Nie wieder Faschismus! Mehrere Millionen Menschen gingen für dieses Ziel Anfang des Jahres auf die Straße. Das gab Kraft und Hoffnung. Nun stehen die nächsten großen Demos an.
Es war auch wirkungsvoll: Meinungsumfragen sehen die AfD jetzt bundesweit bei 16 Prozent, noch immer viel zu viel, aber nicht mehr so erschreckend wie die 23 Prozent mit zunehmender Tendenz im Winter 2023/2024. Dies zeigt auch: Ein drohender Faschismus lässt sich zurückdrängen – wenn viele aktiv werden.
Aber was heißt eigentlich „Faschismus“?
Die großen Demonstrationen richteten sich gegen geheime Vorbereitungen großangelegter Deportationen, die verharmlosend als „Remigration“ bezeichnet wurden. „Nie wieder Faschismus!“, das heißt auch, nie wieder Deportationen großer Menschenmassen in Konzentrationslager. Während die sogenannte „Remigration“ auf millionenfache Empörung stieß, blieb das Wort „Musterstadt“ jedoch seltsam unbeleuchtet. Wenn wir aber wissen wollen, wie wir die neuen Konzentrationslager verhindern können, müssen wir uns genauer ansehen, welche Pläne es gibt. Wir müssen vor Augen haben: Der Faschismus in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ging mit dem Kapitalismus der damaligen Zeit einher und war dadurch geprägt. Ein neuer Faschismus würde Elemente des aktuellen Kapitalismus aufweisen. Die einheitliche Massenformierung wäre vielleicht nicht mehr nötig und der geforderte Totalitarismus würde sich gegebenenfalls anders ausdrücken als durch den totalen Staat.
Ein neuer Faschismus würde auf die Kampflosungen „Heil Hitler“ und „Sieg Heil“ verzichten, andere Kampflosungen könnten hingegen übernommen werden. „Alles für Deutschland“, der Spruch stand auf den Dienstdolchen der SA und die bestand vor genau neunzig Jahren aus viereinhalb Millionen Männern. „Alles für Deutschland“ könnte also kompatibel sein als Losung eines modernen Totalitarismus des „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“. Denn er schließt nicht nur an alte NS-Traditionen an, sondern passt allzu gut auch zu neoliberalen Wünschen. Wer erinnert sich noch an die Losung: „Du bist Deutschland“ von 2005? Oder noch deutlicher an die Kampagne vom Bürgerkonvent von 2003: „Es wurde genug über unsere Probleme geredet. Lösen wir sie jetzt endlich! Wir haben die Erkenntnis, den Willen und die Kraft. Deutschland ist besser als jetzt.“
Am Bürgerkonvent waren damals Hans-Olaf Henkel und Beatrix von Storch beteiligt. Beide gehörten zehn Jahre später zur ersten Generation der AfD. Finanziert wurde die Kampagne „Deutschland ist besser als jetzt“ mit sechs Millionen Euro von August von Finck, der auch der AfD die Anschubfinanzierung gab. Es sollte daher nicht verwundern, wenn Beatrix von Storch die Verurteilung von Björn Höcke zu einer Strafe von 13.000 Euro für das Verbreiten der SA-Parole „Alles für Deutschland“ als Ergebnis eines „Unrechtsstaates“ geißelt.
„Alles für Deutschland“ ist nicht nur eine mit neoliberalen Interessen zu vereinbarende Losung der SA, sondern auch die zentrale Kampflosung der Neonazi-Szene, die mit der Parole ganz bewusst an die Nazizeit andockt. Und der Faschist Björn Höcke hat Kontakte in diese Neonazi-Szene. Dies wird gerne von den Verteidiger*innen des Spruchs übersehen.
Aktuell läuft es nicht gut für die AfD. Ich hatte auf die großen Demonstrationen verwiesen. Aber es gab auch einige Prozesse und Enthüllungen.
