Die Kampagne "Mal richtig abschalten" von Gewaltfreien Aktions- und Graswurzelgruppen ist das Nachfolgeprojekt von 'X-tausendmal quer'. Es organisiert im Rahmen der 'Bundesweite Kampagne gegen Atomtransporte "NiX mehr!"' Aktionen klassischen Zivilen Ungehorsams. Wir stellen die geplanten Aktionen und die politisch-strategischen Überlegungen, die dahinter stehen, vor. (Red.)
Nach Gorleben kommt Ahaus, das weiß inzwischen jedeR. Die Bewegung hat durch die Auseinandersetzung um die Gorleben-Transporte und den Erfolg, daß sie zumindest vorläufig ausgesetzt werden einen enormen Schwung gekriegt. Es ist sinnvoll, diesen zu nutzen, um nun auch in Ahaus einen breiten Widerstand aufzubauen. Zumal durch die Fernsehbilder von den Auseinandersetzungen im Wendland, die jahrelange Arbeit der BI-Ahaus und die auch im weiteren Umfeld von Ahaus neu entstandenen Anti-Atom-Gruppen die Bedingungen für den Versuch eine Massenbewegung zu starten reif sind.
WAA-Transporte
Aber es reicht nicht, den Widerstand allein auf die Zwischenlager zu beschränken. Zum einen läßt sich, solange es nur in Gorleben und Ahaus einen öffentlich sichtbaren Widerstand gibt, den Anti-Castor-AktivistInnen immer leicht vorwerfen Sankt-Florians-Politik zu betreiben, da sie ja nichts dagegen tun, wenn der strahlende Müll ins Ausland verfrachtet wird. Zum anderen ist es für die AKW-BetreiberInnen relativ einfach möglich, dem Widerstand zumindest zeitweise zu entgehen, indem sie ihre abgebrannten Brennelemente in die Wiederaufarbeitungsanlagen bringen. Daß der Müll irgendwann wieder zurückgenommen werden muß, ist erst in ein paar Jahren oder Jahrzehnten ihr Problem. Oder das ihrer NachfolgerInnen. Die Frage der Entsorgung und damit auch die nach dem Weiterbetrieb der Atomanlagen läßt sich auf diese Weise nur bedingt auf die Spitze treiben. Nicht zuletzt bleibt die Anti-Atom-Bewegung zumindest in der Frage der Transport-, also der wesentlichen Aktionszeitpunkte, weitgehend von der Gegenseite abhängig. Ohne Transporte in die Zwischenlager gäbe es auch keine großen Aktionsanläße. Die Bewegung würde an Schwung verlieren und viele neue Gruppen sich auflösen. Das Thema wäre erstmal wieder weitgehend vom Tisch.
Daß die Betreiber zumindest derzeit nicht auf Zwischenlager-Transporte verzichten wollen ist eindeutig. Aber mit einer unangekündigten und offiziell nicht so genannten Transportaussetzung von z.B. zwei Jahren wegen Bundestagswahlen oder EXPO 2000 in Hannover muß die Bewegung jederzeit rechnen.
Es macht also Sinn, den Castor-Widerstand auf die Transporte zu den WAAs auszuweiten. Zumal die Auseinandersetzungen um Gorleben auch dort dazu geführt haben, daß die Bedingungen für eine solche Kampagne herangereift sind.
Krümmel
Natürlich gibt es nicht erst seit „NiX mehr!“ Aktionen und Blockaden gegen WAA-Transporte. Immer wieder wird versucht, einzelne Transporte öffentlich zu machen und zu blockieren. Doch meist nehmen an solchen Aktionen nur zehn bis fünfzig Menschen teil. Selten sind es mal über hundert. Daher nimmt meist auch nur die lokale Presse Notiz von ihnen. „Jeweils hundert Menschen blockieren Castor-Transporte an 20 verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten!“, ist keine Nachricht, die überregionale Medien aufnehmen. Aber, „Zweitausend Menschen blockieren in Gorleben!“, ist eine Nachricht. Und zwar eine, die öffentliche Debatten über die Durchführbarkeit der entsprechenden Transporte auslöst.
Es macht also Sinn, sich auf einen Kristallisationspunkt zu beschränken, und dort ein Ereignis zu schaffen, daß mobilisierend wirkt und somit Auftakt und Auslöser für eine Bewegung „Stoppt-die-WAA- Transporte!“ ist. Als dieser Kristallisationspunkt ist das AKW-Krümmel ausgesucht worden, da es gegenüber anderen AKWs ein paar entscheidende Vorteile hat.
