antimilitarismus

Die alte Leier: Persönliche Diskreditierung statt politischer Kritik

| Winni Nachtwei, Mitglied des Bundestages, Münster

Leserbrief / Münster, 10.8.1999

W. Nachtwei, MdB
Deutscher Bundestag
11011 Berlin

In dem GWR-Interview „Der ‚Siegfrieden‘ der NATO“ (Nr. 240) greift der münsteraner Soziologieprofessor Christian Sigrist mich persönlich in einer Weise öffentlich an („Opportunist“, „Kleben an der Macht“. „Mandat macht blöd“), die ich nicht unerwidert lassen kann.

Jahrelang habe ich in Verteidigungsausschuß, Bundestag und Öffentlichkeit gegen die Umrüstung der Bundeswehr auf Kampfeinsätze weltweit gewirkt – siehe die entsprechenden Anträge, Reden und nicht zuletzt das von mir vorgelegte Konzept „Bundeswehr in Abrüstung (BiA) 2006“ (veröffentlicht in der KDV-Zeitschrift „4/3“, 3/98). Noch beim Bundestagsbeschluß am 16. Oktober 1998 zu den NATO-Luftangriffen enthielt ich mich vor allem wegen der massiven völkerrechtlichen Bedenken der Stimme. Zugleich gehöre ich zu den ganz wenigen Abgeordneten im Bundestag, die sich seit Jahren für effektive Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung insbesondere auch mit gesellschaftlichen Akteuren stark machen.

Wenn ein solcher Politiker dann im März doch die NATO-Luftangriffe mitträgt, dann ist das vielen unbegreiflich, dann liegen Erklärungsmuster von Opportunismus und Verrat nahe, dann darf und will ich mich über scharfe Reaktionen nicht beschweren.

Gerade weil ich die Gefahr des Opportunismus im Parlament und vor allem bei einer Regierungsbeteiligung sehe, habe ich das Wider und Für des Eingreifens in den Kosovo-Konflikt immer besonders sorgfältig geprüft, meine Positionen öffentlich gemacht und sie auf Veranstaltungen zur Diskussion gestellt. (siehe www. Nachtwei.muenster.org/) Allerdings mußte ich dabei die Erfahrung machen, daß sich vor Beginn der NATO- Angriffe, aber während der sich zuspitzenden Krise kaum jemand für die Diskusssionsangebote interessierte. Während des NATO-Krieges stellte ich mich dann bei ca. vierzig Veranstaltungen der Kontroverse, darunter einer im Münsteraner Rathaus, wo mich Christian Sigrist unter Anrufung „Jahwe’s“ mit Worten wie „das Blut der Opfer komme über euch“, „das wirst du nicht überleben“ ausdrücklich verfluchte.

Statt sich in der ruhigeren Atmosphäre eines Interviews nun argumentativ mit mir auseinanderzusetzen, beschränkt sich mein akademischer Lehrer aus den 70er Jahren auf persönliche Angriffe und Unterstellungen. Dabei greift er leider auch zu Unwahrheiten:

Es ist falsch, daß ich jemals an einem Luftwaffenball teilgenommen hätte. (Daß ich als Mitglied des Verteidigungsausschusses zu anderen Veranstaltungen mit Bundeswehrangehörigen gehe, gehört zu meinen selbstverständlichen parlamentarischen Aufgaben, steht aber auf einem anderen Blatt.)

Nie habe ich behauptet, es gebe „keine Alternative“. In der Münsterschen Zeitung vom 27.3.1999 ist meine Stellungnahme korrekt so zitiert: „Ich trage die Politik der Bundesregierung mit, weil wir nur die Wahl haben zwischen einem großen Übel, den völkerrechtlich äußerst problematischen Luftangriffen gegen einen souveränen Staat, und einem unerträglichen Übel, dem Geschehenlassen eines zweiten Bosnien im Kosovo. Aus diesem Dilemma sehe ich keinen Ausweg.“

Dieser Schlüsselfrage – was tun auf der Ebene internationaler Politik, wenn in (Ex-)Jugoslawien erneut Krieg stattfindet gegen Zivilbevölkerung, wenn ein Jahr Verhandeln und internationaler Druck wirkungslos blieben? – weicht Christian Sigrist systematisch aus. Auf die reale Entwicklung des Kosovo-Konfliktes bis zum serbischen Vertreibungskrieg geht er praktisch nicht ein. Er ist offenbar so sehr auf den „Teufel US-Imperialismus“ fixiert, daß er komplexe, ja widersprüchliche Realitäten kaum noch wahrnimmt.

Die Methode, politisch-argumentative Auseinandersetzung durch persönliche Diskreditierung zu ersetzen, hat Tradition in der Linken. Sie ist bequem und recht wirksam bei der Selbstimmunisierung gegen Zweifel, zugleich aber auch ein Ausdruck von Denkfaulheit und Selbstgerechtigkeit, vor allem aber zerstörerisch für jede produktive Debatte.

Angesichts solcher Rundumschläge wie dem von Christian Sigrist ist die zunehmende politische Vereinsamung dieser Art Positionen kein Wunder. Sie sind Beiträge zur Selbstverstümmelung des Antikriegsprotestes und zur weiteren Marginalisierung einer antiimperialistischen Linken. Das ist umso bedauerlicher, als diese keineswegs überflüssig sind und vor allem eine Friedensbewegung notwendig ist, die glaubwürdig ist und in der Gesellschaft wieder gehört wird.

Anmerkungen

Stellungnahmen zum Kosovo-Konflikt und -Krieg sind erhältlich über mein Wahlkreisbüro:

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