„Wir machen weiter!“

Bernd Drücke, Redakteur der Monatszeitung „Graswurzelrevolution“, über Printmedien in schwierigen Zeiten

| Der Rabe Ralf

Die Zeitung „Graswurzelrevolution“ (GWR) erscheint seit 1972. Sie gilt als einflussreichste anarchistische Zeitschrift der deutschen Nachkriegszeit. Seit 1998 arbeitet der promovierte Soziologe Bernd Drücke als GWR-Koordinationsredakteur.

Für Leute, die noch nie von Graswurzelrevolution gehört haben, wie würdest du das Projekt in drei Sätzen beschreiben?

Bernd Drücke: Graswurzelrevolution bezeichnet eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden sollen. Wir kämpfen für eine Welt, in der die Menschen nicht länger wegen ihres Geschlechts oder ihrer geschlechtlichen Orientierung, ihrer Sprache, Herkunft, Überzeugung, wegen einer Behinderung, aufgrund rassistischer oder antisemitischer Vorurteile diskriminiert und benachteiligt werden. Die GWR als gewaltfrei-anarchistische Monatszeitschrift aus den sozialen Bewegungen ist mit dem weltweiten antimilitaristischen Netzwerk War Resisters’ International (WRI) und dem Wissenschaftsportal linksnet.de assoziiert.

Wir leben in einer Zeit, wo die kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit sehr präsent sind – sei es im Nahen Osten, auf dem afrikanischen Kontinent oder in der Ukraine. Gleichzeitig wird in Deutschland die Wiedereinführung einer Wehrpflicht diskutiert. Es gäbe also viele Gründe, eine solche Zeitschrift zu lesen, als Ausdruck einer Gegenposition oder Gegenkultur. Aber die „Graswurzelrevolution“ verzeichnet – wie viele andere Zeitungen auch – einen Rückgang von Abos. Warum seid ihr dennoch in einer so schwierigen Lage? Vertreten mittlerweile zu wenige Menschen diese Positionen oder ist ihre Situation so prekär?

Leider lesen viele Menschen keine Printmedien mehr, und wir haben als kleines, nichtkommerzielles, antikapitalistisches Projekt nur begrenzte finanzielle Möglichkeiten, um die GWR durch Werbung bekannter zu machen. Im Moment werden etwa 3.000 GWR-Exemplare im Monat verkauft. Wir haben vielleicht 10.000 Leser*innen. Ich bin optimistisch und denke, dass es viel mehr Menschen gibt, die mit den Positionen der Graswurzelrevolution etwas anfangen können, diese bewegende Bewegungszeitschrift bisher aber noch nicht entdeckt haben.

Viele Abonnent*innen sind der GWR sehr verbunden. Das sehen wir an unserer Abo- und Spendenkampagne, die seit Juni läuft. Viele haben uns geschrieben oder angerufen. Andere haben ihr Abo in ein Förderabo umgewandelt, es gibt viele Spenden. Ein Abonnent hat geschrieben: „(Sehr) wichtig wart ihr mir schon immer, aber nun werdet ihr mit einigen anderen Publikationen langsam tatsächlich überlebenswichtig. Wie selten zuvor, werden Zeitschriften und andere Medien gebraucht, denen es immer wieder gelingt, andere, bewusst oder unbewusst vergessene oder unterschlagene Sichtweisen und Aktivitäten fundiert darzustellen und die Mitmenschen zu ermutigen und zu inspirieren, sich wirklich urteils- und handlungsfähig zu machen (oder dies zu bleiben) und sich solidarisch miteinander zu verbinden. Also, bitte, gebt nicht auf.“

Der Publizist Gerhard Hanloser hat sich am 26. Juni im Podcast „99 zu eins“ so zur GWR geäußert: „Ich bin froh, dass es die Graswurzelrevolution gibt, die in einer Situation von ‚Zeitenwende‘, ‚Wehrfähigkeit‘, ‚Kriegstüchtigkeit‘ und einer rapiden Militarisierung der Gesellschaft an einem Kernbestandteil des Anarchismus festhält, nämlich am Antimilitarismus.“

Solche Rückmeldungen berühren mich und zeigen, dass die GWR von ihren Leser*innen getragen wird. Wir machen weiter! Die Schwerpunkte unserer Arbeit liegen seit 52 Jahren in den Bereichen Anarchismus, Antimilitarismus, Antifaschismus, Feminismus und Ökologie. Dabei ist sowohl die konsequent antimilitaristische Haltung als auch die anarchistische Sicht, wie sie in der GWR vertreten wird, einmalig.

Ich habe den Eindruck, dass spätestens mit dem Ukraine-Krieg der antimilitaristische Konsens in der Bewegung brüchig geworden ist. Auf einmal meldeten sich Anarchist*innen freiwillig zum Kriegsdienst und stellten sogar eigene Einheiten auf. Habt ihr diese Entwicklung zu spüren bekommen?

Ja, es gab Leute, die ihr Abo gekündigt haben, weil sie der staatlichen „Kriegstüchtigkeits“-Propaganda auf den Leim gegangen sind. Es ist bitter, dass die Remilitarisierung, die seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine läuft, auch vor einigen Anarchist*innen nicht Halt gemacht hat. Für uns ist Krieg ein Verbrechen an der Menschheit. Wir bleiben dabei und unterstützen Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aller Kriegsparteien weltweit.

Wie viele Abos werden benötigt, damit die Zeitung auf einer soliden Basis weitergeführt werden kann?

Wir brauchen mindestens 200 Neuabos, damit die GWR langfristig gesichert ist. Anders als andere Zeitschriften wird die GWR fast ausschließlich durch Abos und Spenden finanziert, was sie auch unabhängig macht.

Printmedien sind in einer schwierigen Situation. Die Preise für Druck und Vertrieb steigen und die jüngere Generation tendiert immer mehr zu Onlinemedien. Worin siehst du noch die Chancen und die Bedeutung der klassischen Printmedien? Gibt es Pläne, die GWR mehr und mehr in ein Onlinemedium zu überführen? Spielen Online-Abos bereits eine Rolle? Wäre eine reine Onlineausgabe für euch denkbar?

Bisher spielen Online-Abos für die GWR noch keine große Rolle. Wir diskutieren gerade, ob wir das ändern möchten. Dadurch, dass wir nur Erstveröffentlichungen abdrucken und davon nur wenige Texte als Appetithäppchen auf unsere Website graswurzel.net stellen, haben wir proportional weniger Print-Abos verloren als zum Beispiel die Taz. Ich bin ein Fan des Printmediums und hoffe auf eine Renaissance, ich weiß aber auch, dass vor allem junge Menschen am liebsten alles online lesen möchten. Das ist ein Drahtseilakt.

Wie kann man die Graswurzelrevolution sonst noch unterstützen?

Abos und Spenden sind besonders wichtig. Auch das Werben neuer Leser*innen im Bekanntenkreis und das Trommeln in sozialen Medien können helfen. Und die solidarische Berichterstattung in befreundeten Publikationen kann die GWR bekannter und Menschen neugierig auf unsere Zeitschrift für Anarchie und Glück machen.

Vielen Dank für das Interview.

Interview: Maurice Schuhmann

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