- Erstens ist seine internen Brennelementelagerkapazität ausgeschöpft. Bis zur nächsten Revision im Spätsommer 98 muß es mindestens zwei Castor-Transporte durchführen. Sonst kann der Brennelementwechsel nicht durchgeführt werden, und das Kraftwerk kann nach der Revision nicht wieder ans Netz gehen. Ab 98 müssen dann jedes Jahr mindestens fünf Transporte durchgeführt werden. Es ist also nicht möglich, den Widerstand auszuhungern, indem die Transporte ein Jahr lang ausgesetzt werden. Die Verbindung zwischen dem Stopp der Castor-Transporte und dem Abschalten der AKWs ist hier offensichtlicher als bei den meisten anderen Standorten.
- Zweitens hat es den kaputtesten Ruf von allen Kraftwerken, vor allem durch die Häufung von Leukämiefällen in seiner Umgebung, aber auch wegen seiner ständigen Pannen und Störfälle. So ist zum Beispiel im Winter 96/97 tatsächlich ein leerer Castor direkt vorm AKW entgleist.
- Drittens liegt Krümmel direkt zwischen Hamburg und dem Wendland. Von Dannenberg sind es ca. 50 km zum AKW-Tor. Und einige wendländische Castor-Ortsgruppen liegen näher an Krümmel, als an Gorleben. Sich am Widerstand in Krümmel zu beteiligen ist für viele WendländerInnen also im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend. Und die HamburgerInnen brauchen nicht einmal ihre Stadt zu verlassen, um sich dem Castor in den Weg zu stellen. Der 20 km lange Gleiszubringer des AKWs mündet im Hamburger Stadtteil Bergedorf ins Netz der Bundesbahn.
- Und viertens gibt es um Krümmel und am Gleiszubringer drei Anti-Atom-Gruppen. Die sind zwar alle relativ klein, aber trotzdem ist das mehr Vor-Ort-Struktur als bei den meisten anderen AKWs.
Der Auftakt
Der Auftakt zu Krümmel wird das Aktionswochenende vom 20./21. September sein. Und der erste Castor-Transport nach diesem Wochenende wird im großen Maßstab blockiert werden.
Das Aktionswochenende beginnt am Freitag mit der Errichtung des Camps direkt am AKW. Am Samstag dem 20.9. um 12 Uhr gibt es dann eine Auftaktkundgebung im Zentrum von Geesthacht, der Kleinstadt, zu der Krümmel gehört. Danach geht es an und auf die Schiene, wo bis 19 Uhr die verschiedensten Aktionen geplant sind, die zum einen die Bereitschaft, dem nächsten Castor-Transport aus Krümmel mit handfestem Widerstand zu begegnen, zum anderen aber Lebensfreude, die die Bewegung dem Atomstaat entgegenzusetzen hat, demonstrieren sollen. Letzteres zum Beispiel durch den Bau eines Spielplatzes direkt neben dem Gleis. Ab 16 Uhr werden verschiedene Arbeitskreise angeboten. Um 19 Uhr gibt es ein Kundgebung vorm AKW, und danach ein Open-Air-Konzert beim Camp, das am Sonntag Nachmittag fortgesetzt wird. Die Abschlußkundgebung findet am Sonntag um 15 Uhr statt.
Grafenrheinfeld
Da das Aktionswochenende in Krümmel für die süddeutschen Initiativen aufgrund der Entfernung nicht sehr interessant ist, hat sich dort eine eigenständige Kampagne gebildet: „NiX mehr! – Süd“. Diese hat sich als Auftakt eine Großdemonstration in Schweinfurt beim AKW Grafenrheinfeld am Samstag den 13. September um 12 Uhr, also am Wochenende vor Krümmel, ausgesucht. Am Dienstag darauf, dem 16. September, soll von dort ein Castor-Transport nach La Hague abfahren, für den Blockadeaktionen geplant sind. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Krümmel-Wochenende läßt sich der Öffentlichkeit das Bild eines gemeinsamen Vorgehens gegen WAA-Transporte vermitteln.
Der Transport
Der Tag des ersten Krümmel-Transports nach dem Aktionswochenende wird zum Tag-X. In Krümmel selbst wird nach dem Motto „den Castor stoppen bevor er losfährt“ versucht werden den Transport schon durch massenhafte Präsenz und vielfältige Aktionen am Wochenende vorher zu verhindern. Auftakt dazu wird eine Kundgebung in Geesthacht am Samstag vor dem Transport (X-Minus) sein.
Auch sonst wird dieser WAA-Transport nicht so unauffällig und reibungslos durch die BRD kommen wie die meisten anderen. Mehrere Gruppen an den Strecken bereiten sich darauf vor, den Castor bei ihrer Stadt zu stoppen oder ihm doch wenigstens die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. Denn der Transport muß von Krümmel quer durch die BRD, über Hamburg, Bremen und Köln (oder den Raum Hannover) bis fast nach Saarbrücken fahren, wo er Deutschland über die Grenze nach Frankreich verlassen soll. Selbst die süddeutschen Initiativen müssen nicht weit fahren, um ihn zu blockieren. Und sie haben eine Blockade genau auf der Grenze angekündigt.
