die waffen nieder

„Neue“ Militärdienstpflicht und Kriegsdienstverweigerung

| Franz Nadler, Connection e.V.

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„Mit Mach 2 das Verderben bringen“; „In unseren Chatgruppen gibt es für jedes Hitler-Meme ein Herz“; Bundeswehr-Adbusting, siehe Artikel auf Seite 6 - Foto: Werkstatt für Antifaschistische Aktionen (w2a)

Die Bundestagswahl im Februar 2024 verheißt auch aus antimilitaristischer Sicht nichts Gutes. Mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz droht ein weiterer Rechtsruck und die verstärkte Remilitarisierung der Gesellschaft. CDU/CSU planen die Wiedereinführung von Zwangsdiensten, einer „richtigen“ Militärdienstpflicht bzw. eines „Gesellschaftsjahres“. (GWR-Red.)

Ich verwende den Begriff Militärdienstpflicht, denn er ist neutral, im Gegensatz zu „Wehrpflicht“, obwohl es eigentlich Kriegsdienstpflicht heißen müsste.

Wenn man Politik und Medien verfolgt, stellt man fest, dass selten die Hintergründe von Kriegen beleuchtet werden. Russland hat scheinbar ohne Grund, aus heiterem Himmel, die Ukraine angegriffen, und die Hamas unschuldige Israelis.
Die fehlende Aufklärung über die Entstehung von Kriegen führen aber, da die Motive scheinbar keine Rolle spielen, zu einer fatalen Positionierung für eine Seite in diesen Kriegen. Auffallend dabei ist, dass Deutschland immer auf der Seite der Guten steht, dass wir die „regelbasierte“ (Welt-) Ordnung vertreten, die die bösen Anderen verletzen. Hintergründe sind aber wichtig, um das Geschehen zu verstehen und um gerechte Lösungen zu finden. Das ist die Verfahrensweise für die Politik, die ich bevorzugen würde. Die andere ist, die jeweiligen Kriege als Herausforderung für militärische Reaktionen anzusehen, durch Aufrüstung und Waffenlieferungen und eigenes militärisches Dazu- und Mittun. Ich stelle mir die Frage: Werden wir immer nur von den bösen Anderen vor vollendete Tatsachen gestellt – oder ist der Westen nicht auch eine der Ursachen der kriegerischen Geschehen?

Im Sommer 2024 hat der momentan beliebteste deutsche Politiker, Militärminister Pistorius, eine Weltreise gemacht. Er war in Alaska, auf Hawaii, im Indopazifik … und was weiß ich, wo noch. Er hat deutsche Truppen besucht, die dort überall bei Manövern waren. Manöver sind kriegsvorbereitende Übungen.

Als ich 16 war, kam ein Jugendoffizier an meine Schule und wollte unsere Einwände entkräften, indem er uns sagte, dass die NATO und die Bundeswehr nur zur Verteidigung da sind, z. B. wenn wir von Russland angegriffen werden. Die Russen könnten aufgrund ihrer Übermacht in drei Tagen am Rhein sein – und da muss man sich eben militärisch verteidigen können. Damals hieß es auch: Wenn Vietnam fällt, dann wird bald ganz Asien kommunistisch sein. Und all das wollte nun wirklich niemand. Es ist wie heute mit der Angriffslust Russlands und dem „Sieg“ der Ukraine. „Wir gehen davon aus, dass Russland … bis 2029 in der Lage ist, NATO-Territorium anzugreifen“, so die Begründung für die Militärdienstpflicht. Man kann das glauben, muss es aber nicht – es gibt Alternativen!

Dieses alte Modell, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung Deutschlands da ist, gilt schon lange nicht mehr. Man denke nur an Jugoslawien, Afghanistan usw. Man behauptete, die Bevölkerung zu schützen, hat Brunnen gebohrt, Mädchenschulen errichtet – und die Feinde massakriert. Hinterher, als es nichts mehr zu beschönigen gab, ist man abgezogen. Die NATO ist schon längst kein nordatlantisches Verteidigungsbündnis mehr, wenn sie das jemals gewesen sein sollte. Heute versteht sich die NATO als weltweite Ordnungsmacht der westlichen Welt unter Führung der USA. Die NATO schützt inzwischen weltweit unsere Werte, unsere Interessen, unsere Handelswege… Als würde die Welt uns gehören. Wer diese Dominanz nicht akzeptiert, soll eingeschüchtert und zur Not auch durch die militärische Überlegenheit nieder gehalten werden. Deutschland, und damit die Bundeswehr, ist, nach den USA, inzwischen die zweitwichtigste Macht in diesem Kampf um die Vorherrschaft.