„Der Brandmelder schrillt“, mit diesen Worten erlaubte der Vorsitzende Richter Gerald Buck beim Oberverwaltungsgericht Münster am 13. Mai 2024 die weitere Einstufung der AfD als Verdachtsfall beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Einen Tag später verurteilte das Oberlandesgericht Halle den AfD-Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen in Thüringen zu einer Geldstrafe von einhundert Tagessätzen von je 130 Euro, weil dieser öffentlich und im Wissen um die Strafbarkeit die SA-Kampflosung „Alles für Deutschland“ von sich gegeben hat. Parallel laufen immer wieder neue Tickermeldungen ein zu den Russland- und Chinaverbindugen der beiden AfD-Spitzenkandidaten bei den Europawahlen, Maximilian Krah und Petr Bystron. Zudem wurde die Immunität des Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der Jungen Alternative, Hannes Gnauck, aufgehoben. Bei Gnauck stand ein Disziplinarverfahren der Bundeswehr an, er wurde vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) als gesichert rechtsextrem eingestuft. Dieses Verfahren wurde zunächst ausgesetzt und jetzt wieder aufgenommen. Parallel zu diesen Brandherden gab Götz Kubitschek die Auflösung des Instituts für Staatspolitik, bzw. dessen Umstrukturierung bekannt.
Im Gegensatz zur AfD, die seit den antifaschistischen Großdemos von Januar und Februar laut aller Meinungsforschungsinstitute rund dreißig Prozent der Wähler*innen innerhalb von fünf Monaten verlor, ist das Institut für Staatspolitik nicht einfach von außen zerlegt worden. Zwar betont Götz Kubitschek, die Linken hätten aus dem Institut eine „durchlöcherte Zielscheibe“ gemacht. Und seit das Bundesamt für Verfassungsschutz das Institut als „Verdachtsfall“ eingestuft habe, stehe der Verein ohne Gemeinnützigkeit da, was das Spendensammeln extrem erschwere. Aber ich denke, die Auflösung ist eine Erweiterung des Diskursraumes. Dafür spricht die Ersetzung des Begriffs „Staatspolitik“ durch den merkwürdigen Begriff „Menschenpark“.
Kubitschek bezieht sich damit explizit auf die Elmauer Rede des Philosophen Peter Sloterdijk. Sloterdijk hatte sich in dieser Rede unter Berufung auf Platon und Nietzsche für eine bewusste Züchtung der Menschen ausgesprochen. Die Lesenden seien die Auslesenden und in „Stadtparks, Nationalparks, Kantonalparks, Ökoparks – überall müssen Menschen sich eine Meinung darüber bilden, wie ihre Selbsthaltung zu regeln sei“. Allerdings fehlt im Text von Sloterdijk das Wort „Demokratie“ im Gegensatz zum Wort „Übermensch“. Menschenpark meint nicht nur Züchtung im Sinne der Bildungsselektion oder der Genetik, sondern auch der Menschen-„haltung“ in verschiedenen Räumen. Mark Frank kommentierte 1999 in der ZEIT: „(…) ein raunendes Geschweife und Geschwefel, ein pointeloses Flirten mit verfänglichen Materien, die sich todsicher zur Publikumsprovokation eignen. Dem Vortrag eine klare These, eine Überzeugung, gar eine rationale Handlungsempfehlung abzugewinnen, ähnelte der Mühe, einen Pudding an die Wand zu nageln.“
Aber gerade dieses Geraune bietet sich nun für die Fortführung des Instituts für Staatspolitik an. Das Bild vom „Menschenpark“ bietet an, was der Untertitel zu meinem Buch „Sarrazins Correctness“ (1) ausdrückte, nämlich „Menschen- und Bevölkerungskorrekturen“. Und tatsächlich gehörte Sloterdijk zu den Unterstützern von Sarrazin. Zum „Menschenpark“ gehört die „Populationsökologie“, „Unterschicht“ ist in diesem Denken vergleichbar mit Unkraut, das Problem der Unterschicht müsse sich „auswachsen“ (Sarrazin). Sarrazin bediente sich 2010 indirekt beim rassenbiologischen Magazin „Mankind Quarterly“. Zu diesem Kreis gehörte auch J. Philippe Rushton, dessen Hauptwerk „Rasse, Biologie und Evolution – Eine Theorie der Entwicklungsgeschichte“ im Antaios-Verlag des Instituts für Staatspolitik erschienen ist. Rushton behauptete, die drei „Großrassen“ hätten unterschiedliche „Arterhaltungsstrategien“, die in der Biologie mit „r-Strategie“ (viele Nachkommen, wenig Aufzucht) und K-Strategie (wenig Nachkommen, viel Aufzucht) beschrieben werden. Afrikaner*innen seien biologisch betrachtet „Ausbreitungstypen“, denen die Familie und damit auch die Kultur artfremd sei. Björn Höcke hatte 2015 im Institut für Staatspolitik eine entsprechende Rede gehalten und darüber geklagt, dass heute der „lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp“ treffe. Dieses Problem könne nicht mit „Lavendelwasser“ behandelt werden, dozierte Höcke später, sondern mit „wohltemperierter Grausamkeit“. Auch diese Vokabel stammt von Sloterdijk.
