es wird ein lachen sein

Hoffnung in hoffnungslosen Zeiten?

Ein Interview mit John Holloway

| Interview: Felix Krawczyk

Beitraghoffnung
Foto: Rosa Luxemburg-Stiftung, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons

Der irisch-mexikanische Politikwissenschaftler John Holloway (* 1947) lehrt seit 1993 an der Benemérita Universidad Autónoma de Puebla (BUAP) in Puebla/Mexiko. In seinen Büchern greift er u. a. auf unorthodox-neomarxistische und anarchistische Theorieansätze zurück und entwickelt sie weiter (1). Großen Einfluss auf ihn hat die zapatistische Bewegung in Mexiko, deren Ablehnung der staatlichen Macht und ihr Verständnis von Theorie, das sich in dem Satz „Fragend schreiten wir voran“ zusammenfassen lässt. Am 8. November 2024 stellte er sein neues Buch „Hope in Hopeless Times“ im Centro Indígena de Capacitación Integral – Universidad de la Tierra (CIDECI-Unitierra) in San Cristóbal de las Casas vor. Das CIDECI-Unitierra ist ein alternatives Bildungszentrum, das darauf ausgerichtet ist, indigene Gemeinschaften zu unterstützen und zu stärken, mit einem besonderen Fokus auf die Förderung von Autonomie und Selbstbestimmung. Die Veranstaltung beinhaltete eine lebhafte Diskussion zwischen Holloway, dem Publikum und einem Panel, zu dem Rocío Martínez, Jérôme Baschet und Juan López gehörten (GWR-Red.).

Graswurzelrevolution (GWR): John, könntest du kurz erklären, worum es in deinem neuen Buch geht und warum es dir wichtig war, es im CIDECI in San Cristóbal de las Casas vorzustellen?

John Holloway: Das Buch ist das dritte in einer Reihe, die versucht, über die Bedeutung von Revolution heute nachzudenken – und darüber, ob es überhaupt noch möglich ist, von Revolution zu sprechen. Das erste Buch, „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“, erschien 2002 und argumentierte, dass der zentrale Grund für das Scheitern der Revolutionen des 20. Jahrhunderts darin lag, dass sie sich auf den Staat und die Machtübernahme konzentrierten. Es ist dringender denn je, den Kapitalismus zu brechen, aber das kann nicht über den Staat geschehen. Die offensichtliche Frage ist dann: „Ja, aber wie?“
Im zweiten Buch, „Kapitalismus aufbrechen“, schlug ich vor, Revolution durch die Schaffung von Rissen in der kapitalistischen Herrschaft zu denken – durch das Erkennen, Schaffen, Erweitern, Multiplizieren und Zusammenführen von Rissen. Diese Risse sind Räume oder Momente, in denen wir Nein zur Logik des Geldes sagen und gesellschaftliche Verhältnisse auf einer anderen Grundlage schaffen. Solche Risse gibt es überall – große (wie die Zapatistas oder Rojava) und kleine (alle Arten von Widerständen, Kooperationsprojekten und Versuchen, andere Lebensweisen zu schaffen). Diese Risse sind immer widersprüchlich, weil wir in einer Welt leben, die vom Kapital geformt ist. Aber sie sind allesamt Vorstöße in Richtung einer anderen Welt – sie sind Widerstände und Rebellionen.
Dieses dritte Buch, „Hoffnung in hoffnungslosen Zeiten“, ist die „Enkelin“ von „Verändern“ und die „Tochter“ des „Risses“. Es entstand in einem düstereren Kontext, in dem revolutionäre Hoffnung schwieriger geworden ist. Die „Hoffnung“ schlägt einen etwas anderen Weg ein. Statt sich nur auf unsere Kämpfe zu konzentrieren, fragt sie, ob es möglich ist, in unseren Kämpfen eine wachsende Schwäche oder Fragilität des Kapitals zu erkennen.
Geld ist der Feind der Hoffnung, Geld ist der Feind des Lebens selbst. Hoffnung zeigt, dass unsere Widerstände-und-Rebellionen – auch wenn es nicht so scheint – das Geld in eine zunehmend fiktive Existenz drängen, nämlich durch die Ausweitung der Verschuldung. Wir haben das Kapital in eine Situation großer Fragilität gebracht, was sowohl beängstigend als auch hoffnungsvoll für uns ist.
Warum war die Präsentation im CIDECI so wichtig für mich? Weil das CIDECI eng mit den Zapatistas und anderen wichtigen Kämpfen verbunden ist.

