anarchismus / gewaltfreiheit

Stuttgart 21 – ein Lehrstück

Mediation als Konfliktbewältigungsstrategie

| Michael Wilk

Als Auftakt einer Diskussion zum Thema Politische Mediation erschien im November in der GWR 373 Besalinos Artikel "Trick 17 mit Selbstüberlistung / Warum die Beteiligung an der Schlichtung zu S21 ein Fehler war und wieso die Politische Mediation keine Alternative ist". Daran anknüpfend bringen wir diesmal eine Vertiefung des Themas durch den folgenden Artikel von Michael Wilk, sowie auf Seite 12 eine Erwiderung von Christoph Besemer (Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden) und Roland Schüler (Friedensbildungswerk Köln). Die Antwort darauf von GWR-Mitherausgeber Besalino findet Ihr auf Seite 13. Für die GWR 375 planen wir eine Fortsetzung der Diskussion, u.a. mit einem Beitrag des libertären Kultursoziologen Thomas Wagner. (GWR-Red.)

Erst Schlichtung, dann Mediation?

Emanzipative Schritte, Lernprozesse und Ansätze von Gegenmacht werden gefürchtet. Die normalerweise immer gut funktionierende Identifikation mit dem Staat, erzeugt beim Aufkommen von Zweifeln und Misstrauen bei den Betroffenen meist ein Gefühl von Hilflosigkeit und Isolation.

Vor dem Hintergrund verbreiteter Passivität und Duldsamkeit erscheinen Beispiele aktiven solidarischen Widerstands umso brisanter. Nicht von ungefähr sind Konfliktvermeidungs- und Bewältigungsstrategien für jene Fälle vorgesehen, in denen Akzeptanz und Gehorsam von Seiten der BürgerInnen gegenüber dem Staat versagt werden.

Diese treten am ehesten bei offensichtlichen und nicht zu kaschierenden Interessensgegensätzen zu Tage, zum Bespiel bei der Planung und Umsetzung von Großprojekten in Ballungsräumen, wie geschehen bei Stuttgart 21, oder bei dem bedrohlichen Überschreiten einer Existensangstschwelle (Großflughafen, AKWs).

Bei extraordinären Ereignissen und Planungsvorhaben, die eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, speziell die einer Region betreffen, kommt es offensichtlich leichter zu Organisierungs- und Solidarisierungseffekten, als bei „allgemeinen Verschärfungen“, wie z.B. der Verschlechterung des Gesundheitssystems. Bei dem letztgenannten Beispiel wird deutlich, wie sehr bestimmte Themen (z.B. Gesundheit, Altersversorgung, Verarmung) normaler- und fatalerweise fast ausschließlich über die parteilich-politische Ebene ausgetragen werden. Obwohl gerade generalisierte Verschärfungen dazu Anlass geben sollten massenhaft Protest und Widerstand hervorzurufen, sind gerade hier Aspekte scheinbarer Hilflosigkeit und Vereinzelung, mit der Konsequenz passiver Duldung die Regel.

Anstatt sich massenhaft im Protest auf die Straße zu begeben, wird eher von Parteien oder auch Gewerkschaften erwartet, sich des Themas anzunehmen, verkennend, damit den Bock zum Gärtner zu machen. Anders bei „sinnlicher direkter Erfahrung“, bzw. extremen Verschlechterungen der Lebenssituation auf sozusagen „engerem Raum“. Bei Konflikten wie Stuttgart 21, der Endlagerung von Atommüll in Gorleben, oder auch der Flughafenerweiterung Rhein-Main wird deutlich, dass die institutionalisierte Politik die alleinige Handlungshoheit auch verlieren kann. Möglicherweise kumuliert hier persönliche Betroffenheit mit der sinnlichen Erfahrung einer „ansteckenden“ Form sozialen Protestes, motiviert und beflügelt durch MitstreiterInnen in nachbarschaftlicher bzw. regionaler gemeinsamer Betroffenheit.

Durch diese persönliche „sinnliche Erfahrung von Protest und Widerstand“, sinkt die Hemmschwelle in Bezug auf ein eigenes Engagement, ebenso wie das Gefühl einer hilflosen Vereinzelung. Der Protest vor Ort, mit einem sichtbaren „Stein des Anstoßes“, sei es eine Castorhalle, bzw. rollende Atommüllbehälter, ein tosender Flughafen, oder eben die Baustelle Bahnhof, ist hier ebenso förderlich, wie notwendigerweise AktivistInnen mit der Bereitschaft zur „Vorarbeit“.

