Regierung und Bundeswehr sind in Erklärungsnöten: für den Krieg in Afghanistan finden sie in der Bevölkerung längst keine Zustimmung mehr. In ihrer Verzweiflung wehren sich die Militaristen immer stärker gegen Friedensstimmen. Dies konnten auch Friedensbewegte im Sommer 2010 im westfälischen Münster auf einer Protestaktion gegen eine Militärzeremonie am eigenen Leib spüren.
Mit einem feierlichen Appell in der münsterischen Manfred-von-Richthofen-Kaserne ist am 30. Juni das Lufttransportkommando der Bundeswehr nach 40 Jahren außer Dienst gestellt worden. Konnten Militärs und lokale PolitikerInnen am Nachmittag noch in Ruhe hinter der Kasernenmauer feiern und einem Geschwader von Militärtransportflugzeugen beim Schauflug über die Stadt zusehen, war es für sie bei der öffentlichen Abschiedszeremonie am Abend vor dem Schloss nicht mehr so gemütlich: FriedensaktivistInnen – darunter die Graswurzelrevolution – hatten zum „zapfnix“-Protest „Gegen Militärspektakel und Auslandseinsätze“ aufgerufen.
Rund 250 DemonstrantInnen kamen und brachten Trommeln, Trillerpfeifen und die von der Fußball-Weltmeisterschaft bekannten Vuvuzelas mit um das Militärschauspiel zu stören.
Die angemeldete Kundgebung auf dem nahegelegenen Hindenburgplatz wurde schon kurz nach Beginn wieder aufgelöst und die FriedensaktivistInnen – darunter auch bunt gekleidete und herumtollende Mitglieder der „Rebel Clowns Army“ – strömten direkt an die Absperrgitter vor dem barocken Schloss.
Die schwarz gekleideten, behelmten und mit Fackeln ausgestatteten Soldaten wurden beim Einmarsch auf dem Schlossplatz von einem lauten Getöse empfangen. Eine Hundertschaft der Polizei sowie Feldjäger der Bundeswehr drängten die DemonstrantInnen jedoch schnell zurück.
Die Bundeswehr hatte für den Abend das Hausrecht auf dem Schlossplatz von der Leitung der Uni Münster übertragen bekommen und setzte dieses auch gewaltsam durch: AntimilitaristInnen wurden geschlagen und geschubst, zwei Aktivisten von der Polizei festgenommen.
Gegen sie wurden Anzeigen erstattet. Eine Demonstrantin wurde von Polizisten in eine Hecke geworfen und blutete nach weiteren Schlägen und Tritten der Ordnungshüter.
„Die aggressive Stimmung der Polizei war außergewöhnlich“, so Bernd Drücke, Mitorganisator des Protests und Gründungsmitglied der „Friedensinitiative Pulverturm“. Er vermutet, dass die Aggressivität der Ordnungshüter auch mit der unsachlichen Berichterstattung der lokalen Presse zu tun hatte. Die FriedensaktivistInnen wurden im Vorfeld von der Lokalpresse scharf angegriffen und diffamiert, da sie darauf aufmerksam machten, dass schon die Wehrmacht ähnliche Zeremonien vor dem Münsteraner Schloss durchführte und sich die Bundeswehr in eine unsägliche Tradition stelle. „Bundeswehr-Gegner ziehen Nazivergleich“, titelte die Münstersche Zeitung und witterte einen Skandal. Dabei wurde nicht nur die Militärzeremonie von der Reichswehr bzw. später der Wehrmacht übernommen. Vor der Manfred-von-Richthofen-Kaserne in Münster – einem vom SA-Mann Ernst Sagebiel errichteten Gebäude – prangt noch heute der Reichsadler über dem Eingang. Einzig das Hakenkreuz unter dem martialischen Greifvogel wurde entfernt. Als maßlos und vollkommen unangemessen bezeichnete Ali Atalan, nordrhein-westfälischer Landtagsabgeordneter der Linkspartei und Anmelder der Kundgebung, das Vorgehen von Polizei und Bundeswehr: „Ich habe selber miterlebt wie mit den friedlichen Demonstranten umgegangen wurde. Mit Demonstrationsfreiheit hatte das nichts mehr zutun.“
Neben der körperlichen Gewalt kam es auch zu mehreren sexistischen Äußerungen männlicher Besucher der Zeremonie, Feldjäger und Polizisten gegen Mitglieder der Clowns Army.
