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Eine Vision vom Guten Leben im Gepäck

Radeln für eine Revolution – der ökologische Klassenkampf des Fabrikarbeiter*innen-Kollektivs GKN in der Toskana und die Konversionstour von Wolfsburg nach Stuttgart

| Tobi Rosswog / Eva Brunnemann

Beitragvision
Straßenbahn statt Autozug. Aktion "Autofreie Stadt" - Foto: Tobi Rosswog

Das leuchtend rote Lastenfahrrad steht im Zentrum der Tour. Es ist Fahrzeug und Symbol. Es stammt aus der Produktion des Collettivo di Fabbrica GKN nahe Florenz, dem Kollektiv, das sich seit drei Jahren der Zerschlagung seiner Fabrik widersetzt und damit zum Leuchtturm wurde im Kampf der Arbeiter*innen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze in einer sinnvollen, demokratisch gesteuerten Produktion, im Kampf für das Gute Leben für Alle.

Die Tour führte von Wolfsburg nach Stuttgart an 14 Tagen durch 14 Städte mit 14 Veranstaltungen, die Information und Austausch boten und Möglichkeiten der Unterstützung aufzeigten.
Startpunkt Wolfsburg, Höhle des Löwen der Automobilindustrie am VW-Stammsitz! Dort ist von Widerstand nicht viel zu vernehmen. Das „Performanceprogramm“, Arbeitsplatzabbau im Hochglanzformat als gemeinsames Produkt von Geschäftsführung, Betriebsrat, IG Metall und Politik, verfängt. Und dies, obwohl seit zwei Jahren die Kampagne „VW steht für VerkehrsWende“ den automobilen Konsens aufzubrechen versucht. Gemeinsam mit kämpferischen Arbeiter*innen veranstalteten kreative Aktivist*innen spektakuläre Aktionen, um Wege aus der Krise aufzuzeigen, die zugleich ökologisch und sozial sind.
Ein angemessener Ausgangspunkt für die Konversionstour mit einem Aufruf zur Solidarität und der Vision vom Guten Leben im Gepäck.

Das Herzstück der Tour – das besondere E-Lastenrad

Auf das Lastenrad kamen die Arbeiter*innen der ehemaligen GKN-Fabrik in Campi Bisenzio auf der Suche nach einer sinnvollen Produktion, die ihre Arbeitsplätze sichern könnte.
Am 9. Juli 2021 bekamen die 422 Festangestellten und ca. 80 Leiharbeiter*innen des Automobilzulieferers GKN Driveline per E-Mail mitgeteilt, dass sie am kommenden Montag nicht mehr zur Arbeit erscheinen sollten. Dabei befand sich das Unternehmen keineswegs in einer Krise.
GKN ist ein Automobilzulieferer mit mehr als 50 Produktionsstätten auf der ganzen Welt. In Florenz wurden bis zum Sommer 2021 hauptsächlich Achswellen für Fiat, Maserati und Ferrari hergestellt.
Die Inhaber des Werkes in Campi Bisenzio gaben sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig die Klinke in die Hand. Einst im Besitz von Fiat, wurde das Werk im Jahr 1994 von dem Unternehmen GKN erworben, das wiederum 2018 vom britischen Investmentfonds Melrose Industries für 8,1 Milliarden Dollar aufgekauft wurde. Nur drei Jahre später verkündete die Geschäftsführung die Schließung des Werks in Campi Bisenzio und die Entlassung der gesamten Belegschaft. Hier werden die spekulativen Prinzipien in der Logik des Shareholder-Kapitalismus umgesetzt: Das einzelne Werk wird einer profitorientierten Re-Strukturierung geopfert und die Produktion ins Ausland verlagert. Das Motto von Melrose „Buy, Improve, Sell“ lässt diesbezüglich keinen Zweifel zu.

Die Arbeiter*innen in Italien stellen die Grundfesten unseres Wirtschaftssystems in Frage. Sie zeigen uns, dass es möglich ist, eine gerechtere und herrschaftskritische Welt aufzubauen, in der die Arbeiter*innen die Entscheidungen über das, was produziert wird und das, was ihr Leben betrifft, mitbestimmen.