GWR: In deinem Vortrag im CIDECI und in deinem Buch beziehst du dich auf europäische Philosophen wie Ernst Bloch (Das Prinzip Hoffnung) und die Frankfurter Schule. Siehst du Herausforderungen oder Stärken darin, diese europäischen Ontologie auf den globalen Süden anzuwenden, insbesondere im Kontext des zapatistischen Aufstands?

John Holloway: Ich glaube nicht, dass wir die Welt in Form von territorialen Abgrenzungen betrachten sollten. Die kapitalistische Welt ist eine Welt des Klassenkampfes, eine Welt, in der die Herrschaft des Geldes, die Herrschaft des Kapitals uns täglich angreift und uns in den Untergang zu treiben droht. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, ob wir in der Lage sind, die Organisation der Gesellschaft auf der Grundlage des Warentausches zu brechen und etwas anderes zu schaffen. Es ist ein globaler Kampf, wie die Zapatistas immer wieder betont haben. Menschen wie Ernst Bloch waren in diesem Kampf wichtige Inspirationen.

Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du dich entschieden gegen Identitätspolitik ausgesprochen und plädierst stattdessen für eine Politik, die das Geld und die Tauschlogik des Kapitalismus infrage stellt. Ist das korrekt? Und wie verhält sich das zu indigenen Identitäten sowie dem Wissen und den Praktiken der Maya, die im Zentrum der zapatistischen Bewegung stehen und vielen in den letzten Jahren Hoffnung gegeben haben?

John Holloway: Identität schließt uns ein, definiert uns. Wir sind Indigene, Deutsche, Frauen, Trans, Anarchist*innen oder was auch immer. Jede Identitätserklärung setzt ein Etikett auf uns – oder auf andere. Wir sperren uns in ein Bild ein. Widerstand-Rebellion-Revolution überschreitet und durchbricht Labels und drängt in-gegen-und-jenseits des Identitären. Die Zapatistas waren von Anfang an sehr anti-identitär. Sie sagen: „Wir sind Indigene, stolz auf unser Erbe, und mehr als das: Unser Kampf gilt der gesamten Menschheit. Unser Kampf ist für das Leben gegen das Geld, das heißt, für das Leben gegen den Tod.“

Es ist dringender denn je, den Kapitalismus zu brechen, aber das kann nicht über den Staat geschehen. Die offensichtliche Frage ist dann: „Ja, aber wie?“

Jede Politik, die innerhalb einer Identität verbleibt, ohne überzufließen (2), trägt zur Reproduktion kapitalistischer Unterdrückung bei. Der Aufstieg der Rechten ist nichts anderes als die Identifikation mit Wut, das Etikettieren von „anderen“ als Feinde.

Wie hängt der Kampf gegen den Kapitalismus mit dem Kampf für etwas Neues zusammen? Oft scheint der Fokus auf dem Widerstand gegen etwas zu liegen, anstatt für etwas zu kämpfen. Welche Rolle spielt eine positive Vision oder Utopie in deinem Buch und für dich persönlich?

John Holloway: Der Kapitalismus ist eine spezifische Form sozialer Kohäsion, die Menschen im Wesentlichen durch den Austausch von Waren und Geld zusammenbringt. Er bringt die Menschen auf eine Art und Weise zusammen, die uns buchstäblich zerstört. Den Kapitalismus zu überwinden bedeutet zwangsläufig, andere Formen des sozialen Miteinanders und andere Formen der Verbindung menschlicher Aktivitäten zu entwickeln. Während der Kapitalismus eine totalisierende Gesellschaft ist, die alle Aktivitäten einer einzigen Logik unterwirft (der Logik von Arbeit-Geld-Profit-Kapital), wollen wir eine Welt schaffen, die nicht auf die gleiche Weise totalisiert, die keine einheitliche Logik aufzwingt, sondern Selbstbestimmung auf vielen Ebenen erlaubt. Eine Welt vieler Welten, wie die Zapatistas sagen.

Für viele sind Hoffnung und Utopie Begriffe, die mit der Zukunft verbunden sind. Wie beziehen sie sich auf die Vergangenheit, und warum ist diese Verbindung wichtig?

John Holloway: Hoffnung ist eine Bewegung in-gegen-und-jenseits-von. Wir bewegen uns vom Dasein in der Welt zum Drängen gegen-und-jenseits-von. Das ist Geschichte, das ist Klassenkampf, das ist, woher wir kommen, und wohin wir gehen. Das ist unser kreativer Reichtum. Utopie ist kein fester Ort, den wir erreichen können; sie ist ein Überfließen, ein Drängen in-gegen-und-jenseits-von. Das Kapital versucht, uns einzuschränken – durch die Gewalt des Geldes, der physischen Gewalt, der Bildung –, aber wir drängen weiter, überfließen Grenzen.

