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Freitag: Mit uns zieht die neue Zeit(ung)!

| Horst Blume

Nachdem am 11. April 1968 der durch "BILD" und "Nationalzeitung" verhetzte Josef Bachmann den linken SDS-Aktivisten Rudi Dutschke niedergeschossen hatte, blockierten empörte Linke die Auslieferung der Springer-Blätter in West-Berlin. Damals (wie heute?) wäre für jeden Linken eine Kooperation mit dem Springer-Verlag undenkbar gewesen. Heute dagegen wird die linksliberale Wochenzeitung Der Freitag vom Springer-Verlag ausgeliefert. GWR-Mitherausgeber Horst Blume analysiert die Entwicklung des Freitag. (GWR-Red.)

Am 5. Januar 2012 schrieb der neue Verleger Jakob Augstein an seine Kunden, die LeserInnen der Wochenzeitung Freitag, folgenden Brief: „Die Herausgeber haben in einer Zeit des Übergangs entscheidend dazu beigetragen, dass der Freitag nicht nur am Leben, sondern auch auf Kurs blieb.

Die Zeit des Übergangs ist nun vorbei. Mit dem abgelaufenen Jahr hat darum die Herausgeberschaft von Daniela Dahn, Friedrich Schorlemmer, György Dalos und Frithjof Schmid geendet.“

Mit dieser Kündigung des Besitzers ist die schon seit Längerem im Schwinden begriffene inhaltlich-formelle Beteiligung der HerausgeberInnen am Projekt beendet.

Die von Daniela Dahn angepeilte „geistige Drehscheibe“ (1) außerhalb des Mainstreams dreht sich in Zukunft um ehrgeizige Verlegerwünsche: Unsere Zeit mit scheinbar gleichberechtigtem „Seit‘ an Seit'“ war einmal.

Augstein will kein billiger Jakob mehr sein, sondern ganz oben im Mediengeschäft mitmischen und die aufgegebenen Plätze von Spiegel und Stern einnehmen, die ihr „linksliberales“ Etikett längst nicht mehr verdienen.

Der Freitag ist ein geschichtsträchtiges Fusionsprodukt aus Deutscher Volkszeitung (DVZ, gegründet 1953), der antifaschistischen die tat (gegründet 1950) sowie der einzig halbwegs lesbaren DDR-Kulturzeitung Sonntag (gegründet 1946). Als 1989 die GeldgeberInnen abhanden kamen, fusionierten sie und hatten als brückenbauende Ost-West-Zeitung ihr Thema gefunden.

Während der „Übergangszeit“ nach der Wende wurde der Freitag ein viel zitiertes Blatt, wenn es darum ging, soziale Ungerechtigkeit kenntlich zu machen, Bürgerrechte einzufordern oder literarische Themen kritisch zu diskutieren.

Mit einer verkauften Auflage von weit unter 20.000 Exemplaren war das Blatt aber stark defizitär. Nachdem Jakob Augstein mit viel Geld den Freitag im Jahre 2008 gerettet hatte, drängte er den kritischen Literaturredakteur Ingo Arend aus der Zeitung und forcierte die Neuausrichtung. Das hieß Einbeziehung der wachsenden Internetgemeinde in den Netzauftritt durch Blogbeiträge, übersetzte Artikel aus der neuen liberalen Partnerzeitung Guardian, viele bunte Bildchen und mehr Zerstreuung und Lifestyle.

Das kam bei einigen AltabonnentInnen gar nicht gut an. Der Verlust an intellektueller Substanz und die sich einschleichende inhaltliche Beliebigkeit wurde moniert und sorgte für Unruhe bei den LeserInnen und den inzwischen suspendierten HerausgeberInnen.

Politikberatung für linke Parteien

In den letzten Jahren konzentrierte sich die journalistische Arbeit im innenpolitischen Bereich immer mehr auf eine Politikberatung der drei Parteien SPD, Grüne und Linke nach dem Motto: Habt mehr Verständnis füreinander, seid nett zueinander, konzentriert euch auf gemeinsame Projekte, sonst wird es bei der nächsten Bundestagswahl mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte nichts.

