Am Anfang war das Spiel. Vor über zehn Jahren flimmerten Computerspiele rechtsextremen Inhalts über die Computerschirme. Die Titel "Anti-Türken-Test" und "KZ-Manager" machten unverschlüsselt deutlich, wessen Kind diese Propaganda-Spiele waren. Heute wird zwar auch noch gespielt, bedeutsamer aber sind die erfolgreichen Versuche der Rechtsextremen, die Computertechnologie gezielt für ihre politische Propaganda und Organisation einzusetzen. (Red.)
Mit den neuen Medien hat sich für die rechtsextreme Szene eine neue Chance eröffnet, ihre rassistische, antisemitische und nationalistische Propaganda unters Volk zu bringen. Sie können ihre Haßbotschaften an ein weltweites Publikum richten, denn bis zum Jahr 2000 werden rund eine Milliarde Menschen Zugang zum Wold Wide Web (1) haben. Neben dem Internet und den derzeit sieben „Nationalen Infotelefonen“ nutzen die Rechten v.a. ihr eigenes Mailbox-Netz (2), mit dem Ziel konstante Verbindungen in der „Szene“ aufzubauen, kurzfristige Mobilisierung der Anhänger und zugleich eine flexiblen Steuerung von Aktivitäten zu gewährleisten.
Surfen durch die braune Kloake der transnationalen Rechten
http://stormfront.wat.com/Stormfront/ – auf dem Computerschirm erscheint die Seite der „White Nationalist Resource Page“ (3). Ihr Motto: „Weltweit weißer Stolz“. In der auf der Homepage erscheinenden Selbstdarstellung heißt es: „Stormfront ist … ein Forum zur Strategieplanung und Bildung politischer und sozialer Gruppen, um den Endsieg zu garantieren.“ Von dieser rot-schwarz gehaltenen Homepage gelangen wir zu unzähligen rechtsextremen Newsgroups, auch zur zentralen Mailbox des Thule-Netzes, zur NSDAP/AO oder zu Ku Klux Klan. Immerhin verbreiten etwa 100 Gruppen ihr braunes Gedankengut per Internet. Die von Antisemitismus durcchsetze Datei „Independent History and Research“ etwa berichtet über „gas chamber revisionism“ und den „israelischen Holocaust gegen die Palästinenser“. Ein Link zum „Institute for Historical Review“, ein Sammelpunkt für Pseudo-Historiker und Revisionisten, preist sich an als „hervorragende Quelle für revisionistische Publikationen“. Ein Link spielt Zitate aus Hitlers „Mein Kampf“ auf den Schirm oder rassistische Propaganda über den Zusammenhang von IQ und „Rassenzugehörigkeit“. Von hier gelangen wir zu AlphaNet, einer neonazistischen Organisation mit P.O. Box in Philadelphia. Über das Feld „Information“ klicken wir uns auf einen umfangreichen Fragebogen, der die Nutzer über ihre politische Orientierung, Organisation, über Waffenbesitz u.a. befragt. Beantworte ich allerdings die erste Frage „Are you White/Aryan?“ mit Nein, erscheint auf dem Schirm in roter Schrift auf schwarzem Grund: „If you are not white you are not wanted on our server. GET OUT!“ Ein Versuch bei der NSDAP/AO: Die in Lincoln/Nebraska ansässige „Auslands- und Aufbauorganisation“ macht keinen Hehl aus ihrer Überzeugung. Propagandamaterial, das in der Bundesrepublik verboten ist, läßt sich per Mausklick auf den heimischen Schirm holen und bestellen. Es handelt sich v.a. um Aufkleber, Flugblätter, Zeitschriftenbeiträge und „authentisch reproduzierte“ Anstecker. Hauptanbieter war 20 Jahre lang der inzwischen verurteilte und inhaftierte Neonazi Gary Lauck. Zurück zur „Stormfront“, von dort gelangen wir zur bereits erwähnten „Zündelsite“. Seit September 1995 ist der in Toronto lebende deutsche Neonazi Ernst Zündels mit eigener Homepage im Netz vertreten. Seine Mission: „Die Rehabilitierung der deutschen Nation“. Die Inhalte der Zündelseiten sind von Nazi-Propaganda, der Relativierung der deutschen Kriegs- und NS-Verbrechen, von Antisemitismus und der stereotypen Wiederholung der Leugnung des Holocaust durchtränkt. Dieses Gedankengut gelangt über einen Rechner im kalifornischen Santa Cruz ins Netz, da Zündel dort rechtlich nicht belangt werden kann. Zündel bietet auch Zugang zum „Leuchter-Report“, dem pseudowissenschatlichen Versuch Fred Leuchters, nachzuweisen, daß in Auschwitz- Birkenau und Majdanek keine Gaskammern existiert hätten. Er verbreitet zudem bereits seit einiger Zeit seinen „Germania Rundbrief“ per Internet. Zündel steht im Krieg, „der seit 1914 … gegen unser Volk von denselben Kräften im Hintergrund geführt wird. Unsere Väter verteidigten unser Volk mit Panzern und Gewehren. Wir verteidigen es mit Worten … und heute sogar weltweit über das Internet, unsere modernste Waffe.