Trotz der Repression ließen sich die FriedensaktivistInnen bei ihrer Protestaktion vor dem Schloss nicht einschüchtern und machten vor dem Spalier aus Polizei und Feldjägern in etwa 100 Metern Entfernung zur Militärveranstaltung weiter Lärm. Dabei mussten sie allerdings ohne Licht auskommen: Auf Befehl der Polizei hatten die Stadtwerke Münster dem Areal vor dem Schloss den Strom abgestellt. Wahrscheinlich vermuteten die Ordnungshüter, dass FriedensaktivistInnen die Militärzeremonie mit einer Musikanlage im Haus des Allgemeinen Studierendenausschusses direkt vor dem Schloss stören könnten.
Von der Stromabschaltung waren allerdings auch Straßenbeleuchtungen und Ampeln einer nahegelegenen Hauptstraße betroffen. Die Stadtwerke Münster stellten sich auf Anfrage dumm und gaben vor von nichts zu wissen.
Auch die Arbeit der kritischen Presse fiel der Repression zum Opfer: trotz zuvor von der Bundeswehr bestätigter Akkreditierung und Vorzeigen des Presseausweises wurde einem Journalisten der Tageszeitung junge Welt der Zutritt in den umzäunten Bereich der Militärzeremonie durch Feldjäger verwehrt. Später wurde ihm nicht einmal mehr der Zugang vor die Absperrgitter, vor denen eine Handvoll BürgerInnen dem Militärspektakel zuschauten, ermöglicht. Gründe wollten die Militärpolizisten dem Betroffenen nicht nennen, man führe nur Befehle aus. Auch ein Gespräch mit dem Pressesprecher des Lufttransportkommandos wurde abgewiesen. Der Sprecher habe keine Zeit, sei beschäftigt und das Funkgerät angeblich kaputt, um den Pressesprecher überhaupt zu kontaktieren, so die Feldjäger. Die Journalisten der Lokalpresse hingegen konnten sich überall frei bewegen. Die Deutsche-Journalisten-Union (DJU) wurde eingeschaltet um den Fall aufzuklären. Der Vorstand der DJU Münster sieht aber kaum Chancen auf Besserung bei kommenden Militärveranstaltungen: Es sei nicht der erste Fall von Behinderung kritischer Presse durch die Bundeswehr. Abmahnungen würden einfach im Sande verlaufen.
Die OrganisatorInnen des Protests in Münster zogen dennoch ein positives Fazit: „Die ekelhafte Marschmusik der Bundeswehr konnte man wegen des Lärms der Demonstranten nicht hören“, freute sich Graswurzelrevolution-Redakteur Bernd Drücke. Nur wenige BürgerInnen hätten dem Spektakel beigewohnt. Zudem habe die Bundeswehr nicht wie anfangs von ihr angekündigt einen „Großen Zapfenstreich“ durchgeführt, sondern nur eine kleinere „Serenade“. Ali Atalan forderte zu weiteren Protestaktionen auf: „Egal wo solche Veranstaltungen stattfinden muss es Gegendemonstrationen geben.“ Die Militarisierung des öffentlichen Raums müsse verhindert werden. Wer – wie die Bundeswehr – die Öffentlichkeit suche, müsse sie auch ertragen. Die Armee macht aber genau dies nicht.
Gelöbnix in Stuttgart
In den letzten Monaten kam es immer wieder zu Protestaktionen gegen Militärveranstaltungen, die der Staat mit Repression beantwortete. Deutsche Armee-Uniformen sollen wieder zur Normalität auf den Straßen in Deutschland und dem Ausland werden.
Wer sich dagegen wehrt bekommt die harte Faust des Staates zu spüren. Am 30. Juli kam es in Stuttgart bei einer Protestaktion gegen ein Gelöbnis zu 77 Festnahmen.
Rund 1.000 Menschen gingen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt gegen die Banalisierung des Militärs auf die Straßen.
Repression gegen AntimilitaristInnen in Husum und Berlin
Ebenfalls im Juli wurde eine Aktivistin vom Amtsgericht Husum zu 120 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt, weil sie im Februar 2008 einen Militärtransport für mehrere Stunden blockierte (vgl. Artikel auf S. 6).
In Berlin ermittelt die Staatsanwaltschaft aktuell gegen Mitglieder der DFG-VK, da diese mit einer satirischen Aktion gegen einen neuen militärischen Heldenkult Soldaten „verhetzt“ haben sollen (vgl. GWR 349 & GWR 350). Wer in diesem Land für Frieden kämpft, muss mit Krieg rechnen.
Weitere Infos