nie wieder

Die AfD ist die Spitze des Eisbergs

Rede zur Demo „Wiesbaden gemeinsam gegen Rechts – für Toleranz und Vielfalt

| Michael Wilk

Fckafdklein
Foto: Chris Bee via flickr.com, Attribution 2.0 Generic, https://flic.kr/p/QAtatY

Erstmals seit Ende der Nazi-Diktatur hat im September 2024 eine in großen Teilen neofaschistische Partei bei Landtagswahlen in Deutschland mehr als 30 Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen. Obwohl von Gerichten bestätigt wurde, dass der Thüringer AfD-Vorsitzende und Spitzenkandidat Höcke ein Faschist ist, wurde die AfD in Thüringen mit 33 Prozent der abgegebenen Stimmen sogar stärkste Partei. Aus Anlass der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg fand am 24. August 2024 eine antifaschistische Demonstration in Wiesbaden statt. Wir dokumentieren Auszüge der dort von GWR-Autor Michael Wilk gehaltenen Rede. (GWR-Red.)

Die AfD steht für Rassismus, Antifeminismus, Antisemitismus und eine Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Faschistische Positionen werden offen vertreten. Ihre Positionen zu sozialen und ökologischen Fragen sind existenzbedrohend. Die AfD greift das Prinzip der Menschenwürde frontal an. Zu behaupten, die AfD „polarisiere“ ist beschönigend.
Sie hetzt, spaltet, lügt. Über das kontinuierliche Bedienen von Bedrohungs-Legenden hat sie es geschafft, vor allem mit der Hetze gegen Geflohene, eine rassistisch-nationalistische Stimmung gefährlich anzuheizen. Sie ist längst gefährlicher Schrittmacher völkisch-totalitärer Ideologie.
Doch nationalistische Propaganda, rassistische Ideologie und menschenfeindliche Politik sind kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Sie ist nur die Spitze des Eisbergs.
Zunehmende Enthemmung und steigender Alltagsrassismus reichen in Denk- und Handlungsreflexen längst bis in alle Bereiche der Gesellschaft. Diskriminierende Botschaften, rassistische Impulse, chauvinistische Interpretationen und Lügen werden (nicht nur in sozialen Medien) aufgegriffen, hunderttausendfach verstärkt und verbreitet. Die daran beteiligten „ganz normalen“ Menschen sind weniger Opfer im Sinne einer Verblendung, sondern ebenso Agierende eines massenpsychologischen Prozesses, in dem Rassismen, „alternative Fakten“ und Verschwörungstheorien, eine gefährliche Dynamik entfalten. Sie finden Ausdruck in „Deutschland den Deutschen“ singenden Wohlstandskids (und das nicht nur auf Sylt), oder auch in Bürgerinitiativen, z. B. gegen ein Heim für Geflohene in der Lessingstraße zu Wiesbaden. Die Anwohner*innen argumentieren hier unverfroren mit der suboptimalen Unterbringung der Geflohenen, befürchten vermutlich jedoch den Wertverlust ihrer Häuser – oder das „Fremd-Bedrohliche“ an sich.
Wir stehen hier, um auch auf diese Dinge hinzuweisen. Es geht schon länger nicht mehr nur um plumpe Faschismus-Parolen, sondern um die subtilen Alltagschauvinismen, in denen sich Verrohung und Unmenschlichkeit zu etablieren drohen!
Die menschenfeindlichen Positionen der AfD sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die etablierten Parteien und das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ sind hier keine Ausnahmen. Sie alle bedienen sich inzwischen – die einen mehr, die anderen weniger – der Impulse, die von rechts außen geliefert werden. Zwar distanzieren sich demokratische Parteien wortreich von den undemokratischen Absichten der AfD, fischen jedoch selbst populistisch im Trüben und übernehmen de facto zunehmend Positionen und Inhalte. Die oft zu hörende Behauptung, damit den Zustrom zu der offen mit faschistischen Parolen agierenden AfD ausbremsen zu können, ist jedoch gefährlich und falsch.
Die Übernahme völkischer Argumentationen, z. B. dem Narrativ von der Schwächung deutscher Sozialsysteme durch Geflohene, dient nicht der Bekämpfung, sondern führt zur Legitimierung menschenfeindlicher Ideen. Auf allen Ebenen etablierter Politik, ob Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europapolitik, finden sich zunehmend Anleihen von ultrarechter Ideologie und deren praktische Umsetzung. Dagegen wehren wir uns, wir stehen dagegen und sagen Nein!
