Die Amerikanische Revolution im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in der die Kolonisten der nordamerikanischen Atlantikküste das Joch des britischen "Mutterlandes" abschüttelten, war eine komplexe, buntschillernde Angelegenheit.
Die „Boston Tea Party“ von 1773 z.B., bei der als Indianer verkleidete Siedler die Ladung englischer Schiffe ins Hafenbecken kippten, zeugte einerseits vom Protest begüterter Weißer gegen eine ungerechte Besteuerung.
Andererseits ist die Rolle der Unterklassen – vor allem von afrikanischen Sklaven und von Seeleuten – bei den revolutionären Ereignissen nicht zu unterschätzen. Es waren buntscheckige Haufen (motley crews), die mit ihrem Schrei nach umfassender Freiheit die amerikanische Revolution und ihre „Tea Parties“ befeuerten und die später, wie in allen „großen“ Revolutionen, um die Früchte ihres Erfolgs betrogen wurden.
Es ist deshalb besonders abgeschmackt, dass sich die heute in den USA wütende Koalition aus RassistInnen, Kriegs-FanatikerInnen und evangelikalen KämpferInnen gegen alles, was irgendwie mit Sexualität zu tun haben könnte, ausgerechnet als Tea-Party-Bewegung bezeichnet und damit einen doch recht ehrenwerten Begriff in den reaktionären Schmutz zieht.
Freilich: auch Sarah Palin und ihr Nachtrab wollen keine Steuern zahlen, und manche dieser Leute bezeichnen sich als „Libertäre“, weil sie insofern den Staat ablehnen.
Der schmierige FOX-Hassprediger Glenn Beck hat es geschafft, diese dreiste Okkupation revolutionärer Traditionen durch Rednecks, Neokonservative und Neoliberale auf die Spitze zu treiben: Er verfasste ein Buch mit dem Titel „Common Sense„, womit er ausdrücklich an das gleichnamige Werk von Thomas Paine (1737-1809), dem unermüdlichen Humanisten und Gründervater der USA, anzuknüpfen beansprucht.
Das geht zu weit!
Deswegen ist es sehr zu begrüßen, dass der anarchistische kalifornische PM-Verlag eine kleine musikalische Geschichtsstunde herausgebracht hat, die Tom Paine vor dem Zugriff solcher false friends schützt.
Die beiden radikalen britischen Folk-Musiker Leon Rosselson und Robb Johnson haben diese Doppel-CD mit dem Titel „The Liberty Tree“ eingespielt. Es ist die Studio-Umsetzung eines Programms, das Rosselson schon seit 1987, dem 250. Geburtsjahr Tom Paines, als Live-Programm entwickelt und landauf, landab in England, wo Paine herstammte, aufgeführt hat.
Wir hören ein Wechselspiel aus vorgetragenen Zitaten von und über Tom Paine, die stets von Strophen des rahmenden Titelsongs begleitet werden, und dazwischen insgesamt 14 Lieder aus den Backlists der beiden Musiker, deren Texte die Relevanz des Denkens von Paine in der Gegenwart verdeutlichen. Musikalisch heißt dies: Gesang plus akustische Gitarre, klar und einfach. Das Gewicht liegt auf den Texten.
Welches Vermächtnis von Tom Paine wird uns nun nahe gebracht? „Regierungen, weit entfernt davon, die Ursache oder ein Instrument der Ordnung zu sein, bedeuten oft ihre Zerstörung.“ Diesen wahren Satz haben wir soeben an den Entwicklungen in Nordafrika bestätigt finden können. Aber diesen Satz würde auch Glenn Beck noch unterschreiben, für den das Zurückstutzen der Regierung die Voraussetzung für eine effektivere Unterdrückung von Frauen und Schwarzen, und für die ungehemmte Entfaltung der kapitalistischen Zerstörungslogik ist. Was sagt aber Paine zu diesen Aspekten?
Paine beklagt das Los der Frauen seiner Zeit „auf der ganzen Erde“, denen die Männer „entweder als unsensibler Tyrann oder als Unterdrücker“ begegnen. Er warnt vor den negativen Auswirkungen der Eheschließung.
