Rund 100 weitgehend verwandte "Adelige" dominieren im deutschsprachigen Raum den familienbezogenen Antifeminismus
Unter „familienbezogenen Antifeminismus“ oder kürzer: „Familismus“ wird hier die Agitation für stärkere Bestrafung von Schwangerschaftsabbrüchen, gegen die Gleichstellung von Schwulen, Lesben und Transpersonen, Sexualaufklärung an Schulen, aber auch die Reform der Katholischen Kirche, die sie gerne, wie die Gesamtgesellschaft noch patriarchaler hätten, verstanden. Und dass die verschwägerten „Adelsfamilien“ diesen Antifeminismus dominieren, meint: Sie haben die Schlüsselpositionen (Hohenberg/ Beverfoerde), das Geld (Finck/ Castell/ Liechtenstein), die Veranstaltungsorte, sie denken sich Narrative (Cornides), Petitionen und Kampagnen (Gersdorff/ Storch) aus und lassen sie durchführen, manchmal auch bewusst illegal (Tschugguell), ihre Organisationen sind an Gesetzesentwürfen beteiligt (Oldenburg), sie organisieren Symposien (Beverfoerde), sind Uni-Rektoren (Lobkovicz) oder gründen selber Institute (Finck) oder Akademien (Stockhausen/ Waldstein), sie stellen ihre Schlösser temporär (Löwenstein/ Lobkovicz) zur Verfügung oder verschenken (Galen/ Gutman) sie an antifeministische Organisationen, sie betreiben Internetportale (Noe), sie haben exellente Kontakte zu Medien oder sind selber BILD-Journalisten (Schönburg-Glauchau), sind in Bundesvorständen von extrem rechten Parteien (Storch), haben Kontakt zu Oligarchen nach Russland (Thurn und Taxis) oder zum Obersten Gericht der USA (Thurn und Taxis), beeinflussen Päpste (Waldstein), Vizepräsidenten (Waldstein) oder sind sogar qua Geburt Regierungschefs (Liechtenstein).
Die Vertreter des Integralismus und des Postliberalismus sehen Trump eher als Übergang. Relevant sei die Zeit mit Vance als US-Präsidenten, mit dem dann die US-Gesellschaft in ein katholisches (und aristokratisches) System integriert werden soll
Natürlich stellen sie alleine schon auf Grund ihrer relativ geringen Anzahl nicht die Mehrheit der aktiven Personen im Antifeminismus. Aber beim elitär-reaktionären Adel galt schon immer Qualität statt Quantität, oder treffender: Klasse statt Masse. Hinzu kommt: Sie sind fast alle mehr oder weniger untereinander verwandt, verheiratet, verschwägert. Eine „ihrer“ Organisationen, die u. a. zur Eheanbahnung ihrer Nachfolger*innen dient, ist der katholische Malteserorden. Erstaunlicherweise heiraten sie noch immer, auch in den 2020er Jahren, ständisch (Beverfoerde-Habsburg).
Durch die Zerschlagung des eher evangelisch geprägten Adels im Nordosten des Deutschen Reiches spielt der Johanniterorden eine weniger relevante politische Rolle. Der Malteserorden ist kein einfacher Verein, sondern ein eigener Staat ohne Land, aber mit eigener Währung (Scudo/ Tari/ Grani), eigenem Autokennzeichnen (S.M.O.M) und wichtiger: eigenen Botschafter*innen, die dieselben diplomatischen Vorrechte haben wie „normale“ Botschafter.
Aktuelle deutsche Botschafterin des Malteserordens in Deutschland ist seit 2023 Vinciane Gräfin von Westphalen, eine Cousine 3. Grades von Johanna Gräfin von Westphalen, die die Anti-Abtreibungsgruppe „Christdemokraten für das Leben“ und die „Stiftung Ja zum Leben“ gründete, welche bereits 2017 stolz mitteilte, erstmals mehr als eine Million Euro an „Lebensrechts“gruppen verteilt zu haben. Es gibt politische Kämpfe im Malteserorden, auch inwiefern die Öffnung für den Nichtadel akzeptiert werden sollte. Ein Wunschkabinett des Wilderich Freiherr von Ketteler Tinnen, in dem Alice Weidel als Kanzlerin und der Faschist Björn Höcke propagiert wird, ließ mich dann aber doch anfragen, ob dieser „Freiherr“ noch immer der Regionalleiter des Malterserordens im Münsterland sei.
