Nur wenige Berufsgruppen können stolz darauf sein, sich die Werte der ArbeiterInnenbewegung so zu Herzen genommen zu haben, daß sie auch noch auf genossenschaftlicher Basis Waisenheime gründeten. Allerdings hat die Polizei das gemacht, wenn auch nicht auf genossenschaftlicher Basis, sondern durch Steuermittel. Was für ein geistreiches Werk … der gegenseitigen Hilfe!
Aber heute quillt dieses Polizei-Waisenheim über. Wenn 1995 als Jahrgang der „Klassenkämpfe“ in die Geschichte eingegangen ist, dann war 1994 der Jahrgang „immer weniger Bullen“. Ein „nettes“ Polizeiflugblatt klärt uns darüber auf, daß 1994 in mehr als 900 Polizeifamilien Tote zu beklagen waren.
Wir halten uns nun nicht bei der Frage auf, was denn unter einer „Polizeifamilie“ zu verstehen ist (ein Bullen- Vater, die Mutter Verkehrspolitesse, ein Polizeihund und zwei, drei Bullen in spe), sondern wollen hier auf ein besonderes Argumentationsmuster aufmerksam machen, das da lautet: „Wenn ein Polizist für den Schutz unseres Lebens (und unserer Sicherheit) sein eigenes dahingibt, ist es moralisch unvertretbar, sich nicht wenigstens um seine Kinder zu kümmern…“
Dagegen ist es ohne Zweifel viel eher moralisch vertretbar, sich nicht um die Kinder zu kümmern, wenn ein gewöhnlicher Arbeiter bei einem Arbeitsunfall sein Leben verliert. Denn dieser Arbeiter hat die Torheit begangen, seine Haut nicht im Dienste derer zu riskieren, die alles haben, und diejenigen unterdrücken, die nichts haben.
Letztlich gehört es zur Ideologie des Polizei-Waisenheims, den Waisenkindern die Möglichkeit zu bieten, eine blühende Kindheit zu erleben und erfolgreich im Leben zu sein. Mit dieser Ideologie nehmen sie sich eien Verantwortlichkeit herasus, die ihnen nicht zusteht. Es wäre wahrscheinlich angebrachter, sich bei all jenen zu bedanken, die diese fragwürdigen Eltern beseitigt haben und ihre Kinder damit vor einer Sozialisation in einem vergifteten Lebensraum zwischen Le Pen (Rechtsextrem) und Kronenburg-Bier (Alkoholismus) gerettet haben!
Le Monde Libertaire, 15. Juni 1996, kursiv gesetzte Sätze sind Gegenstand der Debré-Anklage