Die Bundesregierung beschloss in ihrer Klausur am 6./7. Juni 2010 "Eckpunkte" für die weitere Aufstellung des Haushaltsentwurfs 2011 und des Finanzplans bis 2014 (mittelfristiger Finanzplan).
In diesem Zeitrahmen sollten 80 Milliarden Euro eingespart werden. Nach diesem Beschluss entfällt auf das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) eine Summe von 8,4 Milliarden Euro.
Unter Punkt 4 der „Eckpunkte“ mit der Überschrift „Anpassung der Bundeswehr an neue Anforderungen“ wird der Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in Zusammenarbeit mit der sogenannten Strukturkommission zur Reform der Bundeswehr unter dem Vorsitz von Frank-Jürgen Weise (Chef der Bundesagentur für Arbeit) von der Bundesregierung mit „einer der größten Reformen in ihrer Geschichte“ (zu Guttenberg 2010a) beauftragt. Danach soll bis Anfang September 2010 aufgezeigt werden, welche Folgen eine Reduzierung der Streitkräfte um bis zu 40.000 Berufs- und ZeitsoldatInnen für
(1) die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands,
(2) die Einsatz- und Bündnisfähigkeit,
(3) die Beschaffung von Rüstungsgütern,
(4) die Strukturen und den Gesamtumfang der Bundeswehr,
(5) die Wehrform (Wehrpflicht) und ihre Ausgestaltung hätte und
(6) welche Einsparpotentiale durch eine bessere Arbeitsteilung im Bündnis (NATO) gewonnen werden könnten.
Zusätzlich wurde in der Klausur beschlossen, an der Verabschiedung des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010 festzuhalten. Das bedeutet, die im Koalitionsvertrag der CDU/CSU und FDP vereinbarte Verkürzung der Kriegsdienstzeit
von neun auf sechs Monate zum 1. Januar 2011 wurde auf den 1. Juli 2010 vorgezogen (vgl. Bundesregierung 2010: 5 f.).
Angesichts dieser Auftragsinhalte dürfte klar sein, dass es hierbei keineswegs ausschließlich um eine finanzbedingte Reduzierung der Kopfstärke der Bundeswehr geht. Hingegen findet eine völlig neue Ausplanung der Streitkräfte und ihrer Funktionen statt. Zu diesem Zweck erstellte das BMVg die am 30. Juni 2010 veröffentlichten „Leitlinien zur Ausplanung der neuen Bundeswehr“. Nach diesem Papier wird auf Grundlage der von zu Guttenberg unterbreiteten Vorschläge die Bundesregierung im September 2010 ihre Entscheidungen treffen, welche dann in einem „Realisierungsplan“ (BMVg 2010: 8) für die kommenden Jahre umgesetzt wird (vgl. zum gesamten Beitrag ausführlicher Haid 2010).
Knappe Finanzen als Ursache der Reform?
Als Ursache der Reform gab zu Guttenberg in seiner „Grundsatzrede“ am 26. Mai 2010 an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg den „absehbaren finanzpolitischen Canossagang der Bundesregierung“ (2010b: 17) an. Er bezeichnete mit dieser Formulierung die von der Bundesregierung beschlossene Haushaltskürzung. Jedoch ist denkbar, dass durch die Betonung der leeren Kassen des BMVg eine solch grundlegende Reform der Bundeswehr überhaupt erst möglich bzw. durchsetzbar wird. Voraussichtlich hat das Argument des knappen Geldes einen gewichtigen Anteil an der Überwindung von sicherlich gravierenden (regional-) politischen und bundeswehrinternen Widerständen. Das Argument der Finanzierbarkeit könnte quasi als Hebel zur Verwirklichung der Reform der Bundeswehr gegen externe und interne Widerstände benutzt werden.
Dass die Finanzlage für das BMVg nicht dermaßen dramatisch ist, wie der Verteidigungsminister gern suggeriert, wurde bereits Anfang Juli 2010 deutlich, als im Kabinettsentwurf für den Bundeshaushalt 2011 mehr Gelder als in diesem Jahr für den Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) eingeplant wurden. Es handelt sich um eine Steigerung von rund 450 Mio. Euro gegenüber 2010 auf 31.549 Mrd. Euro. Das sind circa 1,4% mehr. Zum Vergleich: der Sozialetat soll um 7,9% gekürzt werden (vgl. Haydt 2010).