Da ist die gefürchtete Organisierung in Gruppen und Initiativen, die nicht mehr direktem Einfluss der politischen Institution „Partei“ unterliegen, nicht weit. Vieles droht den „normalen Regulatorien der Herrschaft“ zu entgleiten: Unabhängige Information und Medien, eigenständige Aktionen, kreativer Widerstand, direkte Aktionen, die im schlimmsten Fall Schule machen und nicht abschrecken.

An diesem Punkt setzen Verfahren an, deren Aufgabe darin besteht, die entstehende Abweichung nicht allzu weit von den akzeptierten Spielregeln des Systems entgleisen zu lassen, kalkulierbar zu halten, und im Idealfall auch hier wieder zu reintegrieren und für das gesellschaftlich-staatliche Funktionieren zu nutzen.

Mediationsverfahren…

Sogenannte Mediationsverfahren erlangen zunehmende Bedeutung in der Bearbeitung von Konflikten zwischen Obrigkeit, und betroffener Bevölkerung.

Anfang der siebziger Jahre vor allem im angelsächsischen Raum entwickelt, handelt es sich um Verfahren zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte, speziell geschaffen zur Regulation spannungsgeladener Interessensdivergenzen zwischen BürgerInnen und Regierungen.

Diese Verfahren riefen seit Anfang der 80er Jahre in den USA „einen regelrechten Mediationsboom, der vor allem auf die hohe Erfolgsquote dieser Verfahren zurückzuführen ist“ (1) hervor.

Nicht ungenannt bleiben sollte hierbei, dass in den USA Konflikte oft mit finanziellen Mitteln beigelegt wurden,- sprich die GegnerInnen bestimmter Projekte wurden ausgezahlt, oder anders gesagt: bestochen.

Bei den Verfahren geht es nicht darum, dass der/die, die Runde leitende MediatorIn Konflikte durch Schiedsspruch schlichtet oder entscheidet, sondern vielmehr darum, die Gesprächs- oder Konsensbereitschaft der verschiedenen Konfliktparteien zu stärken. Wesentliche Voraussetzung ist, dass die „bei diesen Verfahren vereinbarte Einstimmigkeitsregel (…) jeder Partei de facto ein Vetorecht einräumt“(ebenda)

Laut Hans Joachim Fietkau, Psychologe am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin (WBZ), konnten allein bei den 1986 durchgeführten 136 Mediationsverfahren 103 mit einer einvernehmlichen Übereinkunft der Konfliktparteien beendet werden. (2)

Diese annähernd 80% hatten allerdings, nach der Analyse US-amerikanischer SozialwissenschaftlerInnen spezielle Bedingungen: Religiöse oder ideologische Grundkonflikte sollten nicht zur Verhandlung stehen; die Machtungleichgewichte zwischen den Akteuren dürfen nicht zu groß sein; bei den Verhandlungen darf es sich nicht um ein reines Nullsummenspiel handeln.

Ob eine Müllverbrennungsanlage in Bielefeld 1987, das Abfallwirtschaftskonzept in Neuss 1992, die Sondermülldeponie in Arnsfeld 1991, der Bau des Großflughafens Berlin, der Landebahn Nord am Frankfurter Flughafen oder S21, Mediationsverfahren dienen auch in der BRD immer öfter, als Regulationsinstrument gegenüber sich anbahnenden Auseinandersetzungen.

Eines der aktuellsten und bekanntesten Beispiele ist der Konflikt um den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens.

Die Gründe, möglichst frühzeitig mittels Mediation auf die Form der Auseinandersetzung einwirken zu wollen, liegen vor allem in den Erfahrungen mit den schweren Kämpfen um den Bau der Startbahn 18 West, die Anfang der 80er Jahre fast zum Sturz der damaligen SPD-Landesregierung führten. Exemplarisch wird am Mediationsverfahren zum Flughafenausbau klar, worum es geht, und wie methodisch vorgegangen werden soll.