Ein drohender Faschismus lässt sich zurückdrängen – wenn viele aktiv werden
Wie wir uns die „Remigration“, die Deportationen vorzustellen haben, darüber klärte Martin Sellner auf: Es brauche eine „Musterstadt“ in Nordafrika. In dieses deutsche Territorium könnten dann auch Deutsche mit Migrationsmerkmalen untergebracht werden. In dieser Musterstadt könnten sich Migrant*innen bewähren, sogar Startups gründen, bei Nichtbewährung gäbe es noch die Ankerzentren und da wäre es dann ungemütlicher.
Ich nehme an, dass Kubitschek die Strukturen dieses Menschenparks der wohltemperierten Grausamkeiten in Zukunft gerne mit Verbündeten außerhalb seiner völkischen Blase diskutieren möchte. Mit Titus Gebel hätte er einen interessanten Gesprächspartner, denn dieser will mit einem Passhandel-Konzern (Henley & Partners) im Rücken gerne börsennotierte Privatstädte für Klimaflüchtlinge errichten. So fern ist das nicht, zumal auch Gebel in seinem Privatstadt-Buch unter Bezug auf Rassisten wie Tatu Vanhanen afrikanischen Staaten einen geringen Intelligenzquotienten bescheinigt. Wird die Staatsfrage ausgeklammert, wird man sich schnell einig. Zumal auch die „Übermenschen-Zucht“ in den Privatstädten voranschreitet Ein Milliardär, der unsterblich werden möchte, ließ sich vor wenigen Monaten noch von einem Bio-Hacking-Unternehmen im Privatstadtprojekt Próspera in Honduras behandeln.
Allerdings müsste sich die Privatstadt-Szene fragen, ob sie wirklich an den Sommer- und Winterakademien der „Menschenpark Veranstaltungsgesellschaft“ von Kubitschek teilnehmen will.
Beim Prozess der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz in Münster spielte der Volksbegriff eine wichtige Rolle. Der Verfassungsschutz vertrat den Standpunkt, dass die Verfassung nur ein Volk kenne: das Staatsvolk. Dieser Volksbegriff verträgt sich nicht mit einem „ethnisch-kulturellen“ Volksbegriff der Rassenbiologie und des Ethnopluralismus. Und auch nicht mit dem völkischen „Alles für Deutschland“ von der SA bzw. Björn Höcke.
Wir werden sehen, wie es weitergeht. Die Menschenpark-Phantasie lässt auch Aristokrat-*innen-Herzen höher schlagen.
In Merseburg sprach Höcke seine SA-Parole offen aus. In Gera sprach er nur die ersten Worte und dirigierte das letzte Wort. In Hamm brauchte er nur noch wortlos zu dirigieren. In Greiz musste er nicht mal mehr dirigieren, seine Neonazis im Saal übernahmen das. Laut der vor Ort anwesenden Focus-Journalistin Antje Hildebrandt gehörte zu den „Alles für Deutschland“-Schreihälsen der Neonazi Christian Klar.