Um China in die Schranken zu weisen, fuhren im Herbst zwei deutscher Militärschiffe nahe der dortigen Küste vorbei. Pistorius weiß genau, wie das dort ankommt. Süffisant verkündet er: Das „ist der kürzeste und angesichts der Wetterlage auch der sicherste Weg“. (SZ – 14.9.24) Ich stelle mir vor, chinesische Kriegsschiffe würden vor der deutschen Nordseeküste auftauchen – was da los wäre! Mit Indien hat man gerade eine Kooperation gegen China vereinbart – auch da war Pistorius mit dabei – und, um Russland einzuschüchtern werden derzeit in Litauen 5.000 deutsche Soldaten stationiert. Auch die neuen Raketen, die hier aufgestellt werden sollen (vgl. GWR 493), sollen diesem Zweck dienen. Mir scheint klar, dass die Vorgabe, weltweit „kriegstüchtig“ zu werden, ernst gemeint ist.

Probleme, Konflikte lösen, auch mal Zugeständnisse machen, steht nicht mehr auf der Tagesordnung. Ein Hinweis: Im Haushaltsentwurf für 2025 wurden die Mittel für zivile Konfliktbearbeitung erneut massiv gekürzt. Ich sehe diese Situation als extrem problematisch an. Als verantwortlich dafür sehe ich die deutsche Regierung an, die uns Kriegsbereitschaft als Sicherheit anpreist.

Die Bundeswehr hat derzeit etwa 180.000 Soldatinnen und Soldaten. Für die geplanten weltweiten „Operationen“ – so nennen sie das, als würde ein kranker Körperteil dadurch repariert – braucht man mehr. Die neuen NATO-Anforderungen lauten auf (erstmals) 35.000 zusätzlich. Die Kampftruppenbrigaden sollen bis 2031 von 82 auf 131 steigen, (dpa, 14.10.24) und die Anzahl der ReservistInnen von 60.000 auf 260.000. Schon in der Vergangenheit hatte man deswegen Verschiedenes unternommen. Da nicht genug Männer dazu bereit waren, hat man die Bundeswehr für Frauen geöffnet. Man hat Freiwilligen-Bataillone für die Heimatverteidigung aufgebaut. Man nimmt inzwischen auch sexuelle Minderheiten, alle Glaubensrichtungen und sogar Minderjährige.

Aber: Obwohl immer mehr Geld für Werbung von neuen Rekruten ausgegeben wird, melden sich nicht genug Freiwillige. Man ist gerade mal in der Lage, die Abgänge aufgrund von Alter auszugleichen. Wie üblich liegt der Fokus auf „Arbeiter und Bauern“, wie ich das nenne. Auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen: Erfolg mit der Werbung hat man eigentlich nur in den abgehängten Gegenden, im Osten Deutschlands und auf dem Land im Westen sowie bei immer mehr NeubürgerInnen. Dementsprechend finden die „Tage der Bundeswehr“ so gut wie nie in Großstädten statt.

Den Deklassierten der Gesellschaft will man einen Aufstieg ermöglichen, sie sollen das neue Kanonenfutter sein. Mir fällt dazu die Situation im Ersten Weltkrieg ein, als man für den Krieg auch die damals diskriminierten Juden gut gebrauchen konnte. Diese sahen das Ansinnen in der Regel als Chance zur gesellschaftlichen Anerkennung.
Viele meldeten sich freiwillig, 100.000 kämpften und bekamen Orden und Auszeichnungen, so sie überlebten. 1933 konnten sie sich gar nicht vorstellen, dass auch sie dann in den KZs landeten. Ihre „Opferbereitschaft“ sei ihnen nicht gedankt worden, so gerade Adi Josepovici von der Frankfurter Jüdischen Gemeinde. (FR, 15.11.24)

Aber bleiben wir beim Heute. Alle Rekrutierungskampagnen verliefen bislang im Sande. Eine Armee ist eine autoritäre Sache. Zum Befehlsempfänger degradiert zu werden, der Drill zum Töten, Ermorden von Menschen auf Befehl, sich als Zielscheibe zur Verfügung zu stellen, das ist erfreulich unpopulär und nicht jedem gegeben.

