John Olday? Wem der Name hierzulande überhaupt etwas sagt, wird sich an einen genialen englischen Karikaturisten erinnern, der sich vor allem durch seine Cartoons für die anarchistische Londoner Zeitschrift FREEDOM (im Krieg verboten – statt dessen: WAR COMMENTARY), mitten im Zweiten Weltkrieg, einen Namen machte. Olday teilte nicht nur gegen die Hitlerist*innen & Co. aus, sondern auch gegen Stalins perfides System, ebenso wie gegen die Alliierten der Anti-Achsenmächte-Koalititon, insbesondere die seines englischen Heimatlandes. Das hat Seltenheitswert.
Der von Käthe Kollwitz und George Grosz beeinflusste Autodidakt Olday hat seine Stelle in der deutschen Kunst- und sonstigen Geschichte noch nicht gefunden, weil er von Anfang an zwischen allen Stühlen saß, zwischen den Ländern switchte, auf eigenen Füßen stand und sich rundherum unbeliebt machte – sogar bei einem Großteil seiner anarchistischen Genoss*innen in Deutschland.
Jahrzehnte nach seinem Tod sind nun seine handschriftlichen autobiografischen Aufzeichnungen aufgetaucht und im „Revolutionsverlag“ erschienen. Ein zweiter Band mit weiteren Dokumenten soll folgen.
Oldays Geschichte und Aktivitäten gingen weit über die bislang bekannten antimilitaristischen und Kapitalismus anprangernden Cartoons hinaus, die 1995 auch in dem schmalen Bändchen „The March to Death“ in GB wiederveröffentlicht wurden. Wer aber war dieser Olday? Geboren am 10. April 1905 als Sohn eines schottischen Seemanns und einer deutschen (ungenannten) Mutter in London, war Arthur William Oldag, so sein Geburtsname, damit auch Bürger Großbritanniens. Dies rettete ihn letztlich vor dem Zugriff der GeStaPo, die sogar versuchte, ihn anzuheuern.
Bis zum achten Lebensjahr auf den Straßen New Yorks aufgewachsen, brachte seine Mutter ihn schließlich nach Hamburg zu seiner Großmutter und kehrte ohne ihn in die USA zurück, um dort US-Amerikanerin zu werden. Schon als Kind beteiligte John sich 1916 an den Hungeraufständen und organisierte hernach für sich und seine geliebte Großmutter, sehr gegen deren Willen, das Lebensnotwendige, weit jenseits der Legalität: Erst kommt das Fressen und dann die Moral. So kam er in Kontakt mit Straßengangs, der Unterwelt und revolutionären kommunistischen Kreisen. Früh kam die Sexualität auf ihn zu, in diesen Zeiten nichts Ungewöhnliches. Heute würde mensch ihn als queer bezeichnen. Seine kleinbürgerliche Großmutter versuchte ihm zwar eine möglichst gute Ausbildung zukommen zu lassen, aber John reizte mehr das abenteuerliche, wilde Dasein, das auch eine Drogensucht nicht ausließ. An den Matrosenaufständen beteiligt und dann am Hamburger Aufstand 1923, kam er nur knapp mit dem Leben davon. Inzwischen hatte er sein künstlerisches Talent entdeckt, zeichnete, schrieb und trat auch mit Gesangsdarbietungen in Kabaretts auf. Die Spartakisten hatten ihn wegen anarchistischer Abweichung rausgeschmissen, aber er hielt den Kontakt zu einzelnen, während er in der anarchistischen Bewegung mitarbeitete. Von seinem Zeichen- und Schreibtalent konnte er nun leben, indem er für Zeitungen arbeitete. Gleichzeitig blieb er radikal und klandestinen Gruppen verbunden, insbesondere der chinesischen Unterwelt. Durch seine schwulen und verwandtschaftlichen Beziehungen konnte er die verhassten Nazis infiltrieren, Genossen warnen und so vor Verhaftung und KZ bewahren. Schließlich wurde der Boden für ihn zu heiß und er flüchtete 1938 nach England. Dort schrieb er als Erstes seinen Anti-Nazi-Roman „Kingdom fo Rags“, über eine prekäre Jugend in Deutschland. Im Jahr 1941 heiratete er die jüdische intellektuelle Widerstandskämpferin und Linkssozialistin (ISK) Hilda Monte, auch bekannt als Hilde Meisel, um der Deutschen einen britischen Pass zu verschaffen. Monte arbeitete dann für das ultrageheime SOE, ein todgeweihtes Einsatzkommando und erhielt eine Spezialausbildung. Eine SOE-Agentin im Einsatz hatte kaum drei Monate Überlebenszeit. Überlegt und tollkühn ging Monte mehrfach heimlich nach Deutschland, um den Untergrund zu unterstützen und Hitler zu töten. Ende 1944 wurde sie beim Versuch, tzurück in die Schweiz zu kommen, an der Grenze tödlich angeschossen. Während der ganzen Zeit arbeitete Olday seinerseits an Plänen, zusammen mit seinen alten klandestinen Genossen, Hitler zu beseitigen. Um Mittel dazu zu erhalten, musste er mit dem britischen Geheimdienst zusammenarbeiten. Als Beweis ihrer Aktionsfähigkeit wurde ein Nazi-Munitionsschiff versenkt.