Dieser Entwurf steht im Widerspruch zu den Sparbeschlüssen der Kabinettsklausur im Vormonat. Ebenso wird diese Einschätzung von Bundeskanzlerin Merkel untermauert. Sie äußerte auf der letzten Pressekonferenz vor der Sommerpause: „Finanzen sind wichtig, aber Finanzen sind nicht die treibende Kraft einer Bundeswehr der Zukunft“, da sie wegen „zwei Milliarden [Euro] (…) nicht die deutsche Sicherheit aufs Spiel setzen“ (Merkel, in: Löwenstein 2010a) könne.
„Paradigmenumkehr“ in der Rüstungsbeschaffung?
Auch vor diesem Hintergrund könnte die von zu Guttenberg angekündigte „Paradigmenumkehr“ (2010b: 29) in der Rüstungsbeschaffung mehr als Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit des BMVg mit der deutschen Rüstungsindustrie interpretiert werden, als eine tatsächliche Gefahr, die angeforderten Waffenprojekte nicht mehr bezahlen zu können.
Die entsprechenden Unternehmen hatten in der Vergangenheit ihre Waffensysteme meist kostenintensiver als ursprünglich vereinbart, dafür zeitlich verspätet, technisch unausgereift und in zu geringer Stückzahl als bestellt ausgeliefert. Mit „Paradigmenumkehr“ dürfte der Minister vereinfacht ausgedrückt den bisher gültigen Grundsatz gemeint haben, dass die Bundeswehr bisher alle Rüstungsgüter, die sie anforderte, auch bekam. Unter den neuen finanziellen Bedingungen könnten die Streitkräfte nur noch zugeteilt bekommen, wofür Geld da ist (vgl. Gaschke 2010a). Jedenfalls legte kürzlich der Führungsstab der Streitkräfte ein Papier mit dem Titel „Priorisierung Materialinvestitionen – Handlungsempfehlungen“ vor. Darin werden für die nächsten Jahre bestellte Waffensysteme im Wert von 9,3 Milliarden Euro und auch bereits in Dienst befindliches veraltetes Gerät zur Ausmusterung bzw. Abbestellung empfohlen (vgl. Die Zeit 2010).
Trotz dieser Streichliste dürfte die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr keinesfalls beschnitten werden. Im Gegenteil teilt der Informationsdienst „Griephan“ mit, dass es lediglich bei der Rüstungsbeschaffung zu Schwerpunktverlagerungen kommen werde. Es bedeute lediglich: „Nice to have ist vorbei!“ Sprich: überflüssig gewordene Projekte zur Landesverteidigung werden eingestampft, dafür wird die Bestellung der Ausrüstung für die Auslandseinsätze sichergestellt oder gar erweitert. Im Endeffekt könnte ein solcher Sparzwang zu kriegsführungsfähigeren Streitkräften als bisher führen.
Die „Griphan“-Einschätzung sieht die zukünftige Bundeswehr unter dem Motto: „Klein, aber fein!“ (Griephan 2010: 1).
Drei Modelle der neuen Bundeswehr und ein Generalstab
Kurz vor der Sommerpause stellte zu Guttenberg der Kanzlerin drei mögliche Modelle der neuen Bundeswehr als Stand der bisherigen Planung seines Ministeriums vor.
Das erste Modell sieht eine Armee mit rund 150.000 Zeit- und BerufssoldatInnen sowie 50.000 Wehrpflichtigen mit sechs Monaten Dienstzeit vor. Es würde sich dann um eine Größenordnung von insgesamt 205.000 SoldatInnen handeln. Das zweite Modell hätte ganz auf Wehrpflichtige verzichtet und war als reine Berufsarmee mit 150.000 Angehörigen konzipiert worden. Diese Variante hat der Minister allerdings zwischenzeitlich ausgeschlossen.
