildung neuer, in den Worten von Büscher und Fletcher „radikaler“ Strömungen. Da wäre auf der einen Seite der „Neue Naturschutz“, der die strikte Trennung von Mensch und Natur kritisiert, unberührte Natur für einen Mythos hält und stattdessen die enge Verflechtung von Mensch und Natur betont. Menschenleere (bzw. von diesen entleerte) Reservate werden abgelehnt und die „Sozio-Natur“ eher als Garten gedacht. Der muss selbstverständlich gestaltet werden und dabei setzen die „neuen Naturschützer“ ganz unverhohlen auf die kapitalistische Entwicklung. Erst ökonomischer „Wohlstand“ schaffe die Voraussetzung für die teuren Naturschutzmaßnahmen. Im deutschen Naturschutz wird diese Position, die neoliberale, bisweilen gar sozialdarwinistische Ideologien vertritt, wohl am eindrücklichsten in den Büchern von Josef Reichholf (4) sichtbar. Eine Art Gegenpol zum „neuen Naturschutz“ bildet der von Büscher und Fletcher sogenannte „Neoprotektionismus“. Er beharrt auf der strikten Trennung von Mensch und Wildnis und hält eine extreme Vergrößerung von Reservaten für die einzige Lösung, um den Biodiversitätsverlust aufzuhalten. Während diese Richtung also die traditionelle Mensch-Natur-Dichotomie betont und einem ahistorischen und antisozialen Naturbegriff huldigt, wird hier immerhin neben „den Menschen“ nach konkreteren Gründen für die Krise gesucht. Dabei geraten gelegentlich Aspekte wie Konsum oder Wirtschaftswachstum in den Fokus, was Büscher und Fletcher dazu veranlasst, dem Neoprotektionismus eine grundsätzlich eher kapitalismuskritische Haltung zu attestieren. In Deutschland fällt eine Trennung in einen „Mainstream-Naturschutz“ und einen „Neoprotektionismus“ schwer, weil der Protektionismus (also die Schutzgebietsideologie) immer schon das zentrale Instrument des Naturschutzes war und hier auch stets eine wachstums- und fortschrittskritische (allerdings nicht explizit antikapitalistische) Grundhaltung dominierte. Insofern ist wenig neu am „Neoprotektionismus“. Zu den bekannten Vertretern dieser Richtung in Deutschland ist Michael Succow (5) zu zählen, der das Machtvakuum nach der Wende in der ehemaligen DDR nutzte, um dort Großschutzgebiete durchzusetzen.
„Neuer Naturschutz“ wie auch „Neoprotektionismus“ verfügen nach Büscher und Fletcher sowohl über „radikale“ als auch traditionelle Anteile. Was liegt da näher, als die radikalen Aspekte beider Richtungen zu vereinen und so einen neuen, „revolutionären“ Naturschutz zu konstruieren. Dabei sollen gleichzeitig die Orientierung am kapitalistischen Entwicklungsmodell wie auch die überkommene Mensch-Natur-Dichotomie abgestreift werden. Diesen Versuch einer „Naturschutzrevolution“ unternehmen die beiden Autoren und nennen ihr neues Konstrukt „konvivialen Naturschutz“. Der Begriff ist in Anlehnung an Ivan Illich gewählt, der ihn 1975 in seinem Buch „Selbstbegrenzung“ (im englischen Original: Tools for Conviviality) einführte, um eine Gesellschaft zu bezeichnen, die ihren Werkzeugen (dies können Techniken, aber auch Institutionen sein) vernünftige Wachstumsbegrenzungen auferlegt. Wird einer Technik keine Wachstumsbeschränkung zugewiesen, zeigt sie nach Illich die Tendenz, dass ihre Leistungen sich ins Gegenteil verkehren. So sind Wissenschaft und Technik heute nicht mehr allein Problemlöser, sondern schaffen auch Probleme. Darauf wird dann mit noch mehr Technik, Verwaltung und Expertokratie geantwortet. Individuum wie Gesellschaft werden so zunehmend bevormundet, enteignet und entmündigt.