Die einzige Möglichkeit für den Krümmel-Castor, nur auf geringen Widerstand zu stoßen, ist es zeitgleich mit einem Gorleben- oder Ahaus-Tranport abgewickelt zu werden. Ahaus und Gorleben haben Priorität. Dann werden sich (fast) alle an „NiX mehr!“ beteiligten Gruppen dort einklinken.
Die GraswurzlerInnen
Die Kampagne „NiX mehr!“ ist so breit wie die Anti-Atom-Bewegung. Für Gewaltfreie-Aktions- und Graswurzelgruppen stellt sich da die Frage, ob und wie sie sich da einbringen können und wollen.
Gegen eine Aufgabe der eigenen Strukturen und dem Aufgehen in einer gemeinsamen Kampagne spricht, daß GraswurzlerInnen eine andere Analyse der Verhältnisse in der BRD haben als z.B. bürgerliche oder autonome Gruppen, die diesen Staat sehr oft entweder für demokratisch oder gleich für vollständig faschistoid halten. Auch haben GraswurzlerInnen andere Ziele als andere Strömungen innerhalb der Anti-Atom-Bewegung. Sie haben eine viel grundlegendere Kritik an dieser Gesellschaft als normale BürgerInnen, die nur gegen Umweltzerstörung und Atomkraft sind. Und auch die Zielsetzungen von Teilen der Autonomen unterscheidet sich von graswurzlerischen Vorstellungen von einer gewaltfreien und herrschaftslosen Gesellschaft mehr als mensch auf den ersten Blick meint.
Aus diesen Unterschieden folgen nicht nur verschiedene Aktionsansätze, sondern auch völlig unterschiedliche Erfolgsmaßstäbe. Aus einer autonomen Weltsicht heraus ist oft einfach nicht verstehbar, wie mensch sich öffentlich zu Straftaten bekennen oder sich Gedanken darüber machen kann, ob die Menschenwürde einer/s PolizistIn bei einer Aktion gewahrt bleibt.
Auch an die Organisationsweise stellen GraswurzlerInnen ganz eigene Ansprüche, da ein Grundsatz von gewaltfreien Aktionen ist, daß auch die Strukturen der Aktion selbst gewaltfrei und herrschaftslos sein sollen. Daher wird oft sehr viel Wert auf die Art der Entscheidungsfindung, auf SprecherInnenräte, Bezugsgruppen und den gegenseitigen Umgang gelegt. Diesen Ansprüchen auf gelebte Utopie werden die Vorstandshierarchie vieler BürgerInneninitiativen und das Chaos und Recht des/der Stärkeren/Lauteren auf eher autonom dominierten Delegiertentreffen meistens nicht gerecht.
Andererseits besteht die Stärke der Anti-Atom-Bewegung auch in ihrer Breite und darin, daß sie es immer wieder schafft, die verschiedenen Konzepte und Ansätze zusammen zu bringen, oder wenigstens nebeneinander stehen zu lassen. Innerhalb des allgemeinen Konsenses der Anti-Atom-Bewegung, daß keine Menschen gefährdet werden dürfen, ist es immer wieder möglich und nötig, die Bandbreite der möglichen Aktionsformen für bestimmte Zeiten und Orte auszuhandeln.
Wenn jedes Spektrum sich seinen eigenen Schwerpunkt suchen würde, ohne darauf zu achten, was die anderen machen, wären erfolgreiche große Kampagnen und gezielte Schwerpunktsetzungen nicht möglich.
Häufig kommen verschiedene Spektren trotz ihrer unterschiedlichen Grundansätzen zu gemeinsamen oder sich gegenseitig ergänzenden Aktionsformen. Hier sind Bündnispolitik und gemeinsame Kampagnen oder Aktionen sinnvoll. Zumal mit den anderen Strömungen der Anti-Atom-Bewegung zu großen Teilen gemeinsame Mittel- und Fernziele über die Abschaltung aller Atomanlagen hinaus bestehen, wie zum Beispiel die Durchsetzung von mehr Demokratie und allgemeiner Menschenrechte.
Mal richtig abschalten
Beim Widerstand gegen die WAA-Transporte haben sich die meisten beteiligten GraswurzlerInnen dazu entschlossen, sich einerseits selbst zu organisieren, also die Kampagne „Mal richtig abschalten“ zu gründen, diese aber andererseits fest in eine Bündniskampagne, also „NiX mehr!“, einzubinden, an deren Zustandekommen sie maßgeblich beteiligt waren.
