Es muss um 1991/92 gewesen sein, als ich auf einem Berliner Trödelmarkt mein erstes Buch aus dem Karin Kramer Verlag erwarb: „Anarchismus und Gegenwart“ von Peter Heintz. Ich las es ohne Unterbrechung an einem sonnigen Nachmittag durch. Nach der Lektüre hatte ich einen Namen dafür, woran ich „glaubte“ und immer noch „glaube“ – nämlich an den beziehungsweise an das Konzept des Anarchismus. Gut fünfzehn Jahre später veröffentlichte ich dann beim selben Verlag mein erstes Buch: „Die Lust und die Freiheit“.
Viele Anarchist*innen meiner Generation sind mit den beim Kramer-Verlag veröffentlichten Klassiker-Texten sozialisiert worden – vorrangig sicherlich mit Michael Bakunin, Horst Stowasser, Emma Goldman und Errico Malatesta. Vor diesem Hintergrund bin ich – wie viele meiner Generation – Bernd und Karin Kramer (1) zu großem Dank verpfllichtet. Um Bernd Kramer rankten sich schon zu Lebzeiten gewisse Szenenmythen. Wir hatten häufig auch Kritik an ihm, z. B. wegen seiner zum Teil geschmacklosen „Witze“.
Um so mehr hat es mich gefreut, dass Jochen Knoblauch nun beim Quiqueg, einem in der Tradition des Kramer-Verlages stehenden Kleinstverlag, eine Zusammenstellung von Texten des Verlegers und anarchistischen Provokateurs veröffentlicht hat. „Gläubige ohne Gott, Helden ohne Pathos“, eine Anspielung auf den Titel eines für den Band „‘Gewalt für den Körper, Verrat an der Seele’“ von Bernd Kramer verfassten Vorworts, ist der erste Band der Gesammelten Schriften. Für Herbst 2024 ist bereits ein zweiter Band angekündigt: „Nicht mit uns und schon gar nicht mit mir“.
In der Einleitung erinnert Knobi an Bernd und widerlegt Gerüchte bezüglich der Finanzierung durch den Vertrieb des esoterischen Klassikers „6. und 7. Buch Moses“. Auch Kramers Vorliebe für ein gepflegtes Bier im „Goldenen Hahn“ in Kreuzberg oder für gewitzte Aktionen, wie sein Buch „Die Apokalypse der Konsumgesellschaft“, ruft der Herausgeber in Erinnerung.
Im schön bebilderten Buch sind unterschiedliche, z. T. anonym oder unter Pseudonym veröffentlichte Texte aus mehreren Jahrzehnten versammelt. Es handelt sich dabei sowohl um frühe Beiträge, wie sein Text aus der Zeitschrift „das experiment – unabhängige zeitschrift der jugend“ (1961), als auch um die vielen Vorworte, die Bernd Kramer zu Bücherm verfasste – u.a. zu Michael Bakunin, Max Hoelz, Errico Malatesta und Louise Michel. Vor allem Bakunin, mit dem ihn nicht nur eine physionomische Ähnlichkeit und angeblich die Vorliebe für gewisse Zigarillos verband, hatte es ihm angetan. So iniiierte er damals gemeinsam mit der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (ngbk) den Wettbewerb „Ein Denkmal für Bakunin“, welcher eine Inspirationsquelle auch für andere, aktuelle Denkmalinitiativen wurde.
Allen Vor- und Nachworten ist jener spezielle Witz Bernds inhärent, der ihn dazu brachte, das britische Königshaus anzuschreiben, um anhand einer Blutprobe eine Verwandtschaft zwischen diesem und Ret Marut / B. Traven zu konstruieren oder seine Briefe an den damals inhaftierten Ex-DDR-Politiker Erich Honecker zu schreiben, um ihn zu seinen Verbindungen zu Max Hoelz zu befragen.
Weiterhin finden sich auch andere Beiträge, z. B. Gedichte, die er Karin gewidmet hat, Erinnerungen an seinen Vater oder das, ursprünglich in den Libertären Buchseiten der Graswurzelrevolution Nr. 302 im Oktober 2005 veröffentlichte Interview mit ihm und Karin von Bernd Drücke anlässlich des 35jährigen Bestehens des Verlages.
Knobi dokumentiert die teilweise sehr umstrittenen Cover des Verlages, wie dem zu Francisco Ferrers „Revolutionäre Schule“. Als Illustrationen für die Sammlung greift er zurück auf private Fotos und auch die collagen-artig gestalteten Postkarten, die Bernd Kramer zu verschicken liebte.
Fazit
„Gläubige ohne Gott, Helden ohne Pathos“ ist ein gelungener und abgerundeter Band über jenen Verleger und Genossen, der seine ersten verlegerischen Schritte 1968 bei der legendären Linkeck-Kommune in West-Berlin unternahm.
Der Titel dürfte nicht nur jene ansprechen, die Bernd und Karin Kramer noch persönlich kannten, sondern auch jene, die sich für die Entwicklung des deutschsprachigen Anarchismus nach 1968 interessieren. Der Verlag mit seinen beiden Verleger*innen hat hier einen sehr wichtigen und prominenten Platz eingenommen. Kaufempfehlung!
(1) Gedenkseite für Bernd Kramer: http://dadaweb.de/wiki/Bernd_
Kramer_-_Gedenkseite.
P.S.: Der Nachlass des Karin Kramer Verlages wird von der Bibliothek der Freien in Berlin (https://bibliothekderfreien.de) verwaltet und bietet Fundstücke für künftige Generationen an Anarchismusforscher*innen und Historiker*innen.