Das letzte Modell mit einer Gesamtgröße von circa 168.000 Köpfen setzt als Basis ebenfalls auf 150.000 Berufs- und ZeitsoldatInnen. Es würde zusätzlich als eine neu geschaffene Kategorie zwischen 15.000 und 20.000 sog. Kurzzeitdienende beherbergen. Das sind Wehrpflichtige, die als auslandsverwendungsfähig deklariert werden und sich freiwillig auf eine bisher angedachte Dienstzeit von zwölf bis 23 Monate verpflichten können (vgl. Friedrichs 2010, Löwenstein 2010a).
Außer über die vorgestellten Modelle denkt die BMVg-Führung laut über eine Aufwertung des Postens des Generalinspekteurs der Bundeswehr nach. Der Berliner Erlass aus dem Jahr 2005 des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) definiert die Stellung des Generalinspekteurs als eine der BMVg-Leitung nachgeordnete Instanz. Hierarchisch steht der Generalinspekteur also unter einer zivilen Leitung. Zusätzlich hat jede Teilstreitkraft noch ihren eigenen Inspekteur mit einem dazu gehörigen Stab. Diese Dezentralisierung und schwache Position des Generalinspekteurs ist historisch begründet.
Die BMVg-Leitung besteht aus dem Minister und den zwei ihn nach außen gegenüber dem Parlament, der Öffentlichkeit oder dem Ausland vertretenden, aber keinerlei Befugnisse nach innen besitzenden Staatssekretären. Gegenwärtig ist ein Zwei-Säulen-Modell im Gespräch, das die bisherige, rein zivile Struktur der BMVg-Spitze aus den Angeln heben würde.
Auch ist ihre rechtliche Zulässigkeit zumindest fraglich. Statt bislang zweier ziviler Staatssekretäre würde dann der Generalinspekteur als Befehlshaber der Streitkräfte gleichwertig neben einem verbleibenden Staatssekretär an der Spitze der Verwaltung stehen. Die FAZ meinte, dass mit der Aufwertung des Generalinspekteurs „das historisch heikle Wort ‚Generalstabschef‘ kaum mehr zu vermeiden“ (Löwenstein 2010b) sei.
Die Wehrpflicht-Debatte
Obwohl diese Diskussion einen breiten Raum in der gesamten medial geführten Auseinandersetzung über die Reform der Bundeswehr einnimmt, ist sie für die vorgegebene Aufgabenerfüllung der Bundeswehr von untergeordneter Bedeutung. Wehrpflichtige dürfen rechtlich nicht in die Auslandseinsätze entsandt werden.
Auch dürfte der Debatte etwas die Schärfe genommen haben, dass bei den beiden noch im Rennen befindlichen Reformmodellen die eine Version eine herkömmliche Wehrpflichtigenkomponente aufweist und die andere Variante zumindest noch auf die Kurzzeitdienenden setzt. Eine reine Berufsarmee ist folglich vom Tisch.
Der Verteidigungsminister, der erstmals seit der Einführung der Wehrpflicht ihre Aussetzung öffentlich zur Disposition stellte, hat in seiner eigenen Partei, der CSU, und in deren Schwesterpartei CDU, harsche Kritik erfahren. Die Positionen der anderen Bundestagsparteien sind uneinheitlich. Die SPD befürwortet eine sog. Freiwilligenwehrpflicht (die Kurzzeitdienenden), die zuerst den Bedarf mit Wehrpflichtigen deckt, die freiwillig kommen wollen und dann den Rest mit Zwangsverpflichteten auffüllt (vgl. Arnold 2010: 4 f.). FDP, Grüne und Linkspartei plädieren für die Aussetzung der Wehrpflicht.
Die Aussetzung ist von einem finanziellen Aspekt her gesehen lohnend. Ein internes BMVg-Papier beziffert die Einsparungen auf 412 Millionen Euro pro Jahr (vgl. Kramer/ Scholz 2010). Ihre Abschaffung, also die Streichung der entsprechenden Passagen aus dem Grundgesetz, wird kategorisch ausgeschlossen (vgl. Friedrichs 2010). Sie soll, falls die Bundesregierung dies wieder als notwendig erachten sollte, jederzeit reaktivierbar sein.