“ Er ist sich der Möglichkeiten, die das Internet bietet, sehr bewußt. Um so schärfer wettert er gegen die „jüdischen Zensoren“. Er weiß, daß „ohne das Internet … die Menschen aus allen Erdteilen unsere revisionistischen Informationen nie finden können.“ Sein Ziel: „Ein weltweites Netz der Wahrheit wird, einem Oktopus ähnlich, aufgebaut!“ Und besonders rührt ihn an, daß „unsere Stoßtruppen nicht, wie einst die SA im politischen Kampf …, sondern meistens alte Omis und Kriegsveteranen“ sind. Sie sind es, die Zündel finanziell unterstützen. – Das läßt hoffen.
„Nationale am Puls der Zeit“ – der Werbeslogan der nationalistischen Aktivisten.
Die rechtsextreme Szene hierzulande versucht sich nach dem Verbot einiger Parteien und verstärktem juristischen Vorgehen gegen ihre Führergestalten die unterschiedlichen rechten Gruppierungen zusammenzuführen und sich in einem Netzwerk von locker gruppierten Aktionsbündnissen, Initiativen und Zellen zu organisieren. Die modernen Kommunikationsformen bieten hierbei eine Art kommunikative Klammer. Seit Frühjahr 1993 wird am Aufbau eines verzweigten Netzes von Mailboxen „für national gesinnte Menschen“ – dem bereits erwähnten Thule-Netz – gearbeitet, eine Reaktion darauf, daß Rechtsextreme in anderen Netzen ihre braunen Nachrichten nicht mehr verbreiten konnten. Die Angaben über die Zahl der angeschlossenen Boxen im Bundesgebiet, mit „Auslegern“ nach London und Wien, schwanken zwischen zwölf und 19. Seit Mitte letzten Jahres besteht auch ein Zugang zum Internet. Wichtigstes Ziel der Vernetzung ist die Schaffung sog. „befreiter Zonen“, in denen eine von staatlichem Zugriff geschützte Kommunikation zwischen rechtsextremen Gruppierungen aller Schattierungen und die Etablierung einer Gegenmacht möglich sein soll. „Befreite Zonen sind sowohl Aufmarsch- als auch Rückzugsgebiete für die Nationalisten Deutschlands“, heißt es in einem Netzbeitrag.
Der Name des Netzes ist Programm: „Thule“ – in der Antike das von Sagen umwobene Inselreich am nördlichsten Ende der Welt, Urheimat der Germanen – geht auf die 1918 in München gegründete Geheimloge mit dem Namen „Thule-Gesellschaft“ zurück. Deren politisches Ziel war die Errichtung eines großdeutschen Reiches, die Bekämpfung der Juden und der Sozialisten. Sie spielte eine entscheidende Rolle bei der Zerschlagung der Münchner Räterepublik und gilt als eine der Keimzellen der NSDAP. Logenmitglieder waren u.a. Rudolf Heß, Julius Streicher und Alfred Rosenberg.
Das Gehirn des zentral organisierten Netzes ist die „Widerstand BBS“ (4) in Erlangen. Hier werden Mailboxen-Betreiber und -Nutzer an- und abgemeldet, wird organisiert und koordiniert. Die einzelnen Betreiber der Mailboxen – die sog. Systemoperator, kurz: Sysops – wachen über die Inhalte und Sprache der nichtverschlüsselten Nachrichten, so können sie öffentliche wie private Nachrichten lesen, zensieren oder auch deren Inhalt verfälschen. Auf den öffentlichen Seiten wird eine verklausulierte Sprache benutzt, hier wird kein offnener Rassismus und Nationalismus propagiert, hier spricht man von „Ethnopluralismus“, „tragischem Lebensgesetz“, vom „Kampf um die Kultur“ und „Recht auf Verschiedenheit“. Die Betreiber bekennen sich ausdrücklich zur Neuen Rechten und begreifen sich in der Tradition der „Konservativen Revolution“ der 20er Jahre. Ohne hier im einzelnen die Ideologie der Neuen Rechten als eine verklausulierte Ideologie der alten Rechten analysieren zu können, die zentralen Gedanken der Neuen wie der alten Rechten sind die gleichen: Antisemitismus, Rassismus, Revisionismus, Nationalismus, Frauenfeindlichkeit und Anti-Amerikanismus.
