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Foltertod auf Athener Polizeiwache

Wie starb Mohamed Kamran Asik?

| Ralf Dreis, Thessaloníki

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Foto: Thomas Quine via flickr.com, https://flic.kr/p/oyJmYw, CC BY 2.0

Mohamed Kamran Asik verbrachte die letzten acht Tage seines Lebens als Gefangener in fünf Athener Polizeiwachen. Am Morgen des 21. September 2024 wurde er seiner Familie im Polizeirevier von Ágios Panteléimon tot und mit offensichtlichen Folterspuren übergeben. Als er um 7:30 Uhr im Gewahrsamraum des Reviers gefunden wurde, hatte der 37-jährige Pakistaner eine Unzahl von Schlägen auf seinen gesamten Körper erhalten. Einige seiner Wunden schienen frisch, andere älter zu sein. Alle jedoch wurden ihm in dem Zeitraum zugefügt, in dem sich Asik im Gewahrsam der griechischen Polizei befand.

Die von der „Bewegung gemeinsam gegen Rassismus und faschistische Bedrohung“ (KEERFA) veröffentlichten grausamen Fotos des geschundenen Körpers, die auch in der Athener Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón (Efsyn) vom 27. September veröffentlicht wurden, zeigen die Vielzahl der Schläge auf Kopf und Rücken, in die Seiten und auf beide Beine. Die Handgelenke sind blutig und stark geschwollen, was auf Handschellen zurückzuführen ist, mit denen das Opfer gefesselt war. In der offiziellen gerichtsmedizinischen Sterbeurkunde ist von einer „unbestimmten Todesursache“ die Rede, das heißt, es wird keine pathologische Ursache für das Ableben des Opfers angegeben. Ausdrücklich festgehalten werden jedoch die Pre-Mortem-Wunden, die das Ergebnis von Schlägen am ganzen Körper sind. Genauere Aussagen darüber, wie Mohamed Kamran Asik im Polizeirevier von Ágios Panteléimon gestorben ist, werden von der makroskopischen Untersuchung des Leichnams erwartet. Das Revier ist seit Jahrzehnten berüchtigt für seine engen Verbindungen zur kriminellen Nazi-Vereinigung Chrysí Avgí (Goldene Morgenröte) und in die Athener Unterwelt, sowie für ungezählte Fälle von brutalen Misshandlungen und ungeklärten Todesfällen festgenommener Migrant:innen.

Die griechische Polizei behauptet, dass Asik drogenabhängig war und sein Tod auf pathologische Ursachen zurückzuführen sei, was die Familie des Opfers vehement bestreitet. Sie kündigte im Beisein ihrer Anwältin Maria Sfétsou an, alle notwendigen rechtlichen Schritte zu unternehmen, um die Umstände seines Todes aufzuklären. Im Interview mit Efsyn am 27. September beanstandet Sfétsou, dass die Untersuchungen durch die Beamten der Polizeiwache Ágios Panteléimon, also durch die Personen, gegen die ermittelt wird, geführt werden. Sie fordert die Staatsanwaltschaft auf, dies sofort zu unterbinden. Sfétsou beklagt außerdem, dass die Polizei „das Opfer mit Dreck bewirft, um ihm ein kriminelles Profil anzuhängen“. Sein Tod soll ausgerechnet „in der einzigen Zelle ohne Kameraüberwachung“ eingetreten sein.

Was genau in den Tagen vor dem Tod des Opfers geschah, ist noch weitgehend unklar, da die Anwälte der Familie noch offizielle Beweise und schriftliche Berichte von den unterschiedlichen Polizeiwachen sammeln, auf denen der 37-jährige Pakistaner festgehalten wurde. Bisher ist folgende Chronologie bekannt: Am 13. September wurde Asik nach einer Anzeige wegen häuslicher Gewalt von einer Streife zur Polizeistation Omónia gebracht. Am nächsten Morgen wird er zum Gericht in der Evelpídon Straße gebracht. Die Verhandlung wird auf den 16. September vertagt und es wird angeordnet, dass er bis zum Prozess in der Omóniawache inhaftiert bleibt.

Am 16. September wird der Prozess endgültig auf Dezember vertagt und seine Freilassung angeordnet. Stattdessen wird er im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens auf die Polizeiwache Patissíon verlegt, um dort festzustellen, ob er eine legale Aufenthaltsgenehmigung hat oder die Voraussetzungen für seine Abschiebung vorliegen. Da diese Polizeistation nicht über Hafträume verfügt, wird er in der Folge zur Polizeistation Galatsíou gebracht und dort bis zum Nachmittag des 17. September festgehalten. Dann wird er zur Fortsetzung der Verwaltungshaft auf das Polizeirevier Kolonoú gebracht und dort in der Nacht freigelassen, nachdem das Revier Patissíon mitgeteilt hat, dass der Bruder des 37-Jährigen alle legalen Dokumente für seinen Aufenthalt im Lande vorgelegt habe.
Nach der Freilassung – die genaue Uhrzeit ist nicht bekannt – wird Asik von Beamten der berüchtigten Dias-Motorradtruppe „zur Identifizierung“ festgehalten und am 18. September um 00:30 Uhr zur Polizeistation von Ágios Panteléimon gebracht.
Dort wird er wegen „Beschädigung fremden Eigentums, Ungehorsam und Widerstand“ verhaftet. Unter anderem soll Asik ein Waschbecken des Polizeireviers zerstört haben. Nach bisher bekannten Informationen wurde er am Morgen des 18. September wegen der von den Polizeibeamten angeklagten Straftaten vor ein Schnellgericht gestellt und zu vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Er wird auf das Revier zurückgebracht und inhaftiert. Drei Tage später ist er tot.

