so süß wie maschinenöl

03: Arbeit, Ökonomie und Alltag

Polizei, DKB, HKK, ha ha ha*

Neukölln: Bürokratischer Rassismus und die geklaute Brieftasche

| Elmar Wigand

Mir ist neulich mein Portemonnaie mit sämtlichen Karten abhanden gekommen: Perso, Bankkarte, Krankenkasse, Führerschein. Also genauer gesagt: Ich bin beklaut worden. Noch genauer gesagt war ich spät nachts in der Berliner S-Bahn eingeschlafen…

Blöd gelaufen.

Angeblich ist Exportweltmeister Deutschland ja hocheffizient und produktiv. Für die Berliner Polizei, Online-Banken wie die DKB (Deutsche Kreditbank) oder eine Krankenkasse wie die Bremer HKK (Handelskrankenkasse) gilt das jedenfalls nicht. Ich würde empfehlen von allen drei Organisationen Abstand zu nehmen. Leider gibt es – und hier ist das Problem, – keine echte Alternative. Anstatt zur Bundespolizei am Bahnhof zu gehen, hätte ich ein konventionelles Polizeirevier aufsuchen können, aber was hätte das für einen Unterschied gemacht? In Palermo könnte man vielleicht die Mafia bemühen und hätte eine echte Chance, die Brieftasche auf unbürokratische Weise wieder zu bekommen – dafür wärst du allerdings einen Gefallen schuldig, der irgendwann einmal eingelöst werden muss.

Während ich in den niederschmetternd tristen, grauen, unpersönlichen, ja unmenschlich hässlichen Räumlichkeiten der Bundespolizei am Südkreuz ausharrte und die beiden Spezialisten durch die Panzerglastheke dabei beobachtete, wie sie an ihren Microsoft-Masken herum dilettierten, in einem Büro, das nicht mal einen Gummibaum oder irgendwelchen menschelnden Schmuck enthielt, kam ein Geflüchteter, der sein Handy wieder haben wollte. Im Vergleich zu ihm, behandelten sie mich tatsächlich freundlich und korrekt – auch wenn sie am Ende nicht ermittelten. Der Afrikaner bekam den kalten bürokratischen Rassismus zu spüren, der scheinbar mit neutraler Miene, nach außen hin nicht angreifbar daher kommt, dessen sadistischer Lustgewinn in Untertönen und leisem Mienenspiel zu erkennen ist. Sie hätten ihm das Handy zwar abgenommen, das würde ausgewertet, läge dann in einer Asservatenkammer, um es wieder zu bekommen müsse er – hier folgt der klassische Move einer jeden Bürokratie – zu einer anderen Stelle gehen.
Ich bin stinksauer auf die DKB und überlege zu wechseln. Aber höchst wahrscheinlich landest Du am Ende sowieso immer bei einem ähnlichen, wenn nicht sogar genau dem selben Call-Center. Aber vorher kommst Du zehn Minuten in eine Warteschleife, die mit unerträglich nervtötender Muzak (1), Werbung und Hinhalte-Texten gefüllt ist, so dass halbwegs sensible oder musikalische Zeitgenoss*innen unweigerlich mit einer gehörigen Grundaggression in ein nicht ganz unwichtiges Gespräch gehen, auf das sie ziemlich lang gewartet haben. Während die Berliner Bundespolizei am Südkreuz dich ganz analog erst einmal über eineinhalb Stunden im Vorraum abhängen lässt, um eine simple Diebstahlsanzeige aufzusetzen und auszudrucken. Das machen sie mit voller Absicht.

Derweil stellte ich fest, dass mit meiner gestohlenen EC-Karte tatsächlich schon abgehoben wurde. Man hätte den Diebstahl anhand meiner Angaben mittels Kamera-Überwachung der S-Bahn sicher sehen und die Beteiligten identifizieren können. Sie sackten später noch an einer Jet-Tankstelle, bei Hornbach und Ikea und weiteren Läden Waren im Wert von über 2.000,- Euro ein. Obwohl sie meine Geheimzahl nicht kannten und ich telefonisch wie online versucht hatte, die Karte zu sperren. Auch hier könnte die Polizei per Videoüberwachung, Fingerabdrücken etc. ermitteln. Fehlanzeige.

