Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat eine bizarre Mischung aus Rechtsextremen und Putin-Anhänger*innen hervorgebracht, die gemeinsam gegen die NATO, EU und USA agitieren. Mit dabei: ein bekannter Rechtsanwalt, ein ehemaliger AfD-Politiker und ein früherer Linksterrorist. Mit einer neuen Partei wollen sie zur Europawahl im kommenden Jahr antreten.
Eine neue selbsternannte Querfront treibt ihr Unwesen. Ihr Name: „Aufbruch Frieden-Souveränität-Gerechtigkeit“ (AFSG). Darin haben sich pro-russische Aktivist*innen, Rechtsextremist*innen, Querdenker*innen und ein Islamist zu einer Wahlliste zusammengeschlossen, die zur Europawahl im Juni 2024 antreten will. Es wäre das wohl erste offene Putin-treue Bündnis, das aus Deutschland zu den Wahlen des Europaparlaments anträte. Zunächst war die Gruppe als Verein organisiert, den sie angeblich im Mai in Leverkusen gründete. Dem Vorstand gehören laut Homepage u.a. der frühere AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt André Poggenburg, der ehemalige „Pro NRW“-Vorsitzende Markus Beisicht und die Kreml-Anhängerin Elena Kolbasnikova an. Auch mit dabei: Wjatscheslaw Seewald, den die „Verfassungsschutzinformation Bayern“ 2022 als „Reichsbürger und antisemitischen Verschwörungstheoretiker“ einstufte.
Putin-Propaganda und Hetze gegen Israel
Ihre Agitation richtet sich gegen den Westen, die NATO und die USA, während sie Putin loben und seine Propaganda-Narrative verbreiten. Aufgefallen sind sie bereits mehrfach mit Veranstaltungen, u.a. mit zahlreichen pro-russischen Autokorsos im Rheinland wie anlässlich des Ukraine-Tags im August in Köln. Im Februar 2023 nahmen bei einer Demonstration vor der US-Luftwaffenbasis in Ramstein etwa 2.500 Menschen teil. Im September versammelten sich nur ca. 50 Anhänger*innen vor dem Brandenburger Tor, um einen „sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine“ zu fordern. Am 7. Oktober 2023 trat die Gruppe erneut in Ramstein auf. Das Motto: „Ramstein schließen – Ami go home!“. Im Netz hetzen AFSG-Mitglieder im Netz und auf Kundgebungen gegen Israel.
Bei ihren öffentlichen Auftritten halten die Funktionär*innen des „Aufbruch“ Schmähreden gegen die EU, die Bundesregierung oder den ukrainischen Präsidenten. In ihren Augen ist Wolodymyr Selenskyj ein „Kriegsverbrecher“, wie ein Vorstandsmitglied der Gruppe anlässlich der Verleihung des Aachener Karlspreises an Selenskyj ins Publikum rief. Sie halten Deutschland für besetzt und fordern den Abzug aller amerikanischen Soldat*innen aus Deutschland. Die BRD bezeichnen sie als „Vasallenstaat“ der USA, die NATO als „Terrororganisation“ und schwadronieren von einer „neuen Weltordnung“. Der Telegram-Kanal von AFSG hat über 2.300 Abonnent*innen. Dort finden sich Desinformation, antisemitische Verschwörungsideologien, Hetze gegen Ukrainer*innen, Homosexuelle und Migrant*innen. Dies gilt auch für den rechtsextremen Kanal „Freie Nordrhein-Westfalen“, den AFSG für sich nutzt und der fast 10.000 Mitglieder hat.