„Nein“, wurde mir von höchster Stelle von einem anderen Freiherrn geantwortet, auch mache man sich mit seinen politischen Ansichten nicht gemein. Aber er sei ein kompromissloser Verfechter in allen Lebensfragen und so wie der Malteserorden auch strikt gegen Abtreibung. Die neue Regionalleiterin des Malteserordens im Münsterland ist Gabrielle von Schierstadt (eine Cousine 3. Grades von Johanna von Westphalen). Von Schierstadt: Auch wenn der Malteserorden für Bürgerliche geöffnet sei, sei er dennoch fest in der Hand des Adels. Dies erleichtere die Arbeit, Probleme ließen sich auf kurzem Dienstweg mit einem Telefonanruf bei einem Vetter erledigen, der Leiter des Malteserordens in Deutschland gewesen sei. Hierbei handelt es sich um einen Löwenstein-Wertheim-Rosenberg. Zur Familie der Löwenstein-Wertheim-Rosenbergs habe ich ein umfangreiches Kapitel in meinem Manuskript zur „Aristokratie des Antifeminismus“, ich verweise auf einen Artikel im Campact-Blog, den ich 2024 pünktlich zu Halloween herausgegeben hatte: „Die sieben verwunschenen Kinder des Prinzen zu Löwenstein“.
Von Schierstadt sei sicher: Als Adelige übernimmt man selbstverständlich Verantwortung, schon als Schulsprecherin, im Pfarrgemeinderat oder in der Schulpflegschaft. Unreflektiert bleibt hier anscheinend die Frage, dass auch Menschen mit weniger sozialem, kulturellem, symbolischem und vor allem finanziellem Kapital auch Verantwortung übernehmen können. Dass sie aber einen anderen, realistischeren Blick auf die Welt haben. Paul Herzog von Oldenburg, Cousin von Beatrix von Storch und verheiratet mit einer Enkelin der Löwenstein-Wertheim-Rosenbergs teilte in einer Anekdote mit, wie der Adel auch Verantwortung in Abtreibungsfragen übernehme. Ihm sei noch in Erinnerung, dass seine Großmutter die Hausangestellten von Abtreibung abhielt, in dem ihnen Säuglingskleidung schenkte. Geht doch. Gleichzeitig sprach er sich in Polen gegen den Sozialstaat aus, denn die Bauernbefreiung sei bereits ein Fehler gewesen. Er lobte die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen unter der rechten PIS-Regierung, dies sei ein Erfolg seiner Organisation, der Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum.
Wie gesagt: Es sind nicht einfach vereinzelte Adelige in den zentralen Positionen des familienbezogenen Antifeminismus. Sie sind allein schon durch die Verwandtschaft miteinander vernetzt. Beatrix von Storch, eine geborene Herzogin von Oldenburg, ist bereits Mitte der 1990er Jahre zusammen mit ihrem Cousin Paul von Oldenburg in die Politik gegangen. Die Adelserben wollten die Großgrundbesitztümer aus dem Osten zurück. Vor ein paar Tagen bin ich über ein Bild gestolpert, welches Beatrix Herzogin von Oldenburg in der TFP-Zentrale in Washington zeigt. TFP (Tradition Familie Privateigentum) ist eine extrem rechts-katholische Organisation. Anscheinend hatte Beatrix Herzogin von Oldenburg schon vor ihrem Cousin enge Kontakte zu dieser konterrevolutionären Vereinigung, die allein zwischen 2009 und 2018 über 100 Millionen Euro nach Europa transferierte, um hier den Feminismus zu bekämpfen. Es sei falsch, die Unterwerfung der Frau in der Familie pauschal zu verurteilen, weiß Paul von Oldenburg für die TFP zu referieren. Beatrix von Oldenburg traf in Washington mit einem Großherzog Orleans-Braganza zusammen. Jahrzehnte später reiste sie als Beatrix von Storch als Bundestagsabgeordnete nach ihrem Besuch beim extrem rechten, queerfeindlichen brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Messias Bolsonaro ins zentrale Institut der TFP und traf sich ebenfalls mit dem Fürstengeschlecht der Orleans-Braganza, die mit den Löwenstein-Wertheim-Rosenberg verwandt sind. Die Mission der „Konterrevolution“ der TFP bezieht sich nicht nur auf die Rücknahme der Französischen Revolution, der Werte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität, das auch – wer Ungleichheit bekämpfe, bekämpfe Gott, sagt die TFP –, sondern es soll bereits die Reformation von Luther, Calvin etc. rückgängig gemacht werden. Die TFP strebt ein Gesellschaftssystem an, in dem Adel und Katholische Kirche das Sagen haben.