Im Rahmen der Bündniskampagne tragen sie gemeinsame Aufrufe, Schwerpunktsetzungen und Aktionstage mit. So werden der Aufruf und die drei zentralen Kundgebungen am Aktionswochenende in Krümmel oder die Auftaktdemonstration am X-Minus-Samstag von ihnen aktiv mitgetragen und organisiert. Im Rahmen dieser Schwerpunkte und Aktionstage organisieren sie eigene Aktionen. Hauptsächlich solche klassischen zivilen Ungehorsams, die vorher angekündigt sind, und für die breit und öffentlich mobilisiert wird.
Ausrangiert
Auf dem Aktionswochenende vom 20./21.9. in Krümmel organisiert „Mal richtig abschalten“ die schon aus dem Wendland bekannte Schienendemontage „Ausrangiert“. Dafür gibt es am Samstag um 17 Uhr und um 20 Uhr jeweils ein vorbereitendes Aktionstraining. Am Sonntag um 11 Uhr dann eine Kundgebung direkt am AKW und im Anschluß daran gehen alle, die dies wollen, gemeinsam auf das Gleis und es wird begonnen, die Schiene zu demontieren. Für die Polizei ist es in solchen Situationen erfahrungsgemäß selbst mit einem Großaufgebot nicht möglich, die Demontagen vollständig zu verhindern. Denn die TeilnehmerInnen der Aktion sind zwar freundlich gegenüber der Polizei, ignorieren aber einfach deren Anordnungen. Und auch die Drohung mit Festnahmen wirkt nicht, wenn genügend Menschen den Entschluß gefaßt haben, diese in Kauf zu nehmen. 1996 konnten etwa 3 000 PolizistInnen die nur einen Kilometer lange Schiene beim Dannenberger Verladekran trotz Wasserwerfern und Absperrgittern nicht vollständig vor der Demontage durch ca. 2 000 Ausrangiert-AktivistInnen schützen. Auf der ungleich längeren Schiene in Krümmel wird ihnen das gänzlich mißlingen, wenn sich nur halb so viele Menschen finden, die entschlossen sind, an der Schiene zu demonstrieren, die Schiene zu betreten oder diese gar zu demontieren.
Festgesetzt
Am Tag des großen Krümmel-Transports und am Wochenende davor gibt es die Aktion „Festgesetzt“. Eine große Sitzblockade auf der Krümmel-Schiene, die genau wie „X-tausend mal quer“ darauf setzt, daß nicht erst am Morgen des Transports versucht wird auf die Schiene zu gelangen, wenn die Polizei diese schon relativ gut abgesichert hat, sondern vor der Polizei da zu sein, den Blockadeort also spätestens im laufe des Sonntags einzunehmen. Ebenfalls wie bei „X-tausend mal quer“ wird versucht den Beteiligten einen festen Rahmen zu geben, und der Polizei die Eskalation zu erschweren, indem bewußt darauf verzichtet wird die Schiene unter der Blockade zu demontieren. Dies ist auch deswegen nötig, weil versucht wird, es möglichst vielen Menschen zu ermöglichen sich im Rahmen von „Festgesetzt“ an der Schiene festzuschließen.
Das Problem dabei ist jedoch, daß diese Blockade, anders als in Dannenberg, nicht am Ende sondern am Anfang der Transportstrecke liegt. Daher ist es den Betreibern möglich eine reine Sitzblockade auszuhungern, indem sie den Transport um zwei bis drei Tage verschieben.
Es ist also nötig sie zu zwingen, schon ab dem Wochenende vorher möglichst viel Polizei in und um Krümmel aufzufahren, so daß es sich für sie nicht lohnt, den Transport zu verzögern. Dies läßt sich am besten durch die Drohung erreichen, daß sie, wenn sie am Wochenende nicht genug Polizei da haben, in der Woche nicht transportieren können, weil die Schiene demontiert ist. Daher wird überlegt, auch am X-Minus-Wochenende eine Ausrangiert-Aktion durchzuführen.
Wobei es übrigens nicht zwingend ist, daß gewaltfreie Schienendemontagen vorher angekündigt sind, und alle beteiligten hinterher vor Gericht dazu stehen. Die Gewaltfreien-Aktions- und Graswurzelgruppen müssen die Schienendemontagen auch ohne Ausrangiert nicht anderen Gruppen überlassen. Aber dafür ist dann die offene auf zivilen Ungehorsam ausgerichtete Struktur von „Mal richtig abschalten“ wahrscheinlich ungeeignet und auch nicht zuständig.
An der Transportstrecke
An der Transportstrecke des Krümmel-Castors durch die BRD übernehmen in „Mal richtig abschalten“ eingebundene Gruppen Aufgaben bei der Streckenüberwachung. Auch auf Festschließ- und Blockadeaktionen entlang der Transportstrecke bereiten sich schon Gruppen vor.