Aus friedenspolitischer Sicht ist die Frage, die Wehrpflicht beizubehalten oder nicht, für die Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr in den Auslandseinsätzen irrelevant.
Deshalb ist weder das eine noch das andere wünschenswerter. Davon abgesehen, ist die „Wehrpflicht“ ein Zwangsdienst. Aus diesem Grund macht eine Abschaffung natürlich Sinn.
Der NATO geht das Geld aus…
Die Neugestaltung der Bundeswehr muss auch als Reaktion auf die Veränderung der globalen Machtstruktur infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen werden. In das „Leitlinien“-Papier des BMVg zur Reform der Bundeswehr wurden als Entwicklungen, welche für die Sicherheit Deutschlands berücksichtigt werden müssen, Folgendes neu aufgenommen:
(1) „der Aufstieg neuer staatlicher Akteure, die über wachsendes politisches und ökonomisches Gewicht auch unsere Werte, Normen und Interessen herausfordern werden“; und
(2) „die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die noch anhalten und die Möglichkeiten der westlichen Welt zur globalen Ordnungspolitik einschränken werden“ (BMVg 2010: 1).
Damit kommen neben dem sog. Krisenmanagement als Hauptgegenstand militärischer Aufgabenwahrnehmung die Konkurrenz zu China und vermutlich auch zu Indien, Brasilien und Russland in diesen Konfliktgebieten hinzu, die von strategischem und ökonomischem Interesse sind.
Nach Ansicht von Kersten Lahl, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), seien die NATO-Staaten durch die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise gezwungen, tiefe „Einschnitte ins Militärbudget“ (Handelsblatt 2010: 9) vorzunehmen, weshalb ihre weltweite militärische Präsenz in der gegenwärtigen Form schwerlich durchgehalten werden könne (2010: 49). Ebenso zieht Elke Hoff, sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, in ihrem Papier „Zukunft der Bundeswehr“ daraus die Schlussfolgerung – was einer Zäsur gleichkommt -, dass das derzeitige intensive militärische Engagement der NATO und der EU und die deutsche Beteiligung daran in dieser Form nicht mehr länger aufrechterhalten werden könne: „Breit angelegte und auf Jahre hin ausgerichtete internationale Stabilisierungseinsätze – wie auf dem Balkan, im Irak oder in Afghanistan – können in dieser Form nicht die Einsätze der Zukunft sein. Dazu sind wir selbst und unsere Partner in der NATO und in der EU finanziell und strukturell dauerhaft nicht in der Lage“ (2010: 9).
Aufstandsbekämpfung, Spezialkräfte und „Nachsorge“ in Konflikten
Bis die Bundeswehr voraussichtlich mit dem angekündigten Abzug der US-Armee in Afghanistan ab Juli 2011 ebenfalls nach und nach abziehen wird, ist die Hauptaufgabe des deutschen ISAF-Kontingents das „Partnering“ (gemeinsame Offensiven mit der afghanischen Nationalarmee gegen Aufständische).
Dazu werden derzeit die deutschen Truppen in Nordafghanistan in zwei Ausbildungs- und Schutzbataillone umgegliedert, die bis Oktober 2010 vollständig einsatzbereit sein sollen. „Die Welt“ zitierte den Sprecher der Infanterieschule des Heeres im fränkischen Hammelburg, wo die deutschen Einheiten derzeit vorbereitet werden, der deutlich machte, welchen Inhalt ihre Tätigkeit in Folge des „Partnering“ präzise hat: „Die Soldaten werden den Feind suchen und vernichten. Genau darum wird es gehen.“ Ein Übungsleiter wurde im selben Artikel ergänzend wiedergegeben: „Die Jungs sind auch hier, um das Sterben zu lernen“ (Wolff 2010).