Klar hatte zuvor schon mehrfach mit einem von Höcke gelobten politischen Weggefährten, Frank Haußner, die Kampflosung skandiert, Haußner hatte sie in Solidarität mit Höcke in seine Reden eingeflochten. Haußner ist ein sogenannter Reichsbürger mit Kontakten zu Heinrich XIII. Prinz Reuß. Womit wir bei den Aristokraten wären.
Greiz war die Hauptstadt des Fürstentums Reuß. In Greiz fanden auch die rechtsterroristischen Treffen um die Gruppe von Heinrich XIII. Prinz Reuß statt. Auch gegen diese Gruppe beginnen jetzt die Prozesse. In Stuttgart-Stammheim fand Ende April der erste Verhandlungstag im Prozess gegen den militärischen Arm der Gruppe Reuß statt. In Frankfurt am Main wurde ein eigenes Sicherheitsareal für den Prozess errichtet. Hier wird seit wenigen Tagen gegen die Kerngruppe verhandelt. Zu dieser zählen unter anderem die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkelmann, zwei ehemalige KSK-Soldaten und der Spitzenkandidat zur letzten Bundestagswahl der Querdenkerpartei „Die Basis“, ein ehemaliger Polizist. In München beginnt der dritte Prozess gegen die übrigen Reuß-Mitglieder.
Ein weiterer Bekannter von Heinrich XIII. Prinz Reuß ist der Antidemokrat Markus Krall. Krall traf sich mehrfach mit Reuß, schrieb ihm ein Gedicht („Ragnarök“) und einen Verfassungsentwurf für das neue Reich. Krall war in der Zeit leitender Geschäftsführer bei Degussa Goldhandel, wurde aber nach dem Tod von August Baron von Finck wie viele andere demokratiefeindliche und antisoziale Ideologen von den Nachfahren entlassen. Krall wollte in die Politik und präsentierte sich mit der Kettensäge bei der WerteUnion. Doch selbst der rechten WerteUnion war er nicht geheuer.
Kralls großes Kettensägen-Vorbild ist der neue Präsident von Argentinien, Javier Milei. Milei hielt Mitte Mai 2024 eine Rede in Madrid, auf Einladung der rechtsextremen Partei Vox, wo auch Le Pen aus Frankreich sprach. Milei rief zum Kampf gegen das „Krebsgeschwür“ des Sozialismus auf und forderte die Rechte auf, sich gegen die „Ungerechtigkeit“ der „sozialen Gerechtigkeit“ zu einigen. Peter Sloterdijk, der bereits zum Klassenkampf gegen die Linke aufrief, Steuern sollten schließlich nur noch freiwillig gezahlt werden, würde hier wahrscheinlich zustimmend nicken. Und Höcke passt dies wahrscheinlich auch in den Kram, da er am 1. Mai 2024 wieder die „Neue soziale Frage“ beschwor, nicht mehr die Arbeiter*innen gegen „die da oben“, sondern gegen die von außen zu formieren. Und so ist dann auch die Umstrukturierung des Instituts für Staatspolitik zu verstehen. Der Menschenpark der wohltemperierten Grausamkeit soll von der Mosaikrechten entworfen werden, alle für den postfordistischen Faschismus.
(1) Andreas Kemper: Sarrazins Correctness, Ideologie und Tradition der Menschen- und Bevölkerungskorrekturen, Unrast Verlag, Münster 2014
Andreas Kemper ist Soziologe und Publizist. Er deckte auf, dass Björn Höcke und der Neonaziautor Landolf Ladig ein und dieselbe Person sind. Dies führte zur Überwachung des Neonazis Höcke und der AfD durch den Verfassungsschutz. Kemper ist seit über 20 Jahren Autor der Graswurzelrevolution. Im Februar 2024 erschien in der GWR 486 sein Artikel „Madagaskarplan 2024 – Faschistische Deportationsstädte. Das AfD-Geheimtreffen mit Neonazis in Potsdam und der Masterplan von Martin Sellner“, https://www.graswurzel.net/gwr/2024/02/madagaskarplan-2024-faschistische-deportationsstaedte/