Als Howard Zinn am 27. Januar 2010 starb, war klar, dass hier nicht nur ein außergewöhnlicher kritischer Intellektueller, sondern auch ein engagierter libertärer Aktivist gestorben ist (vgl. GWR 347 & GWR 348).
Kurz nach seinem Tod erschien – nachdem auch sein Standardwerk A People’s History of the United States (dt. Eine Geschichte des Amerikanischen Volkes) endlich übersetzt wurde – die deutsche Übersetzung seiner Autobiographie You Can’t Be Neutral On a Moving Train, zu der er auch noch ein eigenes Vorwort beisteuern konnte (siehe Vorabdruck in GWR 342/Libertäre Buchseiten).
Howard Zinns Leben (er wurde 1922 geboren) wurde historisch von mehreren Epochen geprägt, in denen er in unterschiedlicher Art Ungerechtigkeiten entgegentrat. Ein einschneidendes Erlebnis waren seine Erfahrungen als Pilot der US-Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Damals, mit 21 Jahren, trat er in das Army Air Corps ein, weil er „gegen die Nazis kämpfen wollte“ und den Krieg gegen Hitler-Deutschland als „ehrenvollen Kreuzzug gegen Rassenwahn, Militarismus, fanatischen Nationalismus und Expansionismus“ (S. 121) betrachtete.
Es waren aber genau jene Kriegserfahrungen – hier insbesondere ein Bombenangriff auf deutsche SoldatInnen in Royan/Frankreich, die sich bereits ergeben hatten, sowie der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki – die ihn später zum erbitterten Kriegsgegner machten. Er spricht davon, dass ihn diese Erfahrungen an der „absoluten Moralität des Krieges gegen den Faschismus“ (S. 135) zweifeln ließen. Nach einem längeren Reflexionsprozess verlor er schließlich in den 60er Jahren seinen „Glauben an einen ‚gerechten Krieg'“.
Zwar gäbe es „üble Feinde der Freiheit und der Menschenrechte“ auf der Welt, der „übelste aller Feinde“ (S. 137) sei jedoch der Krieg selbst. Diese Maxime sollte sich später im Kalten Krieg (z.B. Vietnam), sowie im Krieg gegen den Terror (z.B. Afghanistan, Irak) kein bisschen verändern.
Ein weiterer prägender Teil seines Lebens begann im Jahr 1956, als er als (weißer) Professor eine Anstellung am Spelman College – das damals als „Neger-College“ verschrien war – bekam. Dort begann auch, noch lange bevor die Bürgerrechtsbewegung richtig groß wurde, sein Engagement für die Gleichberechtigung von African Americans in den USA, was ihn bald zu einem hingebungsvollen und wichtigen Aktivisten des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) machte.
Er war begeistert von der Art wie dort Widerstand geleistet wurde und „von einer Formulierung, die sich auch King und das SNCC zu eigen machten: gewaltfreie, direkte Aktion. Nicht einfach nur passive Gewaltfreiheit […], sondern Aktion, Widerstand, Engagement […].“ (S. 139)
Auch der Vietnamkrieg und die Proteste dagegen sind in seiner Autobiographie von entscheidender Bedeutung. Er beteiligte sich an Demos, Blockaden, hielt Teach-ins ab und agitierte unermüdlich – auch bei Vorlesungen auf der Universität, was ihm einige erbitterte GegnerInnen in der Uni-Hierarchie einbrachte – gegen den Krieg. Er berichtet von den Anfängen der Antikriegsbewegung, von Aktionen, bei denen AntikriegsaktivistInnen in Armeegebäude eindrangen und Einberufungsbescheide verbrannten und vom Engagement der SNCC-AktivistInnen, die „zu den Ersten [gehörten], die sich der Einberufung widersetzten.“ (S. 148)
Howard Zinn hat stets mit AktivistInnen unterschiedlichster Backgrounds zusammengearbeitet und schildert dies eindrücklich in dieser Autobiographie. Dazu zählten z.B. die Anarchopazifisten Paul Goodman und Eric Weinberger, der engagierten katholischen Priester Daniel Berrigan (während des Vietnamkriegs gemeinsam mit seinem Bruder Philip einer der meistgesuchtesten Männer des FBI), der Pazifist David Dellinger (Teil der „Chicago Seven“) und Noam Chomsky. Als historische Persönlichkeit, die ihn stark beeinflusste, streicht er vor allem Emma Goldman heraus, über die er sogar ein Theaterstück verfasst hat das schon mehrmals zur Aufführung kam.
Obwohl er sich in der Autobiographie nie ausdrücklich als Anarchisten bezeichnet (im Gegenteil beschreibt er wie ihn kommunistische Gruppen in seiner Jugend stark beeinflussten) ist der libertäre rote Faden in seinem Leben nicht zu übersehen. Die zweite Konstante ist sein Engagement im, und sein Überzeugt sein vom gewaltfreien Widerstand sowie seine kompromisslose Antikriegshaltung.
An dieser Stelle ist jedoch anzumerken, dass es schade ist, dass die Autobiographie Mitte der 1990er endet, so dass aktuelle Entwicklungen leider nur im Vor- und Nachwort (zu) kurz behandelt werden können.
Das Nachwort, das er extra für die deutsche Übersetzung im Jahr 2009 verfasst hatte, steht ganz im Zeichen der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten – und erscheint leider auch nicht mehr sehr aktuell.
Auch sein Appell im Nachwort, Streik, Boykott und zivilen Ungehorsam dazu einzusetzen um die PolitikerInnen dazu zu nötigen, eine Politik zu machen, die weniger abgehoben ist, da „die Regierung die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger zu vertreten“ (S. 283) hätte, kann aus anarchistischer Sicht nicht als der Weisheit letzter Schluss betrachtet werden.
Das Buch ist trotzdem eine Lektüre die sich zu lesen lohnt.
Es ist ein Zeugnis davon, dass Howard Zinn sein Leben lang ein erbitterter Kämpfer gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung war und dies stets mit einem libertären und gewaltfreien Ethos verknüpfte – was dieses Engagement und diese Autobiographie besonders bemerkenswert macht.
Howard Zinn: Schweigen heißt Lügen. Autobiographie. Edition Nautilus, Hamburg 2010, ISBN 978-3-89401-604-3, 288 Seiten, 22 Euro