In Großbritannien sollen - ginge es denn nach dem Willen der konservativ-liberalen Regierung oder der Energiekonzerne - acht neue Atomkraftwerke gebaut werden (siehe GWR 349). Ein Antrag auf vorbereitende Arbeiten für Hinkley Point C, wo EDF (Electricity de France, britischer Zweig) zwei EPR-Reaktoren bauen will, wurde Ende November 2010 eingereicht. Die Anti-Atom-Bewegung kommt nur langsam in Bewegung. Ex-GWR-Redakteur Andreas Speck berichtet. (Red.)
Derzeit tut sich viel in Sachen Atomenergie in Großbritannien. Die neue konservativ-liberale Regierungskoalition unter David Cameron ist ebenso wild auf neue AKWs wie die Labour-Regierungen unter Blair und Brown, auch wenn die Liberalen nicht müde werden zu betonen, dass es dafür keine staatlichen Subventionen geben würde. Mit der Wahrheit hat dies jedoch wenig zu tun.
Im Wesentlichen werden derzeit zwei Subventionen vorbereitet
Ein fester Preis für die Behandlung und Lagerung des Atommülls. Wie es möglich sein soll, im Jahr 2011 festzulegen, wie teuer die Behandlung und Lagerung von Atommüll im Jahr 2175 sein wird (60 Jahre Laufzeit plus 100 Jahre Lagerzeit am AKW), ist dabei schleierhaft, zumal die Technologie für die Endlagerung von Atommüll noch nicht existiert. Das Kostenrisiko wird somit auf den Staat abgewälzt – wenn das keine Subvention ist.
Ein garantierter Mindestpreis für Kohlendioxidemissionen
Da es sich aber beim „Carbon-Trading“ um ein europäisches System handelt, wird hier zu einem Trick gegriffen: Sollte der europäische Carbon-Preis unter ein bestimmtes Niveau fallen, greift eine zusätzliche Kohlendioxid-Steuer, um den Preis hoch zu halten. Die Kosten tragen die VerbraucherInnen.
Hiervon profitieren allerdings auch erneuerbare Energien.
Insgesamt bereitet die britische Regierung derzeit die größte Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung vor, um damit für die Atomkonzerne die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die britische Anti-Atom-Bewegung
Die Anti-Atom-Bewegung in Britannien ist nicht mit der in der Bundesrepublik vergleichbar – sie ist derzeit weit davon entfernt, eine Massenbewegung zu sein. Trotzdem tut sich langsam was.
Die Standortinitiativen – meist ältere BürgerInneninitiativen aus den 80er Jahren – haben sich auf einem Treffen im Dezember 2010 zu einem neuen Netzwerk unter dem Namen CONNED (Communities Opposed to New Nuclear Energy Development) zusammengeschlossen, um ihre Anstrengungen zu bündeln.
Ein erster Fokus ist dabei eine gemeinsame Stellungnahme zur erneuten Konsultation der Regierung zu „National Policy Statement on Energy“, mit der die Planungsgrundlage für neue AKWs geschaffen werden soll. Diese Konsultation endete am 24. Januar 2011.
Die Umwelt-NGOs Friends of the Earth und Greenpeace halten sich weiterhin im Hintergrund und beteiligen sich am Lobbying. Sie haben außerdem bereits angekündigt, dass sie die National Policy Statements vor Gericht angreifen werden, sollten sie eine Aussicht auf Erfolg sehen.
Im Februar 2007 war Greenpeace mit einer „Judicial Review“ der „Energy Review“ der Blair-Regierung erfolgreich. Der High Court konstatierte damals, dass die Konsultation der Öffentlichkeit nicht ausreichend und unparteiisch war.
Seit Anfang 2010 will auch eine neue Gruppe – No Need for Nuclear – gezielt mit Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen „die Mitte der Gesellschaft“ davon überzeugen, dass neue AKWs nicht notwendig und kontraproduktiv sind.
Im November 2009 wurde von eher aktionsorientierten Gruppen und Einzelpersonen das Stop Nuclear Power Network gegründet, um mit koordinierten gewaltfreien Aktionen Sand im Getriebe zu sein.
Derzeit hat es Aktionen wie z.B. kleine, unangekündigte Blockaden der AKWs Sizewell (22. Februar 2010 – siehe Prozessbericht in dieser GWR) und Hinkley Point (4. Oktober), Aktionen zu Atomindustriekonferenzen, einige Veranstaltungen im Rahmen der Konsultationen usw. gegeben. Seit zwei Jahren findet am Wochenende vor dem Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe (26. April) ein Camp am AKW Sizewell in Suffolk statt – auch in diesem Jahr wird es wahrscheinlich wieder ein Camp geben.
Gruppen des Stop Nuclear Power Network haben auch eine Kampagne für den Boykott von EDF gestartet, da EDF als der wichtigste Akteur der Atomindustrie angesehen wird und massives Lobbying für neue AKWs betreibt. EDF ist mit seinen Plänen für neue Reaktoren in Hinkley Point und Sizewell auch am weitesten.
