Am 27. April 2023 erlebten vier Schwarze Teilnehmende eines deutsch-beninischen Austauschs einen rassistisch motivierten Übergriff der Polizei (vgl. GWR 484). Ein halbes Jahr nach der Razzia äußern sich die jungen Männer nun erstmals selbst öffentlich zu ihren traumatisierenden Erfahrungen – auch um dazu aufzurufen, sich gemeinsam gegen Rassismus einzusetzen.
Der SEK-Einsatz fand an diesem Morgen in dem Gebäude statt, in dem die jungen Menschen untergebracht waren. Sie waren Gäste der Black Academy, die für ihre dekolonialen Projekte in Mannheim bekannt ist. Das Ziel des Einsatzes waren eigentlich nicht die jungen Klimaaktivisten aus Benin. Dennoch wurden die vier Schwarzen Männer wie Tatverdächtige behandelt, während alle anderen weißen Bewohner*innen des Hauses dazu aufgefordert wurden, sich in Sicherheit in ihre Wohnungen zu begeben. Ohne Erklärung und ohne ausreichend Kleidung für die kalten Temperaturen an diesem frühen Morgen wurden sie öffentlich auf der Straße über eine Stunde gefesselt den Blicken der Fußgänger*innen ausgesetzt. Die jungen Männer erfahren eine haltlose Kriminalisierung und rassistische Diskriminierung durch staatliche Institutionen, die sie traumatisiert zurücklässt. Einer der Betroffenen spricht es aus: „Ich weiß, dass wir anders behandelt worden wären, wenn wir nicht Schwarz gewesen wären.“
Rassistische Übergriffe durch Sicherheitsbehörden in Deutschland stellen keine Seltenheit dar. Der brutale SEK-Einsatz am 27. April in Mannheim reiht sich ein in eine Reihe von unzähligen Vorfällen strukturell-rassistischer Gewalt durch die Polizei. Dass in der Politik immer wieder von Einzelfällen die Rede ist, ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die meisten Fälle nicht in die Öffentlichkeit und nicht vor Gericht gebracht werden. Nur wenige Betroffene haben die Kraft sowie die finanzielle, juristische und personelle Unterstützung, sich öffentlich zu ihren Erfahrungen zu äußern und auch rechtlich gegen die Diskriminierung vorzugehen. Darüber hinaus müssen Betroffene mit Gegenanzeigen von Seiten der Polizei rechnen, wenn sie diese zur Rechenschaft ziehen möchten, weil sich die Polizei in ihrer Ehre verletzt fühlt oder meint, die Opfer hätten Widerstand gegen ihre Vollstreckungsmaßnahme geleistet.
Diese Täter*innen-Opfer-Um-kehr ist auch in der Berichterstattung zu beobachten. Die Folgen: eine ständige Re-Traumatisierung und eine zu geringe öffentliche Solidarität gegen Rassismus in der Polizei. Auch ist das juristische Vorgehen gegen die Polizei selten erfolgreich. „Die Justiz glaubt immer zuerst der Polizei“, so die Betroffenen des Vorfalls, die eine Strafanzeige gestellt hatten. Das Gericht hat die Strafanzeige aufgrund angeblich mangelnder Beweise ohne weitere Untersuchungen abgelehnt. Die Erlebnisschilderung der Betroffenen wurde dabei in Frage gestellt und den Aussagen in ihrer Glaubwürdigkeit der Polizei untergeordnet.
Einen Einblick, wie der Übergriff von den vier jungen Menschen wahrgenommen wurde, welche Konsequenzen er für sie hat und welche Forderungen sie stellen, wird in den folgenden Ausschnitten des Interviews deutlich.
Wenn ihr nun nach einem halben Jahr zurückschaut auf den kalten Aprilmorgen des Polizeieinsatzes: Wie habt ihr ihn erlebt?
B: Das war eine schreckliche Erfahrung, die ich niemandem so wünsche. Schlagartig von der Polizei am frühen Morgen aus dem Schlaf gerissen zu werden, bei winterlichen Temperaturen, mit Waffen in der Hand, mich wie einen Kriminellen behandelnd. Ich weiß nicht, ob man sich von einem solchen Trauma erholen kann.
L: Da steckte zu viel Gewalt für einen Polizeieinsatz dieser Sorte dahinter. Es war mein erstes Mal in Deutschland, das führt zu einem Schock. Wenn man noch nie Probleme mit der Polizei hatte und dann solche Erfahrungen macht, ist das nicht leicht. Das ist schwierig aus dem Kopf zu löschen.