Mit dieser Position sind sie nicht mehr allein. Eine aktuellere entsprechende Ideologie nennt sich „Integralismus“ oder „Postliberalismus“. Auch hier ist der Adel wieder federführend. Wenn wir an den Faschismus denken, haben wir zumeist den Nationalsozialismus vor Augen. Aber 1933 entstand in Österreich ein anderer Faschismus, der von Rüdiger Ernst von Starhemberg so benannte „Austrofaschismus“. Ideologisches Kampfblatt dieser Form von klerikalfaschistischem Ständestaat war das Magazin „Der christliche Ständestaat“ von Dietrich von Hildebrand. Hildebrand war ein Nazigegner, aber auch ein Gegner der Demokratie und insbesondere der Frauenemanzipation. Seine Frau Alice von Hildebrand schrieb Jahre später gegen Simone de Beauvoir. Zu den Freunden der Familie Hildebrand gehörte die Adelsfamilie der Waldsteins. Zusammen entwickelten sie gegen die Menschenrechte das gottgegebene Naturrecht, dessen Werte sich Menschenrechte unterzuordnen haben. Die „Theologie des Leibes“ von Papst Johannes Paul II. wurde von einem Waldstein ins Englische übersetzt, mit dieser katholischen Ideologie im Rücken wurde das Narrativ der „Gender-Ideologie“ angegriffen. Der jüngste Spross der Waldsteins ist ein Mönch und verwahrt sich gegen eine Verwässerung der Ideologie von Dietrich von Hildebrand, dem Freund seines Großvaters. Natürlich sei Hildebrand gegen die Demokratie gewesen, weiß Edmund (von) Waldstein zu berichten, als Vordenker des Integralismus, von dem sich James David „JD“ Vance, der neue Vizepräsident der Vereinigten Staaten, inspirieren lässt. Die Vertreter des Integralismus und des Postliberalismus sehen Trump eher als Übergang. Relevant sei die Zeit mit Vance als US-Präsidenten, mit dem dann die US-Gesellschaft in ein katholisches (und aristokratisches) System integriert werden soll.
Wir müssen zum einen zur Kenntnis nehmen, dass diese antifeministischen Adelsnetzwerke existieren, zum anderen ist die Frage, warum überhaupt noch der Adel als politisch wirkmächtiges Netzwerk existiert. Hier geht es um den Zusammenhang von Vermögensverteilungen und politischer Macht und Adelsfamilien als Sonderform von Familiendynastien. Vor allem in den Vereinigten Staaten, denen wir eigentlich eher keinen Aristokratismus unterstellen, werden diese Familiendynastien immer mächtiger. Zu nennen wäre hier die Familie Prince, die mit deren Tochter Betsy (ehem. Bildungsministerin unter Trump) mit der Familie DeVos verschwägert ist. Sie gehören beispielsweise zu den Unterstützer*innen der antifeministisch wirkmächtigen Alliance Defending Freedom. Eric Prince, der Bruder von Betsy DeVos, ist einigen vielleicht bekannt, weil er Blackwater, die damals größte Privatarmee, gegründet hat. Während ich die letzten Sätze dieses Artikels herunterschreibe, befindet sich Prince gerade bei einer Tagung in London, wo auch Peter Thiel, der das Wahlrecht von Frauen und Sozialhilfebezieher*innen kritisierte, als er Millionen für die erste Privatstadtprojekte locker machte, teilnimmt. Wie Thiel sieht sich auch Prince als Wirtschafts„libertärer“, also als Anhänger des Proprietarismus, der jede Staatlichkeit komplett durch Privatunternehmen ersetzen will – allerdings als erzkatholischer Proprietarist. Bei der Tagung handelt es sich um eine internationale 4000köpfige Versammlung der „Alliance for Responsible Citizenship“ (ARC) von Jordan Peterson. Eine kleinere Tagung fand letztes Jahr in Bayern im Schloss des Maltesers Prinz von Lobkowicz statt. Dort hatte Peterson sein neues Buch vorgestellt: „Gott. Das Ringen mit einem, der über allem steht“. Das vertikale Hoch- bzw. Runterblicken war zentraler Bestandteil seiner Rede. Es soll anscheinend patriarchaler Moralkodex der neoaristokratischen Zukunftsplanung werden.
Andreas Kemper ist regelmäßiger GWR-Autor und freischaffender Soziologe mit den Themen Klassismus, Faschismus, Antifeminismus und Proprietarismus (Rechts„libertarismus“). Im Februar 2024 erschien in der GWR 486 sein Artikel „Madagaskarplan 2024 – Faschistische Deportationsstädte. Das AfD-Geheimtreffen mit Neonazis in Potsdam und der ‚Masterplan‘ von Martin Sellner“, https://www.graswurzel.net/gwr/2024/02/madagaskarplan-2024-faschistische-deportationsstaedte/
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.