Als jemand, der in der Klima-
gerechtigkeitsbewegung aktiv ist, scheint mir im Moment etwas zu fehlen. Vor fünf Jahren fühlte ich mich anders. Ich finde mich zunehmend bei Konzepten wie sozialer Revolution und dem zapatistischen Spruch „Wir müssen langsam gehen, denn wir haben einen weiten Weg vor uns“ wieder. Doch im Kampf gegen die Klimakrise haben wir nicht viel Zeit. Wie, denkst du, beeinflusst die Hoffnung unsere Theorien des Wandels?

John Holloway: Vielleicht fehlt ein Überfließen, ein weiterführendes Drängen. „Klimagerechtigkeitsbewegung“ ist ein schrecklicher Name, oder? Es geht nicht um Gerechtigkeit, und es geht nicht nur um fossile Brennstoffe. Es geht darum, eine Form der gesellschaftlichen Organisation zu brechen, die die Umweltgrundlagen der menschlichen Existenz zerstört. Natürlich geht es um soziale Revolution. Das Problem ist, dass „soziale Revolution“ allein zu abstrakt klingt. Alle Kämpfe sind konkrete Kämpfe, Kämpfe um konkrete Themen – und das muss so sein. Aber wir brauchen die Fähigkeit, darüber hinauszugehen. Wir müssen sagen: „Wir müssen den Tagebau bei Lützerath stoppen (zum Beispiel), aber wir müssen weitergehen. Wir müssen aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen, aber wir müssen weitergehen. Wir müssen eine Entwicklung stoppen, die auf der Jagd nach Profit basiert. Wir müssen den Kapitalismus brechen und andere Beziehungsweisen schaffen.“
Ich denke an eine „P.S.-Politik“. Wir müssen die lokale Biodiversität schützen, das Aussterben so vieler Lebensformen verhindern – und P.S.: Das bedeutet, dass wir die Beziehung zwischen Menschen und anderen Lebensformen ändern müssen – und P.S.: Das bedeutet, dass wir die Organisation der menschlichen Gesellschaft ändern müssen – und P. S.: Das bedeutet, dass wir den Kapitalismus abschaffen und eine kommunisierende Gesellschaft schaffen müssen. Dieses „P.S.“ ist ein „Und außerdem“, ein Überfließen. Wie viele Menschen, die den ersten Teil des Satzes akzeptieren („Wir müssen die lokale Biodiversität schützen“), werden mit dem letzten Teil übereinstimmen („Wir müssen den Kapitalismus abschaffen und eine kommunisierende Gesellschaft schaffen“)? Wir wissen es nicht: vielleicht sehr wenige, vielleicht sehr viele. Es ist ein Überfließen, das wir artikulieren müssen – nicht, indem wir mit der Schlussfolgerung beginnen („Wir brauchen eine soziale Revolution“), und nicht, indem wir diejenigen, die am Anfang stehen („Biodiversität schützen“), als Reformist:innen abtun.
Zur Spannung zwischen dem zapatistischen „Wir gehen langsam, denn wir haben einen weiten Weg vor uns“ und der Dringlichkeit, den Kapitalismus zu zerstören, bevor er uns zerstört, weiß ich keine Antwort. Es ist eine schwierige Frage. Im Englischen gibt es das Sprichwort: „More haste, less speed“ (Eile mit Weile). Vielleicht ist das die Antwort.

Möchtest du noch etwas hinzufügen? Und wird das Buch auch auf Deutsch erscheinen?

John Holloway: Ja, das Buch wird 2025 im Mandelbaum Verlag in Wien veröffentlicht. Es wird bereits von meinem Freund Lars Stubbe übersetzt, sodass es bestimmt besser wird als das englische Original.

Danke für das Interview und auch für die Hilfe bei der Übersetzung an Lars.

(1) Siehe dazu auch die John Holloway-Interviews und Artikel in der GWR: https://www.graswurzel.net/gwr/?s=John+Holloway
(2) Anmerkung Lars Stubbe: Overflowing, das Überfließen, steht in Holloways Interpretation für die Verkörperung der Hegelschen ”reinen Unruhe des Lebens”, nämlich, dass das Leben nicht in kapitalistische oder andere Formen der Unterdrückung eingehegt werden kann, und ihm deswegen die Hoffnung auf eine Befreiung innewohnt.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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