transnationales / antimilitarismus

Politisches Engagement trotz drohender Abschiebung

Ein Portrait des Verweigerers Mehmet Cetiner, der sich gegen den Militarismus in der Türkei einsetzt

| Wilfried Porwol

Die Familie Cetiner könnte zur wohlsituierten Mittelschicht in der Türkei gehören. Für den Vermessungsingenieur Mehmet Cetiner hätte eine Offizierskarriere in der türkischen Armee sicherlich zu den beruflichen Optionen gehört. Schließlich hatte die Einberufungsbehörde eine großzügige Freistellung vom Wehrdienst für die Zeit des Ingenieurstudiums ausgesprochen, die größte Armee Europas braucht eben dringend technisch hochqualifiziertes Führungspersonal.

Könnte, hätte – wäre da nicht der schmutzige Krieg im eigenen Land und die Gewissensqual. Mehmet und seine Frau Elif sind Kurden, für Mehmet selber, so betont er ausdrücklich, eigentlich ein völlig unwichtiges Kriterium. Nicht so für den türkischen Staat. Das Negieren seiner kulturellen Identität, der als "Kampf gegen den Terrorismus" etikettierte Staatsterror im kurdischen Teil der Türkei sind für Mehmet Grunderfahrungen, die es ihm unmöglich machten, einer bevorstehenden Einberufung Folge zu leiten. Der unbedingte Schutz der Menschenrechte, die Achtung der kulturellen Identität sowie die Ablehnung jeglicher militärischer Gewalt sind für ihn zum Maßstab für politisches und persönliches Handeln geworden. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung existiert nicht in der Türkei. Untertauchen innerhalb der Türkei, wie es viele Tausende hauptsächlich kurdischer Wehrpflichtige machen, ist schwierig mit Familie und dreijähriger Tochter.

Der einzige Ausweg: die Flucht nach Deutschland im Frühjahr 1995. Seitdem wohnt die Familie Cetiner in Kranenburg (Kreis Kleve), einer Kleinstadt am Niederrhein in unmittelbarer Nähe der holländischen Grenze. Das Leben in den folgenden Jahren ist für die mittlerweile vierköpfige Familie geprägt vom Wechselbad aus Hoffnung, Enttäuschung und Angst. Der erste Asylantrag, sowie ein Folgeantrag wurden abgelehnt. Kurden drohe im "Allgemeinen weder bei der Erfüllung ihrer Wehrpflicht noch im Zusammenhang mit einer etwaigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung oder Fahnenflucht politische Verfolgung", so die Begründung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom März diesen Jahres. Die Realität jedoch sieht leider erwiesenermaßen anders aus. Mehrere mit obiger Begründung in die Türkei abgeschobene kurdische Kriegsdienstverweigerer sind der Folter ausgeliefert worden. Am 08.05.2002 wurde der dritte Asylantrag gestellt, bei Ablehnung droht die Abschiebung.

Alles zu tun um dies zu verhindern hat sich die evangelische Kirchengemeinde in Kleve und der Unterstützerkreis zum Ziel gesetzt. Für Mehmet Cetiner sind lange Arbeitstage in schlecht bezahlten Jobs der Preis, um nicht von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Trotzdem findet er, unterstützt von seiner Frau, noch Zeit, sich für seine Überzeugung zu engagieren.

Er ist Mitglied der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft -Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) . In einer öffentlichen Verweigerungsaktion vor dem türkischen Konsulat in Hannover im Dezember 2000 erklärte er seine Kriegsdienstverweigerung. Diese ist für ihn nicht nur eine individuelle Konsequenz seines Gewissens, sondern zugleich ein Akt des politischen Widerstandes gegen den Militarismus in seiner Heimat. Auf mehreren Seminaren mit türkisch-kurdischen geflohenen Wehrpflichtigen, in kurdischen Vereinen, und vor Ort als aktives Mitglied der Klever DFG-VK wirbt Mehmet für die antimilitaristische Handlungsperspektive der Kriegsdienstverweigerung und für Aktionen zur Durchsetzung eines Rechtes auf KDV in der Türkei.

Kriege, Menschenrechtsverletzungen und Folter – so erklärt es Mehmet – seien die Folgen der über allen Parteien stehenden Staatsideologie des Kemalismus, bei dem die Verherrlichung des Militärs und der türkische Nationalismus zu Glaubensgrundsätzen erhoben würden. Im Verzicht der PKK auf Gewalt und in der Neugründung einer Partei, die sich auf gewaltlosem Weg für die legitimen Rechte des kurdischen Volkes engagiert, sieht Mehmet eine unterstützenswerte Entwicklung. Angesichts des aktuell drohenden Krieges gegen den Irak findet Mehmet in seiner Rede bei der Schlusskundgebung des Ostermarsches in Dortmund eindeutige Worte :

"Ich erkläre meine Solidarität mit allen Menschen, die sich jeglicher Kriegsbeteiligung entziehen und Widerstand leisten gegen einen weltweiten Krieg, der zur Zeit aktiv im Pentagon und in den Führungsetagen der NATO vorbereitet wird. Ich möchte uns Mut machen mit dem Motto der antimilitaristischen Bewegung in der Türkei: ASKERE GITME (auf deutsch: geht nicht zum Militär)"

Mehmet Cetiner, seine Familie und alle Menschen, die sich durch ihr Gewissen geleitet einer Kriegsbeteiligung entziehen, setzen Zeichen der Hoffnung. Sie brauchen Schutz vor Verfolgung. Ihnen Asyl zu gewähren sollte in unserem Lande eine Selbstverständlichkeit sein.

Kontakt

Lothar Klöhn
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Wilfried Porwol
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