Ich schreibe hier nicht aus einer utopisch-sozialistischen Position, sondern zunächst aus der realen Notlage eines deutschen Staatsbürgers im real existierenden Kapitalismus. Es geht zunächst darum, zu verstehen was los ist. Die Polizei begünstigt de facto das Verbrechen. Die Diebe, die mich in Neukölln um meine Schatulle erleichtert haben, können sich ziemlich sicher sein, dass nicht ermittelt wird. Es ist paradox, dass gerade Neukölln als bundesweites Chiffre für „Clan-Kriminalität“ und den darin verkapselten anti-arabischen Rassismus und ausländerfeindlichen Klassenhass aufgebaut wird. Sie hetzen gegen Ausländerkriminalität, ermitteln bei einem simplen, Erfolg versprechenden Fall wie meinem aber nicht. Ein Paradox ist ein scheinbarer Widerspruch, der auflösbar ist. Ich erkläre mir das so: Die so genannte „Silvesterrandale“ in Neukölln half der Berliner CDU und ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner im Wahlkampf. Er ist jetzt auch dank Anti-Migrant*innen-Hetze Regierender Bürgermeister. Da stören real aufgeklärte Verbrechen womöglich. Ein kleines, kriminelles Biotop, das durch eine desinteressierte, schlampige Scheißegal-Polizei, die vermutlich überfordert ist, gepflegt wird, kann für den Machterhalt in einer Medien-Demokratur durchaus nützlich sein.
Als ich das DKB-Callcenter mit der Bitte konfrontierte, mir gegen die Inkasso-Firmen beizustehen, die die Jet-Tanstelle und Hornbach auf mich angesetzt hatten, weil ich deren kriminellen Einzüge storniert hatte; als ich fragte, wie mich denn die DKB gegen diesen allzu leicht möglichen Betrug versichert habe, leitete mich die erste Dame an einen Sub-Unternehmer weiter, der gar nicht zuständig war. Beim zweiten Versuch geriet ich an eine Kollegin, die ohne Vorwarnung einfach auflegte. War ihr wohl zu kompliziert.

Der Krankenkasse wollte ich bei der Gelegenheit mitteilen, dass sich meine Anschrift geändert hatte. Damit die Ersatzkarte auch ankommt. Logisch. Die Dame sagte mir, dass meine Adressänderung nur mit einer gültigen Krankenkartennummer registriert werden könnte. Auch sie legte irgendwann auf. Kann sein, dass ich zwischendurch unwirsch reagiert habe… „Hören Sie mir überhaupt zu? Meine Kartennummer weiß ich doch nicht. Die Karte IST GEKLAUT WORDEN. Deshalb rufe ich doch an!!“
Das Traurige ist: Ich habe in meiner kleinen Call-Center-Odysse Lohnabhängige erlebt, die tatsächlich dümmer, desinformierter und nervtötender waren als ein KI-Chat-Bot. Der Lichtblick: Mein Führerschein wurde in einer Hecke an der Sonnenallee gefunden. Der Finder recherchierte mich als Pressesprecher der Aktion gegen Arbeitsunrecht, lobte unsere Arbeit und schickte das Dokument zurück mit dem Gruß „Rotfront!“
Auch das ist Neukölln.

* frei nach Fanta 4
(1) „Muzak ist eine Bezeichnung für Hintergrundmusiken, die in Restaurants, Fahrstühlen, Kaufhäusern, Hotels und manchen Arbeitsumgebungen, aber auch als Pausenzeichen in Telefonsystemen und dergleichen mehr eingesetzt werden. Es handelt sich um funktionelle Musiken, die vom Hörer unbewusst wahrgenommen werden sollen, um ihn heiter zu stimmen und um eine entspannte Atmosphäre beim Einkauf oder bei der Arbeit zu schaffen.“ Quelle: https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/m:muzak-7861

Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht e.V. und Autor der monatlichen GWR-Glosse „so süß wie maschinenöl“ zu den thematischen Schwerpunkten Arbeitsunrecht, Wirtschaftsdemokratie und Union Busting. Seine Kolumne #02 aus der GWR 483 findet Ihr jetzt auch als Podcast unter: https://www.freie-radios.net/125221