Paine verurteilt die Sklaverei und wirft England vor, „Jahr für Jahr die unglücklichen Küsten Afrikas zu verwüsten und deren arglose Einwohner zu rauben, damit sie die von England gestohlenen Herrschaftsgebiete im Westen kultivieren“.
Paine entlarvt die Strategie der Regierungen, ihren Untertanen Hass gegen andere Völker einzupflanzen, um Kriege führen zu können: „Der Mensch ist nicht Feind des Menschen, außer durch die Vermittlung eines falschen Regierungssystems.“
Paine verkündet: „Wenn die Reichen die Armen ihrer Rechte berauben, dann wird dies zum Vorbild für die Armen, die Reichen ihres Eigentums zu berauben.“ Er fordert eine garantierte, einheitliche Altersrente für alle Menschen ab dem Alter von 50 Jahren.
Und Paine äußert sich auch zum Lieblingsthema der heutigen Rechten in den USA: zur Religion. „Ich glaube nicht ans Bekenntnis der jüdischen Kirche, der katholischen Kirche, der griechischen Kirche, der protestantischen Kirche oder irgendeiner Kirche, die ich kenne. Mein eigener Verstand ist meine eigene Kirche.“
Das alles ist wunderbar peinlich für Glenn Beck und seinesgleichen. Und sehr gelungen finde ich auch die Umsetzung der Zitate Paines in die sozialen Realitäten der Gegenwart durch Lieder, die Rosselson und Johnson zwischen 1968 und 2009 geschrieben haben. Mehrere Texte denunzieren die gegenwärtigen Kriege, andere das weltweite Regime sozialer Ungleichheit. Mein Lieblingssong ist Rosselsons „Don’t get married, girls“, das schon ein Vierteljahrhundert alt ist. Es ist schön, auf diesem Wege endlich mit solchen Perlen in Kontakt zu kommen.
Das Album ist deshalb sehr zu empfehlen. Weil im deutschsprachigen Raum vermutlich vor allem Menschen mit Interesse für Historisches dieser Empfehlung folgen werden, möchte ich aber zwei Kritikpunkte nicht verhehlen. Erstens: Während die Liedtexte von Johnson und Rosselson von der Homepage des Verlags heruntergeladen werden können (sie würden eine orthografische Pflege vertragen), sind die Zitate von und über Paine in einem Booklet abgedruckt, das zum Album gehört. Was allerdings fehlt, sind Quellenangaben dieser Zitate, so dass ein Nachblättern, um den Zusammenhang nachzulesen, erschwert ist.
Zweitens: Das ganze Album stellt so etwas wie eine Hagiographie dar, es wird ein gewisser Personenkult um Tom Paine getrieben. Der Untertitel lautet: „Eine Huldigung [celebration] an das Leben und die Schriften von Thomas Paine“. Das ist im Sinne der Geschichtsschreibung, die ja keine Geschichte „großer Männer“ mehr präsentieren sollte, problematisch.
Für die Dramaturgie des Albums ist es aber wohl ein guter Griff; die Biographie Paines mit ihren Episoden in England, Amerika und Frankreich lässt wirklich eine spannende Story erzählen. 1792 in die revolutionäre französische Nationalversammlung gewählt, wurde er z.B. im folgenden Jahr inhaftiert, weil er, der glühende Antimonarchist, sich gegen die Tötung der früheren Königsfamilie ausgesprochen hatte, und entkam selbst nur knapp der Guillotine. Solches ist freilich Stoff, der einen guten Spannungsbogen ergibt – vor allem, wenn man damit zugleich Mrs. Palin und Mr. Beck ein wenig demaskieren kann.
Tom Paine bekannte: „Ich glaube an die Gleichheit der Menschen.“ Wer diesen Satz nicht beherzigt und sich trotzdem auf Paine beruft, „Tea-Party-Bewegungen“ gründet oder gar sich „libertär“ nennt, sollte wegen Begriffsdiebstahls angezeigt werden – vor dem Gerichtshof der Vernunft!
Anmerkungen
Leon Rosselson & Robb Johnson: The Liberty Tree. A celebration of the life and writings of Thomas Paine. PM Audio Series, No. 13 (PMA 013-2 / ROOT-CD-0016)