Das Mediationsverfahren wird im Vorschlagspapier der Regierung (3) als „informelles Verfahren ohne normative Regelungen“ beschrieben. Mit diesem Verfahren ließe sich „in bestimmten Situationen eher ein konsensuelles Ergebnis erzielen als mit einer einseitigen hoheitlichen Maßnahme“.

Offen wird für die Einbeziehung der BürgerInnen in das Prozedere geworben: „Mit der frühzeitigen Einbeziehung der Bürgerinteressen wird auch der gesellschaftlichen Bewegung weg vom Obrigkeitsstaat (!) eher Rechnung getragen.“

Proklamiert wird, dass es, anders als bisher, möglich wäre, die „selektiven Verhandlungsprozesse zwischen Verwaltung und Vorhabenträger“ auch für bisher nicht vertretene Interessensgruppen zu öffnen.

Das Papier wirbt für Sympathie bei den Betroffenen, stellt es doch die Möglichkeit einer relevanten Einflussnahme in Aussicht, ohne jedoch zu verschweigen, worum es eigentlich geht: „Dies soll zum einen der Verwaltung helfen, ihren Auftrag zur neutralen Gemeinwohlorientierung (!) und zum optimierenden Ausgleich aller rechtlich relevanten Interessen besser zu erfüllen, zum anderen die Akzeptanz umstrittener Maßnahmen fördern.“

Damit ist letztlich die Katze aus dem Sack. Was vordergründig als „kooperative Konfliktbewältigung“ angepriesen wird, dient letztlich zur Durchsetzung bestimmter Vorhaben, die unter Einsatz klassischer zentral-staatlicher „Planungskompetenz“ auf möglicherweise Widerstandsbereitschaft bei den betroffenen BürgerInnen stoßen würden. Der Köder, der dazu dienen soll, die Beteiligung an einem Mediationsverfahren schmackhaft zu machen, ist eine in Aussicht gestellte sogenannte Win-Win-Situation.

Gemeint ist ein angestrebtes Ergebnis, in dem es keine VerliererInnen geben soll: „Das Ziel von Konfliktvermittlung ist also, nicht die Betroffenen zur Interessensaufgabe zu bringen, sondern ihre Positionen verrückbar zu machen, d.h. die verschiedenen Interessen soweit wie möglich zu befriedigen ohne dass es nur Verlierer oder Gewinner gibt, sondern jeder einen (Teil-Gewinn verbuchen kann.“ (ebenda)

Dumm nur, dass es z.B. bei einer Flughafenerweiterung für die von Lärm und Verschmutzung Betroffenen nichts zu gewinnen gibt. Auch wurde von Teilen der Landesregierung mehrmals der feste Willen zum Bau einer neuen Landebahn bekundet, so dass niemand an ein „offenes“ Verfahren, glauben konnte.

Das Manöver der Landesregierung (von Rot/Grün begonnen und nach der Wahl 99 nahtlos von der CDU fortgeführt ) war zu durchsichtig, um Bürgerinitiativen und auch Umweltverbände einzubinden. Beide verweigerten die Teilnahme mit der Begründung, weder die Ergebnisoffenheit des Verfahrens sei gewährleistet, noch sei der Ausgang des Verfahrens bindend für die Landesregierung.

Ein (nicht öffentlich tagendes) Mediationsverfahren, in dem sich Ausbaubefürworter und GegnerInnen unter der Gesprächsleitung scheinbar neutraler Mediatoren gegenübersitzen, und in dem es darum geht „Verständnis für die Position des Gegenüber“ zu entwickeln, wurde konsequenterweise als hinderlich für das Vorgehen der BIs angesehen.

Unschwer zu erkennen, dass im Falle der geplanten Flughafenerweiterung für die Bürgerinitiativen weder ein „Machtgleichgewicht noch die Möglichkeit bestand, aus der Mediation mit einem Erfolg hervor zu gehen. Unter der Maßgabe nordamerikanischer Kriterien handelte es sich bei dem Flughafen-Verfahren um ein reines „Akzeptanzmanagement“, das wesentliche Bedingungen eines Mediationsverfahrens gar nicht erfüllt. Die Entscheidung der Bürgerinitiativen, nicht am (Schein) Mediationsverfahren zur Erweiterung des Frankfurter Flughafens teilzunehmen, war in diesem Sinne nicht nur ein einfaches Fernbleiben, sondern eine politisch klare Absage gegenüber einem allzu durchsichtigen Konfliktvermeidungsverfahren.