Die sozialen Bewegungen dagegen wurden weniger in ihrer Selbständigkeit bestärkt, sondern dazu angehalten, ihre Aktivitäten und ihre Bündnispolitik den „Notwendigkeiten“ des angestrebten Machtwechsels für Rosarotgrün anzupassen und sich auf den Weg hin zu den Parteien zu begeben.

Auf diese Weise wäre das Versacken von Basisinitiativen im reformerischen Kleinklein nur noch eine Frage der Zeit.

Ihre ursprünglichen Ziele gerieten nach dieser journalistischen Vorgabe aus dem Blick. Die handzahmen Aktionsformen würden sich an ihrer Brauchbarkeit für die Verwertung im parlamentarischen Raum orientieren.

Eine nostalgische Verklärung der guten alten Zeit mit der damals ach so kapitalismuskritischen und engagierten DVZ, wie sie gerne von AltabonnentInnen betrieben wird, ist allerdings unangebracht. Die aktuelle Blatttendenz des Freitag unterscheidet sich von der bündnispolitischen Ausrichtung her gar nicht so sehr von der alten Deutschen Volkszeitung.

Die Vorgängerzeitung des Freitag war jahrzehntelang der unmittelbarste publizistische Ausdruck der alten DKP-Bündnispolitik. Der kleinste gemeinsame Nenner bei der Einbeziehung möglichst vieler Menschen implizierte einen Ausschluss weitergehender, dissidenter Sichtweisen und Politikkonzepte. Es war die hohe Zeit, in der sich die kleine DKP hinter dem berüchtigten Breilibü verstecken konnte.

In dem „breiten, linken Bündnis“ sollten alle mitmachen, die naiv genug waren und deswegen nicht bemerkten, dass hinter dem Rücken der Beteiligten gewiefte Parteikader die Strippen zogen.

DVZ missbrauchte auflagenstarke Machtstellung

Das Besondere an der DVZ war, dass diese Zeitung so bieder und zahm ihre Inhalte verpackte, damit sich auch ängstliche LehrerInnen und solche, die es einmal werden wollten, trauten in ihr zu schreiben oder sie zu abonnieren. Die „revolutionäre“ Eroberung des Staates als kommunistische Zielvorstellung und das Streben nach einer gesicherten Beamtenanstellung mit schönem Pensionsanspruch fand in dieser Zeitung einen bisher unerreicht perfekten symbiotischen Ausdruck.

Der durchaus wichtige Kampf gegen „Berufsverbote“ im öffentlichen Dienst wurde von der DVZ und den hinter ihr stehenden Kräften zur allein legitimen Schwerpunktaufgabe im Bereich der staatlichen und kapitalistischen Repression hochstilisiert. Dies führte zu einer inhaltlichen Verengung des gesamten Widerstandes, weil andere Formen der Unterdrückung konsequent und bewusst aus dem Blickfeld verdrängt wurden.

Als 1976 unabhängige SozialistInnen und auch Libertäre in einem großen Kraftakt den Anti-Repressionskongress und eine Demonstration in Frankfurt am Main organisierten, boykottierte die DVZ, als damals auflagenstärkste linke Zeitung, die Mobilisierung und diffamierte anschließend die mit 20.000 Menschen sehr gut besuchte Veranstaltung als „Pfingstkongreß neben den Ereignissen“ (2).

Die aufkommende Konkurrenz anderer Themen und anderer Gruppen sollte niedergehalten werden. Alle Aufmerksamkeit und Energie sollte in das DKP-dominierte Breilibü gegen Berufsverbote fließen.

Nur selektive Militärkritik

Während die DVZ die Kriegsdienstverweigerer und ihre Organisationen in der BRD publizistisch unterstützte, schwieg sie zur Unterdrückung der Kriegsdienstverweigerer in der DDR.

