Die Menschenrechtsaktivistin Olga Karatch ist Leiterin des Internationalen Zentrums für Bürgerinitiativen Unser Haus (Nash Dom) und häufige GWR-Autorin. Sie lebt im Exil in Litauen, wo ihr bisher ein vollständiger Flüchtlingsschutz verweigert wird, obwohl sie in ihrem autokratischen Herkunftsland Belarus wegen ihrer Menschenrechtsarbeit zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde (vgl. Editorial in GWR 491). Im folgenden Artikel analysiert die Kriegsgegnerin die Auswirkungen toxischer Männlichkeit im Zusammenhang mit dem von Belarus unterstützen Krieg Russlands in der Ukraine. (GWR-Red.)
Der Krieg in der Ukraine, die Romantisierung von Konflikten und der rapide Anstieg der Militarisierung in der Region haben dazu geführt, dass toxische, brutale Männlichkeit als dominantes und „richtiges“ Rollenmodell idealisiert wird. Diese Identität, die auf Aggression und Kontrolle basiert, hat viele Männer in eine tiefe Identitätskrise gestürzt.
Die Krise der männlichen Identität und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen
Die Krise der männlichen Identität hat in vielen sozialen Bereichen zu einem Ungleichgewicht geführt und patriarchalische Narrative und Einstellungen wiederbelebt. Diese traditionalistischen Ansichten haben sogar in unerwarteten Bereichen, wie den unabhängigen belarussischen Medien, Einzug gehalten und einen kulturellen Umbruch ausgelöst. Männer, die vom idealisierten Bild der militaristischen Männlichkeit abweichen, stehen oft unter sozialem Druck und werden stigmatisiert. Besonders betroffen sind folgende Gruppen:
- Männer, die den Militarismus ablehnen: Dazu gehören Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Männer, die das Militär aus moralischen Überzeugungen verlassen haben. Diese Männer stehen unter gesellschaftlichem Druck, weil sie sich weigern, zu den Waffen zu greifen, was ihre Reintegration in das zivile Leben erschwert.
- Verwundete Veteranen: Sowohl ukrainische als auch belarussische Kämpfer, insbesondere aus dem Kalinouski-Regiment und anderen ukrainischen Einheiten, haben Schwierigkeiten, sich nach Verwundungen im zivilen Leben zurechtzufinden. Viele leiden unter Schuldgefühlen, Verbitterung und psychischen Problemen, doch gesellschaftliche Tabus rund um die psychische Gesundheit führen zum Verschweigen dieser Themen.
- Ehemalige politische Gefangene: Viele belarussische politische Gefangene, die aus dem Land geflüchtet sind, stehen unter Druck der Protestgemeinschaft, sich am militärischen Einsatz in der Ukraine zu beteiligen. Ihre Weigerung, oft aus Angst oder moralischen Bedenken, führt zu Verurteilungen.
- LGBTQ+-Männer: Männer, die nicht dem traditionellen Rollenbild des Beschützers oder Kriegers entsprechen, erleben ebenfalls Ausgrenzung und Feindseligkeit, was schädliche Geschlechternormen verstärkt.
Auswirkungen auf Frauen: Gewalt und Ausschluss
Die Verstärkung toxischer Männlichkeit als ideales Männerbild hat auch schwerwiegende Folgen für Frauen:
- Häusliche Gewalt: In Familien, in denen der Mann als gesellschaftlicher Held wahrgenommen wird, wie z.B. ehemalige Kämpfer oder politische Gefangene, wird häusliche Gewalt oft ignoriert oder heruntergespielt. Frauen zögern, über Missbrauch zu sprechen, aus Angst vor sozialer Verurteilung, besonders wenn der Missbrauch mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zusammenhängt.
- Feindseligkeit gegenüber Migrantinnen: Sichere Räume für Migrantinnen aus Belarus, Russland und der Ukraine sind verschwunden. Sie stehen unter Aggressionen radikalisierter Männer und Überwachung durch Geheimdienste wie KGB und FSB. Menschenrechtsverteidigerinnen und Friedensstifterinnen im Exil sind besonders gefährdet und brauchen Stärkung auf lokaler Ebene.
- Objektivierung und Ausschluss: Frauenstimmen werden systematisch von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Feministinnen werden oft zum Schweigen gebracht oder falsch dargestellt. In Russland wurden Frauen sogar dazu manipuliert, Männer zum Kriegsdienst zu drängen. Es ist entscheidend, die Stimmen von Feministinnen, die geschlechtssensible Themen bearbeiten, zu verstärken und feministische Gemeinschaften zu unterstützen.
- Vernachlässigung von Basisinitiativen: Auf der Basisebene, wo Frauen traditionell eine Schlüsselrolle spielen, gibt es eine wachsende Krise von Burnout und chronischer Erschöpfung. Aktivistinnen übernehmen Aufgaben, die früher vom Staat wahrgenommen wurden, wie z.B. die Trauma-Arbeit mit vulnerablen Personen, doch ihre Beiträge werden nicht ausreichend gewürdigt oder unterstützt.
- Marginalisierung von Frauen, die durch Krieg und Repression traumatisiert wurden: Frauen, die vom Krieg in der Ukraine oder Terror in Belarus betroffen sind, erhalten oft keine Unterstützung, was zu Burnout und einem Rückzug aus der Führung in ihren Gemeinschaften führt.
Nutzung des Potenzials der Internationalen Friedensbewegung
Die Fähigkeiten und das Wissen, die in der internationalen Friedensbewegung entwickelt wurden, werden kaum genutzt. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, diese Kompetenzen anzuwenden, von der Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren bis hin zur Arbeit mit traumatisierten Menschen und ehemaligen Kämpfern. Leider sind regionale Regierungen nicht in der Lage, diese Herausforderungen anzugehen, was die internationale Gemeinschaft zu einem wichtigen Akteur macht.
Empfehlungen für die Zukunft
- Aktivierung der UN-Resolution 1325: Frauen müssen aktiv in Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit Friedenssicherung und Konfliktlösung einbezogen werden, da ihre Perspektiven weitgehend ausgeschlossen bleiben.
- Unterstützung für marginalisierte Männer: Besondere Aufmerksamkeit sollte Männern gewidmet werden, die unter patriarchalischem Druck leiden, insbesondere Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, um ihre gesellschaftliche Reintegration zu erleichtern.
- Fokus auf Konfliktprävention und Trauma-Arbeit: Die Unterstützung von ehemaligen Kämpfern und deren Familien, insbesondere durch Trauma-Arbeit, ist von entscheidender Bedeutung. Auch die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, sei es Kriegssexualgewalt oder häusliche Gewalt, sollte im Vordergrund stehen.
- Stärkung von Basisinitiativen: Es besteht ein dringender Bedarf an Projekten zur Trauma-Arbeit, insbesondere für Frauen und Kinder. Diese Initiativen sind weitgehend unsichtbar, aber für den langfristigen Friedensaufbau unerlässlich.
- Förderung feministischer Ansätze: Feministische Narrative müssen gestärkt werden, um patriarchalischem Militarismus, wie ihn Putin propagiert, entgegenzuwirken. Die Stärkung von Friedensstifterinnen auf lokaler Ebene kann Widerstandsfähigkeit fördern und Radikalisierung in der Region entgegenwirken.
Durch die Einbindung internationaler Friedensstifter, feministischer Gemeinschaften und Basisbewegungen können wir diese kritischen Probleme angehen und den Weg für eine friedlichere und inklusivere Zukunft ebnen.