Bei der Betrachtung der Namen der militärischen Bosse fällt auf, dass da verdammt viele aus dem Ständestaat von anno dunnemals auftauchen: Von, Freiherr von… de Maiziere, Graf Baudissin, Graf von Kielmannsegg usw. Es gibt scheinbar auch bei uns immer noch so etwas wie eine Kriegerkaste, die da entscheidend mitwirkt. Das sind die Befehlshaber, bei den Toten sind sie nicht zu finden.

Als man nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eine neue Armee errichtete, konnte man nicht einfach die Wehrmacht reaktivieren. Aufgrund der ungeheuren Verbrechen, die sie begangen hat, war das nicht mehr möglich. Aber die damaligen Soldaten und Befehlshaber hatten Erfahrung – man brauchte sie. 31 der 38 Generale, die die Bundeswehr bei ihrer Gründung besaß, hatten schon unter Hitler dem Generalstab der Wehrmacht angehört, und von den 14.500 Berufssoldaten des Jahres 1959 hatten 12.360 bei der Wehrmacht oder der Waffen-SS gedient.

Kurz: Die alten Landser bildeten den Kern der neuen Bundeswehr. So ist es kein Wunder, dass auch heute noch aus dem Oliv immer wieder das Braun durchschimmert. Armeen sind immer auch eine Zusammenballung von Nationalisten, Rassisten, Maskulinisten, Nazis… Es ist eindeutig: Die ideologische Verortung der Bundeswehr ist rechts. Die AfD hat dort ihre stärkste Verankerung. Die bekanntgewordenen Naziskandale sind nur der Gipfel des Eisbergs. Und jetzt obendrauf: der Kriegskurs der Regierung.

Den Deklassierten der Gesellschaft will man einen Aufstieg ermöglichen, sie sollen das neue Kanonenfutter sein

In Schweden hat man festgestellt, dass sich schon im Militärdienst Banden gebildet haben, die im Anschluss zu einer signifikant erhöhten Kriminalität geführt haben. (vgl. ifo-Studie) Dies trifft auch auf Deutschland zu. Viele sogenannte braune Netzwerke haben ihren Ursprung im gemeinsamen Militärdienst. Waffen und Munition beziehen sie darüber.

Das bringt aber auch immer mehr Menschen zum Nachdenken und Handeln. Mehr als ein Viertel der neu geworbenen Freiwilligen kündigt in den ersten Monaten gleich wieder. Seit Beginn des Ukrainekrieges hat sich die Anzahl der SoldatInnen und ReservistInnen, die einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt haben, verfünffacht. Es sind zwar immer noch wenige, aber die Zahlen zeigen nach oben. Die Anträge auf Kriegsdienstverweigerung (von Ungedienten, SoldatInnen und ReservistInnen): 2022: 1.100, 2023: 1.609 und bis Ende August 2024: 2.053.

Dienstpflichtige haben für das Militär Vor- und Nachteile.

Zu den Vorteilen zählen: Man kann so für einen Krieg das benötigte menschliche Material bereitstellen. Man muss ihnen lediglich einen mickrigen Sold gewähren. Da sie weitgehend entrechtet sind, haben sie auch kaum Möglichkeiten, sich dagegen aufzulehnen. Sie können für die Armee als Zeit- und BerufssoldatInnen gewonnen werden. Sie bilden als ReservistInnen ein unverzichtbares Reservoir, auf das im Kriegsfalle zurückgegriffen werden kann. Und schließlich kann man darüber den militärischen Gedanken in der Bevölkerung verankern.

