„Video killed the radio star“, sangen einst The Buggels. In Anlehnung an das 30 Jahre später erschienene „Internet killed the video star“ von The Limousines kann man heute sagen, dass das Aufkommen des Internets und die damit verbundenen Möglichkeiten wie Blogs auch das klassische Fanzine gekillt haben. Selbst größere Fanzines wie das mittlerweile feministisch-orientierte Zine Plastic Bomb kämpfen derzeit ums Überleben. Neue Zines entstehen nur sehr vereinzelt – und Festivals wie das queerfeministische Cakezinefestival in Berlin stehen auf weiter Strecke alleine da. Früher gehörte das Produzieren von Fanzines in vielen Subkulturen zur klassischen Sozialisation und stellte eine wichtige Kommunikationsplattform für die jeweilige Subkultur dar. Die Fanzinekultur verband so unterschiedliche Gruppen wie Ultras, Punks, Anarchist_innen, Riotgrrrls und LGBTIQ+-Aktivist_innen miteinander und ist mittlerweile in kaum einer Subkultur noch wirklich präsent. In den Fanzines wurde subjektiv berichtet, sich kreativ ausgelebt, Diversität gefeiert oder einfach nur über die gesellschaftlichen Zustände abgekotzt.
In Frankreich versuchen immer noch ein paar Aktive in unterschiedlichen Städten, das Genre des Zines zu erhalten und die Kultur des do-it-yourself-produzierten Heftes in Zeiten von Social Media sowie steigenden Druck- und Papierkosten am Leben zu halten. In mehreren Städten gibt es hier – natürlich selbst- organisiert – Fanzinotheken, d. h. Bibliotheken für Fanzines. Eine dieser Fanzinotheken ist das L‘Uzine in der Hafenstadt Le Havre – die neben dem in Paris ansässigen Fanzinarium (unweit des dortigen CNT-Büros) die größte ihrer Art in unserem Nachbarland sein dürfte.
Unweit des Bahnhofs der kleinen normannischen Hafenstadt, im ersten Stock eines Hauses mit Projekten wie einem Tattoo-Studio, Galerien und einem Yoga-Studio, der „L‘Etage“, residiert die kollektive Fanzinothek. Zuvor hatte man in einer Rockkneipe in der Innenstadt, dem „Les Zazous“, die Wände als Präsentationsfläche genutzt. Als Grundstock der Fanzinothek dienten die Privatsammlungen der beiden Gründer_innen Isabelle Bianchini und Olivier Aventin. In der Zwischenzeit ist einiges an Material hinzugekommen. Auf ca. 20m² stehen alphabetisch sortierte 2.500 bis 3.000 Fanzines parat, die vor Ort eingesehen oder nach Hause ausgeliehen werden können. Es sind Fanzines eines örtlichen Fußballclubs, anarchistische Zines, Streetartpublikationen, Literaturzines – und natürlich viel Zeug aus der Punkszene. Neben französischsprachigen Publikationen, die ungefähr 90 % des Bestandes ausmachen, haben sich auch englisch-, spanisch-, deutsch-, italienisch- und polnischsprachige Publikationen hierher verirrt. Und auch diese nicht-französischsprachigen Publikationen werden gerne entliehen, wie Olivier auf Nachfrage erklärt. Ein paar Expats kommen regelmäßig hierher, um Zines zu entleihen.
Ein Stück weit konträr zur als chaotisch geltenden Kultur der Zines ist die Ordnung und die Professionalität des Uzines. Ein fettes Macbook steht auf dem Tisch und ermöglicht es den Nutzer_innen, während der Öffnungszeiten im Katalog nach gewünschten Zines zu suchen. Allerdings wird das Angebot, hier auch bei dem einen oder anderen Bierchen auf dem Sessel sitzend ein Zine zu lesen, wahrscheinlich eher von dem hier regelmäßig verkehrenden Publikum genutzt. Das Publikum, was hier vorbeikommt, ist durchmischt – sowohl im Alter wie auch im Gender. Die Generation 40+, d. h. Leute, die mit Fanzines sozialisiert wurden ist allerdings etwas überpräsentiert, während Menschen in den 20er Jahren, vorrangig Kunststudierende, erst an zweiter Stelle kommen. Derzeit gibt es ca. 65 regelmäßige Nutzer_innen.
In den Fanzines wurde subjektiv berichtet, sich kreativ ausgelebt, Diversität gefeiert oder einfach nur über die gesellschaftlichen Zustände abgekotzt.
Alleine von den Beiträgen können die anfallenden Kosten noch nicht abgedeckt werden. Aus diesem Grund gab es in letzter Zeit u.a. ein Solikonzert im legendären CICP in Paris, einem bekannten Alternativprojekt.
Neben den regelmäßigen Öffnungszeiten der Fanzinothek, bei denen die Bestände frequentiert werden können, gibt es auch immer wieder Veranstaltungen – z. B. Fanzine-Release-Events wie z. B. vom legendären „On a faim“, dem die wohl bekannteste französische Punkband Béruier Noir einst einen Song widmeten, bis hin zu Workshops in Kooperation mit der hiesigen Kunstschule. Es geht darum, dass nicht nur die reichhaltige Kultur des Genres „Fanzine“ zu dokumentieren und zu archivieren, sondern jene Form bzw. (Sub-)Kulturtechnik am Leben zu halten und zu propagieren.
L‘Uzine,
30, rue Bougainville,
76600 Le Havre,
http://uzine-lehavre.fr
Öffnungszeiten:
jeden Mittwoch
von 17:30–19:30
sowie zu spezifischen Events
Jahresgebühr: 12 Euro
Fanzinespenden bitte an: L‘Uzine, c/o Olivier Aventin, 7, rue Toustain, 76600 Le Havre, Frankreich
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.