AKWs und die Klimaschutzbewegung – eine komplizierte Beziehung
Ein großes Problem für die britische Anti-AKW-Bewegung ist die ambivalente Position der britischen Klimaschutzbewegung. Weder die Campaign Against Climate Change noch das Camp for Climate Action haben eine klare Position zu AKWs – in beiden gibt es nennenswerte Fraktionen, die Atomkraftwerke als „kleineres Übel“ oder „notwendige Übergangstechnologie“ ansehen.
Prominente Persönlichkeiten der britischen Umweltbewegung wie z.B. Ex-Greenpeace-Direktor Stephen Tindale, Guardian-Autor George Monbiot und James Lovelock setzen sich in der Öffentlichkeit massiv für Atomenergie ein und sind damit dem Klima-Argument der Atomlobby voll auf den Leim gegangen. Dabei werden sie natürlich von den Medien und der Atomlobby hofiert – was es der Anti-AKW-Bewegung schwer macht, die öffentliche Debatte um Atomkraft und Klimawandel zu gewinnen.
Es gibt jedoch Hoffnung, denn derzeit wird von großen Teilen der Klimaschutzbewegung die Vision „Zero Carbon Britain 2030“ propagiert. Diese Studie des „Centre for Alternative Technology“ zeigt einen Weg auf, wie die Kohlendioxidemissionen Großbritanniens bis zum Jahr 2030 auf null reduziert werden können – und kommt dabei ohne Atomkraft aus.
„Schlachtfeld“ Hinkley Point
Hinkley Point in Somerset wird das erste „Schlachtfeld“ im Kampf gegen neue AKWs in Großbritannien sein. Dort will EDF zwei EPR-Reaktoren mit jeweils 1650 MW Leistung bauen – und mit dem Bau so bald wie möglich beginnen.
Ende November 2010 wurde daher von EDF beim West Somerset Council ein Antrag auf vorbereitende Arbeiten eingereicht. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Erdarbeiten für die Konstruktion der Plattformen, auf denen die neuen Reaktoren errichtet werden sollen. Insgesamt 400 Hektar Land sollen dafür platt gemacht werden, und 2.3 Millionen Kubikmeter Erde sollen bewegt werden – all dies, ohne dass bisher bei der Infrastructure Planning Commission ein Antrag auf den Bau der Reaktoren selbst auch nur eingereicht wurde.
EDF behauptet daher in dem Antrag an West Somerset Council auch kühn, dass das Land in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden würde, sollte es für die Reaktoren keine Baugenehmigung geben.
Es wird derzeit befürchtet, dass EDF schon vor der Genehmigung für die vorbereitenden Arbeiten Bäume und Hecken abholzen könnte, denn während der Vogelbrutsaison von März bis September ist dies nicht möglich.
Vor Ort gibt es mit Stop Hinkley eine Standortinitiative, die in den 80er Jahren erfolgreich gegen Hinkley Point C gekämpft hat. Gab es anfangs Bedenken, dass direkte gewaltfreie Aktionen auf den Widerstand dieser Initiative stoßen würden, so war doch die Reaktion auf die Blockade am 4. Oktober 2010 überwiegend positiv. Die Initiative beteiligt sich am offiziellen Planungsverfahren und nutzt traditionelle Wege, um gegen den Bau von Hinkley Point C vorzugehen.
Im Umfeld von Stop Hinkley gibt es auch AktivistInnen, die Teil des Stop Nuclear Power Networks sind. Im letzten Jahr hat sich auch in Bristol – der nächsten Großstadt – eine neue Gruppe gegründet. Es wächst die Basis für gewaltfreien Widerstand.
Ausblick
Das Jahr 2011 wird für den Widerstand gegen neue AKWs in Großbritannien extrem wichtig sein. Die Atomindustrie bemüht sich, so schnell wie möglich Fakten zu schaffen – zunächst in Hinkley Point, und wenig später in Sizewell – um so den langsam wachsenden Widerstand zu entmutigen.
Dahinter steht die Hoffnung, dass der Widerstand zusammenbricht, sobald Bauzäune errichtet sind.
Eine Anti-Atom-Bewegung lässt sich nicht einfach aus dem Boden stampfen, und es ist klar, dass sie sich in Großbritannien derzeit in den Anfängen befindet. Doch verglichen mit der Situation vor einem Jahr wurden wichtige Fortschritte gemacht.
Es bleibt zu hoffen, dass in diesem Jahr die Basis für gewaltfreie Aktionen in Hinkley Point, Sizewell und an anderen Standorten weiter verbreitert werden kann. Daran arbeiten insbesondere die Gruppen des Stop Nuclear Power Networks. Derzeit gibt es Überlegungen für eine größere Aktion im Sommer 2011 – wobei noch nicht klar ist, was und wo. Watch this space!
Weitere Infos
Stop Nuclear Power Network
stopnuclearpoweruk.net
network@stopnuclearpoweuk.net
Boycott EDF
boycottedf.org.uk
Stop Hinkley
stophinkley.org
Zero Carbon Britain 2010
www.zerocarbonbritain.com