Klar ist auch, dass dieses Vorgehen zu erhöhten Verlusten unter den SoldatInnen führen wird, und diese Tatsache müsse, wie der Verteidigungsminister in seiner „Grundsatzrede“ klarstellte, auch von der Gesellschaft akzeptiert werden: „Die Bundeswehr ist heute eine Armee im Einsatz. (…) Der Einsatz und der Kampf rücken stärker in den Mittelpunkt – auch der Betrachter. Dafür müssen wir als Streitkräfte, aber insbesondere auch als Gesellschaft, insbesondere da, neben Einsatzbereitschaft auch eine gewisse – und ich bitte, den Begriff nicht misszuverstehen – Opferbereitschaft aufbringen. Ein Begriff, der viele in der Öffentlichkeit zu erschrecken und aufzuwühlen vermag. (…) Doch eine Gesellschaft, die generell und auch außerhalb der Streitkräfte und des Militärischen nicht mehr bereit ist, Opfer zu bringen, deren Abstieg wird unabwendbar sein [sic!]“ (2010b: 11 f.).
Über das zukünftige Profil der Bundeswehr kann derzeit nichts sicher ausgesagt werden. Die Entscheidungen hierfür stehen erst noch an. Nach Klaus Naumann, Militärhistoriker des Instituts für Sozialforschung in Hamburg, sei in der „Politik“ bereits „von einer Sicherheitspolitik ’nach Afghanistan‘ die Rede. Die Auswirkungen reichen bis in die anlaufende Debatte über die Strukturreform der Streitkräfte hinein. Stabilisierungseinsätze vom Typ Afghanistan, so der sich abzeichnende Konsens, sollen künftig nicht zum Normalfall gehören. Gleichwohl bekräftigen die internen Papiere den Willen, weiterhin durchhaltefähig Krisenmanagement und Konfliktprävention zu betreiben“ (2010).
Das wahrscheinlichste Szenario vor dem Hintergrund der begrenzten Finanzmittel des zukünftigen „Krisenmanagements“ in Afghanistan, könnte so aussehen: Hamid Karsais militärischer und polizeilicher Apparat wird durch Ausbildung und Versorgung mit Informationen, Waffen und Nachschub aller Art durch die NATO-Staaten aufgebaut und dazu in die Lage versetzt, weiterhin die Aufständischen in Schach zu halten. In Ausnahmefällen greifen die NATO-Armeen mit Spezialkräften, Drohnen und Luftunterstützung selbst in die Kämpfe ein. Generell ist dies aber den afghanischen Soldaten überlassen.
Eine solche Vorgehensweise hätte mehrere Vorteile: diese eingeschränkte Präsenz dürfte deutlich billiger sein, die Kontrolle über Afghanistan und die ganze Region kann weiter aufrecht erhalten werden und es wäre für die NATO-Soldaten ein verlustarmer Einsatz, womit die Zustimmung in der heimischen Öffentlichkeit weniger gefährdet sein dürfte (vgl. Wagner 2010).
Sicherlich wird sich die Reform der Bundeswehr an dieser Veränderung orientieren. Elke Hoff schlägt in ihrem Diskussionspapier einen dementsprechenden Ansatz vor. Unter dem Zwang fehlender finanzieller Ressourcen für umfassende militärische Stabilisierungseinsätze würden nach ihrer Meinung hochmobile und flexibel einsetzbare Spezialkräfte, strategische Aufklärung und die Nachrichtendienste sowie zivile Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen in Zukunft eine weit wichtigere Rolle in der Konfliktverhütung und -bewältigung spielen müssen als bisher (vgl. 2010: 9).
Derzeit wirbt der Verteidigungsminister in einer sog. Sommerreise quer durch die Bundesrepublik für seine Vorschläge des neuen Bundeswehrprofils. Sein künftiger Ansatz sieht dabei „hochintensive Einsätze“ ebenso wie die Teilnahme an „Ausbildungs- und Beobachtermissionen“ und die Verwendung von „nachrichtendienstlichen Mitteln“ sowie den „Einsatz von Spezialkräften und moderner Nachrichtentechnik“ (zu Guttenberg 2010a) vor. „Die Zeit“ mutmaßt bereits, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) „so etwas wie das politische Rollenvorbild einer radikal verkleinerten, ausschließlich einsatzorientierten Profiarmee werden“ (Gaschke 2010b) könnte. Zu Guttenberg unterstützt diese Einschätzung: „Für die Zukunft benötigen wir Kräfte, die strukturell über die Fähigkeiten zum Kampf im hochintensiven Gefecht verfügen“ (2010b: 21).
