polizei & gewalt

Polizeigewalt, Vertuschung, Straffreiheit – eine unendliche Geschichte

Ungeklärte Todesfälle auf Polizeiwachen in Athen

| Ralf Dreis, Thessaloníki

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"Bestrafung der Mörder"forderten am 12. Oktober Demonstrant*innen auf der Kundgebung der KEEFRA - Fotoquelle: https://antiracismfascism.org/images/episitismos_4.jpeg

Nach den ungeklärten Todesfällen des 37-jährigen Mohamed Kamran Asik aus Pakistan und des 29-jährigen Mia Charizoul aus Bangladesch in zwei berüchtigten Athener Polizeiwachen, wächst nicht nur bei Migrant*innen in Griechenland die Wut. Die ersten Reaktionen von Polizei, Justiz und autoritärer Néa Dimokratía-Regierung deuten auf eine weitere Vertuschung mutmaßlicher Polizeimorde hin.

Wie in der GWR 493 berichtet, war Asik nach einer achttägigen Odyssee durch fünf Athener Polizeireviere am 21. September 2024 mit schwersten Folterspuren tot in der einzigen nicht von Kameras überwachten Arrestzelle des Reviers von Ágios Panteléimon aufgefunden worden. Charizoul soll sich am 01. Oktober 2024 kurz nach der Inhaftierung mit seinem T-Shirt selbst erhängt haben – ebenfalls in der einzigen nicht mit Kameras ausgestatteten Zelle des im Zentrum Athens gelegenen Reviers Omónia. Die elf in der gleichen Zelle festgehaltenen migrantischen Mitgefangenen sollen davon nichts bemerkt haben.

Trotz der vehementen Forderung linker Oppositionsparteien, antirassistischer, anarchistischer und antifaschistischer Gruppen und griechischer Menschenrechtsvereinigungen nach Aufklärung, scheinen die staatlichen Ermittlungen den in Griechenland üblichen Verlauf zu nehmen. Ungeachtet aller offensichtlichen Widersprüche und Lügen in den polizeilichen Stellungnahmen, deutet alles auf eine Vertuschung der Todesumstände und die letztendliche Straffreiheit für die polizeilichen Täter hin. So gab die Polizei noch immer keine Antwort darauf, warum Asik von Revier zu Revier verschleppt wurde, und warum ihm die Kontaktaufnahme mit Angehörigen oder Anwälten verboten wurde. Unklar bleibt ebenfalls, was mit seinen beiden Handys, seinen Papieren und Haustürschlüsseln geschah. Diese wurden auf der Polizeiwache Omónia „zur Habe genommen“ und sind danach nie wieder aufgetaucht. Ebenso keine Antwort gibt es auf die Frage, warum die Polizei das Opfer in ihrem Bericht als obdachlosen Drogenkonsumenten bezeichnet, der kein Griechisch kann. Tatsächlich lebte Asik seit 20 Jahren in Griechenland, sprach perfekt griechisch und verfügte über legale Papiere, einen sozialversicherten Job und eine eigene, auf seinen Namen gemietete Wohnung. Die für seine schweren Verletzungen mutmaßlich verantwortlichen Täter sind nach wie vor im Dienst.

Sowohl die Omónia- als auch die Ágios Panteléimon-Wache sind berüchtigt und haben laut Geórgios Poulópoulos von der unabhängigen Polizeibeobachtungsstelle Copwatch eine lange Vorgeschichte aus brutalem Rassismus, Folter, Vergewaltigung, Vertuschung und ungeklärten Todesfällen.

Auf Bildern von Überwachungskameras der ersten vier Polizeireviere scheint Asik nicht oder nur leicht verletzt zu sein, was darauf hindeutet, dass ihm die schrecklichen Folterspuren auf dem ganzen Körper von Beamten des Reviers von Àgios Panteléimon zugefügt wurden.

Auch im Fall Charizoul gibt es mehr offene Fragen als Antworten. Warum soll sich ein 29-Jähriger, der wegen der angeblichen Beschädigung eines Streifenwagen festgenommen wird, nur anderthalb Stunden später in der Arrestzelle erhängen? Ohne dass seine elf Mitgefangenen etwas bemerken oder eingreifen?

