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Neues von Kapital und Demokratie

Rückblick: Protest gegen die RWE-Hauptversammlung am 20. April 2011

| Leonie Felix

Am 20. April haben ein paar hundert Menschen die Hauptversammlung der RWE in Essen blockiert.

Die Aktionäre – überwiegend teuer gekleidete Männer jenseits ihres sechzigsten Geburtstags – mussten sich durch ein enges Spalier aus fröhlichen AtomkraftgegnerInnen und etwas genervten PolizistInnen zur Grugahalle quälen, um sich dort ihre satte Dividende und die weitere Beteiligung des Konzerns an Atomanlagen in aller Welt zu beschließen.

Vielleicht ist die Tagesordnung der Hauptversammlung durch die Protestaktion um ein paar Minuten verzögert worden.

Wichtiger war jedoch das Bildungserlebnis, welches etliche der KapitaleignerInnen den DemonstrantInnen bescherten.

Die meisten setzten ein Grinsen auf, das Schattierungen der Hilflosigkeit, des Zorns und der gewohnten Sicherheit, Sieger im vermeintlichen Lebenskampf zu sein, miteinander verknüpfte. Manche aber versuchten, einfach über die Blockierenden hinwegzustiefeln, als wollten sie buchstäblich vorexerzieren, was die Daseinslogik ihres Konzerns ausmacht: die Interessen der Menschen mit Füßen zu treten. Andere versuchten es mit Kommunikation, indem sie z.B. immer wieder Sätze zu den DemonstrantInnen herüberriefen wie „Wir bleiben drin!“

Womit wahrscheinlich die Atomkraft gemeint war.

Die freundliche Aufforderung von Seiten der BlockiererInnen, doch bitte nach Fukushima zu fahren, um dort bei den Aufräumarbeiten zu helfen, blieb freilich unbeantwortet.

Ein Aktionär rief stattdessen den auf dem Weg Sitzenden zu: „Ihr lebt doch alle von unserem Geld!“ Was sehr witzig ist, weil die RWE-Aktionäre ihrerseits ja von einer Dividende leben, also einem „arbeitslosen Einkommen“, zu dessen Bezahlung viele der Protestierenden mit ihrer Stromrechnung beitragen, so dass die Wahrheit exakt umgekehrt war. Ein schönes Beispiel für Realitätsverdrängung.

Ich glaube aber, ich zog an diesem Vormittag das große Los, weil es mir vergönnt war, an folgendem lehrreichen Dialog teilzunehmen. Einer der Männer in feinem Zwirn herrschte die neben mir sitzenden jungen Leute an: „Was wollt ihr denn? Seid ihr etwa Ingenieure? Ich bin Ingenieur, ich kenne mich mit Kernenergie aus!“

Darauf antwortete ich ihm: „Wissen Sie, dass Sie gerade gegen die Demokratie argumentieren? Da sind nämlich alle Menschen für die politischen Entscheidungen zuständig.“

Der aktienbesitzende Ingenieur versetzte in meine letzten beiden Wörter hinein: „Deswegen haben wir ja eine repräsentative Demokratie!“

„Und wen repräsentiert die?“, fragte ich zurück. Worauf es aus den Verstandestiefen meines Gegenübers hervorsprudelte: „Die Wissenschaft!“

Sodann trollte er sich in die Halle. Dort ging es ja dann auch sehr demokratisch zu, wobei nicht jede Aktionärin und jeder Aktionär (geschweige denn alle in der Firma Arbeitenden), sondern jede Aktie eine Stimme besaß.

Dort, wo also Papierzettelchen – Eigentumstitel – gemäß den strengen Gesetzen der Algebra als Akteure fungieren und nicht mehr Menschen, muss sich mein technokratischer Gesprächspartner richtig zuhause gefühlt haben.

Wenn nur die Strahlung havarierter Atommeiler ebenso weit von der wirklichen Welt entfernt wäre wie das Denken der Leute, die sie verschuldet haben!