Nachdem die Deutsche Volkszeitung in zahllosen Artikeln und Sonderausgaben ihre Abscheu vor dem Militärputsch in Chile im Jahre 1973 zum Ausdruck brachte, druckte sie mit Vorliebe nur Monate später völlig unkritisch Kommuniques von Portugals Streitkräften und Oberkommandierenden ab.

Diese hatten gegen die Salazar-Diktatur geputscht, aber schon nach einer kurzen „revolutionären“ Aufbruchstimmung machten die Militärs das, was sie gewöhnlich immer tun.

Eine grundsätzliche inhaltliche Kritik am Militär, die eine diskursorientierte Zeitung hätte leisten können, wurde fragwürdigen und machtpolitischen Nützlichkeitserwägungen geopfert.

Tradition und publizistische Arbeit der DVZ stellten also kein Ruhmesblatt dar.

Als nach 1989 das mit viel DDR-Geld aufgebaute Potemkinsche Propaganda-Dorf wie ein Kartenhaus zusammenfiel und mehrere hundert Stellen aufgegeben werden mussten, brach für viele LeserInnen eine Welt zusammen.

Noch bevor in der DVZ-Ausgabe vom 8.12.1989 ein allerletztes mal Werbung für insgesamt zwölf (!) ostfinanzierte, aber in der DVZ-Druckerei in Neuss gedruckte Zeitungen erschien, zeigten sich in Leserbriefen einige LeserInnen tatsächlich noch naiv-erschüttert über dieses enorme Abhängigkeitsverhältnis.

Eilfertige Verbeugung vor den Marktgesetzen

Da sich das Führungspersonal und viele RedakteurInnen nicht gegen Herrschaft an sich engagierten, sondern lediglich eine spezielle Herrschaftsvariante favorisierten, hatten einige von ihnen keine großen Probleme, sich in der neuen kapitalistischen Welt zurechtzufinden.

Der ehemalige DVZ-Chefredakteur Franz Sommerfeld ging zur Berliner Zeitung, in der er sich so vehement für den Transrapid einsetzte, dass er den Spitznahmen „Franz Rapid“ erhielt (3) und schlussendlich 2009 in den Vorstand des Medienkonzerns DuMont „berufen“ wurde (4).

Auch die rückblickende Charakterisierung des ehemaligen DVZ-Verlagsleiters des Freitag klingt in meinen Ohren nicht wirklich vertrauenerweckend: „Paul Neuhöffer war der seltene Typus des Kommunisten, der die Gesetze des Marktes im Sinne seiner politischen Vorstellungen und ganz im Interesse des Unternehmens zu nutzen wußte.“ (5)

Um wieder zu Jakob Augsteins Ankündung von der „beendeten Übergangsphase“ beim Freitag zurückzukommen: Sie zeichnet sich heute dadurch aus, dass in der ehemaligen „Ost-West-Zeitung“ weder der Chefredakteur noch ein einziger Ressortleiter aus Ostdeutschland kommt (6).

Dafür hat der agile Medienjongleur Augstein mit Professor Christoph Meier-Siem für die beratende Geschäftsführung des Freitag den geschäftsführenden Gesellschafter der springereigenen TM-Media GmbH eingestellt (7).

Der zeitweilige Geschäftsführer der Freitag Mediengesellschaft, Detlev Hustedt, kam ebenfalls von Springer. Er war zuvor stellvertretender Gesamtanzeigenleiter der Welt-Gruppe (8).

Geht die Entwicklung so weiter, kann der Freitag bald mit Haus und Garten fusionieren und sich in Feierabend umbenennen. Die dazu passende Kolumne „Koch oder Gärtner“ besteht ja schon längst.

(1) ND vom 12. 1. 2012, Seite 3

(2) DVZ vom 10. 5. 2976

(3) TAZ vom 21. 1. 1997

(4) Siehe Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Sommerfeld

(5) Freitag vom 1. 5. 1998

(6) Eckart Spoo in "Normale Zeitungsgeschichte", Ossietzky 2/2012

(7) Siehe: http://kmm-hamburg.de/christoph-meier-siem/

(8) Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Freitag