Die Armee der Exekutive
Angesichts der steigenden Verluste unter den NATO-Truppen und der afghanischen Zivilbevölkerung dürfte das Scheitern der ISAF-Mission immer offensichtlicher werden.
Deshalb befürchten die politisch Verantwortlichen, dass auch im Bundestag die Unterstützung für diesen Einsatz und auch für ähnliche, zukünftige Einsätze schwinden könnte.
Die Öffentlichkeit steht dem deutschen Afghanistaneinsatz ohnehin seit geraumer Zeit klar ablehnend gegenüber. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), welche die Bundesregierung und die Bundestagsabgeordneten berät, stellt diese Entwicklung treffend heraus: „Internationales Statebuilding steckt gegenwärtig in einer schweren Legitimitätskrise (…) dies [hängt] vor allem mit der geringen Wirksamkeit breit angelegter Staatsaufbaumissionen zusammen (Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, Kosovo). Das aktuelle Friedensgutachten 2010 der fünf führenden deutschen Friedensforschungsinstitute beurteilt den Erfolg des Engagements der Staatengemeinschaft in Afghanistan daher pointiert so: ‚Die bisherige Afghanistanpolitik ist gescheitert.‘ (…) Für die an Statebuilding beteiligten Regierungen wird die Aufrechterhaltung ihres Engagements innenpolitisch also riskanter. Politiker und Parteien reagieren mit wachsender Distanzierung auf die zunehmenden Zweifel der Öffentlichkeit an der Durchführbarkeit der Einsätze“ (Brozus 2010: 1 f.).
Diese Einschätzung einer künftigen Entwicklung, die für die Befürworter militärischer Interventionen in Bundesregierung und Parlament äußerst hinderlich werden könnte, teilt auch das „Leitlinien“-Papier des BMVg, das davon ausgeht, „dass aufgrund der Erfahrungen insbesondere in Afghanistan, die politischen Hürden für die Mandatierung vergleichbarer Einsätze von Streitkräften mit nachfolgendem langanhaltenden kostenträchtigen und zugleich risikoreichen Stabilisierungsoperationen künftig deutlich höher liegen können“ (BMVg 2010: 2).
Aus diesem Grund kündigte die Regierungskoalition in ihrem Koalitionsvertrag Folgendes an: „Soweit mit den Regelungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes eine jeweils zeitnahe und ausreichende Information des Parlaments in besonderen Fällen durch die Bundesregierung nicht sichergestellt werden kann, legen die Koalitionsfraktionen Initiativen zur Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes oder zur Schaffung eines Vertrauensgremiums vor“ (CDU/CSU-FDP 2009: 125). Als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 die Vereinbarkeit von Auslandseinsätzen mit der Verfassung festlegte, bestimmte es im selben Urteil zumindest auch, dass die Bundeswehr eine „Parlamentsarmee“ sei und der Bundestag, nicht die Exekutive, vor der Entsendung bewaffneter Streitkräfte seine konstitutive Zustimmung zu erteilen habe. Das sog. Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18. März 2005 konkretisiert im Prinzip dieses parlamentarische Kontrollrecht. Die Vornahme von Änderungen dieses Gesetzes zur Einschränkung der exekutiven Informationspflicht oder gar die Etablierung eines „Vertrauensgremiums“, mutmaßlich aus den Obleuten der Bundestagsfraktionen bestehend, anstelle der bisherigen Gesamtverantwortung des Bundestags, würde de facto die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgehen und die Bundeswehr zu einer Armee der Exekutive machen, die nahezu bar jeglicher parlamentarischer Kontrolle agieren würde.