Ende August will der Kreis um Kolbasnikova und Beisicht angeblich eine Partei gegründet haben, die sie als „Querfront-Friedenspartei“ ankündigen. Da sich „aktuell keine parteipolitische Gruppierung für unsere Kernthemen Frieden und Souveränität“ einsetze, sei eine Parteiengründung notwendig gewesen, heißt es in der Presseerklärung. Ziel sei der Einzug ins Europaparlament, um mit anderen zusammenzuarbeiten, „die an einer echten Friedenspolitik“ mit Russland interessiert seien. Dazu steht in der Stellungnahme: „Es geht nicht mehr um verschiedene politische Lager, es geht um Krieg oder Frieden in Europa!“ Ob AFSG tatsächlich in das Europaparlament einziehen könnte, scheint fraglich. Doch seit 2014 gibt es keine Sperrklausel mehr für die Vergabe der deutschen Sitze im Europaparlament, dadurch haben Kleinparteien oder Wählervereinigungen eine höhere Chance, ein Mandat zu erhalten.
Bündnis aus Kreml-Anhängerin, rechtsextremem Rechtsanwalt und Ex-Linksterrorist
Vorsitzende des neuen Wahlbündnisses ist Elena Kolbasnikova. Sie gehört zu den prominentesten russischen Propagandist*innen in Deutschland. Für Kolbasnikova ist Wladimir Putin ein „sehr guter Präsident und sehr guter Mensch“. Bei einem der zahlreichen von ihr organisierten pro-russischen Autokorsos im vergangenen Jahr hatte sie gegenüber der Bild-Zeitung geäußert, Russland sei kein Aggressor, allein die Ukraine sei für die Gewalteskalation verantwortlich. Außerdem leugnete Kolbasnikova das Massaker von Butscha und reproduzierte Kreml-Propaganda: „Selenskyj hat zwar jüdische Wurzeln, aber er steht auch unter ihrer Kontrolle. Er wird von Nazis kontrolliert. Ich glaube, dass die Bilder aus Butscha gestellt sind. Man sollte diesen Bildern nicht glauben“. Deshalb hatte das Amtsgericht Köln sie im Juni in erster Instanz wegen billigender Äußerungen in Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Medienberichten zufolge laufen weitere Ermittlungsverfahren gegen Kolbasnikova und ihren Ehemann Rostislaw Tesljuk, einen ehemaligen russischen Luftwaffenoffizier, der sich Max Schlund nennt.
Im August stürmte das SEK ihre Kölner Wohnung im Rahmen von Ermittlungen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Polizei verfolgt demnach Hinweise, wonach das Paar Zugriff auf eine Maschinenpistole haben soll. Möglicherweise könnte es sich laut den Einsatzkräften bei den sichergestellten Waffen jedoch um Attrappen handeln, wie der Kölner Stadt Anzeiger berichtete. Schon im März hatte die Polizei die Wohnung des Paares durchsucht. Der Vorwurf: Belohnung und Billigung von Straftaten. Die pro-russischen Aktivist*innen sollen Spenden für Funkgeräte russischer Soldat*innen gesammelt haben und ins Kriegsgebiet gereist sein, um Hilfsgüter in die russisch besetzten Gebiete zu bringen und russische Streitkräfte zu unterstützen. Ende September erhielt die Ukrainerin Kolbasnikova von Putin wegen ihres Aktivismus gegen „Russophobie“ die russische Staatsbürgerschaft.
Stellvertretender Vorsitzender der Gruppe ist der Leverkusener Rechtsanwalt Markus Beisicht, der Kolbasnikova in ihren Gerichtsverfahren vertritt. Beisicht ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der rechtsextremen Szene in Nordrhein-Westfalen: Neben „Pro Köln“ und „Pro NRW“ war er Mitglied der „Republikaner“ und Landesvorsitzender der „Deutschen Liga für Volk und Heimat NRW“. Bundesweit bekannt ist er als Strafverteidiger von Rechtsextremen und militanten Neonazis. Für den Verein „Aufbruch Leverkusen“, den der NRW-Verfassungsschutz in seinem Bericht 2021 als „lokale rechtsextremistische Splittergruppe“ bezeichnete, sitzt Beisicht im Leverkusener Stadtrat. Dort spielt der 60-Jährige eine weitgehend unbedeutende Rolle. Bei der Kommunalwahl 2020 lag die Vereinigung mit ihm an der Spitze mit 1,4 Prozent weit hinter der AfD. In einer Phoenix-Reportage bekennt er offen: „Wir stehen der Russischen Föderation nah und unterstützen sie auch in vielen Punkten“. Beisicht sieht sich im Kampf gegen den „Amerikanischen Einheitsmenschen“, in dem „Russland wirklich ein Vorbild“ sei. Beisicht und Kolbasnikova sollen sich mehrfach für Gespräche im russischen Generalkonsulat in Bonn aufgehalten haben.
