Der enthemmt populistische Unterbietungswettbewerb von Ampelkoalition und Union um „Migrationskontrolle“ gebiert aktuell Tabubrüche und Gesetzesverschärfungen im Sekundentakt. Und auch auf europäischer Ebene treibt Deutschland – vertreten durch SPD, FDP und die Grünen – maßgeblich eine deutliche Verschärfung des Migrationsregimes voran.
Mit einem „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“ (GEAS) wollen die EU-Mitgliedstaaten eine Reform beschließen, die als „alternativlos“ gepriesen wird, da die bisherige Verteilung von Geflüchteten nach dem Dublin-System auf die EU-Mitgliedsstaaten nicht funktioniert. Das neue Paket wird aktuell zwischen dem Rat der Europäischen Union, dem EU-Parlament sowie der Kommission verhandelt und soll möglichst bis zur Europawahl im Juni 2024 beschlossen sein. (1)
Aus menschenrechtlicher Sicht ist die gesamte Reform abzulehnen: Nach Plänen der EU-Mitgliedsstaaten sollen Asylanträge nur noch in Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen entschieden werden, der Rechtsweg wird eingeschränkt. Individuelle Fluchtgründe werden nicht mehr geprüft, denn allein die Fluchtroute zählt: Gilt auf dem oft langen und umständlichen Fluchtweg ein durchquerter Drittstaat als „sicher“, wird ein Asylantrag in der EU abgelehnt. Bis zum Asyl-Bescheid sollen die Menschen in geschlossenen Lagern untergebracht werden, nach negativer Entscheidung folgt die Abschiebung. An der Erweiterung der Liste „sicherer Drittstaaten“ arbeitet die EU unter Hochdruck.
Jüngst überraschte die faschistische Ministerpräsidentin Italiens Giorgia Meloni mit einem Alleingang: Italien und der EU-Beitrittskandidat Albanien haben eine Vereinbarung über zwei von Italien finanzierte Auffanglager auf albanischem Boden getroffen, sie sollen bis zu 35.000 Geflüchtete pro Jahr aufnehmen. Dorthin sollen diejenigen gebracht werden, die von italienischen Einheiten (vor allem Küstenwache und Finanzpolizei) gerettet werden. Die Geflüchteten sollen von Albanien aus Asyl in der EU beantragen können und bei Ablehnung direkt aus den Lagern abgeschoben werden.
Der zunehmenden Erosion rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Standards müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen.
Die Auslagerung des Asylverfahrens in sogenannte Drittstaaten verstößt gegen geltendes Recht. Rechtsbruch ist allerdings längst die Praxis vieler EU-Staaten, wie etwa die systematischen Pushbacks und rechtswidrigen Abschiebungen zeigen.
Aus Deutschland gab es beim Bund-Länder-Gipfel Anfang November 2023 einen vergleichbaren Vorschlag: Asylanträge sollten in die ehemalige deutsche Kolonie Ruanda ausgelagert werden. Ruanda als „sicheren Drittstaat“ versuchen bereits Großbritannien und Dänemark zu nutzen, um Menschen dorthin abzuschieben. Das höchste britische Gericht, der Supreme Court bestätigte am 15. November, dass Ruanda kein sicherer Drittstaat sei. (2) Die britische Regierung will an dem Plan festhalten, vermutlich wird die Bundesregierung sich davon ebenfalls nicht abschrecken lassen.
Der Kampf gegen „irreguläre Migration“ gilt vorgeblich der Rettung von Menschenleben. In Deutschland dient das Schlagwort ganz aktuell als Begründung für die stärkere Kriminalisierung von Flucht: Das Strafmaß für Schleuser soll im Zuge der aktuellen Gesetzesverschärfungen auf bis zu zehn Jahre Haft erhöht werden. Ein Gesetzentwurf, der bis Ende des Jahres beschlossen werden soll, bezieht sich explizit auf die Überfahrt mit seeuntüchtigen Booten über das Mittelmeer. Erfahrungsgemäß treffen derartige Gesetze in dem Kontext vor allem Geflüchtete selbst und zwar diejenigen, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel dazu gezwungen sind, Aufgaben wie das Steuern des Bootes zu übernehmen, dies zeigen zahllose langjährige Haftstrafen in Griechenland und Italien. Unter den Tisch fällt, dass Schleuser nur dann Geschäfte machen können und existieren, wenn es keine legale Fluchtwege gibt.
Brisant ist in diesem Kontext auch, dass in dem Gesetz die Voraussetzung der eigenen Vorteilnahme gestrichen werden soll. Es reicht zukünftig aus, „wiederholt oder zugunsten von mehreren“ Personen zu handeln. Diese Neufassung kann als Grundlage für eine Kriminalisierung von Organisationen wie der zivilen Seenotrettung verwendet werden, die mit dem Ansteuern italienischer Häfen Hilfe zur Einreise in die EU leistet. Bis Mitte November 2023 zählte Italien 146.000 Ankünfte, rund 7 % davon werden von Schiffen der zivilen Seenotorganisationen gerettet.
Das Innenministerium behauptet indes, die Neufassung ziele gar nicht auf die zivile Seenotrettung ab, und argumentierte, diese sei ja „gerechtfertigt, um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden“. Genau diese Bewertung ist allerdings aktuell höchst umkämpft. Boote mit Migrant*innen auf dem Weg nach Europa werden von den zuständigen Behörden nämlich zunehmend als „irreguläre Migration“ aufgefasst und sich selbst überlassen, anstatt als Seenotfall, der einer Rettung bedarf. Das rechte Narrativ von privaten Seenotrettungsorganisationen als „Schlepper“ befeuert diesen gefährlichen Trend. Dieser zunehmenden Erosion rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Standards müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen.
(1) https://www.bundesregierung.de/
breg-de/themen/migration-und-integration/
migration-ordnen-und-steuern-breg-
2231258
(2) https://taz.de/Britisches-Urteil-zu-
Abschiebungen/!5969764/
Britta Rabe ist politische Referentin in der Geschäftsstelle des Komitees für Grundrechte und Demokratie in Köln.
Kontakt: www.grundrechtekomitee.de
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.