Es ist immer wieder erschreckend, mit welcher Einmütigkeit es deutsche Medien an die Front zieht, wenn die ersten Bomben fallen. Da wird mit markigen Worten "Konsequenz" gefordert, und Fotos von Flammenkugeln explodierender Geschosse zieren die Titelseiten, als handele es sich um ein Computerspiel.
Nur gut, dass die militärisch Verantwortlichen nicht ähnlich unüberlegt in den Krieg ziehen wie die standhaften ZinnsoldatInnen aus den Redaktionsstuben. Die Sicherheitserwägungen der Militärstrategen in den USA, Großbritannien und Frankreich zum Einsatz in Libyen bräuchte man eigentlich (Wikileaks hin oder her) gar nicht länger geheim zu halten.
Sie sind am Tage: Auf einem unermesslichen Ölfeld hockt, ihrer Ansicht nach, ein abgehalfterter Diktatorenclown, verstrickt in einen Bürgerkrieg, den er selbst heraufbeschworen hat, in Afrika isoliert, von seinen Verbündeten im Stich gelassen, von der Bevölkerung gehasst oder aufgegeben und ohne ernsthafte Affinitäten zum radikalen Islamismus. A peace of cake.
Diese Milchmädchenrechnung übergeht zwei wichtige Faktoren:
1) Was wollen Gaddafis Gegner, und 2) ist Gaddafi wirklich so wehrlos, wie ihn die Kommentatoren machen?
Zur ersten Frage schweigen deutsche Medien sich seit Wochen beharrlich aus.
Gefeiert wird der selbstlose Heroismus und die Opferbereitschaft der „Rebellen“, die selbst in hoffnungsloser Lage noch ausharren, um den Diktator zu verjagen. Ein vermittelbares Kriegsszenario braucht Helden und Schurken: Robin Hood und Prinz John, Mudschahidin und Russen, Nordallianz und Taliban. Da interessiert es wenig, dass im Herrschaftsgebiet der Aufständischen schwarze Hautfarbe zu einem todeswürdigen Verbrechen geworden ist, das mit Axthieben auf offener Straße geahndet wird.
Die Parteinahme des Westens bzw. Nordens für eine heterogene, mitunter mörderische Truppe, in der Hegemonien und Dominanzen noch keineswegs ausgemacht sind, könnte man wohlwollend als unvorsichtig bezeichnen. Ob nach einem Bombenregen mit einigen hundert (oder tausend?) Toten – die qua UN-Resolution offenbar nicht zur „schützenswerten Zivilbevölkerung“ gezählt werden dürfen, ganz gleich, wo die Raketen einschlagen – die künftigen Sieger den Ölhahn freimütig aufdrehen werden, wird man ebenfalls abwarten müssen.
Wer aber glaubt, der Krieg in Libyen sei schon gewonnen, ehe er richtig begonnen hat, dessen Geisteshaltung ist mit „naiv“ sehr wohlwollend umschrieben. Wieder zieht eine Allianz der reichen Länder in den Krieg in der offensichtlichen Erwartung, dass, um es mit einem zeitgenössischen spanischen Lyriker zu sagen, „nur eine Seite schießen darf“.
In Afghanistan führt Deutschland mittlerweile seit Jahren (!) einen solchen Krieg, und die Empörung darüber, dass der Gegner es wagt, zurückzuschießen, ist keineswegs gewichen.
Gefährdet die Ausweitung des Kriegs in Libyen tatsächlich „nur“ die dortige Bevölkerung?
Als Spanien sich am Krieg der USA am Golf beteiligte, tat die Regierung José María Aznars dies gegen den erklärten Willen von nahezu 80% der eigenen Bevölkerung. Aznar wollte auf Seiten der „Gewinner“ stehen, wenn Geld und Medaillen verteilt wurden. Die blutige Rechnung präsentierte eine islamistische Terrorgruppe mit einem Anschlag auf die Madrider Vorortzüge. Wie Muammar
Al-Gaddafi waren Saddam Hussein und seine Baath-Partei alles andere als die Speerspitze des islamistischen Heilsversprechens. Geholfen hat das den Pendlerinnen und Pendlern am Bahnhof von Atocha wenig.
Wie kann man eigentlich tagein, tagaus von der „Bedrohung durch den internationalen Terrorismus“ faseln, und dann, nur, weil es gilt, ein weiteres Mal die medialen Hacken zusammenzuschlagen, einen neuen, völkerrechtswidrigen Waffengang des Westens in der arabischen Welt darstellen wie einen Ritt John Waynes durch die Weiten des Zelluloids? Einen Krieg, bei dem ohnehin schon jeder weiß, wie er ausgeht?
Die gestammelten Liebeserklärungen der Regierung Merkel an die Bomber über Libyen (nach der Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat) sollten mittlerweile auch dem Letzten klar gemacht haben, dass in Europa kein generelles Umdenken „droht“: Krieg zur Durchsetzung eigener Interessen bleibt Teil der Politik, und das Völkerrecht ist im Zweifelsfall nicht mehr als eine nette Geste.
Der Einsatz in Libyen macht die reichen Länder zur Partei in einem Bürgerkrieg, dessen Entwicklung und Folgen niemand absehen kann und der auch nach einem möglichen Sturz Gaddafis anhalten könnte.
Er verschärft den Konflikt auf unerhörte Weise und gefährdet massiv die Bevölkerung, die er zu schützen vorgibt. Und er macht Europa und die USA erneut auf bedrohliche Weise zum Ziel terroristischer Anschläge. Wohl bekomm’s.