Die Antwort auf den klar erkennbaren Versuch, die BIs von der Ebene des direkten Widerstands und der Verbreiterung der Bewegung abzubringen, konnte nur darin bestehen, genau auf diesem Wege fortzufahren. Das Mediationsverfahren kam zwar dennoch zur Durchführung, aber das Fehlen ausgewiesener AusbaugegnerInnen, reduzierte es zur Farce.

„Protest in Diskussion verwandeln“

SozialwissenschaftlerInnen ergehen sich seit den Erfolgen der M-Verfahren in den USA in einem spekulativen Diskurs über die Möglichkeit, diese auch in der BRD als festen Bestand einer Palette von Verhandlungs- und Vermittlungsverfahren einzurichten.

Interessanter Weise wird dabei nicht nur von einer wachsenden Politik- und Parteiverdrossenheit ausgegangen, ebenso oft wird die steigende Unwilligkeit der betroffenen BürgerInnen beschrieben, den Entscheidungen von Behörden ohne Widerstand Folge zu leisten.

„Der Bürger ist also politisch selbstbewußter geworden, versteht sich gegenüber Politik und Verwaltung nicht mehr als Untertan, sondern erwartet die Berücksichtigung seiner Interessen durch den Leistungsstaat und verlangt nach mehr Mitsprache, wo es um seine Interessen geht. Andererseits wird der Bürger zunehmend sensibler gegenüber den Belastungen und Risiken, die von politischen Entscheidungen oder administrativen Maßnahmen ausgehen, und er reagiert darauf mit zunehmenden Misstrauen und Widerstand“. (4)

Die zunehmende partielle Distanz der Bevölkerung gegenüber staatlichen administrativen Ebenen , die sich nicht mehr durch die Beeinflussungsmöglichkeit einer alle vier Jahre stattfindenden Wahl überbrücken lässt, lässt es notwendig erscheinen, über neue Möglichkeiten der „Bürgerbeteiligung“ in Sachen Demokratie nachzudenken.

„Viele Bürger haben offenbar mit der repräsentativen Demokratie ihre Probleme. (…) Die wichtigste Beteiligungsmöglichkeit ist zwar die Ausübung des Wahlrechts. Da immer wieder von Wissenschaftlern und Bürgern Zweifel geäußert werden, ob es bei den allgemeinen, freien und geheimen Wahlen überhaupt etwas zu wählen gibt, kommen auch die Wahlen in die Diskussion. Der Nicht Wähler erscheint als der besonders reflektierte Zeitgenosse. Die ‚Partei der Nichtwähler‘ hat immer mehr Anhänger, so ist nach den Wahlen in den Zeitungskommentaren zu lesen.“ (5)

Die „partielle Entfernung“ der Menschen vom Staat und seiner „demokratisch legitimierten“ Exekutive, wird als heikel und dem Funktionieren des Staates abträglich eingestuft.

Gefürchtet wird der Verlust an Einbindungs- und Übereinstimmungsebenen, die das moderne Herrschaftssystem auszeichnen. Die Möglichkeit, dass gesellschaftliche Konflikte auf dem Hintergrund mangelnder Identifikation mit dem Staat nicht nur häufiger, sondern vor allem unberechenbarer ablaufen könnten, führt zu verstärktem Nachdenken über neue, die Kooperation mit dem Staat fördernde, Strategien.

Es gilt, jedweder kritischer Distanz gegenüber dem Staat, die unter libertären Aspekten im Konfliktfall als Ansatz eines emanzipativen Prozesses dienen könnten, frühzeitig mit Einbindungsversuchen zu begegnen. Propagiert wird unter dem Eindruck eines eben in diesem Sinne nicht genügend funktionierenden Parteiensystems die „Demokratisierung aller Lebensbereiche“.