Als Zielgruppe haben die Netzbetreiber v.a. junge Intellektuelle im Blick, das Spektrum der User ist allerdings breiter: Es reicht vom konservativ Denkenden, über Anhänger der Neuen Rechten, Mitglieder rechtsradikaler bis neonazistischer Parteien bis zum gewaltbereiten Neonazis. Eine Hoffnung der Netzbetreiber scheint zudem zu sein, über die Technik den Zugang zu unpolitischen und eher orientierungslosen, aber technikbegeisterten, vor allem männlichen Jugendlichen zu ermöglichen, um diese mit rechtem Gedankengut zu füttern.
Auf der Homepage des Thule-Netzes finden wir diverse Symbole, über deren Aktivierung wir sowohl zu den angeschlossenen Boxen wie auch zum Thule-Seminar Pierre Krebs, zu Parteien und Organisationen der Rechten, aktuellen Berichten und über „Links“ auf weitere Listen von rechtslastigen Verbindungen vorstoßen. In jeder Mailbox werden unterschiedliche öffentliche News-Gruppen, sog. „Bretter“ angeboten, wobei das Themenspektrum von Anti-AntiFa, Geschichtsbewältigung und Nationalismus bis zu eher allgemein anmutenden Themen wie Jugend und Computer reicht. Ein Link führt uns zur „Jungen Freiheit“, der neurechten Wochenzeitung aus Berlin. Unter „Geschichte“ finden wir etwa „Aufklärendes“ zur „Schmäh und Lügenausstellung“ über die Verbrechen der Wehrmacht und die „Verunglimpfung der Deutschen“ durch Daniel Goldhagen. Das „Deutsche Rechtsbüro“ bei München bietet eine „Rechtsberatung für den braunen Alltag“ und der Rechtsextremist Reinhold Oberlercher, Ende der 60er in Apo-Kreisen zu Hause, veranstaltet virtuelle Treffen zur Schulung des rechtsextremen Nachwuchses: „Wie organisiere ich einen Infostand?“, „Wie verhalte ich mich bei CS/CN- Gaseinsätzen?“. Aber auch über die politischen Gegner der Rechten ist im Thule-Netz einiges zu erfahren: Namen, Adressen, Aktivitäten, Veröffentlichungen der AntiFa. Daß auf den Seiten der Rechten auch ein Link zu Pornographischem nicht fehlt, war zu erwarten.
Die große Zahl der Bretter darf allerdings nicht zu dem Schluß führen, daß hier hunderte von Rechtsextremen intensiven Austausch pflegten. Der Journalist Burkhard Schröder warnt davor, den Mythos einer weltumspannend agierenden Rechten entstehen zu lassen. Der intime Kenner des Thule-Netzes spricht von „gähnender Leere“ auf den Brettern der Rechten, im Vergleich zu jenen der Umwelt- und Bürgerrechtsnetze.
„Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen“
Dieses Motto scheint bislang aufzugehen. Die staatlichen Fahnder haben so ihre liebe Not mit den technisch versierten Ewiggestrigen. Probleme bereitet den staatlichen Fahndern zudem die aus anderen Staaten, v.a. aus den USA ins Netz gespeiste rassistische Propaganda. In den Vereinigten Staaten genießt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung oberste Priorität. Es existiert kein Strafrechtsparagraph, der die Leugnung des Holocaust oder die Verbreitung von Nazipropaganda verbieten würde.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird auf eine harte Probe gestellt. Soll dieses hohe Gut eingeschränkt werden, wo sich seiner erklärte Feinde der Demokratie bedienen? Jene, die eine Beschränkung dieses Rechtes einfordern, etwa mittels des neuen Multimediagesetzes, sind dem Verdacht ausgesetzt, gar nicht allein das Verbot rechtsextremer Propaganda und Pornographie im Blick zu haben. Ihnen wird vorgehalten, eine allgemeine Ausweitung staatlicher Überwachungsmöglichkeiten im Sinn zu haben – die dann alle treffen und letztenendes jenen Forderungen entgegenkommen würden, die zum Repertoire der Rechtsextremisten gehören: nämlich Abbau demokratischer Rechte, Zensur, Eingriffe in die Rechte der Einzelnen und Stärkung des Staates.