Sein Tod soll ausgerechnet „in der einzigen Zelle ohne Kameraüberwachung“ eingetreten sein

Laut offizieller Antwort des Ambulanzdienstes an die Anwältin der Familie wurde ein Krankenwagen einige Stunden nach der ersten Einlieferung Asiks auf das Polizeirevier von Ágios Panteléimon in der Nacht des 18. September um 2.10 Uhr dorthin beordert. Dort wurde diagnostiziert, dass der 37-Jährige Wunden und Prellungen hatte. Das Personal des Rettungsdienstes war jedoch der Ansicht, dass er nicht ins Krankenhaus gebracht werden musste. Weiteren Aufschluss erhofft sich die Anwältin von der beantragten Beschlagnahmung der Videoaufnahmen der anderen beteiligten Polizeireviere, da dort zu sehen sein muss, ob, und wie schwer der Getötete verletzt war, bevor er auf dem Revier von Ágios Panteléimon festgenommen wurde. Die Wache selbst ist die einzige, bei der die Überwachungskameras keine Rückschlüsse auf die Todesursache des 37-Jährigen zulassen, da er nach Aussage des Revierleiters im einzigen Raum ohne Kamera tot aufgefunden wurde. Gleiches gilt für die angebliche Zerstörung des Waschbeckens in den Toiletten der Wache. Im Polizeibericht heißt es außerdem, er sei durch Schläge anderer Personen in der Zelle verletzt worden und die jüngsten Verletzungen seien beim Zertrümmern des Waschbeckens verursacht wurden.
„Als ich dorthin kam, war die einzige Fläche, die nicht von einer Kamera erfasst wurde, dieser Raum. Es gab überall Kameras. Auf den Fluren und in den Arrestzellen. Außer dort und in den Toiletten, wo wir die Vorfälle haben“, so die Anwältin, Maria Sfétsou, auf einer von der KEERFA organisierten Pressekonferenz am 27. September.

In einer am 26. September von der Polizeizentrale veröffentlichten Stellungnahme wird die Behauptung bekräftigt, dass der 37-Jährige „offensichtlich unter Drogen- oder Alkoholeinfluss“ stand, als er in den frühen Morgenstunden des 18. September von Dias-Beamten eingeliefert wurde. Es habe während seines Aufenthalts in der Haftanstalt „einen kleinen Zwischenfall mit Mitgefangenen gegeben“. Nicht erklärt wird, warum das Opfer am Morgen des 21. September bewusstlos aufgefunden wurde, während der Krankenwagen einige Tage zuvor seine Verletzungen als leicht eingestuft hatte. Im Polizeibericht ist des Weiteren von einem „obdachlosen Mann“ die Rede, der „kein Griechisch sprach“. Behauptungen, die nirgends bestätigt werden: Laut Dokumenten, die die Familie des Opfers vorlegte, lebte der 37-Jährige seit 20 Jahren in Griechenland und sprach fließend Griechisch. Er erhielt 2017 die notwendigen legalen Dokumente, hatte eine gemietete Wohnung auf seinen Namen und arbeitete als Kurierfahrer.
Laut Asiks Verwandten, die an der Pressekonferenz teilnahmen, hatte der 37-Jährige stets zwei Mobiltelefone sowie die Ausweispapiere bei sich. Beweise, die bis zum heutigen Tag verschwunden sind. „Man hat nichts bei ihm gefunden. Nicht einmal Hausschlüssel. Wir haben seit dem 13. September nach ihm gesucht, doch seine Telefone waren ausgeschaltet, während wir am Tag zuvor noch normal gesprochen haben“, so die Familie. Deren Anklage ist sehr konkret: Polizeifolter mit Todesfolge. Laut Anwältin verweist der Gerichtsmediziner auf Wunden, die eindeutig auf schwere Schläge hindeuten.

Unter dem Motto „ELAS – griechische Polizei, Spitzel, Mörder und Folterer“ versammelten sich knapp tausend Demonstrant:innen aus der antirassistischen, anarchistischen und antifaschistischen Bewegung spontan auf dem Ágios Panteléimon-Platz, der nur wenige Blocks von der berüchtigten Polizeiwache entfernt liegt. Die kurz nach 22 Uhr gestartete Demo wurde jedoch sofort mit Tränengas- und Blendschockgranaten von MAT-Sondereinheiten gestoppt. Nach Auseinandersetzungen wurden bis Mitternacht vier Personen festgenommen. Für den 12. Oktober, dem Tag der Beerdigung von Mohamed Kamran Asik in Pakistan, rief die KEERFA auf dem Victoria-Platz zur Großdemonstration auf. Weitere Demos fanden in anderen griechischen Städten statt.

Wenige Tage nach dem qualvollen Tod des 37-jährigen Pakistaners wurde am 1. Oktober auf dem Polizeirevier Omónia ein 29-Jähriger aus Bangladesch erhängt in der Zelle gefunden. Erste Veröffentlichungen auf indymedia athens gehen davon aus, dass es sich nicht, wie von der Polizei behauptet, um Suizid handelte, sondern um einen erneuten Polizeimord aus rassistischen Gründen, da der Tote ebenfalls deutliche Spuren von Misshandlungen zeigte.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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