T: Rassistische Gewalt ist etwas, von dem ich vorher wusste, aber was ich noch nie in dem Ausmaß erlebt habe. Das Schlimme ist, wenn du vor einem Rassisten stehst und ihm alle deine Gefühle äußerst, und deine ganzen Emotionen, dann ist das, als würdest du mit einem Roboter reden. Es war, als ob sie keine Gefühle kennen. Ich frage mich, was ist anders. Durch meine Adern fließt doch auch nur Blut, ich habe einen Kopf und Füße wie sie. Das Einzige, was anders ist, ist die Farbe meiner Haut. Ich verstehe das nicht.
Wie hat der Polizeieinsatz eure Wahrnehmung von Rassismus in Deutschland verändert?
F: Es hat mir die Augen geöffnet, was eine Person mit anderer Hautfarbe in einem fremden Land erleiden kann. Unsere Hautfarbe bestimmt für diese Personen, welche Kategorie von Menschen wir sind, anscheinend Kriminelle. Aber warum? Sie haben uns nicht einmal zugehört und gefragt, wer wir sind und was wir hier machen.
An einem bestimmten Punkt war ich kurz davor, auf die Seite des Hasses zu wechseln und sie alle zu hassen. Aber diese Seite in mir, die sich nach Gerechtigkeit sehnt, hat verstanden, dass der beste Weg, Menschen zu beeinflussen, die schlecht über dich denken, nicht darin besteht, sie zu hassen. Vielmehr musst du kämpfen und deinen Standpunkt immer mit Stolz vertreten.
B: Zweifellos bestätigt dieses Erlebnis nur die Tatsache, dass es in institutionellen Systemen und bei Einzelpersonen immer noch ein starkes Problem mit Rassismus gibt. Es zeigt nur, dass das System selbst sich weigert, die Unterdrückung Schwarzer Menschen zu ändern und sie damit aufrechterhält. In meinem Land wäre kein Deutscher so behandelt worden.
T: Rassismus ist ein Übel, das in Mannheim, in Deutschland und in ganz Europa besteht und immer weiter wächst. Es muss an der Wurzel bekämpft werden.
L: Ich weiß, dass wir anders behandelt worden wären, wenn wir nicht Schwarz gewesen wären. Es hat mir gezeigt, dass Rassismus beständig ist und das scheint sich noch nicht zu ändern. Ich glaube aber auch, dass nicht alle so handeln würden, und ich kenne viele Deutsche, die nicht so sind. Ich würde das nicht verallgemeinern wollen.
Wie nehmt ihr die Aufarbeitung und den Umgang im Nachgang des Vorfalls wahr?
L: Die Polizei überall auf der Welt agiert immer in ihrem Sinne und wird sich nicht entschuldigen. Sie erkennt niemals ihre Fehler an. Es hat mich also nicht überrascht, dass sie ihre Schuld nicht eingesteht.
Wir haben viel Unterstützung durch unsere Strukturen in der Black Academy und unsere Kontakte bekommen. Das Ganze hätte auch so schnell vergessen sein können, wie andere Fälle. Ich weiß, dass in der Presse viel gelogen und übertrieben wurde. Das wollte ich nicht hören, deshalb habe ich mich auf Infos aus unserem Team beschränkt. Auch der Bürgermeister war sehr korrekt. Er hat uns empfangen, uns zugehört und versucht zu helfen. Nach unserer Rückkehr habe ich dann aber keine Unterstützung mehr durch die Stadt Mannheim gespürt. Ich hatte das Gefühl, dass wir allein gelassen werden.
B: Die Aussagen der Polizei im Nachgang bleiben für mich eine Lüge, denn wir sind zu keinem Zeitpunkt geflohen. Wir wurden von Zuschauern zu Tätern.
F: Ich war erleichtert zu sehen, dass sich so viele Menschen für uns in diesem Moment eingesetzt haben. Die Unterstützung, die sie uns gaben, hat mir persönlich geholfen, aus dieser traumatischen Phase herauszukommen.
T: Ich habe die Unterstützung durch Institutionen wie das Antidiskriminierungsbüro und die psychologische Beratung als einen großen Schritt wahrgenommen. Sie haben sich sehr offen und teilnahmsvoll gezeigt und scheinen mit der Arbeit nach unserer Abreise weiterzumachen.
