Ich lese gerne politische Literatur, die meiste davon bislang auf Deutsch und Englisch, über Deutschland, Großbritannien und die USA. Durch Martin Veith und die Zeitschrift „Revista Bună” habe ich einen Zugang zur Geschichte des Anarchismus in Rumänien gefunden. Einige Jahre später habe ich zwei seiner Sachbücher gelesen, die im Verlag Edition AV erschienen sind. Sie entstanden nach jahrelanger akribischer Recherche und vermitteln möglichst niedrigschwellig historische Fakten, eingebettet in Anekdoten und Porträts bedeutender Persönlichkeiten. Zudem enthalten sie zahlreiche Bilder, Dokumente und Schriftstücke, die nie zuvor übersetzt oder festgehalten wurden. Martin Veith hat mit seiner leidenschaftlichen Arbeit in Archiven und Bibliotheken ein umfassendes Bild des rumänischen Anarchismus im 19. und 20. Jahrhundert gezeichnet, was einzigartig ist und bleiben wird.
Dabei finden die Bücher unterschiedliche Zugänge zu der aufbereiteten Geschichte. „Unbeugsam – Panait Mușoiu. Ein Pionier des rumänischen Anarchismus” orientiert sich an dem Leben und Wirken einer der bedeutsamsten Figuren seiner Zeit. Anhand der Biografie Mușoius wird die politische Lage in Rumänien und ganz Europa dargestellt, die vom aufkommenden Faschismus und der Unterdrückung der Minderheiten und Arbeiter*innen geprägt war. Panait Mușoiu entwickelte sich vom armen Bauernsohn zum Herausgeber anarchistischer Zeitungen und Mittelpunkt der anarchosyndikalistischen Vernetzung zwischen Rumänien und dem Rest der Welt. Er veröffentlichte Essays und Texte und reiste durch das Land, um anarchosyndikalistische Informationen zu verbreiten und für Gegenseitige Hilfe und eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu agitieren. Dabei bediente er sich einer Sprache, die für die nicht alphabetisierte und hart arbeitende Bevölkerung Rumäniens verständlich und zugänglich war. Obwohl er mit Repression, Überwachung und der ganzen Macht des Staatsapparates zu kämpfen hatte, zeigte Mușoiu die Stärke, seine Ideale weiter zu vertreten und für das zu kämpfen, was er für richtig hielt – die Befreiung der Unterdrückten. Insofern stellt er für die heutigen Kämpfe eine Inspiration dar. Auch andere wichtige Figuren der rumänischen anarchistischen Bewegung werden anhand der verfügbaren historischen Quellen ausdrücklich portraitiert.
Das Buch „Fragmente zu Anarchismus und Anarchosyndikalismus in der Bukowina” findet einen eher geographischen und historisch geleiteten Zugang zu dem Thema. Neben geopolitischen Faktoren, die zu der Unterdrückung von nationalen, religiösen und sozialen Minderheiten geführt haben, werden die Bestrebungen der Arbeiter*innen in Richtung Organisierung und Widerstand dargestellt. Auch hier werden die Werdegänge verschiedener Schlüsselakteur*innen skizziert, allerdings viel weniger ausführlich, als es bei Panait Mușoiu der Fall war. Das liegt an fehlenden und schwer zugänglichen Quellen. Auch hier geht es leider viel um Repression und Unterdrückung, da der Staat damals wie heute alle seine Hebel in Bewegung setzte, um libertär-sozialistische Bestrebungen zu unterbinden und seine Macht über die Ausgebeuteten zu erhalten. Es sollte uns aber Mut und Kraft für die heutigen Kämpfe geben, dass es selbst unter den widrigsten Bedingungen anarchistische und anarchosyndikalistische Gruppen und Aktionen gab. Insofern empfehle ich das Buch allen, die einen Bezug zu der Region haben oder sich für die Geschichte der anarchistischen Bewegung interessieren.
Anarchismus in Rumänien
Martin Veiths Bücher über Panait Mușoiu und die anarchistische Bewegung in der Bukowina
Martin Veith (Hg.)Unbeugsam – Panait Mușoiu. Ein Pionier des rumänischen AnarchismusVerlag Edition AV, Lich 2013, 344 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-86841-076-1Martin Veith (Hg.)Fragmente zu Anarchismus und Anarchosyndikalismus in der BukowinaVerlag Edition AV, Bodenburg 2022, 164 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86841-303-8