Das gescheiterte Hitler-Attentat Johann Georg Elsers 1939 im Bürgerbräukeller München soll, laut Oldays Ansicht und öffentlicher Aussage nach dem Krieg, mit Hilda Monte und deren Gruppe in Zusammenhang gestanden haben. Hier wird nahegelegt, dass Elser doch kein Einzeltäter war. Zu beweisen ist das bislang nicht.
Nach 1945 agitierte Olday mit Hilfe anarchistischer Freunde deutsche Kriegsgefangene in GB durch vermeintliche „Umschulung“ und versuchte im zonalen Deutschland rätekommunistische „Bakunin-Gruppen“ zu gründen. Das war zwar zunächst recht erfolgreich, aber unter dem alliierten Besatzungsregime in Ost und West gelang es nur ansatzweise, bzw. musste schließlich scheitern. Mit viel Verve seitens Oldays hielt dieser Versuch rund zehn Jahre an.
Im Nachkriegs-England musste er wegen seiner Antikriegsaktivitäten – er war zu Kriegszeiten untergetaucht, um dem als falsch angesehenen imperialistischen Militärdienst zu entgehen – trotz des Protests etlicher Prominenter eine einjährige Gefängnisstrafe absitzen. Nachdem auch das Bakuninprojekt in Deutschland gescheitert war, ging er mit seinem „Adoptivsohn“, der in Wirklichkeit sein schwuler Freund war, nach Australien.
Dort arbeitete er weiter scharf gegen die dorthin geflohenen Nazis und machte mit seinem Freund auf einem Wohnschiff ein politisches Kabarett auf, das ihnen den Lebensunterhalt sicherte. Anscheinend war es auch ein schwuler Treffpunkt. Nachdem er und sein „Sohn“ von zwei Männern mit Messern, mutmaßlich Nazis, angegriffen und schwer verletzt wurden, ging Olday wieder nach England zurück. Bis zu seinem Lebensende 1977 arbeitete er weiter mit der anarchistischen, antimilitaristischen Bewegung zusammen, lebte als anerkannter Künstler und starb letztendlich an Krebs. Dies verhinderte auch die Vollendung seiner Lebensaufzeichnungen, die nur bis Anfang der 1940er Jahre reichen, was den geplanten zweiten Band mit Texten und Dokumenten von und über ihn notwendig macht.
Den insurrektionalistischen Herausgeber-*innen passt diese Biografie natürlich prima in den Kram. Dennoch ist das Buch ein spannendes Zeitzeugnis, das die offizielle Geschichte wider den Strich bürstet. Ob mensch mit Oldays gewalttätiger Militanz sympathisiert oder nicht – diese Lebensgeschichte reißt mit und lohnt zu lesen. Das rund 300 Seiten starke Buch mit einem aufschlussreichen Anhang ist für wohlfeile acht Euro zu haben.
John Oldays Rebellenleben
John Olday: 72 Jahre Rebellenleben – Teil 1: Autobiographie von 1905 bis Anfang der Vierzigerjahre, Revolutionsverlag, Zürich 2023, 8 Euro, ISBN 187-666-1312