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Die Revolte in Ägypten

Probleme, Grenzen und Chancen

| Ismail Küpeli

Die gegenwärtigen Revolten und Proteste in der arabischen Welt erschüttern nicht nur die autoritären Regime, sondern bringen die bisherigen westlichen Vorstellungen mächtig durcheinander.

Das Bild, das NahostexpertInnen immer wieder zeichneten, war: Zwar undemokratische, aber zumindest säkulare und mit dem Westen verbündete Regierungen sind der Garant dafür, die islamistische Gefahr einzudämmen. Und wenn dabei Demokratie und Menschenrechte eingeschränkt werden müssen, ist es zwar bedauerlich, aber im Vergleich zum Sieg der Islamisten das kleinere Übel.

Die deutsche und europäische Außenpolitik, einschließlich der politikberatenden Think-Tanks, agierte nach diesem Denkschema. Auch nach der durchaus erfolgreichen Revolte in Tunesien war noch keine eindeutige Abkehr von dieser Strategie zu beobachten. Erst die Ereignisse in Ägypten brachten die Wende. Der Schock für die PolitikerInnen und ihre wissenschaftlichen BeraterInnen ist heftig ausgefallen, weil zum einen Ägypten in der arabischen Welt eine zentrale Rolle spielt und zum anderen bis zu den gegenwärtigen Protesten als eines der stabilsten Länder des Nahen Ostens galt. Es schien so, als wäre es dem Mubarak-Regime gelungen, in Ägypten nachhaltig ein autoritäres politisches System zu schaffen.

Die westlichen Staaten konnten auch deswegen darauf setzen, dass Mubarak zumindest außenpolitisch in ihrem Sinne agieren würde, weil der Staatshaushalt massiv durch umfangreiche politisch motvierte Zahlungen aus den USA und den mit ihr verbündeten arabischen Erdölstaaten (wie etwa Saudi-Arabien) gestützt wurde. Ein Wegfall dieser Zahlungen hätte ernsthafte Konsequenzen für das Regime gehabt. Dies führte dazu, dass die politische Führung in Ägypten im Sinne ihrer Finanziers handelte.

Relevante innenpolitische Herausforderer waren nicht auszumachen, bis auf die Muslimbrüder. Die Muslimbruderschaft hatte bei den Parlamentswahlen von 2005 rund 20% der Sitze erringen können, obwohl von fairen und freien Wahlen kaum die Rede sein konnte. Dieser Erfolg der Islamisten führte dazu, dass sich die weitere Analyse der politischen Entwicklungen in Ägypten auf die Frage fokussierte, wie die Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen im November 2010 abschneiden würden – und wie das Regime mit einem möglichen Wahlerfolg der islamistischen Opposition umgehen würde.

Es kam allerdings alles anders und die Prognosen der PolitikwissenschaftlerInnen trafen nicht ein. Die Wahlen im November 2010 wurden massiv gefälscht, mit dem Ergebnis, dass die Muslimbruderschaft nur noch einen einzigen Sitz im Parlament erhielt. Auch andere Oppositionsparteien erhielten nur wenige Sitze. Und zuerst sah es danach aus, als wäre das Regime so stabil, dass diese Wahlfarce nicht zu seinem Sturz führte. Jedenfalls blieben Ende 2010 massenhafte Proteste, wie sie gegenwärtig stattfinden, aus.

Was passierte zwischen November 2010 und dem 25. Januar 2011? Waren nach und nach die Menschen davon überzeugt, dass es für einen politischen Wandel mehr als Wahlen bedarf? Waren die Wahlfälschungen überhaupt relevant für die Entscheidung, Ende Januar massenhaft auf die Straße zu gehen? Was sind Motive und Ziele der Protestierenden?

Diese Fragen werden wohl vorerst kaum zu klären sein, weil sich die Ereignisse auch nach dem Sturz Mubaraks immer noch überschlagen. Ebenfalls sind Prognosen über die weitere Entwicklung in dieser Phase schwierig und die Voraussagen von NahostexpertInnen haben sich vielfach als falsch herausgestellt.

Einige mögliche Probleme und Grenzen der Revolte in Ägypten können trotzdem ausgemacht werden. Ein zentrales Problem sind die staatlichen Repressionsorgane, die jahrzehntelang durch externe Zahlungen aufgerüstet und ausgeweitet wurden. Armee und Polizei werden sich kaum freiwillig verkleinern und marginalisieren lassen, auch wenn dies ein zentraler Schritt zu einer nachhaltigen Überwindung des autoritären Regimes wäre. Es ist zu befürchten, dass lediglich ein neuer Staatspräsident ins Amt kommt, die Kernmerkmale des autoritären Regimes jedoch bestehen bleiben. Auch außenpolitisch wird eine mögliche Nachfolgeregierung in Ägypten keine grundsätzlichen Änderungen herbeiführen können, wenn sie nicht die Zahlungen aus den USA und den Golfstaaten gefährden will. Ebenso ist ungeklärt, welche Rolle die Muslimbruderschaft in den nächsten Monaten spielen wird. Es ist zur Zeit vieles denkbar, auch dass die Interims-Militärregierung ihr Versprechen einer freien Wahl einlöst, dann ein neues Regime unter islamistischer Führung entsteht oder die Islamisten eine dominierende Rolle in der weiteren politischen Entwicklung spielen.

Auch wenn sich dies eher düster anhört, ist es ein Plädoyer für eine gründliche Überwindung der bisherigen autoritär-militaristisch geprägten Strukturen und Institutionen. Dieser Kampf wird zwar weniger spektakulär sein, aber dennoch wichtig.

Den Menschen in Ägypten ist zu gratulieren, dass sie es geschafft haben, Mubarak endlich zu stürzen. Ihnen ist zu wünschen, dass sie jetzt die politische Unterdrückung überwinden und mehr Freiheit erringen.