Aber es gibt auch gravierende Nachteile: Besonders groß sind die Lücken der Bundeswehr bei den SpezialistInnen, z. B. im IT-Bereich. Sie wird man wohl kaum über die Militärdienstpflicht gewinnen können. Die Jugendlichen werden – z. B. für ein Jahr – aus dem Berufsleben herausgerissen, zahlen keine Steuern, sondern sind für den Staat ein zusätzlicher Kostenfaktor. Schon jetzt werden händeringend Lehrlinge gesucht – da wird sich dieses Problem sicher noch vergrößern. Wer zum Militär gezwungen wird, hat normalerweise kein besonderes Interesse an diesem Dienst; sie wollen ihn möglichst schnell hinter sich bringen und betrachten ihn als „vertane Zeit“. Das ist alles ein großer Aufwand, und schon nach einer arg kurzen Grundausbildung sind sie wieder weg. Es stellt sich die Frage, ob dabei mehr als „Kanonenfutter“ herauskommt? Ob sie im Kriegsfalle wieder kommen, steht auch in den Sternen.

Und dann gibt es noch das Problem, dass die Debatte um den Sinn des Ganzen in der Gesellschaft wirklich geführt wird. Wie die Erfahrung zeigte: Gymnasiasten verweigern, Hauptschüler und solche ohne Berufsabschluss landen beim Militär. Sie müssen nach einem Kriegseinsatz die Folgen (Traumatisierung, Verletzung) tragen.

Für ein Deutschland im Krieg braucht man aber nicht nur Waffen und SoldatInnen. Ganz wesentlich ist das Zivile, das den militärischen Planungen untersteht. Jetzt werden wieder für eine Mrd. Euro Bunker gebaut und auch die gesundheitliche Versorgung soll wieder „kriegstüchtig“ werden. Da ich mich vor allem mit dem Ukrainekrieg auseinandersetze: Viele, oftmals schwer verletzte ukrainische Soldaten werden in Deutschland wieder zusammengeflickt, um dann wieder in den Krieg geschickt zu werden. Was mich aber an dieser Sache hellhörig machte, war, dass das nicht in den dafür besonders ausgestatteten Bundeswehrkrankenhäusern passiert, sondern in zivilen. Die Bundestagsabgeordnete von den Linken, Kathrin Vogler, hat das nachgefragt und zur Antwort bekommen, dass die zivilen Krankenhäuser sich eben schon mal an Kriegsverletzte gewöhnen sollen.

Eine allgemeine Militärdienstpflicht einzuführen, das ist gar nicht so einfach. Wir leben in einem Staat, in dem es eigentlich keine geschlechtsspezifische Diskriminierung mehr geben darf. Würden Männer und Frauen zu einem Dienst herangezogen, wären das pro Jahr bis zu 800.000. Klar, man kann die Zahl durch Ausmusterungen und Unabkömmlichkeitsstellungen reduzieren und die Dienstzeit absenken. Und selbst wenn dann 50 Prozent verweigern würden, wären das noch immer viel zu viele. Man hat nicht genügend AusbilderInnen, Uniformen, Kasernen, Waffen, Truppenübungsplätze… Die Kosten würden alles derzeit Mögliche bei weitem übersteigen.

Da passt der Gedanke, der bei vielen, auch friedenspolitisch Aktiven im Kopf herumschwirrt: eine allgemeine Dienstpflicht, manchmal auch Gesellschaftsjahr genannt. Vom Rechtlichen her ist das als Zwangsarbeit zu charakterisieren und gemäß Grundgesetz und internationalen Abkommen verboten. Die Einsatzbereiche könnten in etwa denen des momentan nicht durchgeführten Zivildienstes und der sog. Freiwilligendienste entsprechen. Stärkster Verfechter dieser Idee ist der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Von den Parteien hat als erste die AfD, und nun auch die CDU, Militärdienstpflicht und Dienstjahr in ihr Programm aufgenommen. Sollte es dazu kommen – und derzeit sieht alles danach aus –, könnte die allgemeine (Militär-)dienstpflicht für Männer und Frauen uns tatsächlich blühen. Denn alle, die die Bundeswehr nicht verwenden kann, müssten dann halt ins Gesellschaftsjahr. Oder anders herum: Das Gesellschaftsjahr ermöglicht erst eine allgemeine Militärdienstpflicht.

Wie ausgeführt, die Rückkehr zur Militärdienstpflicht gestaltet sich nicht so einfach. Man muss klein anfangen und darf nicht von vorneherein alles vermasseln. Man hat sich in anderen Ländern umgesehen und ist in Norwegen und Schweden fündig geworden. Dort gibt es eine Auswahl-Militärdienstpflicht sowohl für Männer als auch für Frauen.