Die Übernahme totalitär-rechter Parolen aus populistischen Gründen führt zur gesellschaftlichen Verfestigung dieser unmenschlichen Ideen und mündet in unmenschlichen Entscheidungen. Die Folge ist eine Beschädigung von demokratischen Prinzipien, Menschenrechten und sozialer Sicherung.
Zu Tage tritt eine Politik, die schon vor der drohenden weiteren Etablierung der AfD, deren menschenfeindliche Parolen politisch umsetzt. Am deutlichsten zeigt sich der politische Vollzug von Spaltung und Hetze im Umgang mit Geflohenen.
In einzigartigen Hetzkampagnen werden Menschen, die z. B. aus den Kriegszonen Syriens, vor totalitären Regimen oder auch aus den Hungerregionen Afrikas unter Einsatz ihres Lebens über das Mittelmeer fliehen, zu einer Bedrohung des „Abendlandes“, zu „Dauerschmarotzern“ und zu generell Kriminellen aufgebaut. Es bleibt jedoch nicht bei der Hetze, nach Schüren von Wut und Hass ist es schlecht möglich nur Absichtserklärungen abzugeben. Im Bemühen die Verteidigung der „deutsch-abendländischen“ Kultur nicht der AFD zu überlassen, werden Tatsachen geschaffen. Geflohene werden abgewiesen, Todesgefahren ausgesetzt, oder der Versklavung in lybischen Lagern überantwortet. Dinge ändern sich unter populistischer Dynamik radikal, vor allem die moralischen Maßstäbe eigenen Regierungshandelns.
Die postulierten Ansprüche, sozial und demokratisch zu handeln (SPD) oder gar feministische Außenpolitik zu praktizieren (Baerbock), werden zu sinnentleerten Worthülsen.
Längst gilt nicht mehr ausgleichende Sozialpolitik als Gradmesser „guter“ Regierungspolitik, sondern „das härteste Genderverbot“ und gesteigerte Abschiebequoten.
Tausende tote Menschen im Mittelmeer werden mit einem Achselzucken kommentiert. Internierungslager auch für Familien mit Kindern an den Grenzen und an Flughäfen werden forciert, Abschiebungen nach Albanien, Afrika oder in die Folterstaaten Afghanistan und Syrien werden als gangbare Optionen verkauft.
Ich bin seit Jahren als Notarzt immer wieder in Kriegszonen des Nahen Ostens aktiv. Ich erlebe, dass Menschen aus guten Gründen und existenzieller Not die Risiken der Flucht auf sich nehmen. Anstatt jedoch die Fluchtursachen zu bekämpfen, nehmen staatliche Maßnahmen zunehmend die Geflohenen ins Visier.
Die für diese Strategie verantwortlichen Politiker*innen als auch der applaudierende Mob, fühlen sich im Recht: Die zufällige Gnade einer Geburt in Mitteleuropa berechtigt offensichtlich dazu, seinen Besitz- und Wohlstand hemmungslos zu verteidigen. Rechtsstaatlichkeit wird populistisch-rechten Prämissen angepasst, humanitäre Werte werden nur noch dann gefordert, wenn es den eigenen Herrschaftsinteressen dient.
Wir sagen ganz klar: Die zufällige Gnade in Europa geboren zu sein, berechtigt uns nicht zu verantwortungslosem, unmenschlichen Handeln. Angezeigt ist vielmehr ein Handeln in Selbst- und vor allem in Mitverantwortung gegenüber anderen.
Europas Politik gegenüber Geflohenen und Migrierenden ist mörderisch. „Im Jahr 2024 (Stand: 24. Juni 2024) sind mindestens 1.045 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer gestorben. Seit dem Jahr 2014 sind bis zu diesem Zeitpunkt rund 29.949 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken.“ (Quelle Statista 2024).
Durch militärische Konflikte und die Klimakrise, die sich besonders katastrophal im globalen Süden auswirkt, werden immer mehr Menschen zur Flucht und Migration gezwungen.
Die EU und die Bundesregierung reagieren auf diese Tatsache mit einer Verschärfung der Abschottung. Illegale Pushbacks, bis hin zu Attacken auf Boote mit Geflohenen, mit z. T. tödlichem Ausgang, werden geduldet bzw. nicht konsequent verfolgt. Korrupte diktatorische Regime (Libyen, Türkei, Ägypten usw.) werden für Kontroll-Hilfsdienste mit Milliardensummen an Steuergeldern unterstützt. Dieses Geld fehlt für verbesserte Lebensbedingungen und Hilfsmaßnahmen in den Fluchtländern. Wer so agiert, wird auch den Einsatz von Schusswaffen (der schon jetzt vorkommt) gegen Menschen auf der Flucht forcieren.