Anmerkungen
Michael Haid ist Mitglied der Informationsstelle Militarisierung e.V. (www.imi-online.de)
Arnold, Rainer (2010): Das Wehrdienstmodell der SPD, www.rainer-arnold.de/pdf/spd_wehrdienstmodell.pdf (16.07.2010).
Brozus, Lars (2010): Statebuilding in der Legitimitätskrise: Alternativen sind gefragt, SWP-Aktuell 52, Juni 2010.
BMVg (2010): Leitlinien zur Ausplanung der neuen Bundeswehr, 30. Juni 2010, in: www.bmvg.de (02.07.2010).
Bundesregierung (2010): Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken - Acht Punkte für solide Finanzen, neues Wachstum und Beschäftigung und Vorfahrt für die Bildung, Berlin, 7. Juni 2010, in: www.bundesregierung.de (10.06.2010).
CDU/CSU-FDP (2009): Koalitionsvertrag - Wachstum, Bildung, Zusammenhalt, Berlin, 26. Oktober 2009.
Die Zeit (2010): Bundeswehr droht Kahlschlag bei Rüstungsprojekten, www.zeit.de/politik/deutschland/2010-07/bundeswehr-sparliste-waffen, 7. Juli 2010 (31.07.2010).
Friedrichs, Hauke (2010): Eine Armee, drei Modelle, viel Streit, in: www.zeit.de, 22. Juli 2010 (31.07.2010).
Gaschke, Susanne (2010a): Antreten zum Sparen, in: www.zeit.de, 20. Juni 2010 (24.06.2010).
Gaschke, Susanne (2010b): Unter Kriegern, in: www.zeit.de, 31. Juli 2010 (01.08.2010).
Griephan Briefe (2010), 25/10, Hamburg, 21. Juni 2010.
Haid, Michael (2010): Money makes the world go round. Die Finanzkrise und die Strukturkommission als Hebel zur Reform der Bundeswehr, in: IMI-Ausdruck, August 2010, S. 5-11.
Handelsblatt (2010): Heilsamer Sparzwang, in: Handelsblatt Nr.107 vom 8. Juni 2010, in: www.handelsblatt.com (26.06.2010).
Haydt, Claudia (2010): Bundeswehr-Sparpaket als Mogelpackung!, IMI-Standpunkt 2010/25, in: www.imi-online.de (12.07.2010).
Hoff, Elke (2010): Deutschlands Sicherheit verantwortungsvoll gestalten, in: Strategie &Technik, Juni 2010, S. 8-11.
Kramer, Sarah/ Scholz, Sebastian: Wehrpflicht vor der Musterung, 12. Juni 2010, in: www.tagesspiegel.de (12.06.2010).
Lahl, Kersten (2010): Noch kein Nachruf auf "die Krise"!, in: Griephan Global Security, 3+4/2009.
Löwenstein, Stephan (2010a): Weniger Mittel, gleiche Aufgaben, in: www.faz.net, 22. Juli 2010 (31.07.2010).
Löwenstein, Stephan (2010b): Verschränkung von Verwaltung und Streitkräften?, in: www.faz.net, 17. Juli 2010 (31.07.2010).
Naumann, Klaus (2010): Bundeswehr ist gut, Krieg ist böse, 27. Juli 2010, in: www.fr-online.de (03.08.2010).
Wagner, Jürgen (2010): Obamas Afghanistan-Strategie: Bürgerkrieg unter westlicher Beaufsichtigung, IMI-Standpunkt, 5/2010.
Wolff, Mathias (2010): "Die Jungs sind auch hier, um das Sterben zu lernen", in: www.welt.de, 16. Juni 2010 (20.06.2010).
zu Guttenberg, Karl-Theodor (2010a): Interview mit Joachim Käppner und Stefan Kornelius, 26. Juli 2010, in: www.sueddeutsche.de, (02.08.2010).
zu Guttenberg, Karl-Theodor (2010b): Grundsatzrede anlässlich des Besuchs der Führungsakademie der Bundeswehr und der Kommandeurtagung der Streitkräftebasis am 26. Mai 2010 in Hamburg, in: www.bmvg.de, (20.07.2010).