Auch für das Jahr 2023 registrierten beispielsweise die Betroffenenberatungsstellen in NRW viele hundert Fälle rechter, rassistischer, antisemitischer sowie andere menschenfeindlicher Gewalt. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Ergebnisse des Monitorings noch in der Auswertung, eine Veröffentlichung ist für Mitte Juni geplant. Bekannt wurde aber bereits vorab, dass auch 2023 Rassismus das häufigste Tatmotiv war, gefolgt von Übergriffen auf politische Gegner*innen und antisemitischen Gewalttaten.
Die Beratungsstellen betonen dabei ihre Solidarität mit allen Opfern rechter Gewalt und appellieren an eine demokratische Zivilgesellschaft, diesen solidarischen Umgang fortzuführen.
Diese Gewalttaten bedrohen nicht nur die direkten Opfer und ihr Umfeld, sondern gefährden auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Betrachtung solcher Vorfälle als isolierte Einzelfälle verhindert die Anerkennung der strukturellen und institutionellen Ursachen von Rassismus, was zu dessen Fortbestand beiträgt. Die Allgegenwärtigkeit rassistischer Erfahrungen ist nicht nur auf individuelle Handlungen von z. B. Neonazis zurückzuführen, sondern auch auf politische und gesellschaftliche Strukturen, die Rassismus fördern und tolerieren, einschließlich Bildung, Arbeitsmarkt und Strafverfolgung.
Eskalierende Gewalt gegen Obdach- und wohnungslose Menschen
Tatort Dortmund: Innerhalb von nur einer Woche kommt es zu massiven Gewaltverbrechen gegen Obdachlose. Anfang April 2024 erschießen Polizeibeamte einen randalierenden Mann. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, dass sich das Bedrohungsszenario zum Zeitpunkt der tödlichen Schüsse in Grenzen hält und keine Verhältnismäßigkeit besteht. Einen Tag später erstechen Jugendliche einen Obdachlosen nach einer verbalen Auseinandersetzung am Kanal. Und bereits am 1. April wurde das Schlaflager einer obdachlosen Frau in der Innenstadt mutwillig in Brand gesteckt.
Diese jüngsten Ereignisse in Dortmund, oder auch in Immenstadt im Allgäu, wo ein obdachloser Mann im Mai 2024 Opfer einer tödlichen Gewalttat wurde, werfen ein Schlaglicht auf die wachsende Gewaltkriminalität gegenüber Obdachlosen. Laut einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner ist die Gewaltkriminalität gegenüber Wohnungslosen in den letzten Jahren drastisch angestiegen. Insbesondere die Zahl der Gewalttaten gegenüber obdachlosen Frauen hat alarmierend zugenommen.
Die Statistiken zeigen jedoch nicht nur eine Zunahme der Gewalt, sondern auch einen drastischen Anstieg von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen gegenüber obdachlosen Frauen. Eine empirische Untersuchung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2021 zeigt, dass über ein Drittel der wohnungslosen Frauen bereits Opfer von sexuellen Übergriffen wurden.
Eine große Herausforderung besteht darin, die Tätergruppen zu identifizieren, da die Polizeiliche Kriminalstatistik keine Informationen darüber enthält. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) berichtet jedoch von einer beträchtlichen Anzahl von Gewalttaten gegen obdachlose Menschen, von denen viele im Dunkeln bleiben.
Die Motive hinter diesen Gewalttaten sind oft sozialdarwinistische Einstellungen und die Überzeugung, dass obdachlose Menschen „unwertes Leben“ seien. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung betont, dass es für die Täter nicht unbedingt ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild braucht, um zu Gewalttaten zu führen, sondern eine „soziale Dominanzorientierung“ genügt. Dies reflektiert die zunehmende Abwertung von Hilfsbedürftigen in der Gesellschaft und den Druck, dem Menschen ohne festen Wohnsitz ausgesetzt sind.
Untersuchung belegt zunehmende Gewaltbereitschaft von AfD-Funktionären und -Anhänger*innen
Aber nicht nur bestimmte Opfergruppen rücken in den Fokus, auch einschlägige Täter*innen befinden sich nach Auswertung der zu Verfügung stehenden Zahlen im Mittelpunkt. Das unabhängige Monitoring der Opferberatungsstellen im VBRG (Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt) dokumentiert eine beunruhigende Zunahme der Gewalttätigkeit von AfD-Funktionären und Anhänger*innen. In dem Bericht aus dem April 2024 werden 25 gewalttätige Übergriffe detailliert dokumentiert. Folgende Beispiele aus verschiedenen Bundesländern verdeutlichen die besorgniserregende Entwicklung:
In Sachsen wurde der ehemalige JVA-Beamter und AfD-Landesvorstandsmitglied Daniel Zabel wegen rassistischer Misshandlungen von Häftlingen zu einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Er hatte u. a. einen aus Tunesien stammenden Gefangenen körperlich gepeinigt und mit diesen Taten in einer beruflichen Chatgruppe geprahlt.
Ein anderer Fall ereignete sich 2019 in Köln, wo der Vorsitzende der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative NRW, Felix Cassel, einen Gegendemonstranten absichtlich mit dem Auto anfuhr und verletzte. Nur durch die sportliche Reaktion des Betroffenen wurden schwerste Verletzungen vermieden.
Die Gewaltkriminalität gegenüber Wohnungslosen ist in den letzten Jahren drastisch angestiegen. Insbesondere die Zahl der Gewalttaten gegenüber obdachlosen Frauen hat alarmierend zugenommen.
In Bayern wurde im Februar 2024 ein freier Journalist bei einer Veranstaltung unter Schirmherrschaft eines AfD-Landtagsabgeordneten gewaltsam vom Passauer AfD-Stadtrat Robert Schregle aus dem Saal gedrängt und verletzt.
