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Le Monde Libertaire vor Gericht

Über die juristische Verfolgung der französischen anarchistischen Wochenzeitung durch Innenminister und Front National

| Nora & Normann

Le Monde Libertaire, die Zeitung der Fédération Anarchiste Francophone (FAF), bringt jede Woche sowohl Grundsatzartikel, als auch spitzfindige Analysen und ironische Kommentare zum aktuellen Geschehen. Schon seit längerer Zeit hat sie eine solche politische Bedeutung erlangt, daß sie nicht nur von AnarchistInnen gelesen wird, sondern auch von ihren FeindInnen. Das beweisen einmal mehr die beiden Prozesse, die seit Anfang diesen Jahres vom französischen Innenminister (!) Debré und dem Chef der Front National, Le Pen, gegen das Blatt geführt werden. In beiden Fällen drohen der anarchistischen Wochenzeitung hohe Geldstrafen. Und das, obwohl sie bereits hoch verschuldet ist.

In dem von den Rechtsextremen angestrengten Gerichtsverfahren geht es um eine Karikatur vom 16. Mai 1996, in der auf ironische Weise die Ausbreitung des Front National mit der Ausbreitung des Rinderwahnsinns verglichen wird und zur Bekämpfung des Front National dasjenige Mittel vorgeschlagen wird, das der Kapitalismus üblicherweise, und also auch zur Bekämpfung des Rinderwahns einsetzt (siehe Bild). Vom Gericht wird der presserechtlich Verantwortliche von Le Monde Libertaire, André Devriendt, der „Beleidigung, Verleumdung und direkten Aufforderung zum Angriff auf das Leben der Mitglieder des Front National“ beschuldigt. Das Gericht erkannte dabei an, daß die Aufforderung keine praktischen Folgen gezeitigt hat. Le Monde Libertaire schrieb dazu, die empfindlichen Seelchen der Front National gingen wohl davon aus, daß die LeserInnen der Le Monde Libertaire allesamt impulsive Mörder seien, die nur darauf warten würden, auf Anregung der Redaktion gegen die Ziele loszuschlagen, die ihnen vorgesetzt werden. Vielleicht sollten die LeserInnen sich beleidigt fühlen und ihrerseits wegen Beleidigung Klage erheben.

Cartoon aus Le Monde Libertaire vom 16.-22. Mai 1996

Innenminister Debré klagte gegen einen mit „Atèle“ unterzeichneten Artikel mit der Überschrift „Das Waisenheim“, der am 20. Juni 1996 erschien. Es ging dabei um die statistisch gestiegene Anzahl von Todesopfern unter PolizistInnen, egal ob diese nun von gewöhnlichen Kriminellen in Schießereien oder bei Verfolgungsjagden umgebracht worden sind, oder ob sie Selbstmord, aus welchen Gründen auch immer, begangen haben. Im Verfahren wird Le Monde Libertaire die öffentliche Entehrung und Beleidigung von PolizeibeamtInnen, sowie eine Apologie des Mords vorgeworfen. Gegenstand des Prozesses sind die in der Übersetzung auf dieser Seite kursiv gesetzten Sätze, insbesondere der auf Polizeifamilien gemünzte Begriff „fragwürdige Eltern“.

Es ist typisch für Le Pen, all diejenigen, die ihn und seine Partei öffentlich angreifen, vor Gericht zu bringen und Prozesse gegen sie zu führen. Seine eigene Tochter fungiert im Verfahren gegen Le Monde Libertaire als Anwältin der Kläger. Womöglich wird das Verfahren auf diese Weise billiger für den Front National und erklärt die Häufigkeit der von ihm angestrengten Prozesse? Der Front National- Prozeß gegen die Zeitung geht bereits seinem Ende entgegen, das Urteil wird Anfang Juni erwartet (Ergebnis in der September-GWR). Herausgeber André Devriendt wurde übrigens schon einmal von Rechtsextremen verklagt. Es war im Jahre 1942, als er von den nationalsozialistischen Besatzungstruppen wegen seines Kampfes für die Freiheit verurteilt wurde.

Der Debré-Prozeß hat ebenfalls schon begonnen und wird am 12. Juni fortgesetzt. Wer also noch keine Urlaubspläne hat, kann im Juni nach Paris kommen, um Le Monde Libertaire vor Gericht zu unterstützen.

Der Verfolgungswahn Innenminister Debrés könnte vielleicht bis in seine Gene zurückgehen, hatte doch schon sein Vater im Jahre 1971 gegen eine andere anarchistische Zeitung, „Fais pas le Zouave“, wegen deren Propaganda für Kriegsdienstverweigerung Prozesse geführt…

Spaß, d.h. Biologismus beiseite: Noam Chomsky hat in seiner Medienkritik aufgezeigt, daß bürgerliche Zeitungen wie die New York Times Informationen unterdrücken, wenn sie den Anzeigen- und Werbegeschäftspartnern nicht genehm sind. Das Beispiel Le Monde Libertaire zeigt, daß Pressefreiheit nicht nur in den USA eine Chimäre ist. Wenn Zensur nicht als Selbstzensur aufgrund ökonomischer Zwänge in den kommerziellen Medien auftritt, zeigt sie sich offen als staatliche Repression gegen nichtkommerzielle, alternative Medien.

Es kennzeichnet die bürgerliche Gesellschaft, daß sie ständig von Pressefreiheit schwadroniert, während sie in Wirklichkeit störende Zeitungen (z.B. auch Le Canard Enchaîné) durch Geldstrafen, die sie nicht bezahlen können, an den Rand des Ruins oder in den vollständigen Bankrott treibt. Selbst in der aristokratischen Gesellschaft verstand der König noch den Spaß und die Ironie der Hofnarren, sie gehörten sogar zum Ensemble des Hofes. Heute sind die Narren und Närrinnen im Fernsehen die einzigen Hofnarren, die sich das System hält. Außerdem begibt sich Innenminister Debré in einen Widerspruch zu seinem Präsidenten Chirac, der bereits einmal mit dem Preis „Louise Michel“, benannt nach der bekanntesten französischen Anarchistin, ausgezeichnet wurde (wie das passieren konnte, sei einmal dahingestellt!). Nun aber klagt Debré gegen die NachfolgerInnen von Louise Michel. Wenn die AnarchistInnen gestorben sind, wird ihnen gehuldigt und die Herrschenden lassen sich Preise auf ihren Namen aushändigen, während sie die noch lebenden AnarchistInnen verfolgen wie eh und je.

Infos und Material über Solidaritätsaktionen

Le Monde Libertaire
145, rue Amelot
F-75011 Paris
alain@minitelorama.com
www.minitelorama.com/~alain/mls

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