Aber ich finde, auch die Stadt hat eine Verantwortung in diesem Fall. Der Bürgermeister hat uns gesagt, dass er keine Macht über die Polizei habe. Aber daran glaube ich nicht. Ich glaube, dass er die Macht hat, zu intervenieren und deshalb auch eine Verantwortung hat.
Wie nehmt ihr die juristischen Aufklärungsversuche wahr, jetzt, wo eure Klage abgelehnt wurde?
B: Ich habe das Gefühl, dass die Justiz nicht auf unserer Seite ist. Die Fakten sind da und wir lügen nicht, aber die Justiz stellt sich auf die Seite der Polizei.
F: Ich finde es ungerecht, dass die Justiz nicht zu unseren Gunsten entschieden hat. Und ich finde es unfair und beleidigend, wie die Polizei die Fakten wiedergibt. Aber wenn die Justiz keine Maßnahmen ergreifen kann und wartet, bis es so genannte „schwerwiegende Folgen“ eines Einsatzes gibt, dann glaube ich, dass Deutschland noch weit weg davon ist, Rassismus zu beenden.
L: Die Polizei ist ein Teil der Justiz. Die Justiz glaubt immer zuerst der Polizei. Dann sollen wir etwas beweisen, müssen Beweise bieten, viel arbeiten. Das heißt, es wird mit verschiedenen Maßstäben gemessen. Die Art, wie unser Fall verhandelt wurde, ist nicht gerecht.
Ihr habt alle unterschiedliche Bewältigungsstrategien des Erlebten. Wie geht ihr mit den traumatischen Folgen des Einsatzes um?
T: Für mich ist das vorbei. Es ist Vergangenheit. Ja, es war traumatisierend. Aber wenn ich diese Einstellung nicht hätte, dann wäre das schlimm. Dann könnte man das nicht aushalten, das sehe ich teilweise an den anderen. Deshalb sage ich, dass es für mich vorbei ist.
Rassismus ist ein Übel, das in Mannheim, in Deutschland und in ganz Europa besteht und immer weiter wächst. Es muss an der Wurzel bekämpft werden.
B: Ich werde von einer Psychologin begleitet, die mir hilft, mich gegen meine Furcht und meine Angstprobleme zu behaupten. Ich habe immer noch diese Bilder in meinem Kopf, die mich aus dem Schlaf wecken. Ich nehme einen anderen Weg, sobald ich aus der Ferne Polizist*innen kommen sehe. Ich bin wie gelähmt, sobald ein Streifenwagen vorbeifährt. Ich denke, dass wir an diesem Tag Glück hatten, denn es hätte auch schlechter für uns ausgehen können.
L: Ich habe es aus meinem Kopf gelöscht und versuche weiterzumachen. Ich möchte kein Opfer davon sein, ich möchte nicht genauso werden wie diese Menschen, wenn ich die Erinnerungen zu lange im Kopf halte. Das tut mir zu sehr weh, daran zu denken und es immer zu wiederholen.
Was sind eure Forderungen und an wen richtet ihr sie?
T: Ich richte mich an die verantwortlichen Instanzen in Mannheim und Deutschland. Die Information sollte gestreut werden. Alle sollten aufstehen und „Nein“ sagen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Abschaffung von Rassismus eine Zusammenarbeit zwischen der Zivilgesellschaft und den Machtstrukturen erfordert. Sensibilisierung und Bildung in der Gesellschaft sind entscheidend, um die Einstellung der Menschen zu ändern, während tiefgreifende Reformen der Machtstrukturen, insbesondere zur Bekämpfung der Polizeigewalt, unerlässlich sind. Mit vereinten Kräften ist es möglich, eine gerechtere, respektvollere Gesellschaft ohne Rassismus zu schaffen.
L: Wenn wir uns alle zusammentun, um dagegen zu kämpfen, können wir etwas erreichen. Diskriminierung sollte in der Ausbildung von Polizist*innen schon früh unterbunden werden. Nicht nur Rassismus, sondern alle Formen der Diskriminierung. Sie sollen lernen, alle gleich zu behandeln. Antidiskriminierung muss generell in der Bildung mehr verankert werden. Beispielsweise in Weiterbildungen für die Zivilbevölkerung. Und das soll von ganz oben bezahlt werden, durch die Regierung.
B: Wir müssen Verbündete gegen Rassismus sein.