Laut der Pressemitteilung wurde Bernhard Falk zum Schatzmeister von AFSG gewählt. Falk war Mitglied der Terrorgruppe „Antiimperialistische Zellen“. Nach mehreren Anschlägen in den 1990er-Jahren wurde er wegen vierfachen versuchten Mordes und Sprengstoffverbrechen zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der ehemalige Linksterrorist konvertierte zum Islam und wurde 2008 aus der Haft entlassen. Danach war er in der salafistischen Szene aktiv und betrieb „Gefangenenhilfe“ für terrorverdächtige Islamisten. 2015 nannte die Welt Falk einen „Al-Qaida-Anhänger“. Der „Verfassungsschutzinformation Bayern“ zufolge ist er ein „Hauptakteur der salafistischen Gefangenenbetreuung in Deutschland“. Auf Twitter bezeichnete er Wolodymyr Selenskyj als „>Präsident< der NATO/EU-Marionettenregierung […]; jüdischer Herkunft und enger Verbündeter der Zionisten!!!“
Sammelbecken für rechtes Milieu
Eine zentrale Figur von AFSG ist der ehemalige Partei- und Landtagsfraktionsvorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg. 2015 gehörte er zu den Initiatoren der völkisch-nationalistischen „Erfurter Resolution“, die wesentlich für die Bildung des rechtsextremen „Flügels“ innerhalb der AfD war. Nach seinem Austritt aus der AfD gründete Poggenburg im Januar 2019 die Kleinpartei „Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“, aus der er im August desselben Jahres wieder austrat. Im Januar 2020 plante er eine bundesweite „Interessenvertretung“ unter dem Namen „Aufbruch Deutschland 2020“. Sie solle als eine „außerparlamentarische Opposition“ fungieren, wie die Magdeburger Volksstimme Poggenburg zitierte. Der in Leverkusen unterzeichneten Gründungserklärung zufolge sollte „Aufbruch Deutschland 2020“ als Verein eingetragen und die Gemeinnützigkeit beantragt werden.
„Das ‚Aufbruch’-Label soll nach den Plänen ihrer Initiator*innen offensichtlich als Sammelbecken für ein heterogenes rechtes Milieu dienen: einerseits für diejenigen, welche die AfD aus unterschiedlichsten Gründen verlassen haben oder sich nicht (mehr) von ihr vertreten fühlen, aber dennoch inhaltliche Schnittmengen zur Partei aufweisen; andererseits für geflüchteten- und islamfeindliche Protagonist*innen, Angehörige aus der verschwörungsideologischen Corona-Protestszene sowie für dezidierte Putin-Fans“, schätzt die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin den Zusammenschluss ein.
Ein Bündnispartner von AFSG ist das rechtsextreme Compact-Magazin. Bei dem diesjährigen Sommerfest des Magazins, das auf dem Grundstück von Poggenburg, dem Rittergut Nöbeditz in Stößen (Sachsen-Anhalt), stattfand, traten Beisicht und Kolbasnikova neben Angehörigen der „Identitären Bewegung“ und AfD-Politiker*innen auf. Auch auf der Compact-Konferenz „Raus aus der NATO! Frieden mit Russland“, die am
4. November in Magdeburg stattfand, war Kolbasnikova mit einem „Bericht aus dem Donbass“ als Rednerin geladen.