Sowohl die Omónia- als auch die Ágios Panteléimon-Wache sind berüchtigt und haben laut Geórgios Poulópoulos von der unabhängigen Polizeibeobachtungsstelle Copwatch eine lange Vorgeschichte aus brutalem Rassismus, Folter, Vergewaltigung, Vertuschung und ungeklärten Todesfällen. Beamte pflegten enge Kontakte mit der Naziorganisation Chrysí Avgí. Sie waren in Fälle von Korruption bzw. Komplizenschaft bei Schmuggel, Drogenhandel und Geldwäsche verwickelt. Die am 04. Oktober 2024 ohne Begründung erfolgte Versetzung des Revierleiters der Omónia-Wache wird von politischen Beobachtern in Athen als „reiner Aktionismus“ bezeichnet. Für die autoritäre ND-Regierung ein dringend nötiges Zeichen an die internationalen Partner, rufen die Tode der beiden Migranten doch nun die Vereinten Nationen auf den Plan. In den kommenden Wochen wird eine UN-Delegation in Athen erwartet, um verschiedene Polizeireviere zu besuchen und sich vor Ort ein Bild über die dort herrschenden Zustände zu machen. Schon seit einiger Zeit äußern auch europäische Institutionen ihre Besorgnis über den immer offensichtlicheren Bruch des Landes mit der europäische Rechtskultur, nicht zuletzt wegen der anhaltenden Polizeigewalt und Willkür. So war die in Griechenland rechtlich zuständige Stelle, der beim Ombudsmann angesiedelte „Nationale Mechanismus zur Untersuchung von polizeilichen Willkürvorfällen”, in nur fünf Jahren gezwungen, mehr als 1200 gemeldete Fälle zu untersuchen. Eingeräumt wird dabei, dass dies „nur die Spitze des Eisbergs” sei. Die unabhängige „Nationale Menschenrechtskommission” hat die Vorfälle als „wiederkehrende Fälle von Polizeigewalt” bezeichnet, die durch „eine endemische Kultur der Straflosigkeit verstärkt” werde. Der Ausschuss des Europarats zur Verhütung von Folter hat 2020 zum wiederholten Mal seine „tiefe Besorgnis” darüber zum Ausdruck gebracht, dass „polizeiliche Übergriffe nach wie vor gängige Praxis im gesamten griechischen Hoheitsgebiet sind” und dass „das bestehende System zur Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen nicht als wirksam angesehen werden kann“. Internationale Gerichte haben das Land wiederholt wegen des rechtswidrigen Verhaltens der Polizei gegenüber Bürger*innen verurteilt. Internationale und griechische Organisationen der Zivilgesellschaft haben vielfach Berichte über Polizeigewalt in Griechenland veröffentlicht und bezeichnen sie als „systemisches Phänomen”.

„Polizei, Gewalt und Bürgerrechte“

Die der Wochenendausgabe der genossenschaftlichen Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón (Efsyn) vom 02. November 2024 beigelegte wissenschaftliche Studie „Polizei, Gewalt und Bürgerrechte“ der Griechischen Vereinigung für Menschenrechte (ELEDA) beleuchtet die Entwicklung und Ausweitung der grassierenden Polizeigewalt im Land. Im Interview mit Efsyn betont Andréas Tákis, einer der wissenschaftlichen Mitverfasser der Broschüre und Vorsitzender der ELEDA, dass es polizeiliche Gewalt und den Versuch ihrer Vertuschung zwar immer gegeben habe, sich deren Ausmaß und die Dreistigkeit der damit verbundenen polizeilichen Lügen jedoch seit der gesellschaftlichen Krise nach der Ermordung von Aléxandros Grigorópoulos 2008 immer mehr gesteigert habe. „Seitdem beobachten wir nicht nur eine systematische Eskalation dieser so genannten Einzelfälle sondern auch ein völlig neues Verhältnis der griechischen Polizei zur Wahrheit. Nicht dass sie zuvor immer aufrichtig gewesen wären, aber zumindest bekamen sie Angst in Fällen, wo man ihnen etwas unbestreitbar nachweisen konnte. Inzwischen beobachten wir, dass sie auch dann wollen, dass die Medien informell darüber berichten, wenn sie sich nicht rechtskonform verhalten haben, um so politisches Kapital daraus zu schlagen.“

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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