Noch während die Räumung im Hambacher Forst zugange ist - veranlasst durch den Energieriesen RWE - veröffentlicht selbiger Konzern eine "Akzeptanzstudie", in der er über Bürger_innenbeteiligung philosophiert. Was auf den ersten Blick nach schlechter Satire aussieht, passt bei genauerer Analyse wie die Faust aufs Auge. Die Studie zielt im Besonderen auf eine Vereinnahmung von NGOs und anderen gesellschaftlichen Akteur_innen ab.
In den letzten Ausgaben der Graswurzelrevolution analysierten u.a. Michael Wilk und Thomas Wagner die politischen Mediationsverfahren bei Großprojekten wie Stuttgart 21 oder der Landebahn Nordwest des Frankfurter Flughafens, sowie dahinterstehende Theorien und Akteur_innen. Als „Mitmach-Falle“ wird die Einbindung des aktiven Bürger_innentums in die Planung und Durchsetzung politisch und ökonomisch gewollter Großprojekte zutreffend bezeichnet. Nun bringt RWE eine „Akzeptanzstudie“ heraus, die zwar auf den positiven Erfahrungen der Mediationsverfahren – aus Sicht von Wirtschaft und Politik – aufbaut.
Diese werden aber nur als eine Methode unter Vielen der Beteiligung und Integration angesehen. In der Studie werden Vertreter_innen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und von NGOs interviewt, um daraus dann einen Leitfaden für Beteiligungen zu entwerfen.
Es spricht für sich, dass in einer Studie über Beteiligung, nur Akteur_innen der gesellschaftlichen Elite zu Wort kommen – und nicht jene um dessen Beteiligung es in der Studie gehen soll. Das wirft ein Licht auf die Frage, was für eine Beteiligung gemeint ist. Nämlich nicht eine, welche Menschen an einer ergebnisoffenen Debatte teilhaben lässt. Und das weder über die Gestaltung der Zukunft noch über eine Beteiligung an Entscheidungen. Gemeint ist eine Beteiligung im Sinne einer Einbindung in die Projekte der gesellschaftlichen Elite. „Eine zentrale Erkenntnis“ der RWE-Studie lautet dann auch: „In Beteiligung zu investieren, kann Prozesse unter dem Strich beschleunigen und zu mehr Planungssicherheit verhelfen“.
Die Ausdifferenzierung der Beteiligung
Die Mediationsverfahren in Stuttgart und Frankfurt wurden nötig, weil bereits ein massiver Widerstand vorhanden war, wie in Stuttgart, oder befürchtet wurde, wie es in Frankfurt der Fall war, wo die „Vorhabenträger“, wie die an einer Durchsetzung interessierten Kreise in der Studie liebevoll genannt werden, noch das Trauma der Startbahn West im Nacken hatten. Im Sinne der RWE-Studie soll es aber gar nicht mehr zu einem aufwendigen Verfahren wie einer Mediation kommen müssen, weil die Einbindung bereits so weit wie möglich ins Vorfeld der Planung verlagert werden soll, „denn wo Konflikte frühzeitig diskutiert und aus dem Weg geräumt werden, kann Akzeptanz wachsen (…) und die Chancen für einen Konsens (…) erhöhen sich“ (Akzeptantzstudie RWE, wie alle weiteren Zitate in diesem Artikel).
Es geht also gewissermaßen um eine Ökonomie der Akzeptanz: Mechanismen zu finden, die einen möglichst großen Effekt haben, bei möglichst geringem Ressourcenaufwand. Die Wirkungen erhöhen und den Einsatz verringern. („Ich sehe Bürgerbeteiligung mittlerweile als Bestandteil der wirtschaftlichen Kalkulation von Unternehmen.“ Matthias Heck, Investmentbanker in der RWE-Studie)
Dafür sollen eine Vielzahl kleiner und subtiler Mechanismen wirksam gemacht werden, anstatt sich auf den engen Rahmen eines „institutionalisierten“ Verfahrens, wie der Mediation, zu beschränken. Es geht um Mechanismen, die auf eine Kontinuität abzielen, auf eine Verselbstständigung, auf eine Einschreibung in das soziale Gewebe.
Eine Vervielfältigung von Einbindungsmechanismen auf den gesamten sozialen Raum ist das Ziel. Die Planung von Projekten soll als Chance wahrgenommen werden, die eigenen Interessen darin zu verwirklichen. Das Feld des Diskurses soll verlagert werden. Die Frage nach dem „ob“ eines Projektes soll ersetzt werden durch viele kleine Fragen nach dem „wie“.
Alle in diese Fragen Eingebundenen werden auf einmal selber zu kleinen Manager_innen des Projektes. Projekte sollen als Gemeinschaftsprojekte wahrgenommen werden: Alle bringen sich ein, und alle profitieren („Beteiligung kann auch bedeuten, dass Bürger wirtschaftlich an einem Projekt partizipieren“). Die Möglichkeiten der Beteiligung müssen real genug erscheinen, damit Menschen sich darauf einlassen, aber in einem kontrolliertem Rahmen ablaufen, so dass die Beteiligten nie zur tatsächlichen Gefahr der gewollten Planungen werden können.