Im Juni ging dann Pistorius mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit. Wie bereits in den vergangenen Jahren werden, anhand der von den Einwohnermeldeämtern übermittelten persönlichen Daten, alle 17-Jährigen angeschrieben. Gegen die Datenweitergabe kann Widerspruch eingelegt werden (siehe dazu den GWR-Artikel auf Seite 5). Männer wie Frauen bekommen einen Fragebogen mit ca. 40 Fragen. Frauen können die Fragen beantworten, Männer müssen es, denn nur sie sind nach dem Grundgesetz militärdienstpflichtig. Wer sich weigert, kann bestraft werden. Das Strafmaß ist derzeit noch unbekannt. Eine wesentliche Frage wird dabei sicherlich sein, wie man sich zu einem Dienst in der Bundeswehr stellt. Aus den dann eingehenden mehreren Hunderttausend Antworten sollen dann aus den „Geeignetsten und Motiviertesten“ 40.000 ausgewählt und dann zur Musterung und einem Vorstellungsgespräch einbestellt werden. Aus diesem Pool will man dann erstmal 5.000 rekrutieren. Mehr kann die Bundeswehr zurzeit noch gar nicht verkraften. Aber schon bei der nächsten Einberufungsrunde sollen es dann mehr werden. Jene, die beim ersten Mal nicht in die engere Wahl kamen, sollen innerhalb von zehn Jahren ein zweites Mal befragt werden. Finden sich nicht genug „Freiwillige“, soll es zu Zwangsverpflichtungen kommen.

Die neu Rekrutierten sollen dann zu einem auch militärisch durchaus fragwürdigen sechsmonatigem Dienst herangezogen werden. Zugleich macht man ihnen das Angebot einer Verpflichtung auf 23 Monate.

Die Frage ist, ob es dazu wirklich kommt? Zwar wurde dieses Konzept des „Neuen Wehrdienstes“ im November 2024, bei der letzten Kabinetts-Sitzung, vor dem Rauswurf der FDP, noch schnell abgesegnet. Aber: Beschlossen ist das deswegen noch nicht; es fehlen noch die Zustimmung des Bundestags und des Bundesrates. So kann es gut sein, dass mit einer neuen Regierung deren Vorstellungen zum Tragen kommen: eine „echte Wehrpflicht“ mit „verpflichtendem Gesellschaftsjahr“.

Wie ist das zu bewerten und welche Widerstands-
möglichkeiten sehe ich?

Gemäß dem Grundgesetz sind Männer und Frauen gleichgestellt, es darf niemand diskriminiert werden, gleichzeitig ist derzeit eine Militärdienstpflicht nur für Männer möglich. Der Widerspruch ist offensichtlich und rechtlich vermutlich auch nicht haltbar. Für eine allgemeine Dienstpflicht und eine Militärdienstpflicht auch für Frauen wäre jeweils eine Grundgesetzänderung notwendig. Von daher ist absehbar, dass eine neue Regierung von CDU/CSU, SPD und vermutlich auch der Grünen, sich um diese Fragen wohl nicht streiten und alles beim Alten belassen wird. Es wird vermutlich erstmals so kommen, wie es immer war: Die Männer sollen dienen. Gleichzeitig wird das Gesellschaftsjahr für alle vorbereitet.

Erstmals 5.000 zusätzliche Soldaten? Das dürfte wohl klappen. 40.000 bis zur Erreichung der „Kriegstüchtigkeit“ im Jahre 2031 mit dann 220.000? Das dürfte sich schon schwieriger gestalten. Militärdienstpflicht und „Gesellschaftsjahr“ für Männer und Frauen? Das ist zwar absehbar, aber ob es wirklich so kommt, ist noch unklar. Klar dagegen ist: Die gesellschaftlichen Kosten wären enorm. Und auch wenn an den Dienstleistenden gespart wird, billig wird das nicht. Man kann am Sozialen, an Umwelt usw. sparen oder die Steuern erhöhen. Es kommt auf das Gleiche raus: Die Kosten hat die Gemeinschaft zu tragen. Das ifo-Institut hat errechnet: Würde man einen gesamten Jahrgang einberufen, käme es zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,6 Prozent oder 70 Milliarden Euro. Militärdienstpflicht und Gesellschaftsjahr zusammen wären in etwa so teuer wie der Verteidigungshaushalt und das Sondervermögen.