Analog dazu sehen auch Büscher und Fletcher den kapitalismusaffinen „Mainstream-Naturschutz zunehmend als Teil des Problems und nicht der Lösung“ (S. 121). Diese erkennen sie eher in den vielen schon bestehenden „transformativen Bewegungen, Initiativen, Aktionen und Engagements“ (S. 151), wie z. B. „buen vivir“, der commons-und degrowth-Bewegung, der Gemeinwohlökonomie, … sowie im Naturschutz in der ICCA-Koalition (Indigenous Peoples and Community-Conserved Territories and Areas). Sie kommen damit – allerdings wieder auf internationaler Ebene – zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Bergstedt und andere (6) für Deutschland. Allerdings ist ihr Ansatz insofern radikaler, als er nicht nur die ausdrücklich linke Politisierung des Naturschutzes fordert und die Anbiederung an bestehende kapitalistische Strukturen ablehnt, sondern auch den im Naturschutz tradierten und meist unhinterfragten Gegensatz von Mensch und Natur kritisiert. Damit ist der „konviviale Naturschutz“ nicht nur eine Kritik der gängigen Mittel (möglichst menschenleere Reservate) und Wege (Finanzierung durch kapitalistische Entwicklung), sondern auch der Ziele des bisherigen Naturschutzes. Vor allem in der Zusammenschau dieser drei Ebenen leistet das Buch einen zwar keineswegs neuen aber immerhin interessanten und anregenden Beitrag zur Naturschutzdebatte.
Wer sich allerdings konkrete Hinweise zur praktischen Umsetzung der „Naturschutzrevolution“ erhofft, wird enttäuscht. Die Revolution findet zunächst nur in den Köpfen bzw. auf dem Papier statt. Büscher und Fletcher sprechen bewusst von einer „Konzeptualisierung“ bzw. einer „Theorie der Veränderung“ (S. 163) und legen weder einen „narrensicheren Plan“ noch eine „Patentlösung“ vor. Der „konviviale Naturschutz‘ bleibt abstrakt und darauf angewiesen, in der Praxis mit Leben und Beispielen gefüllt zu werden. Ein Knackpunkt könnte hierbei der Umgang mit staatlichen Institutionen sein. Wie bei der eher traditionell marxistischen Ausrichtung der Autoren zu erwarten, werden staatliche Behörden als mögliche Koalitionäre akzeptiert bzw. sind sogar erwünscht (S. 186). Aber immerhin werden unter Verweis auf Michel Foucault und David Graeber die anarchistischen Vorbehalte erwähnt und führen zu einer Art Kompromiss: „Die Revolution braucht sicher eine ernsthafte ‚soziale und politische Organisation für die menschliche Zukunft‘. Aber nicht um den Preis, dass wir „die radikale und befreiende Freude daran verlieren, Dinge zu tun, die wir lieben“ (S. 159). Dem immer häufiger zu hörenden Ruf nach einer Öko-Diktatur schließen sich die Autoren erfreulicherweise nicht an. Explizit libertär ist ihre Vision allerdings auch nicht.
(1) s. z.B. Sieferle, R.P. (1984): Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart. C.H. Beck.
Knaut, A: (1993): Zurück zur Natur! Die Wurzeln der Ökologiebewegung. Suppl. 1 zum Jahrbuch für Naturschutz und Landschaftspflege.
(2) s. z.B. Linse , U.: Ökopax und Anarchie. Eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland. DTV 1984.
(3) s. z.B. Pedersen, K. Naturschutz und Profit. Menschen zwischen Vertreibung und Naturzerstörung. Unrast 2008.
Huismann, W.: Schwarzbuch WWF. Dunkle Geschäfte im Zeichen des Panda. Gütersloher Verlagshaus 2012.
oder auch Webside der NGO „Survival International'
(5) z.B.Reichholf, J.H: Stabile Ungleichgewichte. Die Ökologie der Zukunft. Suhrkamp 2008. Reichholf, J.H.: Naturschutz. Krise und Zukunft. Suhrkamp 2010.
(6) s. z.B. Succow, M.: Tun und Lassen – Naturschutz in Zeiten menschlich bedingten Klimawandels. Schriftenreihe aus dem Nationalpark Harz Band 2, 2008, S.: 15-18.
(7) Bergstedt, J., Hartje, J. & Schmidt, T.: Agenda, Expo, Sponsoring. Perspektiven radikaler, emanzipatorischer Umweltschutzarbeit. IKO-Verlag 1999.