editorial

Alles so schön bunt hier?

Aufstehen gegen Menschenfeindlichkeit – überall!

| Bernd Drücke

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Liebe Leser:innen,

Erich Fried (1921–1988) gehört mit seinen politischen „Warngedichten“ seit meiner Jugend zu meinen Lieblingslyrikern. Kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland wurde sein Vater im Mai 1938 von der Gestapo zu Tode gefoltert. Daraufhin floh Erich nach London, wo er bis zu seinem Tod lebte. In der Erzählung „Der große Tag von Linz“ erinnert sich der Antifaschist an den 12. März 1938 und die Live-Radioübertragung von Hitlers Triumphzug von Passau nach Linz, die er, zutiefst schockiert, mit seinem Vater in ihrer Wiener Wohnung wie gelähmt verfolgte.
Ein Gefühl der Lähmung empfinden heute viele Menschen angesichts des extremen Rechtsrucks, der sich nicht nur in den USA mit der „Machtergreifung“ des Trumpismus zeigt. In Österreich zeichnet sich eine Koalition der rechtskonservativen ÖVP unter Führung der zunehmend neofaschistischen FPÖ ab. Jens Kastner aus Wien fragt in seinem Artikel auf Seite 2 dieser GWR mit Blick auf den FPÖ-Hetzer Kickl: „Bekommt Österreich jetzt den ‚Volkskanzler’?“ Es scheine fast so, „als wollten Liberale und Konservative beweisen: Der linke Demospruch, dass hinter dem Faschismus das Kapital steckt, […] zwar plump, aber wahr“ sei.
Bei der Bundestagswahl am 23. Februar in Deutschland droht Ähnliches. Es zeichnet sich ein Sieg der unter Friedrich Merz stark nach rechts gewanderten Union ab. Die vom reichsten Mann der Welt, Elon Musk, unterstützte AfD liegt in Umfragen vier Wochen vor der Wahl bei über 20 Prozent.
Vor einem Jahr gab es die größten antifaschistischen Proteste in der Geschichte der Bundesrepublik. Millionen Menschen gingen auf die Straße, nachdem die als „Remigration“ verniedlichten Deportationspläne der AfD bekannt wurden. Jetzt lässt sich Kanzlerkandidat Merz von Trump inspirieren und will seine bei der AfD abgekupferten Massenabschiebungspläne „am ersten Tag“ umsetzen, auch mit den Stimmen der AfD. Gegen die rassistische Hetze und den aufkommenden Faschismus gehen jetzt wieder zigtausende Antifas auf die Straße. Gut so! Am 25. Januar 2025 waren es in Berlin 100.000 und in Köln 40.000 Menschen. In der Kleinstadt Riesa demonstrierten am 11. Januar 15.000 gegen den AfD-Parteitag (siehe Bericht auf Seite 4).
Was hilft? Klimaaktivist Tino Pfaff beschreibt in seinem Artikel „Gerecht, sozial und resilient“ die Vergesellschaftung als Antwort auf den neuen Feudalfaschismus (S. 3 f.).
Der Faschismus ist ein schleichender Prozess. Es kommt darauf an, ihn zurückzudrängen – überall. Wir brauchen Zivilcourage, soziale Bewegungen gegen rechts, eine solidarische Sicht von unten, einen langen Atem, Utopien und Gegenöffentlichkeit.

Blick in die GWR 496

In der neuen Ausgabe ermöglichen wir Euch wieder einen Blick über den europäischen Tellerrand. Ein Schwerpunkt sind die internationalen Berichte zu den Ereignissen in Südkorea (S. 1, 8), den Kriegen im Nahen Osten (S. 1, 5 ff.) und der Situation in Rojava nach dem Ende der Assad-Diktatur in Syrien (S. 9 ff.).
Licht in finsteren Zeiten bringen die Artikel zur Contraste (S. 13 f.), zur Basisinitiative Project Shelter (S. 15), Katja Einsfelds Interview mit einer anarchistischen Gruppe (S. 16f.), Gisela Notz’ Artikel über die Anarchistin Federica Montseny (S. 20) und Peter Nowaks Artikel „Punk meets Klassenkampf“ (S. 24). Ans Herz legen möchte ich Euch außerdem das „Grüne Scheinlösungen“-Interview mit Kathrin Hartmann (S. 21), Antonia Grecos Prozessbericht „ ‚Der Mönch von Lützerath‘ vor Gericht“ (S. 23), Olga Karatchs Artikel „Frauen und Gerechtigkeit in Kriegszeiten“ (S. 19), den Artikel zum Veteranentag (S. 18) und die Glossen von Elmar Wigand (S. 22) und Maurice Schuhmann (S. 12).

Medienschau

In der taz vom 18. Januar 2025 findet sich ein interessantes Interview mit dem Filmemacher und Graswurzelrevolution-Autor Robert Krieg über Salpeter-Abbau in Chile und seinen Dokumentarfilm „Weißes Gold“ (1).
In der Contraste Nr. 484 vom Januar 2025 erschien unter dem Titel „Die Graswurzelrevolution lebt“
ein Interview von Maurice Schuhmann mit mir (2).
Zu dem eher ungewöhnlichen Thema „Scheitern“ hat Jens Kastner die Kunsthistorikerin Sophia Rowetter und mich für die österreichische Zeitschrift der IG Bildende Kunst „Bildpunkt“ Nr. 71 (Winter 2024/25, Seite 11 ff.) interviewt (3).
Wir sehen uns beim Klimastreik am 14. Februar oder bei einer der vielen Demos in den nächsten Wochen.

Viel Spaß beim Lesen,
Anarchie und Sonnenschein,
Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)