Doch sie haben die Rechnung ohne die gut organisierte Belegschaft gemacht. Bereits in den Jahren vor der Übernahme durch Melrose gab es eine eigenständige betriebliche Organisierung. Im Jahr 2018 gründete sich das Fabrikkollektiv Collettivo di Fabbrica GKN. Die Jahre bis zur Schließung wurden genutzt, eine partizipative betriebliche Arbeit in der Belegschaft zu verankern, die gewerkschaftlich organisierte und unorganisierte Beschäftigte verband und zu einem konstanten politischen Austausch über die Geschehnisse im Betrieb führte. Auf dieser Grundlage konnte die Belegschaft so schnell und entschlossen auf die Schließung des Werkes reagieren. Noch am selben Tag wurde das Werk besetzt und eine permanente Versammlung ausgerufen, wodurch bis heute eine Räumung und ein Abtransport der in der Fabrik lagernden Maschinen verhindert werden konnte.

Der climate-labour-turn

Doch wie kam es, dass die Schließung eines Werkes zur Mobilisierung einer ganzen Region führte? Und wie konnte hier der Widerspruch zwischen Arbeitsplatzerhalt und ökologischem Umbau überwunden werden? Ist es nicht dieser Widerspruch, der die Klima- und die Arbeiter*innenbewegung spaltet?
„Wir befanden uns stets im Dilemma, unsere Beschäftigung und Löhne zu erhalten, aber gleichzeitig unseren Kindern einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Eine Achswellenfabrik wie unsere kann in die Produktion für öffentliche Verkehrsmittel eingegliedert werden für die nachhaltige Mobilität. […] Es gibt also nicht den ökonomischen Kampf der Arbeiter*innenbewegung, der dann irgendwann durch einen seltsamen Altruismus auch zur Umweltbewegung wird. Es gibt nur einen Kampf: Für das Gute Leben. Das Leben ist die Luft, die wir atmen, das Leben ist das Land, auf dem wir wohnen, und die Fähigkeit, unseren Kindern einen intakten Planeten zu hinterlassen. Dazu gehört die Möglichkeit, vom eigenen Lohn zu leben, aber auch, zu entscheiden, was wir produzieren: Wem nützt deine Arbeit? Welche Welt wird sie hinterlassen? In welcher Welt findet sie statt?“ (1)
Der ökologische Klassenkampf, der seit drei Jahren in der Toskana geführt wird, ist nicht vom Himmel gefallen. Seine Ursprünge liegen einerseits in der kontinuierlichen Gewerkschaftsarbeit im Betrieb und der unermüdlichen Bündnisarbeit des Fabrikkollektivs vor und nach der Werkschließung. Das Fabrikkollektiv besuchte Belegschaften, soziale Zentren und Umweltorganisationen in ganz Italien, um ihren Kampf zu verbreiten. Der andere Grund liegt im offensiven Angebot des Kollektivs an die Klimabewegung, gemeinsam soziale und ökologische Forderungen herauszuarbeiten und zu verfolgen.

Der Re-Industrialisierungsplan

Für die Entwicklung eines Re-Industrialisierungsplans arbeitete das Kollektiv auch intensiv mit Forscher*innen von der Uni Pisa zusammen. Als das Kollektiv die Türen der Fabrik unmittelbar nach der Besetzung für alle Interessierten öffnete, betraten auch Ingenieur*innen und Ökonom*innen das Werk. Aus individuellen Solidarisierungen entstand bald der Arbeitskreis der „Economisti solidali“ und der „Ingenieri solidali“, die begannen, basierend auf den Ideen der Arbeiter*innen einen konkreten Plan für eine alternative Produktion in Campi Bisenzio zu schreiben.
Im ersten Plan war es noch um die Fortführung der Produktion von Achswellen gegangen, doch nicht mehr für Autos, sondern für Busse, für Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs. Dass ein solches Vorhaben scheitern muss, liegt in den Spielregeln der kapitalistischen Märkte begründet. Konzerne wie MAN oder Iveco würden sicher keine Verträge mit einem demokratischen Kollektiv abschließen. Die Produktion würde keinen Absatz finden.
Im zweiten Re-Industalisierungsplan wurden dann E-Cargo-Bikes präsentiert und ein paar Dutzend wurden bereits gebaut. Eins davon wurde für die Konversionstour nach Deutschland geholt, wo es nun bereits über 1.500 Kilometer problemlos gefahren ist. Die Kolleg*innen und mit ihnen die Klimagerechtigkeitsbewegung und große Teile der engagierten Wissenschaft träumen davon, ihre Fabrik in eine Genossenschaft umzuwandeln, die nachhaltige und sinnvolle Güter wie Solarmodule und Lastenfahrräder produziert. Aber ihr Weg ist voller Hindernisse, von finanziellen Herausforderungen bis hin zu Rechtsstreitigkeiten mit dem Eigentümer der Fabrik.
Die Arbeiter*innen in Italien kämpfen nicht nur um ihre Arbeitsplätze; sie stellen die Grundfesten unseres Wirtschaftssystems in Frage. Sie zeigen uns, dass es möglich ist, eine gerechtere und herrschaftskritische Welt aufzubauen, in der die Arbeiter*innen die Entscheidungen über das, was produziert wird und das, was ihr Leben betrifft, mitbestimmen.
Dario Salvetti, ehemaliger Betriebsrat von GKN und nun ex-GKN-Fabrikkollektivs schreibt uns zusammenfassend: „Wir kämpfen seit drei Jahren. Die Region, in der wir leben und kämpfen, hat es uns ermöglicht, so lange Widerstand zu leisten. Ich weiß nicht, wie lange wir weitermachen können mit unserem Kampf. Hoffen wir, dass wir Inspiration sein können für zukünftige Pflanzen, die wachsen werden.”