„Beherrschung durch Teilhabe“
Die Studie will das Arsenal an Werkzeugen präsentieren, das „Vorhabenträger“ dabei zur Verfügung steht. Verschiedene Methoden werden diskutiert, wobei sicherlich nicht alles neu ist. Die Einbindung der Menschen in die Prozesse ihrer eigenen Beherrschung, über die Suggestion, dass es um ihre eigenen Interessen ginge, ist die Grundlage moderner Herrschaftsformen.
Nehmen wir z.B. das allgegenwärtige Arbeitsplatz-Argument: Alles was „Arbeit“ schafft, ist gut. Es soll im Interesse der Menschen liegen „Arbeitsplätze“ in die Region zu holen und sich selber zu bemühen „Arbeit“ zu finden. Deshalb sollen im Diskurs die Interessen des Industriestandortes mit den Interessen der Menschen verschmelzen.
„Wir müssen den Leuten aber wieder deutlicher machen, dass jeder Arbeitsplatz in der Industrie weitere Arbeitsplätze in anderen Bereichen nach sich zieht“, sagt die Kommunikationsexpertin Elisabeth Schick in der Studie. Das, was in einer nicht-ideologischen Betrachtungsweise nur als Ausbeutung erkannt werden kann – die Organisierung der Tätigkeiten durch Lohnarbeit, zur Produktion eines Wertes unter Abschöpfung des Mehrwerts – wird in der Fetischisierung von Kapitalverhältnissen zum positiven Begriff und damit auch die Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen zur Notwendigkeit. Arbeiter_innenkämpfe werden durch die Übernahme dieser Denklogik, zum Innovationsmotor der eigenen Ausbeutung.
Integratives Umweltengagement
Neben diesen „altbewährten“ Formen moderner Herrschaft untersucht die Studie eine Reihe neuerer Technologien. Eingegangen werden soll hier besonders auf eine parallele Form zum integrativen Arbeitskampfmodell in Bezug auf Umweltthemen. Dies ist meiner Meinung nach das zentrale und gefährlichste Element der Studie: Umweltverbände sollen dazu gewonnen werden ihr Engagement als Umweltmanagement zu begreifen. Also selber teilzunehmen an der oben beschriebenen Suche nach der besten Umsetzung eines Projektes im Rahmen des ökonomisch Machbaren.
Als Vertreter_innen der Interessen der Umwelt soll es ihre Aufgabe sein, diese der Industrie argumentativ schmackhaft zu machen. So freut sich Regine Günthers vom WWF in der RWE-Studie, an der sie beteiligt ist: „Der WWF konnte sogar nachweisen, dass der Emissionshandel auch der Industrie Zusatzgewinne in dreistelliger Millionenhöhe beschert hat. Es darf nicht vergessen werden, dass durch den enormen Ausbau der erneuerbaren Energien der Großhandelspreis um 20 Prozent gesunken ist. Ein weiterer Vorteil für den Industriestandort Deutschland.“
Wo in den Basisgruppen der Umweltbewegung noch eine gesunde (wenn auch leider meist nicht theoretisch begründete) Abneigung gegenüber dieser Rolle besteht, haben viele großen Verbände diese Entwicklungen längst von sich aus gemacht. Sie fühlen sich an den Verhandlungstischen wohler als auf der Straße und den Bauplätzen an der Seite der Basisgruppen.
Ihr freundlicher Umweltberater
In einer Diskussionsveranstaltung mit dem Titel: „Greenwashing für die Unternehmen? Kommerzialisierung der NGOs? Oder fruchtbare Zusammenarbeit auf Augenhöhe?“, die am 10. Januar 2013 an der Uni Köln stattfand, sagte Christian Korda von Greenpeace auf die Frage ob er sich als Partner oder Gegner von RWE sieht: „Wir sehen uns eher als Berater“.
Schneiders, der „Corporate Responsibility Manager“ von RWE sah das ähnlich, wünschte sich jedoch „mehr Partnerschaft“. Einige Umweltverbände und Greenwashing-Beauftragte der Konzerne verschmelzen sich geradezu. Ein Zitat aus der RWE Studie von Christoph Bals, Germanwatch: „Es ist als NGO nicht nur unsere Aufgabe zu protestieren, sondern auch notwendigen Änderungen Legitimität zu verschaffen.“
Der Fairness halber muss gesagt werden, dass Greenpeace-Lokalgruppen auch tatsächlichen Widerstand gegen den Neubau von Kohlekraftwerken im Revier leisten.
Ein „ausklüngeln“ von Plänen hinter verschlossenen Türen zwischen Unternehmen und NGOs soll den Projekten Legitimität verleihen, weil die NGOs als natürliche Träger_innen der sozialen und ökologischen Bedenken angesehen werden. („Man vermute bei NGOs, „dass sie etwas Gutes tun.
Damit haben sie automatisch eine bessere Position als die Industrie, der nur egoistische Motive unterstellt werden.“)
Auf welcher Seite steht ihr?