„Angesichts einer seit den 70er Jahren vorausgesagten ‚partizipativen Revolution‘ (!) glaubten die meisten wissenschaftlichen Beobachter, den Bürgern mehr Beteiligungsmöglichkeiten anbieten zu müssen, als in der Parteiendemokratie vorgesehen sind. (…) Durch Beteiligung der Bürger an Personen und Sachfragen soll in beschränktem Rahmen(!) direkte Demokratie verwirklicht werden. Dem schlossen sich auch die etablierten Parteien, trotz jahrzehntelanger breiter Ablehnung direktdemokratischer Elemente, in den 90er Jahren an.“ (6)

Die Debatte über „Konzepte institutioneller Modernisierung“ erfolgen in der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung aus diesem Grund unter den Stichworten „kooperativer Staat“, „informales Verwaltungshandeln“, „Vermittlungsfunktion des Staates“ und „Modernisierung des Staates“.

Vordergründig geht es also darum, den bislang in Sozial- und Umwelt-Konfliktfällen hierarchisch agierenden Staat demokratisch zu wandeln und so den Regierten wieder näher zu bringen. Bei sehr gutem Willen könnte unterstellt werden, dass diese Politik- und VerwaltungswissenschaftlerInnen innerhalb der engen zerebralen und institutionell gesteckten Grenzen einen reformistischen Ansatz verfolgen, der auch einem breiten Bedürfnis in der Öffentlichkeit Rechnung trägt.

„Sie sind Ausdruck einer Entwicklung, die ein Verständnis von Staat und Verwaltung herbeiführt, das deren Autonomie und „souveräne“ Handlungsfähigkeit mehr und mehr in Zweifel zieht, und die einer ‚Enthierarchisierung der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft‘ (Scharpf1991) mündet“, (7) so Zilleßen. Nur Unbedarfte empfinden jedoch Frohlocken, wenn in diesem Zusammenhang von einer Enthierarchisierung gesprochen wird, denn schon bald wird klar, worum es vor allem geht: „Der Staat kann seine wachsenden Aufgaben nur dann erfüllen, wenn er die gesellschaftlichen Akteure, betroffene oder sich betroffen fühlende Einzelpersonen und Organisationen in die Vorbereitung politischer oder administrativer Entscheidungen einbezieht“ (8).

Was sich aus der Perspektive starrer Verwaltungstechnokraten geradezu „revolutionär“ ausnehmen mag, stellt sich bei kritischer Betrachtung als der Versuch dar, einerseits Konfrontation zu vermeiden und andererseits die betroffenen BürgerInnen samt ihres Widerstandspotentials staatlich einzubinden.

Bei den mit dieser Absicht forcierten Mediationsverfahren geht es also um mehr als um die Durchsetzung einzelner Großprojekte und den einzelnen daraus entstehenden sozialen Konflikt. Im gesamtstaatlichen Kontext gesehen beabsichtigt die Einrichtung von Mediationsverfahren auch eine erhöhte An- und Einbindung der Menschen an einen Staat, der zumindest partiell seine okkupierende Durchdringungskraft und Akzeptanz bei den BürgerInnen verloren hat oder zumindest zu verlieren droht.

Neben der Funktion, spezielle Projekte (z.B. Flughafenerweiterung, Atommülllager, Stuttgart 21) möglichst konfliktarm durchzusetzen, geht es auch immer um „Akzeptanzmanagement“ im Gesamtsystem. Mediationsverfahren sind in diesem Sinne Teil einer Befriedungsstrategie, die die Funktion hat, Konflikte zu entspannen und entstandene Risse im Funktionssystem des Staates zu kitten.

ProtagonistInnen von Mediationsverfahren bringen es auf den Punkt: „Dieses Erleben (der Mediation, d. Verfasser) kann der verbreiteten Staats- und Politikverdrossenheit entgegenwirken und demokratiefördernde Wirkung zeitigen. Es geht um eine Neubelebung von Bürgerengagement in die Angelegenheiten des Staates und um den Aufbau langfristig harmonischer Beziehungen zwischen gesellschaftlich relevanten Interessengruppen.“ (9)

Noch klarer und eindeutiger Hildrud Naßmacher: „Wichtig ist, daß die sich zu Wort meldenden Bürger nicht zurückgewiesen, sondern als Teil der Aktivdemokratie (!) betrachtet werden. Das Ziel sollte sein, Protest in Diskussion zu verwandeln.“ (10).