Die Konversionstour – Auf zwei Rädern für eine andere Welt

Die Konversionstour war mehr als nur eine Radtour: es war eine Mission. In jeder Stadt kamen Menschen zusammen, die sich für die Idee einer solidarischen Wirtschaft begeisterten. Sie sahen in der Besetzung der Fabrik in Florenz ein leuchtendes Beispiel dafür, wie eine andere Welt möglich ist. Bei den Abendveranstaltungen wurde zum Auftakt und als Diskussionsgrundlage der 30-minütige Film „Insorgiamo – Lasst uns aufstehen“ von labournet.tv geschaut. Die Entschlossenheit des Collettivo di Fabbrica GKN bewegt und erzeugt Wellen der Solidarität. Die Reise war also deutlich mehr als nur eine Informationsveranstaltung, sondern auch eine Gelegenheit, Menschen zusammenzubringen und Netzwerke zu knüpfen. In den Städten versammelten sich Aktivist*innen und Arbeiter*innen, Engagierte verschiedener Bewegungen, die sich bereits für ähnliche Themen einsetzen. Gemeinsam wurde über Strategien diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht. Die Resonanz auf die Tour war überwältigend. Viele Menschen spendeten Geld, kauften Genossenschaftsanteile oder bestellten ein eigenes Lastenrad. Aber die größte Unterstützung war die Solidarität. Es war klar, dass die Geschichte der Arbeiter*innen in Florenz viele Menschen berührte und inspirierte. Die Tour erfuhr auch mediale Resonanz. Das Ziel wurde erreicht: Die Idee in Deutschland noch bekannter zu machen und den Arbeiter*innen in Italien ein Zeichen der Solidarität zu senden. Doch dies ist nur ein kleiner Schritt auf einem langen Weg. Der Kampf für eine bessere Zukunft geht weiter. Nehmen wir uns ein Beispiel am Collettivo di Fabbrica GKN. Seien wir „nüchterne, geduldige Menschen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“ (2)
Seien wir entschlossen und begeistert, denn, so sagte schon Rosa Luxemburg: „So ist das Leben und so muss man es nehmen. Tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.“
Helft den Kolleg*innen dabei, ihre Fabrik in öffentliche und genossenschaftliche Hand zu überführen, um zukünftig Lastenräder und Photovoltaikmodule zu produzieren.

(1) Eva Brunnemann/Tobi Rosswog (Hg.), VW steht für Verkehrswende. Konversion & Vergesellschaftung zwischen Theorie und Praxis, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2023, ISBN 978-3-939045-52-6
(2) Gramsci, Quelle: https://beruhmte-zitate.de/autoren/antonio-gramsci
Es gibt nur einen Kampf: Für das Gute Leben. Das Leben ist die Luft,
die wir atmen, das Leben ist das Land, auf dem wir wohnen,
und die Fähigkeit, unseren Kindern einen intakten Planeten zu hinterlassen

Mehr Infos unter:
insorgiamo.org/germany

 

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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