Auch wenn ich hoffe, dass es, trotz aller Bereitschaft, zu keinem Krieg kommt, bei dem Deutschland angegriffen wird: Klar dürfte sein, dass dann, wie wir aktuell in Russland und der Ukraine sehen, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung unter Druck geraten wird. Dafür gibt es auch hier bereits Anzeichen. So äußerte sich zum Beispiel die Staatssekretärin des Bundesinnenministeriums, Rita Schwarzelühr-Sutter in Bezug auf die aus der Ukraine geflohenen Männer: Es sei „vertretbar, dass die Interessen des Einzelnen hinter denen des Staates als Ganzes zurücktreten müssen“. (Neues Deutschland, 11.6.24) Ähnlich der CDU-Politiker Michael Stübgen: „Territoriale Integrität ist wichtiger als Freiheit und Unversehrtheit des Einzelnen.“ (Freitag, 1.8.24)

Im Kriegsfall würden auch die Notstandsgesetze in Kraft treten, nach denen alle, also auch ehemalige Zivildienstleistende, bis zum Alter von 65 Jahren zu Kriegshilfsdiensten, auch für andere NATO-Staaten, verpflichtet werden.

Wir fordern SoldatInnen und insbesondere auch ReservistInnen auf, zu verweigern. Das tun auch immer mehr. Das gilt es zu verstärken.

In Bezug auf die aktuelle Situation scheint es mir aber wichtig, auch über andere Widerstandsmöglichkeiten, gerade für die Jugendlichen, nachzudenken. Wie wir alle wissen: Der funktionale Analphabetismus in Deutschland nimmt zu. Papierene Formulare sind out. Jugendliche verstehen Fragen falsch, erfassen die Wichtigkeit eines solchen Fragebogens nicht richtig oder sind schlichtweg einfach vergesslich. Da wird es dann vermutlich erneut Aufforderungen geben. Es wird zudem bestimmt auch überzeugte Ausfüllungsverweigerer geben, die jede Kooperation mit dem militärischen Ansinnen ablehnen. Falls sie sich beharrlich weigern und auch nicht bereit sind, eine Geldbuße zu zahlen, müssen sie mit Arbeitsstunden und Gefängnis rechnen. Das wäre schon mal ein wichtiger Punkt, auf den wir uns in unseren Aktivitäten konzentrieren könnten.

„Allein machen sie dich ein“ haben schon Ton Steine Scherben gesungen. Wir fordern die jungen Leute auf, sich zu organisieren oder sich den bestehenden antimilitaristischen Organisationen, wie z. B. der IDK oder der DFG-VK, anzuschließen.

Viel wichtiger scheint mir aber, dass wir den Kriegskurs stoppen. Es gilt, das gesellschaftliche Bewusstsein umzukehren. Es darf nicht sein, dass die derzeit relevanteste Jugendbewegung, die Klimagerechtigkeitsbewegung, sich zu Kriegen ausschweigt, bzw. sich gar für Waffenlieferungen in Kriegsgebiete einsetzt. Unsere Aufgabe ist es, mit ihnen zu reden. Wir sind solidarisch mit allen Kriegsdienstverweigerern, Militärdienstentziehern und Deserteuren, gerade aus aktuellen Kriegen. Wir unterstützen sie dabei, wenn sie in Deutschland Asyl suchen.

Ich ende mit einem Zitat von Albert Einstein, der unsere Aufgabe sehr richtig formulierte:
„Nichts wird Kriege abschaffen, wenn nicht die Menschen selbst den Kriegsdienst verweigern.“

Franz Nadler ist aktiv bei Connection e.V. in Offenbach. Im April 2024 erschien seine dreiteilige Artikelserie „(Arbeits-)Dienstpflicht? Hatten wir schon, brauchen wir nicht!“ in der GWR 486, im November 2024 hat er in der GWR 493 über „Deserteure des Zweiten Weltkrieges“ berichtet.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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