Die Netzgemeinde selbst zeigt sich in der Frage des Umgangs mit rechtsextremistischen Inhalten im Netz gespalten. Zensieren, Ignorieren oder mit Gegenargumenten offensiv reagieren? Immerhin sind „in einem einzigen Jahr mehr rassistische und gewaltverherrlichende Propaganda … als in all den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg“ verbreitet worden, so ein Vertreter des Simon-Wiesenthal-Zentrums.
Um gegen rechte Hetze im Netz vorzugehen, brauche es keine neuen Gesetze und Einschränkungen von Grundrechten, so die Verteidiger des freien Netzes. „Das ist wichtig für die Demokratie in einer von Berlusconi und Bertelsmännern dominierten Medienwelt“, meint der niederländische Netzanbieter Rop Gonggrijp. Statt immer neue Gesetze und Mauern zu errichten, sollte lieber in die Aufklärung der Menschen investiert werden: „Aufklärung statt Zensur“.
Vorbemerkung: Ich verwende ausschließlich die männliche Form, da im Thule-Netz fast ausschließlich, in der rechten Szene überwiegend Männer aktiv sind. Allgemein gilt, daß bis heute die männlichen Internetnutzer eindeutig in der Mehrheit sind. In Deutschland sind von 100 Internetnutzern lediglich 7 Prozent weiblich.
(1) WWW bezeichnet ein 1990 von Tim Bernerslee entwickeltes Computerprogramm, mit dessen Hilfe sich die Rechner im Netz verständigen. Damit ist es möglich, daß man sich per Mausklick statt mit Befehlen durchs Netz bewegen kann. Das Besondere: Über "Links" (markierte Stellen im Text) kann jede WWW-Seite auf Internet-Rechnern aufgerufen werden.
(2) Ein Mailbox-Verbund ist vergleichbar mit einer Verkettung von mehreren Postfächern, durch die Nachrichten hin und eher transportiert werden. Ein Rechner funktioniert wie ein elektronischer hausbriefkasten: Nutzer können dort Post hinterlegen und abrufen. In der Bundesrepublik gibt es ca. 8000 Mailboxen, die teilweise zu Netzen zusammengeschlossen sind. Einige von ihnen - wie das Thule-Netz - haben einen Internetübergang.
(3) Die Kenntnis der englischen Sprache ist eine der Voraussetzungen, um sich im WWW zurechtzufinden, denn bis heute ist das amerikanische Zeichensystem die Sprache des Internet. Nationale Sonderzeichen, wie die Umlaute in der deutschen Sprache oder ganze Schriftsysteme, wie das arabische oder kyrillische Alphabet, werden nicht übertragen. Aber nicht allein die Sprache, auch in Sachen Software und Netzweltsitten geben die USA den Ton an.
Die Ursache für diese Amerikazentriertheit liegt im Ursprung des Netzes: Er liegt im us-amerikanischen Militär. Waren zunächst nur militärische Einrichtungen und das Pentagon an das sog. "Arpanet" angeschlossen, wurde dieses bald für zivile Einrichtungen, v.a. die Universitäten des Landes geöffnet. Seit 1973 wurden die ersten internationalen Verbindungen hergestellt. Diese Verkettung von Netzen bekam den Namen "Internet", das heute aus über 40.000 Teilnetzen in über 100 Staaten besteht. Da auch nach einem Atomschlag Teile des Netzes noch funktionstüchtig sein sollten, wurde das Netz dezentral angelegt und diese Struktur hat es bis heute bewahrt. Eine Internet-Weltkarte zeigt, daß es bis heute aber v.a. die Länder Nordamerikas, Europas und Australien sind, die per Netz miteinander kommunizieren. Ganz Afrika und Asien haben kaum Zugang zum World Wide Web.
(4) BBS: Bulletin Board System, bestehend aus Mailboxes der Benutzer (deren Postfächer) und den Boards, den Brettern.
Literatur
Burkhard Schröder: Neonazis und Computernetze, rororo, Reinbek 1995
Dieser Artikel ist in gekürzter Fassung bereits in zivil Nr. 1/97 erschienen.