Die Übernahme völkischer Argumentationen, z. B. dem Narrativ von der Schwächung deutscher Sozialsysteme durch Geflohene, dient nicht der Bekämpfung, sondern führt zur Legitimierung menschenfeindlicher Ideen.

Wir erleben eine barbarische Verrohung, ein skrupelloses über Bord werfen jeglicher humanitärer Ansprüche. Was sich im Mittelmeer und an den Außengrenzen Europas offenbart, ist politisches Kalkül, das über Leichen geht.
In der Durchsetzung dieser Maßnahmen offenbart sich nicht nur ein Zurückweichen vor dem rechts-populistischen Druck von AfD und Co., sondern ein Aufgreifen und Reproduzieren altbekannter rassistischer Muster. Eine rechts-populistische Dynamik entfaltet sich in der Mobilisierung von Ängsten einerseits und dem Angebot einer identitären Mental-Droge andererseits: Die Zugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft als Wert an sich exklusiv für „Bio“-Deutsche. Die durchschaubare Absicht, sich selbst durch „Deutschsein“ aufzuwerten und Überlegenheitsgefühle zu wecken, ist angesichts der deutschen Geschichte geradezu bizarr, ekelhaft und verwerflich. Sie wird besonders brisant durch die damit zwangsläufig verbundene Abwertung anderer, eben sogenannter „Nicht-Deutscher“.
Vorerst werden vor allem Fremde und Geflohene zu Opfern dieser faschistischen Abwehrreaktion, doch schon zeigen sich üble Reaktionen auch auf andere, die als Minderheiten zu Störenfrieden der „gesunden“ sozialen Gemeinschaft erklärt werden. Sozialhilfeempfangende, LGBTQ-Menschen, Wohnungslose und Menschen mit Behinderung werden zunehmend nicht mehr als Mitmenschen wahrgenommen, sondern als minderwertig und nachrangig. Sie werden als Sündenböcke im Verteilungskampf um verknappende Ressourcen missbraucht, als abweichende, störende Elemente und fiktive Bedrohung des Wohlstands. Hierbei werden Ängste und Sorgen aufgegriffen und nach rassistischen Mustern umgelenkt, die nicht selten ihren Ursprung weniger in fiktiver Angst vor Fremden, sondern in realen gesellschaftlichen Problemen haben: Billiglöhne, Altersarmut, Gentrifizierung und ein sich rasant verknappender und verteuernder Wohnungsmarkt sollen hinter einer rassistischen Drohkulisse verschwinden.
Faschistische Ideologie klassifiziert Menschen in wertvolle und unwerte, grenzt ein und aus, definiert ein oben und unten. Es ist unsere Aufgabe, dieser Extremform des Sozialchauvinismus Einhalt zu gebieten.Gegen den Reflex einer Ellenbogengesellschaft, die Solidarität zum Unwort erklärt und den Blick auf die eigentlichen Verhältnisse trübt: Dass es mehr als genug für Alle gäbe, wäre der Reichtum nur anders verteilt.
Wir erteilen totalitären „Lösungen“ und autoritärem Denken und Handeln eine Absage. Wir setzen auf Menschlichkeit und verantwortliches Handeln.
Wir lehnen Faschismus, Nationalismus, Rassismus und Sexismus ab. Ausgrenzung und Entwertung anderer Menschen darf niemals die Antwort auf die sich zuspitzende gesellschaftliche Situation sein. Klimakatastrophe, Verarmung, Totalitarismus und Kriege bekämpfen – nicht die Betroffenen.

Dr. med. Michael Wilk hat mit seinem Artikel „Der vergessene Krieg“ im Dezember 2023 in der GWR 483 über den Bombenterror des Erdoğan-Regimes gegen die Menschen in Rojava berichtet. Siehe: https://www.graswurzel.net/gwr/2023/11/der-vergessene-krieg-2/

 

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

Wir freuen uns auch über Spenden auf unser Spendenkonto.