Mediation beinhaltet die „Professionalisierung“ des Konflikts und strebt eine „kooperative“ Konfliktbewältigung an, durch die zwangsläufig die Austragungsebene verändert wird. Sie wird sozusagen auf ein „höheres Niveau“ gehoben, sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene emanzipativer Bedingungen.

Das Mediationsverfahren greift damit direkt in das Konfliktverhalten widerstandsbereiter Menschen ein, indem es Einfluss nimmt auf die Sicht der Dinge, auf die Ebene der Wahrnehmung ebenso wie auf die Verarbeitung von Information und Erfahrung.

Durch die Diskreditierung der direkten Protest- und Widerstandsebene führt die Teilnahme an Mediationsverfahren zu einer Erschwerung, oder bei Verzicht, zu dem Verlust an Erfahrung eigener Stärke und Widerstandspotential. Weiterhin ist die Verbreiterung einer Bewegung über die Beteiligung an direkten Protestaktionen erschwert. Gesamtgesellschaftlich schaffen Mediationsverfahren neue Ein- und Anbindungsebenen an die staatliche Exekutive – genau an Punkten, bei denen offener Dissens „droht“ und antistaatlich-antihierarchische Ansätze entstehen könnten.

Nicht mehr direkter Widerstand, der wiederum weiteren Erfahrungsspielraum für andere Menschen und vor allem das Spüren der eigenen Kraft bedeuten würde, sondern die abgehobene und den Menschen entrückte Diskussionsrunde soll zum Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte werden.

Demonstrationen, Besetzungen, Streiks und Aktionen, die eine Sabotage geduldigen gesellschaftlichen Funktionierens darstellen, können als undemokratisch und deshalb inadäquat abgewertet werden, während das Mediationsverfahren als kooperativ und demokratisch, als die sozusagen kultivierte Ebene der Konfliktbewältigung dargestellt wird.

Die Entwicklung reintegrierender Strategien und die Verfeinerung der Methoden, wie es sich in Beispielen wie dem Mediationsverfahren niederschlägt, zeigt deutlich die weiterbestehende Tendenz, Widerstandspotential nicht nur zu neutralisieren, sondern darüber hinausgehend die „Aktivdemokratie“ zu beleben.

(1) Holtkamp/Schubert,"Verhandlungslösungen in Mediationsverfahren", Gegenwartskunde 4, S.424

(2) Fietkau, 1991,n. Holtkamp/Schubert, "Verhandlungslösungen In Mediationsverfahren", Gegenwartskunde 4/93, S.424

(3) Mediation, eine Zukunftsregion im offenen Dialog, Erläuterungen zur Beschlußvorlage Mai 98, S.5

(4) Horst Zilleßen, in: Umweltpolitik als Modernisierungsprozess, Leske+Budrich, Opladen 1993, S.87

(5) Hildrud Naßmacher, "Mehr Bürgernähe durch neue Beteiligungsmöglichkeiten", Politische Bildung H.1/98, S. 62

(6) Naßmacher, ebenda

(7) Horst Zilleßen, in: Umweltpolitik als Modernisierungsprozeß, Leske+Budrich, Opladen 1993, S.81

(8) ebenda

(9) Thomas Barbian, "Mediation bei Umweltkonflikten, Überlegungen zur erfolgreichen Anwendung", Sowi 22, 1993,.S. 161

(10) Hildrud Naßmacher, "Mehr Bürgernähe durch neue Beteiligungsmöglichkeiten", Politische Bildung H.1/98, S.73

Anmerkungen

Michael Wilk ist gelernter Schmied. Er arbeitet als Arzt und Psychotherapeut in Wiesbaden. In seinen theoretischen Auseinandersetzungen widmet er sich u.a. den Themen Macht, Herrschaft und Staatskritik. Seiner kritischen Bewertung von Herrschaftskonzepten, u.a. dem Mediationsverfahren, stellt er Ansätze emanzipatorischer Strategien gegenüber. Vgl. Interview in GWR 368: www.graswurzel.net/368/wilk.shtml

Der vorliegende Beitrag baut zum Teil auf früheren Arbeiten zu "Macht, Herrschaft, Emanzipation" Aspekte anarchistischer Staatskritik (Trotzdem-Verlag Grafenau 1999) auf.