Ähnliche Vorfälle erstrecken sich über das gesamte Bundesgebiet, darunter Angriffe auf Journalist*innen, Gegen-demonstrant*innen und Poli-zist*innen. Diese Fälle belegen die zunehmende Gewalttätigkeit und Radikalisierung innerhalb der AfD-Bewegung.
Zweitviktimisierung von Betroffenen verstärkt traumatische Erlebnisse
Gewalttaten mit rassistischer Motivation und Hassverbrechen können nicht nur körperliche, sondern auch seelische und emotionale Verletzungen bei den Opfern hinterlassen. Dazu gehören Angstzustände, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und ein vermindertes Selbstwertgefühl. Die ständige Furcht vor Diskriminierung und Gewalt kann das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen und ihre sozialen Bindungen belasten. Um weitere Gewalterfahrungen zu vermeiden, ziehen sich manche Betroffene sogar aus sozialen Kontakten zurück.
Aber nicht nur unter der Ursprungstat leiden die Betroffenen rechter Gewalt. Bei der sekundären Viktimisierung durchleben Gewaltopfer eine erneute Bedrohung und Retraumatisierung. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), dass es sich bei Erfahrungen mit sekundärer Viktimisierung durch Polizei und Justiz nicht um Einzelfälle auf individueller Ebene, sondern um ein institutionelles Problem handelt.
Die Studie vom November 2023 liefert demnach zahlreiche Beispiele von Betroffenen rechter Gewalt durch Polizei und Justiz. Zum Beispiel berichten viele von ihnen, dass Polizisten ihre Situation nicht ernst nehmen, sie stattdessen die Opfer als potenzielle Täter*innen behandeln oder ihre Aussagen anzweifeln. Oft werden Opfer mit Schuldzuweisungen konfrontiert oder es wird ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt.
Des Weiteren werden Fälle dokumentiert, in denen die Polizei den politischen Hintergrund der Tat ignoriert oder herunterspielt, anstatt rechte Motive angemessen zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass die Opfer sich erneut unverstanden und alleingelassen fühlen, was traumatische Erfahrungen weiter verstärkt.
Ein weiteres Beispiel ist die Untätigkeit der Polizei in der Aufnahme von Strafanzeigen oder die Verzögerung bei der Bearbeitung von Hinweisen und Beweismitteln. Dies schafft eine ungünstige Beweislage für die Opfer und signalisiert ein staatliches Desinteresse an der Strafverfolgung rechter Gewalt.
Diese Belege verdeutlichen die verschiedenen Formen der sekundären Viktimisierung, denen Opfer rechter Gewalt im Umgang mit Polizei und Justiz ausgesetzt sein können. Sie zeigen die dringende Notwendigkeit von Veränderungen in den Institutionen, um eine angemessene Unterstützung und Gerechtigkeit für die Betroffenen sicherzustellen.
Wie das Unsagbare zunehmend zur Normalität wird
In der politischen Landschaft sind seit Jahren besorgniserregende Trends im Aufstieg der extremen Rechten und des Rechtspopulismus erkennbar. Dies spiegelt sich in wachsendem Einfluss solcher Parteien, nicht nur in Deutschland, sondern auch global, wider. Dieser Aufstieg führt zu einer Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts und zur Normalisierung menschenfeindlicher und rassistischer Ideen. Verschiedene Faktoren begünstigen diese Entwicklung, darunter sozioökonomische Krisen, völkische Ideologien, Strategien von Medienhäusern und die Unterstützung durch konservative Parteien, die nicht selten aufgrund der Angst, unbedeutend zu werden, extremere Positionen übernehmen. Expert*innen warnen vor einem zunehmenden Nationalismus, illiberaler Demokratie und autoritären Tendenzen. Rechtsnationalist*innen nutzen dabei Gegensätze und nationalistische Feindbilder, um Ausgrenzung gegen Minderheiten zu fördern. Dies kann zu einem autoritären Nationalismus führen, der die vorhandene Kultur und demokratische Institutionen untergräbt. Zentral ist dabei ein nationaler Volksbegriff, der eine klare Dichotomie zwischen „Wir“ und den „Anderen“ schafft, wobei erstere als das Gute und Wertvolle und Letztere als Bedrohung imaginiert werden. Feindseligkeiten, Repressionen, autoritäre Maßnahmen und Verschärfungen sind die Folge, unter denen dann oftmals im weiteren Verlauf sogar die Mehrheitsgesellschaft zu leiden hat.
Lassen wir das Heute nicht zum Morgen werden
Nicht nur für engagierte Anti-faschist*innen, vielmehr für die gesamte Zivilbevölkerung gilt es, in der nächsten Zeit einen Kampf auf verschiedenen Ebenen zu führen: die Einmischung im Alltag, wie beispielsweise im Arbeitsumfeld oder Verwandtenkreis gegen rassistische Ressentiments und Verharmlosungen. Der beherzte Widerstand in der Öffentlichkeit, um sowohl Flagge gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Faschismus zu zeigen, als auch konkret Strukturen und Aufmärsche der extremen Rechten zu behindern. Und nicht zuletzt der Diskursverschiebung in der gesellschaftlichen und medialen Debatte entgegenzuwirken, in der zunehmend rechtsextreme und menschenfeindliche Themen enttabuisiert und normalisiert werden.
Dieser breite und entschlossene Widerstand tut Not, nicht (nur) um den Status Quo zu retten, sondern um letztlich eine Welt zu schaffen, in der alle Menschen ihren Platz in Würde, Gerechtigkeit und Freiheit finden, fernab von Diskriminierung, Ausgrenzung und den unterschiedlichsten Ausprägungen von rechter Gewalt.