In der Akzeptanzstudie steht klipp und klar: „Bürgerteilhabe ist ein lohnenswertes Unterfangen – für das konkrete Projekt (…) nie wird man alle Betroffenen von einem Vorhaben überzeugen können. Aber praktizierte Partizipation vergrößert Handlungsspielräume – und verkleinert sie nicht etwa wie noch immer von vielen Projektverantwortlichen befürchtet wird“.
Diese Vergrößerung an Handlungsspielräumen heißt im Umkehrschluss die Verengung der Handlungsspielräume derjenigen die noch in tatsächlicher Opposition zu den Großprojekten stehen.
Um das nicht zuzulassen muss die Rolle der Verbände, die sich auf die Beratung-Einbindung-Funktion einlassen, demaskiert werden.
„Wich side are you on?“, vor diese Frage müssen sie gestellt werden.
Die Benutzung von NGOs für die Akzeptanzbeschaffung uncooler Projekte ist nichts neues. Bei Produkten aus dem globalen Süden, die in den Industriezentren konsumiert werden, ist es gängig, eine „Fairness“ zu suggerieren über Labels und NGOs. In den Schlagzeilen mit solchen Methoden ist gerade besonders der WWF.
In anderen Weltgegenden fällt diese Methodik leichter, weil schwerer für die Einzelnen überprüfbar. Auch in den westlichen Industriezentren könnte die verallgemeinerte gesellschaftliche Funktion großer NGOs als Integration eigentlich antagonistischer Umweltschutzpositionen in ökonomische Logiken bezeichnet werden, die konkrete Zusammenarbeit mit den Konzernen steht aber noch vor dem Durchbruch.
Gerade bei den Auseinandersetzungen im Rheinischen Braunkohlerevier könnten sich diesbezüglich die Konturen der Geographie einer neu geordneten sozialen Landschaft herauskristallisieren. RWE ist schon seit längerem erfolgreich darin, fast die komplette Region an sich zu binden.
Über die wirtschaftliche Bedeutung für die Region, durch ein dicht gespanntes Netz über die Region durch eine (teilweise legale) Bezahlung von Politiker_innen und Beteiligungen an einer Vielzahl von kleinerer Unternehmen. Durch subtile Mechanismen, bestehend aus „Zuwendungen“, Teile-und-herrsche-Methoden, und gezielt und abgeschirmt eingesetzter Angst und Repression.
Seit ca. drei Jahren gibt es aber anwachsenden Widerstand mit den Klimacamps, Schienenblockaden und Besetzungen, wodurch nun auch Anwohner_innen frischen Mut bekommen aktiv zu werden. Dies dürfte Anlass gewesen sein für die Ausarbeitung der Akzeptanzstudie – für eine Erneuerung der Methodik zur Akzeptanzbeschaffung.
Die NGOs spielen darin eine Schlüsselrolle. Sie werden mit ihrem Vertrauensvorschuss gebraucht für eine Um-Interpretation des Widerstandes, um ihn einverleiben zu können.
„Der Widerstand“ soll „nicht als Vorbote einer drohenden gesellschaftlichen Revolte oder gar des Untergangs unseres repräsentativen Staatssystems gedeutet“ werden. „Wohl aber als Hinweis darauf, dass in unserer Gesellschaft gewisse Übereinkünfte neu ausbalanciert werden müssen.“
Diese neue Ausbalancierung stellt RWE sich im oben genannten Sinne vor: Aus Projektgegner_innen sollen Innovationsmotoren werden.
Doppelangriff im Rheinland
Die Räumung des besetzten Hambacher Forstes [die GWR berichtete] und die gleichzeitige Veröffentlichung der Akzeptanzstudie passen wie die Faust aufs Auge, weil es ein gezielter Doppelangriff war: Gleichzeitig sollte der reale Ort zerstört werden, an dem der Widerstand sich treffen, austauschen und vergrößern kann, während der diskursive Raum verengt wird, durch die Um-Interpretation des Widerstandes hin zu integrationsfähigen Elementen.
Die Lektüre der Akzeptanzstudie aus einer kritischen Perspektive ist zu empfehlen. Auf der Internetpräsenz von RWE ist sie unter „Überblick“ zu finden.
Besonders amüsant wird die Studie im Teil über die bereits bestehende Bürgerbeteiligung von RWE. Beteiligung wird dort verkürzt auf „Dialog“, um dann seltsame Dinge hineinzurechnen: „In diesem Kontext hat die Region wichtige Forderungen an einen Kraftwerksneubau gestellt: Reduzierung der Kühlturmhöhe, Stilllegung und Abriss von Altanlagen, geringerer Flächenverbrauch oder Minderung von Emissionen.“ Forderungen, die nicht erfüllt wurden. Aber wer nimmt das schon so genau?
„In den vergangenen Jahren wurden weitere Kommunikationsformen etabliert, wie ein Nachbarschaftsforum, die Nachbarschaftszeitung ‚hier'“, heißt es außerdem. So schnell wird aus einem Hochglanz-Propaganda-Blatt erst ein Dialog und dann „Bürgerbeteiligung“.
RWE muss also noch daran arbeiten den, in der Studie formulierten, differenzierteren Technologien gerecht zu werden.
Und wir daran, dass diese nicht greifen!